Adventspredigtreihe Predigt: Predigt über die Erklärung über die Religionsfreiheit
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- Edith Grosser
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1 1 Adventspredigtreihe Predigt: Predigt über die Erklärung über die Religionsfreiheit Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von Terroranschlägen berichtet wird nicht nur aus politischen Motiven, sondern auch aus religiösen: Sunnitische Moslems gegen schiitische Moslems und umgekehrt im Iran und im Irak, Attentate gegen koptische Christen in Ägypten, gegen Christen in Nigeria, Morde zwischen Hindus und Moslems in Indien und vor gar nicht so langer Zeit noch Auseinandersetzungen, auch tödliche Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland. Religionsfreiheit ist in vielen Ländern der Erde noch lange nicht selbstverständlich. Für uns in Europa ist die Religionsfreiheit ein Grundrecht, das nicht in Frage gestellt wird oder doch, wenn wir an die Diskussionen um den Moscheebau in Köln denken? auch wenn diese Diskussionen nicht zu vergleichen sind mit dem Terror in anderen Ländern. Religionsfreiheit auf dem II. Vatikanischen Konzil in einer eigenen Erklärung endgültig und feierlich von der katholischen Kirche anerkannt und verkündet: Für viele eine große Überraschung! Denn unsere Kirche hatte bis ins 20. Jahrhundert hinein Religionsfreiheit und Toleranz anderen Religionen und Konfessionen gegenüber noch als verderbliche Produkte des modernen Zeitgeistes gebrandmarkt: Der Irrtum habe kein Recht; er sei, wo es immer praktisch möglich ist, zu unterdrücken. Während man für die katholische Kirche Freiheit forderte, verweigerte man gerade in katholischen Ländern
2 2 anderen Religionsgemeinschaften dieselbe Freiheit. Papst Gregor XVI. bezeichnete im 19. Jahrhundert die Idee der Religions- und Gewissensfreiheit als deliramentum, als Wahnvorstellung. Nach einer langen Geschichte der Intoleranz und der Unterdrückung anderer durch Christen nicht nur durch die katholische Kirche, sondern nach der Reformation durch alle christlichen Konfessionen, durch Luther, Zwingli, Calvin erkannte unsere Kirche auf dem II. Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit als ein unveräußerliches Menschenrecht an. Auf dem Konzil setzte sich die Überzeugung durch, dass weder der Staat noch die Kirche das Recht hat, mit Gewalt die Lehre des Christentums durchzusetzen. An die Stelle des Rechtes der Wahrheit, die der Staat oder/und die Kirche festlegen, tritt das Recht der Person, des einzelnen Menschen: Es gehört zur unverlierbaren Würde jedes Menschen, sich aus persönlicher freier Wahl dem ein oder anderen Glauben oder gar keinem Glauben anzuschließen. Damit gibt das Konzil, gibt die Kirche nicht den Wahrheitsanspruch auf, aber sie gibt eine falsche Vorstellung auf, dass nämlich die Wahrheit der Botschaft Christi mit Gewalt und Unterdrückung Andersgläubiger durchzusetzen sei. In der Erklärung über die Religionsfreiheit (Nr. 1) heißt es: Das Konzil bekennt sich dazu, dass die Wahrheit (die Menschen) auf keine andere Weise erfasst als in der Kraft der Wahrheit selbst und nicht durch Unterdrückung und Gewalt.
3 3 Papst Benedikt XVI. hat in seiner Friedensbotschaft zum 1. Januar 2011 auf diese Erklärung des Konzils zurückgegriffen, wenn er sagt: das Recht auf Religionsfreiheit ist in der Würde des Menschen selbst verankert. Und angesichts der Verfolgung Andersgläubiger in vielen Staaten der Erde sagt der Papst weiter: Die Staaten dürfen niemals vergessen, dass die Religionsfreiheit die Voraussetzung für die Suche nach der Wahrheit ist und dass sich die Wahrheit nicht mit Gewalt durchsetzt, sondern in der Kraft der Wahrheit selbst. Das Konzil erklärt als Fundament der Religionsfreiheit, dass die menschliche Person das Recht auf Religionsfreiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen von jedem Zwang frei sein müssen, sowohl von seiten einzelner wie von Gruppen in der Gesellschaft wie von jeglicher menschlicher Gewalt, und zwar in der Weise, dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf Religionsfreiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person gegründet (Nr. 2). Hier aber setzen die Vorwürfe der Fundamentalisten, u.a. der Piusbrüder, ein: Kann wirklich jeder, ob Jude, Moslem, Hindu oder Buddhist ein Recht anmelden, seinen Glauben zu verbreiten, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass nach christlichem Verständnis doch nur der christliche Glaube den vollen Wahrheitsanspruch erheben kann? Der Irrtum kann doch kein Recht auf Freiheit haben, sondern nur die Wahrheit! Dagegen verkündet das Konzil, dass das Recht auf Religionsfreiheit in der Würde der menschlichen Person begründet ist: Nicht die Wahrheit hat Rechte, sondern die menschliche Person! Das war die Schlüsselerkenntnis des Konzils: Nicht die Wahrheit hat Rechte, sondern der Mensch! Dagegen gab es auch auf dem Konzil starken Widerstand, vor allem von Seiten der italienischen und spanischen Bischöfe,
4 4 die ja damals noch in sog. katholischen Staaten lebten, in denen die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften nicht dieselben Rechte hatten wie die katholische Kirche. Sie erklärten, dass man den Anhängern nichtkatholischer Religionen und Konfessionen das Recht auf Religionsfreiheit nur um des innerstaatlichen Friedens willen zugestehen könne. Der Bischof von Toledo brachte diese Meinung auf die Formel: Recht für die Wahrheit, / für den Irrtum Toleranz, wenn es das Gemeinwohl erfordert. Das Recht auf Religionsfreiheit sei also nicht im Wesen des Menschen grundgelegt. Diese Auffassung wurde von den meisten Konzilsvätern offen zurückgewiesen. Interessant ist die Stellungnahme aus den osteuropäischen, damals noch vom Kommunismus beherrschten Ländern, die diese Meinung der Konzilsminderheit mit der Verweigerung der Religionsfreiheit im kommunistischen Herrschaftsbereich der damaligen Sowjetunion verglichen. Die kommunistischen Herrscher sagten sinngemäß dasselbe wie die Konzilsminderheit, nämlich: Der Irrtum des religiösen Aberglaubens hat gegenüber der Wahrheit des Atheismus kein Recht auf Dasein. Der im religiösen Irrtum Befangene muss daran gehindert werden, falsche Lehren zu verbreiten, und hat daher kein Recht auf Religionsfreiheit. Nur um des äußeren Friedens willen kann die Ausübung dieses Aberglaubens geduldet werden. Religionsfreiheit, volles Daseinsrecht kann nur die Wahrheit, das heißt der Atheismus, beanspruchen.
5 5 Die kommunistischen Herrscher und die reaktionäre Minderheit auf dem Konzil und die reaktionären Gruppen in der Kirche bis heute behaupten also dasselbe: Toleranz für die Andersgläubigen, die Andersdenkenden, Toleranz ja, wenn es sein muss, wenn es um des äußeren Friedens in der Gesellschaft willen sein muss, aber keine Religionsfreiheit als Recht jedes Menschen! Dazu hat Papst Benedikt XVI. in seinem Apostolischen Schreiben über die Kirche im Nahen Osten vom 14. September dieses Jahres folgendes geschrieben: Die religiöse Toleranz existiert in vielen Ländern, doch sie ist wenig verpflichtend. Es ist notwendig, von der religiösen Toleranz zur Religionsfreiheit zu gelangen. Und dann folgen klare Sätze, die aufhorchen lassen: So ist es unangebracht, in ausschließlicher Weise zu behaupten: Ich besitze die Wahrheit. Die Wahrheit ist niemals Besitz eines Menschen. Sie ist immer Geschenk, das uns auf einen Weg ruft, sie immer tiefer uns anzueignen. Die Wahrheit kann nur in der Freiheit erkannt und gelebt werden; denn wir können dem anderen die Wahrheit nicht aufzwingen ( Ecclesia in medio oriente, Nr. 27). --- Nun zurück zum Konzil: Kardinal Frings brachte dann die Lehre des Konzils auf den Punkt: Er sprach im Namen der meisten Bischöfe vom Recht jedes Menschen, seine Religion auch öffentlich zu bekennen, die er nach seinem sorgfältig gebildeten Gewissen als wahr anerkennt, auch wenn dieses Gewissen nach Auffassung der Kirche irrt. So wurde die Erklärung über die Religionsfreiheit über drei Sitzungsperioden des Konzils beraten und schließlich als letztes der 16 Dokumente des Konzils am Vorabend der feierlichen Beendigung des Konzils am 7. Dezember 1965 mit 2308 Ja-Stimmen bei 70 Nein-Stimmen und acht ungültigen verabschiedet und verkündet.
6 6 Wäre die Erklärung über die Religionsfreiheit gescheitert, hätte das Konzil den Brückenschlag, das Aggiornamento, seine Öffnung auf die Welt von heute verfehlt. Viele Beobachter des Konzils sahen im Schicksal dieser Erklärung einen Test, ob das Konzil wirklich zu einer neuen Lehrverkündigung finden würde oder ob es zwischen der katholischen Kirche und dem Denken des 20./21. Jahrhunderts einen unheilbaren Riss geben würde. Auf dem II. Vatikanischen Konzil ist die Kirche über viele Umwege in ihrer Geschichte, über viele furchtbare Umwege wie Ketzerverfolgung, Hexenprozesse, Inquisition wieder zu ihrem eigensten Ursprung zurückgekehrt. Auf den vier Sitzungsperioden des Konzils von 1962 bis 1965 wurden manche Schätze neu gehoben, z.b. die Wahrheit unseres Glaubens, dass Gott jeden Menschen mit der unverlierbaren Würde der Gottebenbildlichkeit, mit der unverlierbaren Würde der Freiheit erschaffen hat. Und so hat das Konzil die Wahrheit der Menschenwürde, die Wahrheit der Religionsfreiheit erkannt, indem es wie bei all seinen Lehren auf die Heilige Schrift und die Urkirche blickte und so die Quellen des Glaubens und der Kirche neu entdeckte. Und so befreite das Konzil die Wahrheiten des Glaubens von Schlacken und Verbiegungen vieler Jahrhunderte. Und da wurde deutlich, dass es eben kein Zufall ist, dass sich dieses Freiheitskonzept vom Menschen wenn auch über einen langen Zeitraum und viele Irrtümer hinweg und oft gegen den Widerstand der Kirche
7 7 dass sich dieses Freiheitskonzept vom Menschen gerade im jüdisch-christlichen Kulturraum entwickelt und durchgesetzt hat. In der Erklärung über die Religionsfreiheit entdeckt das Konzil, entdeckt die Kirche, wie sehr zentrale Anliegen der Französischen Revolution und der Aufklärung, nämlich Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, zu ihren ureigenen Anliegen gehören, wie sehr sie ihre Wurzeln haben im Gott der Bibel, der die Freiheit für seine Menschen will, vor dem alle Menschen gleich sind und der will, dass seine Menschen als Mitmenschen, als Geschwister leben. Wir feiern nun in der Eucharistie diese Botschaft unseres Glaubens: Gott selbst hat in seiner Schöpfungstat und dann in seiner Menschwerdung, auf deren Feier wir uns in diesen Adventswochen vorbereiten, die Grundlage gelegt für das, was wir in moderner Sprechweise Menschenwürde und Menschenrechte nennen. In der Feier der hl. Messe, in der Feier des Todes und der Auferstehung, feiern wir die erlösende Wahrheit, dass jeder Mensch als freies Geschöpf Gottes durch alle Unfreiheit hindurch, auch durch die letzte Unfreiheit des Todes hindurch, zur Auferstehung. zur vollkommenen Freiheit der Kinder Gottes berufen ist.
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