Die Reform des Zuckermarktes
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- Jasmin Hertz
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1 Politik Theresia Schnell Die Reform des Zuckermarktes Erklärungsansätze des akteurzentrierten Institutionalismus Magisterarbeit
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3 RUPRECHT-KARLS- UNIVERSITÄT HEIDELBERG INSTITUT FÜR POLITISCHE WISSENSCHAFT Die Reform des Europäischen Zuckermarkts Erklärungsansätze des Akteurzentrierten Institutionalismus Magisterarbeit Zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.) Eingereicht von: Theresia Schnell
4 INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG Methode und Anspruch der Policy-Forschung Forschungsstand 8 2 THEORETISCHE GRUNDLAGE Der Akteurzentrierte Institutionalismus Das Problem komplexer Akteure Die Entstehung von Handlungsorientierungen Das Aufeinandertreffen der Akteure Akteurkonstellationen und Interaktionsformen Der institutionelle Kontext Zwischenfazit Spieltheorie Ausgleichszahlungen und Politikunternehmer als Einflussfaktoren Ableitung der Hypothesen 35 3 DIE GEMEINSAME AGRARPOLITIK UND DER EUROPÄISCHE ZUCKERMARKT Entwicklungen und Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik Gemeinsame Marktordnung Zucker: Preispolitik, Quoten, Ausfuhrerstattungen Die Probleme der Gemeinsamen Marktordnung für Zucker 41 4 UNTERSUCHUNG: DIE VERHANDLUNGEN ZUR REFORM DES ZUCKERMARKTES 43 i
5 4.1 Der institutionelle Kontext als unabhängige Variable zur Erklärung des Reformzeitpunkts Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik Die Gemeinsame Agrarpolitik in der Welthandelsorganisation Präferenzabkommen Zwischenfazit Der Reformvorschlag der EU-Kommission Die Kommission als Politikunternehmer Kernpunkte des Kommissionsvorschlages Akteure und Akteurkonstellationen Handlungsoptionen Präferenzordnungen und Interaktionsform Zwischenfazit Der Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes Ausgleichszahlungen als Konfliktlösung Kernpunkte des verabschiedeten Kompromissvorschlages Veränderungen der Akteure und ihrer Handlungsoptionen Präferenzordnungen und Interaktionsform Zwischenfazit Ergebnisse des Hypothesentests 90 SCHLUSSBETRACHTUNG 92 LITERATURVERZEICHNIS 100 ANHANG Stimmengewichtung im Rat der Agrarminister Zuckerertrag in der EU 2005/ Zuckerproduktion in den Mitgliedstaaten der EU 113 ii
6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Institutioneller Kontext 26 Abbildung 2: Ausgleichszahlungen 33 Abbildung 3: Einigungswahrscheinlichkeit nach Interaktionsform 36 Abbildung 4: Kernpunkte des Kommissionsvorschlages 66 Abbildung 5: Standpunkte der Mitgliedstaaten zum Kommissionsvorschlag 67 Abbildung 6: Verengung des Handlungskorridors 68 Abbildung 7: Auszahlungsmatrix des Kommissionsvorschlages 72 Abbildung 8: Kernpunkte des Kompromissvorschlags 83 Abbildung 9: Spielbaum zum Kompromissvorschlag 88 iii
7 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS COPA EAGFL EBA EG EGKS EGV EU LDC GAP GATT GMO WTO ZMO Committee of Professional Agricultural Organisations in the European Union Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft Everything but Arms Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gemeinschaftsvertrag Europäische Union Least developed countries Gemeinsame Agrarpolitik General Agreement on Tariffs and Trade Gemeinsame Marktordnung World Trade Organisation Zuckermarktordnung iv
8 Die Gemeinsame Marktordnung für Zucker viel Ordnung, wenig Markt. 1 Einleitung Im Juni 2006 lief die im Jahr verlängerte Gemeinsame Marktordnung für Zucker der Europäischen Union (EU) 3 aus. Die Zuckermarktordnung (ZMO) wurde 1968 mit dem Ziel ins Leben gerufen, den Erzeugern in der EU angemessene Einkommen zu sichern und die Selbstversorgung zu gewährleisten. In den vergangenen fast 40 Jahren wurde die ZMO an die sich wandelnden externen Bedingungen, darunter fünf EU-Erweiterungen und den Abschluss des Agrarübereinkommens der Uruguay-Runde, angepasst, aber gleichzeitig bewahrte sie trotz vielfältiger Kritik die Grundzüge ihrer Bestimmungen. Auch bei den Agrarmarktreformen 1992 und 2003 wurde der Produktmarkt Zucker ausgeklammert. Trotz dieser Langlebigkeit, die von Befürwortern der ZMO als eindeutiges Zeichen ihres Erfolges gedeutet wurde, war die Regelung bereits kurz nach ihrem Inkrafttreten zahlreicher Kritik ausgesetzt. 4 Am heftigsten wurde der gegenüber dem Weltmarktpreis deutlich überhöhte Binnenmarktpreis kritisiert, der zwar Schutz vor den starken Preisschwankungen auf dem Weltmarkt böte, die Europäische Zuckerwirtschaft damit aber auf Kosten der Verbraucher und der Zucker weiterverarbeitenden Industrie in einem wirtschaftlichen Umfeld Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2004): Jahresgutachten 2004/05 Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland, S Verordnung (EG) Nr. 1260/2001, Amtsblatt der Europäischen Union L 178 vom Europäische Union (EU) soll im folgenden als Oberbegriff sowohl für die Europäische Gemeinschaft (EG) als auch für die Europäische Union verwendet werden. Bereits 1975 äußerte der Europäische Gerichtshof Vorbehalte gegenüber der ZMO und ihrer Wirkung auf den Wettbewerb. Im Jahr 2000 evaluierten unabhängige Sachverständige die Funktionsweise der ZMO als Ganzes. Im gleichen Jahr legte der Europäische Rechnungshof einen Sonderbericht über die ZMO vor. Vgl. Europäischer Rechnungshof: Sonderbericht Nr. 4/91 über die Verwaltung der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker und Isoglukose, zusammen mit den Antworten der Kommission, in: Amtsblatt der Europäischen Union C 290 vom / Europäischer Rechnungshof: Sonderbericht Nr. 20/2000 über die Verwaltung der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker, zusammen mit den Antworten der Kommission, in: Amtsblatt der Europäischen Union C 50 vom
9 ohne Wettbewerb existieren ließe. Zudem verzerre die ZMO den Wettbewerb unter den Landwirten, da sie durch die Wahrung des Einkommensniveaus der Landwirte das Einkommen der Zuckerrübenerzeuger höher hielte als das anderer Landwirte. Die ZMO bewirke des Weiteren, dass bedeutende Zuckerüberschüsse erzeugt würden, die mit Hilfe von Erstattungen, die letztendlich vom Steuerzahler und vom Verbraucher finanziert würden, zu Lasten der wettbewerbsfähigeren Erzeuger auf dem Weltmarkt abgesetzt würden. Trotz dieser zahlreichen Vorwürfe beschränkte sich die Kommission auch 2001 lediglich darauf, in ihrem Vorschlag auf bestehende Probleme hinzuweisen und mittelfristig auf die Reformnotwendigkeit aufmerksam zu machen. Im Rahmen der beschlossenen Laufzeitverlängerung beauftragte der Rat die Kommission damals mit der Ausarbeitung eines Berichts über die Funktionsweise der Regelung und ihrer innereuropäischen und internationalen Auswirkungen bis Dieser Bericht sollte falls erforderlich verschiedene Reformmöglichkeiten aufzeigen und bewerten. Nach den dem Arbeitspapier (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003) folgenden langwierigen Diskussionen mit Sachverständigen, Landwirten, Industriellen, Lobbyisten und Parlamentariern stellte die Kommission verschiedene Reformmöglichkeiten zur Diskussion (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2004). Im Juni 2005 legte die Kommission dem Rat der Agrarminister schließlich einen Vorschlag über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker vor (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005). Diesem Vorschlag stellten sich verschiedene Mitgliedstaaten, Zuckererzeuger und deren Interessenverbände entgegen. Das führte dazu, dass sich im Ministerrat die 25 Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen über die Zuckermarktreform in zwei Gruppen gegenüberstanden. Da die Gegner des Kommissionsvorschlags mit 121 von 321 Stimmen über eine Sperrminorität 5 im Ministerrat verfügten, konnten sie eine Verabschiedung des Vorschlages blockieren. Dem Gesetzgebungsprocedere der EU folgend, arbeitete der Ratsvorsitz, den in der zweiten Jahreshälfte 2005 Großbritannien innehatte, 5 Vgl. Art. 205 EGV, geändert durch Art. 12 der Beitrittsakte Abl. L 236/2003, S. 36 (Sperrminorität entspricht 90 Stimmen), siehe Anhang. 2
10 einen Kompromissvorschlag aus, der schließlich im Februar mit einer qualifizierten Mehrheit von 274 Stimmen gegen die Stimmen von Lettland, Polen und Griechenland sowie bei Enthaltung Sloweniens verabschiedet wurde. Angesichts einer fast 40-jährigen Laufzeit und der erwähnten Kritik seit Einführung der ZMO liegt die Frage nach den Faktoren, die nun einen solchen Einfluss auf die ZMO hatten, dass diese 2006 schließlich reformiert wurde, auf der Hand. Die leitenden Forschungsfragen dieser Arbeit lautet daher: Wieso wurde ausgerechnet im Februar 2006 eine Reform des Europäischen Zuckermarkts möglich, wenn die vorhandenen Probleme schon seit Inkrafttreten der Marktordnung für Zucker existierten? Welche Faktoren hatten den stärksten Einfluss auf die Reform und wie ist die Ausgestaltung der neuen Verordnung zu erklären? Neben den als zweitrangig einzustufenden innereuropäischen Zwängen, wie der Osterweiterung oder dem Widerspruch zwischen den Zielen der Agrarmarktreform 2003 und der ZMO aus dem Jahr 1968, scheinen vor allem außenhandelsbedingte Faktoren die Reformtätigkeit hervorgerufen zu haben. Das innereuropäische komplexe System aus Preisstützung, Subventionen und Abschöpfungen wird im Bereich des Außenhandels durch eine Reihe von Zollund Freihandelsabkommen beziehungsweise zwischenstaatlichen Abkommen ergänzt, die sowohl den innereuropäischen Zuckermarkt beeinflussen als auch Auswirkungen auf den Weltzuckermarkt haben. Besonders heikel stellte sich nun im Bereich des Außenhandels das System der Ausfuhrerstattungen und die Ausfuhr des sogenannten C-Zuckers 7 dar. Im September 2002 gipfelte ein Streit über die Ausfuhrpraktiken der EU in einer Klage vor der World Trade Organisation (WTO). Brasilien, Australien und Thailand klagten dagegen, dass nach ihrer Auffassung dank der hohen 6 7 Verordnung (EG) Nr. 318/2006; Verordnung (EG) Nr. 319/2006; Verordnung (EG) Nr. 320/2006 des Rates vom 20. Februar 2006, Amtsblatt der Europäischen Union L 58 vom Es handelt sich dabei um den Anteil des in der EU produzierten Zuckers, der die vorgegebenen Quotenmengen, für die der gegenüber dem Weltmarkt deutlich höhere Europäische Interventionspreis gezahlt wird, übersteigt. In einem gewissen Rahmen darf der Zucker der C-Quote für die nächste Vermarktungsperiode gelagert werden. Der überwiegende Teil musste zu dem meist deutlich niedrigeren Weltmarktpreis in Drittländer exportiert werden. Zur Quotenregelung siehe Kapitel 3. 3
11 Stützung für A- und B-Quoten der Ausfuhrpreis von C-Zucker unter den Produktionskosten liege, was gegen die Regeln der WTO verstieße, da es sich hierbei um Dumping 8 handle. Der Streit betraf ein Exportvolumen von etwa 3 Mio. Tonnen. Die WTO entschied im Mai 2005 endgültig zuungunsten der EU und gewährte eine Frist bis zum Juni 2006, um die bestehende Regelung zu ändern. 9 Auch andere Faktoren des institutionellen Kontexts haben sich in den letzten Jahren verändert und scheinen vor allem den Reformzeitpunkt aber auch in Teilen die genaue Ausgestaltung der Reform entscheidend beeinflusst zu haben. Diese zu identifizieren und ihren Einfluss auf die Reform des Europäischen Zuckermarkts zu untersuchen, ist Ziel dieser Arbeit. Daneben soll besonderes Augenmerk auf die Vorgehensweise der Kommission bei der Ausgestaltung der Reform gerichtet werden. Als Inhaberin des Vorschlagsmonopols kommt ihr eine besondere Rolle im Gesetzgebungsprozess zu. Aufgrund der zahlreichen Reformen im Bereich der Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in den letzten Jahren ist zu untersuchen, ob die Kommission in ihren Vorschlägen eine bestimmte Linie verfolgte, die sich auch in der Reform des Europäischen Zuckermarkts nachverfolgen lässt. Um die Bedeutung des Europäischen Zuckermarkts für die GAP deutlich zu machen, sollen an dieser Stelle einige allgemeine Anmerkungen über die Zuckerproduktion in der EU gemacht werden. Der Europäische Zuckermarkt gehört zu einigen wenigen Produktmärkten, die bis vor kurzem noch keine grundlegenden Reformen in Anlehnung an die neue Ausrichtung der GAP hin zu stärkerer Marktorientierung, produktionsentkoppelter Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen und besserer Ausgewogenheit zwischen den beiden Säulen der GAP durch verstärkte Förderung der ländlichen Entwicklung erfahren haben. 10 Der ZMO, die im Juli 2006 auslief, wurde oftmals mangelnder Wettbewerb, Marktverzerrungen, hohe Preise für Verbraucher und industrielle Verwender sowie negative Auswirkungen auf den Weltmarkt und hier insbesondere auf die Entwicklungsländer vorgeworfen. 8 Dumping bezeichnet den Verkauf von Waren im Ausland unter Herstellungskosten beziehungsweise unter dem auf dem Heimatmarkt des Exporteurs geltenden Preis. 9 Vgl. Zusammenfassung des Streits: 10 Vgl. Kapitel
12 In der EU werden heute Zuckerrüben auf einer Fläche von 2,16 Mio. ha 11 angebaut, was etwa 1,2 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche und 1,6 bis 1,8% der landwirtschaftlichen Erzeugung entspricht. Zuckerrüben werden in rund Betrieben erzeugt. In der Regel haben Zuckerrüben erzeugende Betriebe mit 70 ha eine überdurchschnittlich große Betriebsfläche und erwirtschaften auch ein relativ höheres Einkommen. 12 In allen Mitgliedstaaten außer Luxemburg, Zypern, Estland und Malta wird Zucker erzeugt. Die Produktion ist ungleichmäßig verteilt, da 80 % der gesamten Zuckerrübenerzeugung von 8 Ländern sichergestellt wird: Frankreich (4,5 Mio. t), Deutschland (4,3 Mio. t), Polen (2 Mio. t), Vereinigtes Königreich (1,39 Mio. t), Italien (1,1 Mio. t), Spanien (1 Mio. t), die Niederlande (1 Mio. t) und Belgien (0,99 Mio. t). 13 Die Zuckerhersteller und -fabriken verteilen sich auf das gesamte Zuckerrübenanbaugebiet in der EU, während die Zuckerraffinerien in Hafennähe gelegen sind. Aufgrund der kurzen Haltbarkeit von Zuckerrüben arbeiten die Zuckerfabriken jährlich nur während der etwa dreimonatigen Erntesaison und müssen daher über eine hinreichend hohe Investitionen erforderlich machende Tagesverarbeitungskapazität verfügen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003: 7). Obwohl die EU Zucker sowohl ex- als auch importiert, ist sie Nettoausführer und 2,8 % der Nahrungsmittelausfuhren der EU entfallen auf Zucker. Mit knapp 15% der Erzeugung, 12% des Verbrauchs, 10% der Aus- und 5% der Einfuhren ist sie ein maßgeblicher Akteur auf dem Zuckerweltmarkt. 14 Die Weltmarktpreise sind äußerst instabil. 15 Nach dieser generellen Einführung in die Thematik, soll nun die Vorgehensweise zur Untersuchung der vorgestellten Forschungsfrage dargelegt werden. Zunächst wird der theoretische Rahmen abgegrenzt (Kapitel 2), aus dem die zu testenden Arbeitshypothesen abgeleitet werden können. Im 11 Vgl Den Daten des Informationsnetzes landwirtschaftlicher Buchführungen (INLB) zufolge liegt in Betrieben, die Zuckerrüben anbauen, das Einkommen je landwirtschaftlicher Jahresarbeitskrafteinheit um das 1,7fache über dem der übrigen Betriebe. Vgl. INLB: 13 Vgl. Vgl. Anhang Vgl. International Sugar Organization: 15 in den 90er Jahren schwankten die Preise zwischen 115 und 260 EUR/t und sind seit 1995 rückläufig, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Erzeugung über dem Verbrauch liegt. Vgl. ebd. 5
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
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