Mit allen Sinnen Umnutzung der Bielefelder Martinikirche zum Restaurant

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1 O b j e k t e 18 K i r c h e n Mit allen Sinnen Umnutzung der Bielefelder Martinikirche zum Restaurant Foto (2): Susanne Freitag Es erfordert von allen Beteiligten eine ganze Menge Fingerspitzengefühl, um ein ursprünglich sakral genutztes Gebäude in ein Restaurant zu verwandeln. In Bielefeld ist dies in der evangelischen Martinikirche gelungen: ein mutiger Bauherr, eine diskussionsbereite Gemeinde, ein Architekt mit Respekt vor dem Bestand mit einem schlüssigen Konzept sowie Handwerker, die dieses mit viel Geschick umzusetzen wussten, wirkten hier zusammen. Die in den 1950er-Jahren angebaute Küsterwohnung musste abgerissen werden. An ihrer Stelle entstand ein zweigeschossiger Küchenanbau Nach dem Rückbau der aus Holz und Gipskartonplatten in die Martinikirche eingebauten griechisch-orthodoxen Kirche war das Raumvolumen des Kirchenschiffs wieder erlebbar Der hell erleuchteten Bielefelder Martinikirche sieht man die neue Nutzung schon von außen an. Im Inneren befindet sich heute ein Restaurant Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst, Bielefeld Die Bielefelder Martinikirche wurde von 1896 bis 1897 nach Plänen von Karl Siebold und Friedrich Gräbner im neugotischen Stil erbaut. Zunächst bestand die Kirche nur aus dem Mittelschiff und der Sakristei, bis sie 1909 schließlich auch einen Glockenturm und das südliche Seitenschiff erhielt. Letzteres wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt, und in den 1950er Jahren auf dem alten Grundriss wieder aufgebaut. Gleichzeitig wurde eine Küsterwohnung an die Kirche angebaut. Entscheidend für das heutige Erscheinungsbild der Kirche ist zudem die Tatsache, dass der Turmhelm zu Beginn der 1980er Jahre aus statischen Gründen von 43 auf 18 m abgetragen werden musste. Nutzungsfindung Zu diesem Zeitpunkt wurde die Martinikirche von der Fotos (2): Thomas Wieckhorst evangelischen Gemeinde bereits nicht mehr genutzt: Seit 1975 fand dort kein evangelischer Gottesdienst mehr statt. Bis in das Jahr 2002 hinein diente sie zwar noch der griechisch-orthodoxen Gemeinde Bielefeld als Versammlungsstätte, stand danach jedoch leer und damit auch ihre Zukunft in den Sternen, denn der Gemeinde fehlte wie vielerorts das Geld zum Erhalt ihrer Kirche. Eine glückliche Fügung darf man es wohl nennen, dass sich mit Achim Fiolka von der Living- Event GmbH aus Werther ein mutiger Gastronom fand, dem die Gemeinde das Gebäude zum symbolischen Preis von einem Euro und das Grundstück zur Erbpacht überließ. Diese Chance gibt es nur einmal im Leben. Der Ort hat etwas Besonderes und das wollten wir wiederbeleben, meint Achim Fiolka von der Living-Event GmbH. Der Planungsauftrag ging an den Bielefelder Architekten

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3 O b j e k t e 20 K i r c h e n Das Seitenschiff wurde zum Hauptschiff hin wieder geöffnet. Die Rohbauer entfernten hierzu die zwischen die Pfeiler und Spitzbögen gemauerten Wände Heinrich Martin Bruns, der für den Bauherrn bereits eine ungewöhnliche Lokalität in der Bielefelder Innenstadt realisiert hatte. Mit einer auf rund zwei Millionen Euro veranschlagten Investitionssumme für den Kirchenumbau inklusive eines Küchenanbaus und dem eingespielten Team aus Bauherr und Architekt war die bauliche Zukunft der Martinikirche sichergestellt. Überzeugungsarbeit Letztendlich handelt es sich bei der Umnutzung der Bielefelder Martinikirche in ein Restaurant um einen Modellfall, denn vielen Kirchen der beiden großen christlichen Konfessionen droht aufgrund schrumpfender Gemeinden und leerer Kassen der Verfall. Aber kann man in einer Kirche ein Restaurant betreiben? Man kann: Der Architekt vertiefte sich in die Geschichte der Kirche, derweil die Superintendentin Regine Burg zu Podiumsdiskussionen lud, in denen Gemeindemitglieder ihre Meinung für oder gegen die neue Nutzung zur Sprache bringen konnten. Beides führte in Kombination zu einem befriedigenden Ergebnis und somit zur Akzeptanz des neuen Nutzungskonzeptes, in dem sich der Architekt mit Respekt dem Bestand näherte und ihn sogar trotz neuer Nutzung in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzte. Rück- und Anbauten Hierzu mussten vor allem die umfangreichen Einbauten wieder aus dem Kirchenraum verschwinden: Die Kirche war total verbaut. Die griechisch-orthodoxe Gemeinde hatte in die steinerne Kirche eine zweite Kirche aus Holz und Gipskartonplatten hineingebaut, die ihren liturgischen Ansprüchen entsprach, beschreibt Architekt Heinrich Martin Bruns die Ausgangssituation im Gebäudeinneren. Zudem musste das Seitenschiff im Erd- und Obergeschoss zum Hauptschiff hin wieder geöffnet werden. Die Rohbauer entfernten hierzu die zwischen die Pfeiler und Spitzbögen gemauerten Wände ebenso wie die trockenen Einbauten aus dem Kirchenschiff. Auch die aus Holz und Stahl bestehende Orgelempore mussten sie unter anderem aus brandschutztechnischen Gründen zurückbauen. An ihrer Stelle schwebt nun eine Lounge auf einer Empore aus Stahlbeton mitten im Kirchenraum. Abgerissen wurde auch die in den 1950er Jahren an die Kirche angebaute Küsterwohnung. Hier entstand ein zweigeschossiges Küchengebäude mit einem Flachdach, dessen Keller die Rohbauer aus WU- Beton gossen und auf dessen Stahlbetondecke sie zwei weitere Geschosse aus Hochlochziegeln mit Wärmedämmputz errichteten.

4 O b j e k t e K i r c h e n 21 Fotos (2): Susanne Freitag B 4 A A Obergeschoss Empfang Gastraum Cafe Kinderspielraum Küche Biergarten Lounge Event-Raum B Erdgeschoss Grundrisse, Maßstab 1 : / B a u h a n d w e r k

5 Fotos (4): Susanne Freitag Die alte Orgelempore wurde zurückgebaut und durch eine neue aus Stahlbeton ersetzt. Das Ziegelmauerwerk erhielt einen Anstrich mit hellgrauer Dispersionsfarbe Decke unter der Decke Die Kirche besitzt zwei Dachstühle: einen Inneren, der die Raumschale abschließt, und einen äußeren, der das Ziegeldach trägt. Den inneren Dachstuhl haben wir dazu verwendet, den geforderten Brand- und Schallschutz herzustellen, so Heinrich Martin Bruns. Hierzu spannten die Trockenbauer zwischen die sichtbar gebliebenen Sparren 12 cm unterhalb der Brettverschalung der Bestandsdecke CD-Profile, an denen sie 10 cm breite Gipskartonstreifen mit jeweils 8 cm Abstand zueinander befestigten. Die Oberfläche der Gipskartonstreifen hat der Maler so behandelt, dass sie von unten wie Bretter aussehen. Eine wirklich gute handwerkliche Leistung, lobt der Architekt die Arbeit des Malers. Auf die Gipskartonstreifen wurde ein braunes Akustikvlies aus Steinwolle und darauf Mineralwolle gelegt, so dass die Lücken zwischen den Gipskartonstreifen optisch geschlossen sind und die neue Decke von unten nun fast genauso aussieht wie die ursprüngliche Holzdecke, die selbstverständlich dahinter noch komplett erhalten ist. Die übrigen Decken stellten die Trockenbauer mit Lochplatten und Mineralwolldämmung als Akustikdecken her, die vom Maler abschließend einen Anstrich mit Dispersionsfarbe erhielten. Eine besondere handwerkliche Herausforderung war für den Maler insbesondere die

6 Schnitt BB Schnitt AA, Maßstab 1 : 500 Schnitt BB, Maßstab 1 : / B a u h a n d w e r k

7 O b j e k t e 24 K i r c h e n Fotos (2): Stephan Falk Dort, wo sich vormals die Orgelempore befand, schwebt heute eine Lounge auf einer Empore aus Stahlbeton mitten im Kirchenschiff Oberflächengestaltung der als abgetreppte Sheddecke ausgeführten Akustikdecke im Restaurant im Obergeschoss, denn hier musste der Anstrich mit einer Metallicfarbe ausgeführt werden. In alten Mauern Zudem waren die handwerklichen Fähigkeiten des Malers bei der Behandlung der Innenwandflächen des bestehenden Ziegelaußenmauerwerks gefragt: Überall waren Leitungen auf den Mauern verlegt, erinnert sich Heinrich Martin Bruns. Nachdem diese, und zahlreiche Anstriche, darunter auch Lacke, im Sandstrahlverfahren vom Maler entfernt worden waren, musste dieser die zum Teil sehr locker gewordenen Putzflächen zwischen den Pfeilervorlagen spachteln. Abschließend erhielten sowohl die Ziegelpfeiler als auch die Putzflächen dazwischen einen Anstrich mit hellgrauer Dispersionsfarbe. Fenster und Türen Die bleiverglasten Fenster im Chor stammen aus den 1930er Jahren vom Künstler Hellmut Assmann. Sie waren natürlich unbedingt erhaltenswert. Die restlichen Fenster hatte man aus billigem Glas zusammengeflickt. Diese haben wir gegen neue Fenster aus verzinkten Stahlprofilen und Isolierverglasung ausgetauscht, so der Architekt. Auch das Kircheninnere erhielt aus schall- und brandschutztechnischen Gründen neue Fenster und Türen: Zwischen den Pfeilern des Restaurants im Obergeschoss sorgt heute eine Zweischeiben-Schallschutzverglasung für einen akustischen Raumabschluss zum Kirchenschiff hin; die geforderten Brandabschnitte stellen T-30 und T-90 Brandschutztüren der Firma Hörmann her. Fazit Die handwerkliche Ausführung war absolut wichtig für die Qualität des Raumes, resümiert Heinrich Martin Bruns den Bauablauf in der Martinikirche. Der Modellfall ist in Bielefeld damit gelungen: Eine neue Nutzung gestalterisch und handwerklich umgesetzt in Form eines Restaurants in einem sakralen Raum. Mehr noch: Die ursprüngliche Qualität des neogotischen Kirchenraumes konnte trotz, oder gerade wegen der neuen Nutzung wiederhergestellt werden. Damit ist nun auch der Bestand des Gebäudes sichergestellt.

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9 Im Erdgeschoss ist es im Seitenschiff aufgrund der von einer abgehängten Akustikdecke begrenzten Raumhöhe intimer als im offenen Kirchenschiff (Foto: Stephan Falk) Baubeteiligte Bauherr: Living-Event GmbH, Achim Fiolka, Werther Planung, Lichtplanung und Bauleitung: brunsarchitekten, Heinrich Martin Bruns, Architekt BDA, Bielefeld Mitarbeiter: Christoph Buschmeier, Barbara Bruns, Sebastian Kramer, Stephan Lücke und Nadine Schütte Abbrucharbeiten: Firma Hagedorn, Gütersloh Firma Andreas Recklies, Bad Iburg Statik: Figge Ingenieure, Bielefeld Rohbauarbeiten: Firma Bökamp, Schloß Holte-Stukenbrock Zimmerarbeiten: Holzbau Vorderwisch, Gütersloh Außenputzarbeiten und WDVS-Arbeiten: Spies GmbH & Co. KG, Herford Dachdeckerarbeiten: Firma Fritz Jünnemann, Bielefeld Stahlbauarbeiten: Firma Ellermann, Herford Tischlerarbeiten (Fenster): Firma Ulrich Althoff, Bielefeld Tischlerarbeiten (Außentüren): Werther Ladenbau, Werther Malerarbeiten: Malerfachgeschäft Bethel- Eckhardsheim, Bielefeld Estrichlegerarbeiten: Rehkämper Estriche, Rietberg Fliesenlegerarbeiten: Firma Brindöpke, Bielefeld Glaserarbeiten: Firma Seidensticker, Bielefeld Trockenbauarbeiten: Firma Keisinger, Rheda-Wiedenbrück Offszanka Trockenbau GmbH & Co. KG, Bünde Innenausbauarbeiten: Firma Strothmann, Bielefeld Innenputzarbeiten: Rahe Bautechnik, Bielefeld Herstellerindex (Auwahl) Brandschutztüren: Hörmann, Steinhagen,