1. welche Bundesländer sogenannte Tariftreueregelungen im öffentlichen Vergaberecht eingeführt haben;
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1 Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / Antrag der Abg. Dr. Reinhard Löffler u. a. CDU und Stellungnahme des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Tariftreueregelungen im Beschaffungsrecht Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. welche Bundesländer sogenannte Tariftreueregelungen im öffentlichen Vergaberecht eingeführt haben; 2. welcher Anpassungszwang sich nach der Rüffert-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. April 2008 (Rs. C-346/06) für die Tariftreueregelungen in den Bundesländern ergeben hat und zu welchen Maßnahmen die Länder rechtlich verpflichtet wurden; 3. ob sie es für erforderlich ansieht, über die Rechtsbindung der Rüffert-Entscheidung hinaus, auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Entsenderichtlinie, eine vergaberegelnde Bestimmung zu Tariftreue und Mindestlöhnen in Baden- Württemberg festzuschreiben; 4. ob sie die Kritik für berechtigt und nachvollziehbar hält, dass Tariftreueregelungen zu höheren Beschaffungskosten führen und bürokratische (finanziell/personell) Mehrbelastungen für die Vergabestellen bedeuten; 5. welchen Prüfungsmaßstab und welche Kontrolldichte zu Mindestlohn und Tariftreue Unternehmen anlegen müssen, die bei der öffentliche Beschaffung Zulieferer, Nach- und Subunternehmer im In- und Ausland einbinden; 6. ob sie in den Kontrollen durch die Behörden der Zollverwaltung im Rahmen des Entsendegesetzes ein Regelungs- oder ein Vollzugsdefizit sieht und ob sie es für zweckmäßig erachtet, durch zusätzliche Überprüfungsmechanismen redundante Kontrollstrukturen zu schaffen; Eingegangen: / Ausgegeben: Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen Der Blaue Engel. 1
2 7. ob sie damit rechnet, dass die Kommunen die entstehenden Kosten für die zusätzliche Überprüfung neuer vergaberechtlicher Anforderungen zu Mindestlohn und Tariftreue aufgrund des Konnexitätsgrundsatzes vom Land einfordern könnten; 8. welche vergaberechtlichen Vorgaben zu Tariftreue und Mindestlöhnen sie im Verkehrssektor für erforderlich hält, der einem eigenen europarechtlichen Regime unterliegt und nicht von der Geltungskraft des Rüffert-Urteils erfasst ist; 9. nach welchen Kriterien die Rechtsprechung Lohn- und Sozialdumping als wettbewerbswidrig erachtet; 10. wie sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur negativen Koalitionsfreiheit vor dem Hintergrund staatlich verordneter Löhne beurteilt Dr. Löffler, Herrmann, Mack, Kößler, Wolf, Paal, Jägel CDU Begründung Die öffentliche Hand besitzt eine außergewöhnliche Nachfragemacht auf dem Beschaffungsmarkt. Die vergaberechtlichen Bestimmungen haben eine wettbewerbsschützende Zielrichtung, die eine Störung des Marktgleichgewichts verhindern soll. Zudem müssen Gelder aus öffentlichen Haushalten sparsam und wirtschaftlich verwendet werden. Regelungen zur Tariftreue und zum Mindestlohn soweit sie außerhalb des Arbeitnehmerentsendegesetzes stehen haben die Tendenz, diese wettbewerbsschützende Zielrichtung und die sparsame Mittelverwendung zu gefährden. Unternehmen, die sich auf ihre negative Koalitionsfreiheit berufen und solche, die etwa aufgrund wirtschaftlicher Probleme in einem Haustarifvertrag, einen zeitlich begrenzten Lohnverzicht als Sanierungsbeitrag vereinbaren, wären faktisch von der öffentlichen Vergabe ausgeschlossen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat in seiner Gesetzesbegründung zum Tariftreuegesetz (LT-Drs. 13/2965) eingeräumt, dass das Gesetz zu einer Verteuerung öffentlicher Bauaufträge führen wird und die Mehrkosten auf 5 % taxiert. Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen außerdem, dass Ausschreibungen zurückgezogen werden mussten, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Auftragnehmer die Tariftreue nicht einhält. Die erforderliche Neuausschreibung belasten Haushalt und die ausschreibende Stelle zusätzlich. 2
3 Stellungnahme*) Mit Schreiben vom 8. November 2011 Nr /347 nimmt das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Justizministerium und dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren zu dem Antrag wie folgt Stellung: Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. welche Bundesländer sogenannte Tariftreueregelungen im öffentlichen Vergaberecht eingeführt haben; Zu 1.: Derzeit bestehen in neun Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen) landesgesetzliche Tariftreueregelungen. In Nordrhein-Westfalen ist ein Gesetzentwurf der Landesregierung in der parlamentarischen Beratung und soll dem Vernehmen nach im Dezember verabschiedet werden. Im Zusammenhang mit ihren Tariftreuregelungen haben vier Bundesländer (Berlin, Brandenburg, Bremen und Rheinland-Pfalz) auch einen vergabespezifischen Mindestlohn eingeführt; in Nordrhein-Westfalen ist dies ebenfalls vorgesehen. 2. welcher Anpassungszwang sich nach der Rüffert-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. April 2008 (Rs. C-346/06) für die Tariftreueregelungen in den Bundesländern ergeben hat und zu welchen Maßnahmen die Länder rechtlich verpflichtet wurden; Zu 2.: Der EuGH stellte am 3. April 2008 im sogenannten Rüffert-Urteil fest, dass die Tariftreueregelung im niedersächsischen Landesvergabegesetz gegen die europäische Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsfreiheit verstoße und damit unanwendbar sei. Im Ergebnis hätte Niedersachsen für die Vergabe öffentlicher Aufträge nur die Einhaltung solcher tariflicher Lohnregelungen vorschreiben dürfen, die in Deutschland durch eine staatliche Allgemeinverbindlicherklärung für alle Beschäftigten in der betroffenen Tätigkeit bzw. dem betroffenen Gewerbe als Mindestlohn gelten. Soweit andere Bundesländer landesgesetzliche Tariftreueregelungen hatten, die dem vom EuGH beanstandeten Inhalt des niedersächsischen Gesetzes entsprachen, konnten diese Regelungen nach dem Rüffert-Urteil nicht mehr angewandt werden, sondern mussten aufgehoben oder an die EuGH-Rechtsprechung angepasst werden. 3. ob sie es für erforderlich ansieht, über die Rechtsbindung der Rüffert-Entscheidung hinaus, auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Entsenderichtlinie, eine vergaberegelnde Bestimmung zu Tariftreue und Mindestlöhnen in Baden- Württemberg festzuschreiben; 4. ob sie die Kritik für berechtigt und nachvollziehbar hält, dass Tariftreueregelungen zu höheren Beschaffungskosten führen und bürokratische (finanziell/personell) Mehrbelastungen für die Vergabestellen bedeuten; 5. welchen Prüfungsmaßstab und welche Kontrolldichte zu Mindestlohn und Tariftreue Unternehmen anlegen müssen, die bei der öffentliche Beschaffung Zulieferer, Nach- und Subunternehmer im In- und Ausland einbinden; *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3
4 4 6. ob sie in den Kontrollen durch die Behörden der Zollverwaltung im Rahmen des Entsendegesetzes ein Regelungs- oder ein Vollzugsdefizit sieht und ob sie es für zweckmäßig erachtet, durch zusätzliche Überprüfungsmechanismen redundante Kontrollstrukturen zu schaffen; 7. ob sie damit rechnet, dass die Kommunen die entstehenden Kosten für die zusätzliche Überprüfung neuer vergaberechtlicher Anforderungen zu Mindestlohn und Tariftreue aufgrund des Konnexitätsgrundsatzes vom Land einfordern könnten; 8. welche vergaberechtlichen Vorgaben zu Tariftreue und Mindestlöhnen sie im Verkehrssektor für erforderlich hält, der einem eigenen europarechtlichen Regime unterliegt und nicht von der Geltungskraft des Rüffert-Urteils erfasst ist; Zu 3. bis 8.: Im Koalitionsvertrag von BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN und der SPD Baden- Württemberg für 2011 bis 2016 wurde vereinbart, mit einem Tariftreuegesetz Mittelstand und Beschäftigte zu schützen. Damit soll sichergestellt werden, dass öffentliche Aufträge des Landes und der Kommunen nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten Tariflöhne zahlen. Denn diese Unternehmen dürfen im Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Wie in zahlreichen anderen Bundesländern soll dies europarechtskonform und unbürokratisch durch Tariftreueerklärungen der Unternehmen umgesetzt werden. Eine Tariftreueregelung ist auch für den Verkehrssektor vorgesehen. Bei nicht tarifgebundenen Branchen wird ein vergabespezifischer europarechtskonformer Mindeststundenlohn von zunächst 8,50 Euro angestrebt. Die öffentliche Hand soll so als Auftraggeber mit gutem Beispiel vorangehen, Lohndumping entgegenwirken und einen fairen Wettbewerb sichern. Der Entwurf des Tariftreuegesetzes ist derzeit innerhalb der Landesregierung in Vorbereitung und soll baldmöglichst im Landtag eingebracht werden. Die vorstehend angesprochenen Fragen werden bei der Ausarbeitung angemessen berücksichtigt. 9. nach welchen Kriterien die Rechtsprechung Lohn- und Sozialdumping als wettbewerbswidrig erachtet; Zu 9.: Es gibt Gerichtsentscheidungen, aus denen hervorgeht, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern unter Tarif wettbewerbswidrig sein kann. Einheitliche Kriterien, nach denen die Rechtsprechung in Deutschland Lohn- und Sozialdumping als wettbewerbswidrig erachtet, sind jedoch nicht ersichtlich. So wurde die Auffassung vertreten, dass ein Tarifbruch für sich genommen bereits als wettbewerbswidrig gelte, weil schon die abstrakte Möglichkeit, günstigere Angebote abgeben zu können, einen Wettbewerbsvorsprung bedeute. Hingegen wurde später geurteilt, dass der Tarifverstoß konkret dazu benutzt werden müsse, um Mitbewerber zu unterbieten. In der Rechtsprechung zu sittenwidrigen Löhnen wird ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung angenommen, wenn die Arbeitsvergütung 2/3 des maßgeblichen Tariflohnes bzw. des allgemeinen Lohnniveaus in einem Wirtschaftsgebiet und Wirtschaftszweig nicht erreicht. Das BVerfG hat 2006 entschieden, dass eine im öffentlichen Vergaberecht auferlegte Tariftreuepflicht verfassungskonform sei. Das BVerfG begründete seinen Beschluss unter anderem damit, dass die Erstreckung der Tariflöhne auf Außenseiter einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenwirken, die Ordnungsfunktion der Tarifverträge unterstützen und damit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Bausektor beitragen soll. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Verbindung mit der Gewährleistung der finanziellen Stabilität des Systems der sozialen Sicherung ist ein besonders wichtiges Ziel. Im Umkehrschluss könnte abgeleitet werden, dass eine Vergabe an Unternehmen, die unter Tarif bezahlen, ein Verstoß gegen den lauteren Wettbewerb wäre. Bzgl. der Rechtsprechung des EuGH wird auf die Antwort zu Ziff. 2. verwiesen.
5 Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe sind Aufträge an gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen zu vergeben. Vergleichbare Vorgaben enthalten auch die Vergabe- und Vertragsordnungen VOB und VOL. Die Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge, insbesondere nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, betrifft das Merkmal der Gesetzestreue bzw. der Zuverlässigkeit. Entsprechende Verstöße der Auftragnehmer sind mithin nicht wettbewerbskonform, tangieren die Eignung des Bieters und können zur Nichtberücksichtigung im Vergabeverfahren führen. 10. wie sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur negativen Koalitionsfreiheit vor dem Hintergrund staatlich verordneter Löhne beurteilt. Zu 10.: Der grundrechtliche Schutz der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) schließt auch das Recht ein, aus einer Koalition auszutreten oder Koalitionen generell fernzubleiben, sog. negative Koalitionsfreiheit. Die Landesregierung bekennt sich zur Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie und hält diese für wichtig und zentral für ein funktionierendes Arbeits- und Wirtschaftsleben. Die Vereinbarkeit von Tariftreueregelungen in Vergabegesetzen mit dem Grundgesetz wurde durch das BVerfG bestätigt. Demnach schützt das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit nicht dagegen, dass der Gesetzgeber die Ergebnisse von Koalitionsvereinbarungen zum Anknüpfungspunkt gesetzlicher Regelungen nimmt, wie es besonders weitgehend bei der vom BVerfG für verfassungsrechtlich zulässig angesehenen Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen geschieht. Dass im Übrigen auch die Erstreckung der Wirkung von Tarifverträgen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf Außenseiter mit Artikel 9 Absatz 3 GG im Einklang steht, hat das BVerfG bestätigt. Mit dem für Baden-Württemberg geplanten Tariftreuegesetz wird nunmehr u. a. das legitime Ziel verfolgt, einen unfairen Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten zu verhindern. Insbesondere mit Tariftreueerklärungen bzw. einem vergabespezifischen Mindestlohn kann unfairer Wettbewerb verhindert werden. Dabei handelt es sich zudem um Vorgaben, die auf den Zeitraum der Auftragsdurchführung beschränkt sind und mit denen auch nicht unmittelbar rechtsetzend Löhne anstelle der Tarifvertragsparteien festgesetzt werden. Es handelt sich lediglich um ein Vergabekriterium. Hierin ist kein unverhältnismäßiger Eingriff in Artikel 9 Absatz 3 GG zu sehen, zumal es dabei nicht um staatlich verordnete Löhne geht. Die Landesregierung spricht sich darüber hinaus für die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes und branchenspezifische Mindestlöhne aus, wobei durch die Garantie einer Lohnuntergrenze verfassungsrechtlich legitimierte Gemeinwohlbelange verfolgt werden, was einen Eingriff in Artikel 9 Absatz 3 GG rechtfertigen kann. Dr. Nils Schmid Minister für Finanzen und Wirtschaft 5
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