Evangelische Kirchengemeinde Poppenweiler Gottesdienst am Korinther 1,18-25 (Pfarrer Häcker)

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1 Evangelische Kirchengemeinde Poppenweiler Gottesdienst am Korinther 1,18-25 (Pfarrer Häcker) Liebe Gemeinde! Nach dem Gottesdienst verabschiedet der Pfarrer seine Konfirmanden an der Kirchentür. Einer der Burschen bleibt kurz stehen und fragt, während er auf die anderen Gottesdienstbesucher zeigt: Sagen Sie mal, glauben die alles, was da drin erzählt wird? Der Pfarrer zögert kurz und sagt dann etwas energischer als eigentlich gewollt: Ja, natürlich! Da rutscht es dem Konfirmanden raus: Die armen Irren! Möglicherweise ist jener 13-Jährige mit seiner Meinung nicht allein: Wie irre ist das eigentlich, was wir hier in der Kirche Woche für Woche hören und reden? Hat die Rede von einem Gott, den kein Mensch je gesehen hat, oder von Jesus, der sein Sohn sein soll, dazu von einem Heiligen Geist, überhaupt noch irgendeine Bedeutung für das Leben des modernen Menschen im 21. Jahrhundert? Mag sein, dass für viele Menschen die kirchlichen Inhalte und Botschaften tatsächlich an Irrsinn grenzen. Doch ich finde etwas anderes total irre: die Tatsache nämlich, dass diese Botschaft, um die wir uns in der Kirche drehen, seit 2000 Jahren nicht totzukriegen ist! Dabei wurde sie von Anfang an in Frage gestellt, wie ich einem Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Christen in Korinth entnehme: Das Wort vom Kreuz - die Botschaft also, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft. Gott hat doch gesagt:»ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Klugheit der Klugen verwerfen.«wo bleiben da die Weisen? Wo die Kenner der Heiligen Schriften? Wo die gewandten Diskussionsredner dieser Welt? Was für diese Welt als größter Tiefsinn gilt, das hat Gott als reinen Unsinn erwiesen. Denn obwohl die Weisheit Gottes sich in der ganzen Schöpfung zeigt, haben die Menschen mit ihrer Weisheit Gott nicht erkannt. Darum beschloss er, durch die Botschaft vom Kreuzestod, die der menschlichen Weisheit als Torheit erscheint, alle zu retten, die diese Botschaft annehmen. Die Juden fordern von Gott sichtbare Machterweise; die Griechen suchen in allen Dingen einen Sinn, den die Vernunft begreift. Wir aber verkünden den gekreuzigten Christus als den von

2 Gott versprochenen Retter. Für Juden ist das eine Gotteslästerung, für die anderen barer Unsinn. Aber alle, die von Gott berufen sind, Juden wie Griechen, erfahren in dem gekreuzigten Christus Gottes Kraft und erkennen in ihm Gottes Weisheit. Gott erscheint töricht und ist doch weiser als Menschenweisheit. Gott erscheint schwach und ist doch stärker als Menschenkraft. Das Wort vom Kreuz muss vielen als barer Unsinn erscheinen oder anders ausgedrückt: Das Kreuz-Wort ist ein Rätsel. Ein Kreuz- Wort-Rätsel also beschäftigt uns heute. Und ich weiß nicht, ob ich dieses Rätsel tatsächlich befriedigend lösen kann. Obwohl ich sehr gerne Kreuzworträtsel löse. Aber mit diesem Wort vom Kreuz ist das so eine eigene Sache. Darüber streiten sich die Gelehrten ebenso wie die normal Denkenden; innerhalb des Christentums war und ist es durch die Zeiten umstritten, und erst recht von außerhalb ist die christliche Ur-Behauptung: Christus ist für uns gestorben überhaupt nicht zu verstehen. Am Kreuz Jesu scheiden sich nicht nur die Geister, sondern die Religionen. Es durchkreuzt tatsächlich alle noch so klugen menschlichen Gedanken, quer durch die Zeiten und Lebenswelten. Es stellt sich allem quer, was Menschen von sich aus über Gott denken und verkündigen. Doch bringt das nicht nur unnötige Unruhe in unsere Welt? Wäre es nicht viel schöner, wenn alle Religionen im Grunde dasselbe sagten, nur mit etwas anderen Worten? Würden sich dann die Menschen nicht viel besser verstehen? Hat nicht gerade das Kreuz schon ungezähltes Leid in die Welt gebracht? In der Tat zeigt die Geschichte des Christentums unglaubliche Tiefschläge und Tiefpunkte, weil dieser Glaube viel zu oft mit aller Gewalt durchgesetzt werden sollte. Beim letztjährigen Klausurtag des Kirchengemeinderats haben wir zuerst eine Moschee in Ludwigsburg besucht und danach ein Gespräch mit dem Islamkenner Professor Zimmer geführt. Dabei wurde deutlich: Die muslimische Welt leidet bis heute unter dem Trauma der mittelalterlichen Kreuzzüge. Was für uns fast 1000 Jahre später kein Thema mehr zu sein scheint, steckt dort noch sehr wohl im Bewusstsein. Und macht das Gespräch miteinander nicht einfacher Gleichzeitig ist dieses Wort vom Kreuz das neudeutsch gesagt Alleinstellungsmerkmal des christlichen Glaubens. Nur wir kennen die eigenartige Erzählung, dass ein schändlich Hingerichteter zum Zeichen für Gottes Liebe zu den Menschen werden soll. Das ist nicht nur schwer bis gar nicht zu kapieren, das kann tatsächlich auch als ärgerlich verstanden werden. Erst diese Woche hat mir eine Mutter

3 erzählt, wie ihr Kind einmal sehr verängstigt aus der Schule heimkam, weil im Religionsunterricht die Geschichte von Karfreitag, also die Kreuzigung Jesu, dran war. Und ich konnte sowohl die Mutter als auch das Kind verstehen. Wie soll oder kann ich Kindern diese schwere, ja brutale Erzählung lieb machen? Wie sollen sie verstehen, dass aus diesem schlimmen Tod eine Hoffnung entsteht, die Menschen in Gottes Nähe führt? Und ist es für Erwachsene leichter zu verstehen? Die christliche Geschichte hat immer wieder neu versucht, das Unerklärliche zu erklären, das Ärgernis zu entschärfen, dem scheinbaren Unsinn Sinn zu verleihen. Gäbe es die eine, klare und für alle verstehbare Erklärung, wären alle Fragen und jeder Zweifel aus der Welt geschafft. Und doch vielleicht wäre dann unser Glaube gar kein Glaube mehr, sondern eine hochgestochene Wissenschaft, das Gespinst gescheiter Menschen, und damit wieder für alle Gottessuchenden weit weg und unerreichbar? Mir wird, je älter ich werde, eines immer wichtiger: Wäre Jesus wie von seinen Jüngern erhofft ein strahlender Machthaber geworden und irgendwann normal gestorben, wäre seine Lehre vermutlich untergegangen. Sie hätte nicht mehr gepasst. Denn die Barmherzigkeit, die Jesus predigte und lebte, die Nähe zu den Hilfsbedürfigen, passt nicht zur Macht. Zu viele Mächtige sind einfach viel zu weit weg von den Tiefen des Lebens wie sollen sie ernsthaft verstehen, was die umtreibt, die ganz unten sind? Weil aber der, auf den wir unsere Hoffnung und unser Vertrauen setzen, in seinem Tod am Kreuz die ganze Tiefe des menschlichen Daseins am eigenen Leib erleben musste deshalb wird, was er davor von Gott erzählt hat, erst wirklich glaubwürdig. Weil Christus der Leidende und Sterbende ist, ist er den Leidenden und Sterbenden seiner Zeit und aller Zeiten unendlich nahe. Weil er trotz der Gewalt, der er ausgesetzt war, an seinem Gottvertrauen festhielt, können Menschen in ihren Nöten und Leiden ebenfalls an Gott festhalten. So verstehe ich das Kreuz Jesu vor allem als eines: als Zeichen der unendlichen Nähe Gottes bis in die letzten Winkel unseres Lebens hinein. Damit aber wird dieses Kreuz-Zeichen zum Zeichen der Hoffnung: Gott hat Jesus nicht fallen gelassen, und deshalb wird er auch keines seiner Menschenkinder je fallen lassen! Daraus entsteht und wächst ein Glaube, der die Hoffnung nie aufgeben muss. Und wenn ich selbst diese Hoffnung nicht mehr spüre, werden sich andere daran klammern und fürbittend vor Gott für mich eintreten. Ich bin überzeugt: Diese Hoffnung stirbt nie, nicht einmal zuletzt!

4 Und noch ein zweiter Gedanke steckt für mich im Kreuz: Das Kreuz von Golgatha zeigt, wie Gott sich bis zuletzt für seine Menschenkinder einsetzt, alles für sie gibt. Kein Preis ist ihm zu hoch und das wird ausgerechnet in diesem Kreuz sichtbar. Ich habe vor kurzem eine Geschichte gefunden, die ich im Kirchengemeinderat schon erzählt habe (die anwesenden Kirchengemeinderätinnen und -räte mögen mir die Wiederholung bitte verzeihen!) und die mich ein bisschen näher an dieses Geheimnis heranführt: Ein Stückchen Holz Es ist Religionsstunde. Hannes hat eine Frage, die ihn anscheinend sehr beschäftigt:»warum hängt bei vielen Christenfamilien ein Kreuz in der Wohnung?«-»Ein Zeichen der Auferstehung wäre besser«, meint ein Mädchen. Da erzählt der Lehrer den Kindern eine Geschichte: Großvater ging mit Michael spazieren. Es war ein eiskalter Winternachmittag. Michael freute sich an Eis und Schnee, hopste, stapfte. Der Großvater folgte ihm lächelnd, aber mühsam. Sein Herz war krank, schon sehr krank. Michael wollte zum Teich. Dieser war zugefroren, stocksteif!»das muss herrlich zum Eislaufen gehen«, rief Michael,»wenigstens rutschen und schlittern möchte ich einmal probieren!«großpapa warnte. Dicht am Ufer stand der alte Mann, als Michael schon beide Beine aufs Eis gesetzt hatte.»komm, Michi...«Der Ruf des alten Herrn kam zu spät. Michael schrie, war eingebrochen durchs Eis, klammerte sich an Rand und Brocken. Zitternd streckte der Großvater seinen Stock dem Buben entgegen. Der fasste ihn, zog sich mit aller Kraft empor. Seine letzten Kräfte setzte der Alte ein, um auf den Beinen zu bleiben und den Stock nicht aus den Händen rutschen zu lassen. Die Rettung gelang. In den Armen des Retters geborgen, so eilend sie konnten, kehrten Michael und der Großvater heim. Dem Bub halfen ein warmes Bad und das Bett über seine Beschwerden, aber für Großvater war dieses Geschehnis zu viel, zu anstrengend, zu aufregend gewesen. Ein heftiger Herzanfall nahm ihm das Leben. Die Trauer seiner Lieben war groß. Bald wollten die Angehörigen das, was dem Großvater gehört hatte, wegräumen, vergeben, verschenken. Mit starrem Gesicht sah Michael zu.»nein!«rief er auf einmal,»werft den Stock nicht weg, er gehört mir! Damit hat Großvater mein Leben gerettet, seines hat er dabei verloren! Solange ich lebe, will ich den Stecken bei mir haben als Zeichen seiner Liebe zu mir!«

5 Der Lehrer muss nichts weiter sagen. Die Kinder wissen Bescheid. Und Hannes sagt:»jetzt verstehe ich, was ein Stückchen Holz einem bedeuten kann, was den Christen das Zeichen des Kreuzes ist.«das Wort vom Kreuz - die Botschaft also, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft ich kann nicht erklären, liebe Gemeinde, warum das so ist, denn ich kann es mit meinem Verstand und meiner Weisheit nicht fassen. Aber ich will weitererzählen, was ich selbst gehört und am eigenen Leib erfahren habe: Wer an diesem Kreuz festhält und sich in der Not daran klammert, kann die Nähe Gottes erfahren, Hilfe und Trost finden. Dass dies immer so bleibt, wünsche ich Ihnen und mir völlig egal, wie irrsinnig manch Anderer dieses Wort vom Kreuz auch halten mag! Zum Abschluss habe ich Ihnen ein Bild mitgebracht, das Sie am Ausgang mitnehmen können. Es ist das Bild eines kleinen Kreuzes, das ich an meinen Schlüsselbund mit mir trage. Als Jugendlicher habe ich es sogar als kleines Silber-Kreuz an einem Halskettchen getragen, bis es leider verloren ging. In dieses Kreuz ist der Gekreuzigte eingeprägt aber als Segnender. Mir gefällt diese Kombination sehr, deshalb möchte ich sie wenigstens bildlich mit Ihnen teilen. Und auf der Rückseite habe ich noch das Kreuz-Wort-Rätsel abgedruckt in der Hoffnung, dass uns das Kreuz Jesu kein Rätsel bleibt, sondern uns Hoffnung und Gottvertrauen schenkt, jeden Tag neu! Amen.