5. Schweizerische Frauensynode Zürich, Ökonomie ist weder wertfrei noch geschlechtsneutral! Dr. Ulrike Knobloch
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1 5. Schweizerische Frauensynode Zürich, Ökonomie ist weder wertfrei noch geschlechtsneutral! Dr. Ulrike Knobloch Universität Freiburg Schweiz Departement Sozialwissenschaften Bereich Soziologie, Sozialarbeit und Sozialpolitik Grundlegende Begriffe Wirtschaft und Ökonomie Arbeit, inkl. unbezahlte Arbeit Wert und Wertschöpfung!! Beitrag zur ökonomischen Alphabetisierung (nicht nur von Frauen)!! Sichtbarmachen der normativen und geschlechtsspezifischen Voraussetzungen des Wirtschaftens!! Ausgangspunkt für eine ökonomische Theorie der bezahlten und unbezahlten Arbeit 1
2 Wirtschaft und Ökonomie Wirtschaftliches Handeln = Versorgung der Menschen mit Gütern und Dienstleistungen Der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich beginnt sein Buch "Zivilisierte Marktwirtschaft" mit dem Satz: "Wirtschaften heisst Werte schaffen aber welche Werte für wen eigentlich?" Ökonomie = Lehre vom wirtschaftlichen Handeln Der Ökonomiebegriff geht zurück auf die beiden griechischen Wörter: "oikos" = Haus, Haushalt, Hausgemeinschaft "nomos" = Gesetz, Brauch, Übereinkunft 2 Wandel des Ökonomieverständnisses Antike bis Mittelalter: Ökonomie = Lehre von der Hauswirtschaft Industrielle Revolution bis heute: Ökonomie = Lehre von der Marktwirtschaft Vision für das 21. Jahrhundert: Ökonomie = Lehre von Marktwirtschaft und Hauswirtschaft 3
3 Antike bis Mittelalter: Lehre von der Hauswirtschaft Haushaltungskunst oikonomia Erwerbskunst Lehre von den im Haus Lehre vom Erwerb Lehre vom Erwerb lebenden Personen des Hausverwalters des Kaufmanns chrematistike Anleitung für die zusammen Beschaffen der lebens- Streben nach Geld lebenden Personenverbände notwendigen Güter und Vermögen! Mann & Frau naturgemäss, nicht naturgemäss,! Eltern & Kinder begrenzter Reichtum unbegrenzter! Verwalter & Dienstpersonal Reichtum (eigene Darstellung auf der Grundlage von Aristoteles 1973 und Bien 2006) Knobloch Wirtschaft und Ökonomie 4 Industrielle Revolution bis heute: Ökonomie = Lehre von der Marktwirtschaft Moralphilosoph Adam Smith ( ) als Begründer der Klassischen Ökonomie Hauptwerke von Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments (1759): Mitgefühl, unparteiischer Zuschauer als Vorläufer des Kategorischen Imperativs von Immanuel Kant An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776): Eigeninteresse, Arbeitsteilung, Tausch, Prinzip des freien Marktes Ökonomie bei Adam Smith = Lehre von der Marktwirtschaft Arbeit = bezahlte Arbeit Arbeitsteilung! geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Vernachlässigung der Hauswirtschaft und ihrer Bedeutung für den "Wohlstand der Nationen" 5
4 Wirtschaft und Ökonomie heute Marktwirtschaft mit Privateigentum, Gewinnstreben, technischem Fortschritt, hohen Produktivitätssteigerungen, verschiedenen Formen der Arbeitsteilung, hoher Grad der Erwerbstätigkeit auch von Frauen Geldwirtschaft mit einem Finanzsystem, das das Volumen der Realwirtschaft um ein Vielfaches übersteigt trotz stark gestiegener Erwerbstätigkeit von Frauen kaum gestiegene Mitwirkung von Männern an der unbezahlten Arbeit und nur geringfügig gestiegene gesellschaftliche Anerkennung für die Leistungen in Haus- und Versorgungswirtschaft zunehmende Monetarisierung, also Bezahlung früher unbezahlter Arbeit, z.b. durch Haushaltshilfen, Tagesmütter, Fertigprodukte, Essen auf Rädern, ambulante Pflege u.v.m. Globalisierung der Hausarbeit: Ausländerinnen übernehmen gegen meist nur geringe Bezahlung Reinigungs- und Betreuungsaufgaben im Haushalt. In der marktwirtschaftlichen Logik des Eigeninteresses ist es nicht nachvollziehbar, warum jemand motiviert sein sollte, unbezahlte Arbeit zu leisten, woran die Frage anknüpft, "wie es denn gesellschaftlich organisiert ist, dass Frauen diese Arbeit tun, obwohl sie dafür ihr Leben lang ökonomisch bestraft werden" (Madörin 2006: 279). 6 Arbeit, inkl. unbezahlte Arbeit Unbezahlte Arbeit in der Abgrenzung des Bundesamtes für Statistik: Haus- und Familienarbeit sowie Freiwilligenarbeit - institutionalisiert und informell Unbezahlte Arbeit in 40 Jahren Frauen- und Geschlechterforschung: von der Hausarbeitsdebatte zur Sorgeökonomie Unbezahlte Arbeit als Thema früherer Frauensynoden, insb. Erste Frauen-Synode in St. Gallen 1995: "Frauenarbeit zwischen Chrampf und Befreiung" Zweite Frauen-Synode in Biel/ Bienne 2000: "Sichtwechsel Schichtwechsel" Fünfte Frauen-Synode in Zürich 2011: "Wert-Schöpfung" Sichtbarmachen von Umfang und monetärem Wert der unbezahlten Arbeit mithilfe von Zeitbudgeterhebungen und Haushaltsproduktionskonten, in der Schweiz, z.b.: Projekt "Frauen zählen zählt eure Arbeit!" im Rahmen der Frauensynode 1995 und Zusatzmodul "Unbezahlte Arbeit" im Rahmen der Schweizer Arbeitskräfteerhebung alle 3-4 Jahre 7
5 Wert und Wertschöpfung "Wert ist wirtschaftlich die Bedeutung, die wir Gütern beimessen, die für uns nützlich sind." (Recktenwald 1975: 527) "Die Wertschöpfung beschreibt die aus dem Produktionsprozess hervorgehende Wertsteigerung der Güter." (Bundesamt für Statistik: Erweiterung um die Wertschöpfung der privaten Haushalte: "Rund 45% der Bruttowertschöpfung in der (um die Haushaltsproduktion) erweiterten Gesamtwirtschaft fallen auf die Haushalte." ( )!! Wertschöpfung durch die Produktion von Waren und Dienstleistungen also nicht nur in Unternehmen, sondern auch in privaten Haushalten sowie im Staat und im Non-Profit-Sektor 8 Vier-Sektoren-Modell Haushalte Staat Sektoren, in denen Werte geschaffen werden Unternehmen Non-Profit-Sektor 9
6 Anforderungen an Wirtschaft und Ökonomie im 21. Jahrhundert eine ökonomische Theorie entwickeln, die die Werthaltigkeit und die Geschlechterverhältnisse in Wirtschaft und Ökonomie offen legt Bedeutung unbezahlter Arbeit für ein modernes Wirtschaftssystem anerkennen => unbezahlte Arbeit als Voraussetzung für das Funktionieren einer Marktwirtschaft den erweiterten Arbeitsbegriff in die ökonomische Theorie einbeziehen, auch in alternative Ansätze wie Grundeinkommen und Regiogeld: => Arbeit = bezahlte + unbezahlte Arbeit an die Erkenntnisse der Geschlechterforschung anknüpfen und nicht bei der Vereinbarkeitsfrage von Beruf und Familie stehenbleiben: => Work-Work-Life-Balance statt nur Work-Life-Balance Offene Fragen: Welche Arbeit soll auch in Zukunft unbezahlt geleistet werden? Wie wäre eine geschlechtergerechte und zukunftsfähige Verteilung der (schlecht) bezahlten und unbezahlten Arbeit zu erreichen? 10 Literatur Zitierte Quellen Aristoteles (1973): Politik, übersetzt von Olof Gigon, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S Bien, Günther (2006): Zur Geschichte des (Lebenswelt-)Ökonomiebegriffs, in: Jochimsen, Maren & Knobloch, Ulrike (Hg.): Lebensweltökonomie in Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung, Bielefeld: Kleine Verlag, S Madörin, Mascha (2006): Plädoyer für eine eigenständige Theorie der Care-Ökonomie, in: Niechoj, Torsten & Tullney, Marco (Hg.): Geschlechterverhältnisse in der Ökonomie, Marburg: Metropolis, S Recktenwald, Horst Claus (1975): Wörterbuch der Wirtschaft, 8. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag. Ulrich, Peter (2010): Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethische Orientierung, Bern-Stuttgart- Wien: Haupt Verlag. Weitere Literaturhinweise Baier, Andrea; Bennholdt-Thomsen, Veronika & Holzer, Brigitte (2005): Ohne Menschen keine Wirtschaft. Oder: Wie gesellschaftlicher Reichtum entsteht, München: oekom. Baier, Andrea; Müller, Christa & Werner, Karin (2011): Wovon Menschen leben. Arbeit, Engagement und Musse jenseits des Marktes, 2. Aufl., München: oekom. Bauhardt, Christine & Çaglar, Gülay (Hg.) (2009): Gender und Economics. Feministische Kritik der politischen Ökonomie, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 11
7 Literatur (Fortsetzung) Bennholdt-Thomsen, Veronika (2010): Geld oder Leben. Was uns wirklich reich macht, München: oekom. Gather, Claudia; Geissler, Birgit & Rerrich, Maria S. (Hg.) (2002): Weltmarkt Privathaushalt. Bezahlte Haushaltsarbeit im globalen Wandel, Münster: Westfälisches Dampfboot. Heilbroner, Robert & Thurow, Lester (1994): Economics Explained. Everything You Need to Know About How the Economy Works and Where It's Going, revised and updated, New York et al.: Simon & Schuster. Heilbroner, Robert (1994): Kapitalismus im 21. Jahrhundert, München-Wien: Carl Hanser Verlag. Jochimsen, Maren & Knobloch, Ulrike (Hg.) (2006): Lebensweltökonomie in Zeiten der Globalisierung, Bielefeld: Kleine Verlag. Knobloch, Ulrike (2009): Sorgeökonomie als allgemeine Wirtschaftstheorie, in: Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 30, S Mies, Maria (1996): Patriarchat und Kapital. Frauen in der internationalen Arbeitsteilung, 5. Aufl., Zürich: Rotpunktverlag. Sen, Amartya (2002): Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München: dtv Wichterich, Christa (2009): Gleich gleicher ungleich. Paradoxien und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung, Sulzbach/ Taunus: Ulrike Helmer Verlag. Wichterich, Christa (2003): Femme global. Globalisierung ist nicht geschlechtsneutral, Hamburg: VSA Verlag. 12
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