Diakritika für Vokale
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- Sara Goldschmidt
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1 Diakritika für Vokale (1) Merkmale die Zungenposition betreffend u vorverlagert advanced e rückverlagert retracted e zentralisiert centralized e zentralisiert zur Mitte mid-centralized e angehoben raised e abgesenkt lowered Diese Diakritika kennzeichnen eine Verschiebung der
2 Idealisierte Position der Zunge bei den Kardinalvokalen 2
3 Rückverlagert (retracted): die höchste Zungenposition ist im Vergleich zum Kardinalvokal nach posterior (hinten) verschoben. Vorverlagert (advanced): die Zungenposition ist im Vergleich zum Kardinalvokal nach anterior (vorne) verschoben. Angehoben (raised): die maximale Approximation der Zunge liegt höher als beim enstprechenden Kardinalvokal. Abgesenkt (lowered): die maximale Approximation der Zunge liegt tiefer als beim entsprechenden Kardinalvokal. Zentralisiert (mid-centralized): die Zungenposition ist sowohl zu hoch/tief als auch zu weit hinten/vorne. Zwischen "centralized" und "mid-centralized" akustisch-auditiv zu unterscheiden dürfte schwierig sein, daher nur das Diakritikum für "mid-centralized" verwenden.
4 (2) Merkmale die Lippenposition betreffend zu gerundet (more rounded) zu wenig gerundet (less rounded) Die meisten Sprachen der Welt haben eine vorhersagbare Beziehung zwischen den phonetischen Merkmalen "hinten" und "gerundet". Vorderzungenvokale sind gewöhnlich ungerundet und Hinterzungenvokale sind gewöhnlich gerundet. Ausnahmen: Deutsch: gerundete Vorderzungenvokale Vietnamesisch: ungerundete Hinterzungenvokale Rundung und Zungenhöhe korrelieren: Hohe Vokale sind gewöhnlich gerundeter als tiefe Vokale.
5 Die Abbildung zeigt, dass die phonetischen Merkmale "gerundet" und "hinten" auch unabhängig voneinander sein können und dass ein Zusammenhang zwischen Zungenhöhe und Lippenrundung besteht.
6 Zur Abbildung: Die hohen Vokale [ i y u ] bilden einen Rundungskontrast, der unabhängig ist von der Zungenhöhe. Bei den mittelhohen Vokale [ e ø o ] ist die Unabhängigkeit von Lippenrundung und Zungenposition durch den ungerundeten Hinterzungenvokal [ ] ebenfalls erkennbar. Darüberhinaus wird deutlich, dass die Lippenrundung für die mittelhohen Vokale [ ø o ] nicht so stark ist wie für die hohen Vokale [ y u ] und die Lippenrundung für den tiefen Vokale [ ] noch geringer ausfällt. Dennoch sind die Lippen bei [ ] gerundeter als bei [æ a].
7 Lippenrundung lässt sich erzielen (a) durch Kompression (compression) oder (b) Vorstülpung (protrusion). Beides führt zu einer Erniedrigung aller Formanten. Zum Beispiel realisieren Japaner die Lippenrundung für [u] eher in Form einer Kompression.
8 Ändern sich Zungen- oder Lippenposition, so betreffen die Diakritika die Artikulationsorgane (major vowel features) (Disner, 1983). Kommen weitere Eigenschaften zum Laut hinzu, spricht man von zusätzlichen Lautmerkmalen (minor vowel features). Um zusätzlichen Lautmerkmale wird es unter (3), (4), (5) und (6) gehen.
9 (3) Merkmale die velopharyngale Passage betreffend nasaliert oder nasal (nasalized, nasal) Eine von fünf Sprachen hat nasale Vokale. Beispiele: Französisch, Portugiesisch, Burmesisch. Meist werden die Eckvokale nasaliert: [ i a u ]. Luft strömt dabei durch den Mund und die Nase (?! nasale Stops). Sprachen, die nasale Vokale haben, haben meist auch nasalierte Vokale. Bei nasalen Vokale ist der Luftstrom durch die Nase stärker als bei nasalierten Vokalen.
10 aus L&M: Französisch: bonnet (oraler Vokal), nonnette (nasalierter Vokal), nonêtre (nasaler Vokal). Während der Produktion des oralen Vokals fließt keine und während der Produktion des nasalen Vokals viel Luft durch die Nase. Beim nasalierten Vokal fließt ein wenig Luft.
11 Aus L&M: Orale und nasale Vokale in Palantal Chinantec. Links: Gut erkennbare Formanten. Mitte: Geringere akustische Energie im unteren Frequenzbereich. Rechts: F1 des Vokals durch die im Rachen- Nasenraum erzeugte Resonanz von 250 Hz abgeschwächt.
12 (4) Merkmale die Zungenwurzel betreffend e rhotariziert (rhotarized) e RTR e ATR
13 Rhotarizierte Vokale in weniger als 1% aller Sprachen der Welt. Zwei davon haben jedoch einen sehr hohen Bevölkerungsanteil: Englisch und Mandarin Chinesisch. Bei rhotarizierten Vokale liegt der dritte Formant niedriger als bei nicht rhotarizierten Vokalen. Rhotarizierung kann auf unterschiedlichste Weise entstehen. Gewöhnlich ist der Vokaltrakt im Bereich der Epiglottis (Zungenwurzel) verengt. Gleichzeitig kann die Zungenspitze angehoben (wie bei den apikal-alveolaren "Retroflexen", jedoch ohne Kontakt mit dem Gaumen) oder abgesenkt oder die Zunge in anteriorposteriorer Richtung zusammengeballt sein. Merke: In Wörtern wie Uhr, Ohr etc. wird der r-laut als Diphthong realisiert: [u ], nicht als rhotarizierter Vokal: [u ]
14 Advanced tongue root retracted tongue root häufig in westafrikanischen Sprachen wie Akan, Igbo, Degema Vokale unterscheiden sich in der Position der Zungenwurzel. Diakritika RTR: e ATR: e ATR und RTR findet sich vor allem bei hohen Vokalen.
15 In Igbo ist die maximale Zungenposition nahezu unverändert und nur die Zungenwurzelposition ist verschieden (aus L&M, Seite 301)
16 In Akan wird der Pharynx bei ATR erweitert und die Glottis abgesenkt (aus L&M, Seite 301).
17 Tongue Root Opposition versus Gespanntheitsopposition Im Englischen und Deutschen wird zwischen gespannten (tense) und ungespannten (lax) Vokalen unterschieden. In Röntgenaufnahmen (x-ray) fällt auf, dass sich im Englischen und Deutschen (vor allem beim hohen HZ Vokal) auch die Zungenwurzelposition ändert. Das wirft zwei Fragen auf: (1) Unterscheiden sich gespannter und ungespannte Vokale wirklich nur in Zungenposition, Lippenrundung und Dauer? (2) Handelt es sich bei ATR vs. RTR um dieselbe Variation wie zwischen gespannt vs. ungespannt?
18 Teilantwort: In den afrikanischen Sprachen besteht kein Zusammenhang zwischen Position der Zunge und Position der Zungenwurzel. In den meisten Fällen ändert sich die Zungenposition nur minimal (vgl. Igbo). Im Deutschen gilt ein ähnlicher Nicht-Zusammenhang für den halbhohen VZ Vokal [ ]. Die Zungenwurzel ist hier im Vergleich zur nur leicht abgesenkten Zungenposition recht deutlich vorverlagert.
19 Deutsch Englisch
20 Im Englischen verändern sich Position der Zunge und Zungenwurzel immer in gleichem Maß: Liegt die Zungenposition tiefer (bei ungespannten Vokalen) verengt sich der Rachenraum [ ]. Aus diesem Grund ist es möglich, alle ungespannten und gespannten Vokale im Englischen einzig durch die Zungen- und die Lippenposition zu unterscheiden. Die Zungenwurzelposition trägt nichts zur Unterscheidung bei. In den afrikanischen Sprachen (z.b. Akan) werden zur Differenzierung der Vokale drei Parameter Zungenposition, Lippenrundung und Rachenweite benötigt.
21 Schließlich gibt es noch einen Unterschied zwischen Sprachen mit ATR/RTR und Sprachen mit Gespanntheitsopposition: Im Englischen ist der Rachen eng, wenn der Mundraum weiter ist (ungespannte Vokale), wogegen in Akan der Rachen weit ist, wenn der Mundraum eher eng ist (ATR). Schlussfolgerung: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen ungespannt und gespannt und Lage der Zungenwurzel. Unterschiede in der Position der Zungenwurzel in ungespannten und gespannten Vokalen lediglich eine Begleiterscheinung.
22 Noch ein letzter Punkt: Sprachen wie Even (Sibirien), kaukasische Sprachen, afrikanische Sprachen (! o o ) unterscheiden ph (epiglottalisierte, strident) und modale Vokale. Sie unterscheiden sich von Vokalen mit RTR durch eine noch stärkere Enge im pharyngalen Bereich. Diakritikum: a
23 (5) Merkmale die Phonation betreffend a modal (plain) vs. a behaucht (breathy, murmur) vs. a gepresst (stiff) knarrend (creaky, laryngalized) Gujarati Jalapa Mazatec (Mexiko), Mpi Hoher Geräuschanteil in hohen Freq. unregelmäßige Schwingungen (jitter) Höhere Luftströmungsgeschwindigkeit mehr Energie in F1 und F2 als modal a entstimmt (devoiced) nur als allophone Variante Japanisch zwischen stimmlosen Obstruenten: ki i ku i
24 Aus L&M Seite 319 Siehe auch Gordon & Ladefoged "Phonation types: a cross linguistic overview" JPhonetic 21 (2001) zu weiteren akustischen Unterscheidungsmöglichkeiten von Phonationstypen.
25 (6) die Dauer betreffend Zahlreiche Sprachen unterscheiden lange und kurze Vokale. Es scheint jedoch nur eine, vielleicht zwei Sprachen (Mixe, Yavapai) zu geben, in der drei Vokallängen unterschieden werden, ohne dass dabei prosodische (silbische und phonotaktische) Eigenschaften der Wörter eine Rolle spielen. Finnisch: lange und kurzen Vokale ohne Qualitätsänderung Deutsch: lange und kurze Vokale mit Qualitätsänderung
26 Zusammenfassung 1. Primäre Merkmale von Vokalen Zungenhöhe u o Zungenlage i Lippenrundung u 2. Sekundäre Merkmale von Vokalen Nasalität (nasal vs. oral) a Rhotarizierung (r-färbung) e Tongue Root (RTR vs. ATR) i i Gespanntheit (gespannt vs. ungespannt) e Voice quality (modal vs. creaky vs. breathy) a a a Quantität (lang vs. kurz) i i Diphthonge (Singleton vs. Diphthonge) a a Transkription SoSe Jaeger 1
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