Komplexe Konsonantenartikulation
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- Clemens Gerstle
- vor 6 Jahren
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1 Komplexe Konsonantenartikulation Zwei Typen: 1. Doppelartikulation (doubly-articulated segments) Zwei Konstriktionen gleichen Grades werden simultan gebildet: zwei Plosive, zwei Nasale oder zwei Approximanten. 2. Sekundäre Artikulation (secondary articulation) Eine primäre Konstriktion und eine sekundäre Konstriktion geringeren Grades werden simultan gebildet: Plosive + Approximant, Frikativ + Approximant. Simultan bedeutet (a) Onset und Offset der beiden Bewegungen sind zeitlich eng und stabil koordiniert. Beispiel: Yoruba: Labialer-dorsaler Plosiv (labiale Verschlusslösung etwas später, daher dominiert Labial, daher der Name) (b) Doppelkonsonanten und Laute mit sekundärer Artikulation haben die Dauer eines Singletons. 1
2 1. Doppelartikulationen Doppelartikulierte Plosive/Nasale - Theoretisch könnten bei vier primären Artikulationsstellen (labial, koronal, dorsal, radikal) sechs Doppelkonsonanten in den Sprachen der Welt vorkommen. Theoretisch mögliche Kombinationen labial-koronal labial-dorsal koronal-dorsal labial-radikal koronal-radikal dorsal-radikal - Am häufigsten ist jedoch die labiale-dorsale Kombination: k p g b - Labial-dorsal, weil die labiale Verschlusslösung dominiert (zeitlich später gelöst). - Nur wenige Sprache kontrastieren Doppelkonsonanten und Konsonantenfolgen über Silbengrenzen hinweg. Wenn doch, dann ist der erste Laut der Konsonantenfolge immer gelöst: ak pa vs. akʰpa Audiobeispiele: Westafrikanische Sprachen wie Ewe, Igbo, Idoma, Yoruba Doppelartikulierte Approximanten (sogn. Glides) 1 Englisch stih labial-velarer Approximant w (kontrastiert mit v) (very well) Produktion: Dorsum angehoben gleichzeitig Lippen gerundet Französisch stih labial-velarer Approximant w (konsonantisches u) stih labial-palataler Approximant ɥ (konsonantisches y) Doppelartikulierte Frikative - Die gleichzeitige Realisierung zweier Friktionen an unterschiedlichen Stellen im Ansatzrohr ist aus aerodynamischen Gründen schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Es müssten Konstriktionsweite und Luftströmungsgeschwindigkeit beider Frikative genau aufeinander abgestimmt werden (Siehe Einführung in die Phonetik/Sockelvorlesung). 1 Irreführende Bezeichnung, da keine Bewegung während der Lautproduktion stattfindet. 2
3 - Beim schwedischen postalveolar-velaren Doppelfrikativ ɧ handelt es sich daher entweder um sekundäre Artikulation oder um eine Sequenz aus zwei Frikativen ʃx. 2. Sekundäre Artikulation - Zwei Konstriktionen unterschiedlichen Grades: Eine primäre Konstriktion und eine sekundäre Konstriktion geringeren Grades. - In der Praxis wird ein Plosiv oder Frikativ mit einem Approximanten verknüpft. - Die sekundäre Konstriktion beeinflusst die Qualität des folgenden Vokals. - Da beide Konstriktionen simultan gebildet werden, wurde das Diakritikum für die sekundäre Konstriktion früher auch über oder in das Symbol für die primäre Konstriktion geschrieben. Beispiel für alternative Schreibweisen: ɫ lˠ - Bei der Namensgebung liefert die Artikulationsstelle des sekundären Artikulators das Attribut, z.b. labialisierter Velar. Audiobeispiele: labialisierter Velar kʷ (Akan, Igbo) palatalisierter Alveolar tʲ (Russisch) velarisierter Lateral ɫ lˠ (Englisch, Gälisch) pharyngalisierter Alveolar tˤ (Arabisch) Labilisierung - Hinzufügen von Lippenrundung bei gleichzeitiger Anhebung der Hinterzunge. - Sprachen: Igbo, Amharisch Zu differenzieren von - Enhancement: Nicht kontrastive Labialisierung, z.b. postalveolarer Frikativ ʃ im Deutschen. - Labiale Koartikulation: Kontextbedingte Labialisierung, z.b. gerundeter velarer Plosiv in "Glück" vs. ungerundeter velarer Plosiv in "glatt" im Deutschen 3
4 Palatalisierung - Bei primärer labialer, alveolarer oder velarer Artikulation wird gleichzeitig der Zungenrücken wie bei i oder j an den harten Gaumen approximiert - Manche Sprachen wie das Russischen kontrastieren eine palatalisierte und nichtpalatalisierte Konsonantenreihe. Dass es sich bei palatalisierten Lauten im Russischen nicht um eine Lautsequenz handelt, zeigt der dreifache Kontrast: pot pʲotr pjot - Werden alveolare oder velare Laute palatalisiert, so führt das zu einer Verschiebung der Hauptkonstriktionsstelle in Richtung dental oder palatal. - Polnisch ist auch ein interessantes Sprachbeispiel für Palatalisierungen. Abb.: Links s und rechts ʃ, jeweils Midsagittal und Frontalschnitt, da wo Pfeil. [ s ] [ ʃ ] Im Englischen und Deutschen wird ʃ mit dem Zungenblatt (laminal) etwas weiter posterior (postalveolar) als s gebildet. Der Zungenrücken ist angehoben (domed) und die Zungenmitte (dunklere Linien) liegt höher als die Zungenränder (hellere Linien). Die Lippen sind leicht gerundet und eine sublinguale Höhle (sublingual cavity) wird gebildet (beides verantwortlich dafür, dass Frequenzen bei ʃ tiefer als bei s). Im Polnischen ist der Zungenrücken bei der Bildung von postalveolaren Frikativen ṣ/ẓ nicht angehoben, sondern flach (flat postalveolar). Dieser postalveolare Frikativ kontrastiert mit dem palatalisierten postalveolaren Frikativ ɕ ʑ (alveolopalatal), bei dem der Zungenrücken noch etwas stärker angehoben ist (domed) als im Deutschen (daher palatalisiert). 4
5 Velarisierung - Der Zungenrücken wird an den Gaumen approximiert - Der Laut erhält dadurch eine u-qualität - Selten kontrastiv - Ausnahme: Irisch Gälischen Pharyngalisierung - Hinzufügen einer pharyngalen Enge durch Zurückziehen der Zungenwurzel (ɑ-qualität) - Der auditive Eindruck der "Dunkelheit" ist dem bei Velarisierung nicht unähnlich; die Verdunklung betrifft vor allem die benachbarten Vokale. - Pharyngalisierung wird als kontrastives Merkmal bei emphatischen Konsonanten des Arabischen eingesetzt. - Pharyngalisierung betrifft vor allem die alveolare und dentale Artikulation. - Nicht alle arabischen Dialekt pharyngalisieren emphatische Konsonanten, manche velarisieren auch. Laryngalisierungen - Sprachbeispiele: Hausa, Danisch Stød - Eine laryngalisierte Artikulation manifestiert sich überwiegend als creaky voice. Daher scheint es plausibler, Laryngalisierungen zu den Phonationstypen zu rechnen (siehe handout Stimmqualität/Phonationstypen). Zusammenfassung Doppelartikulation Gleichzeitige Bildung von zwei gleichwertigen Konstriktionen Meist labiale-velare Plosiv + Plosiv oder Nasal + Nasal Verbindungen Konsonantenfolge Lautdauer entspricht Dauer eines Singleton Keine Verschlusslösung von C 1 Sekundäre Artikulation Eine primäre Konstriktion zusammen mit einer sekundären Konstriktion geringeren Grades Vier unterschiedliche Typen: Labialisierung Palatalisierung Velarisierung Pharyngalisierung 5
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