Predigt im Reformationsgottesdienst am 31. Oktober 2016 Eröffnung des Reformationsjubiläums
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- Bernhard Holzmann
- vor 7 Jahren
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1 Predigt im Reformationsgottesdienst am 31. Oktober 2016 Eröffnung des Reformationsjubiläums Renke Brahms, Schriftführer Liebe Gemeinde! Wir eröffnen das Jahr des Reformationsjubiläums mit der Übergabe und Ingebrauchnahme der neuen Lutherbibel. Das passt gut! Denn die Bibelübersetzung Martin Luthers war ein Schlüssel für die Reformation, die vor 500 Jahren die Welt veränderte. Es gab schon vor Luther Übersetzungen der Bibel ins Deutsche. Aber Martin Luther gelang es, die Bibel so zu übersetzen, dass Menschen es in ihrer gewohnten Alltagssprache verstehen konnten. Die berühmten Sätze des Reformators aus seinem Sendbrief über das Dolmetschen aus dem Jahr 1530 lauten:»man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet.«zusammen mit der Kunst des Buchdrucks verbreitete sich die Bibel auf diese Weise in beeindruckend schneller Weise. Mit der Übersetzung und der Verbreitung waren Grundgedanken der Reformation verbunden. Ich will drei dieser Grundgedanken nennen: Der erste Gedanke heißt: selber lesen selber denken selber verstehen Luther und den anderen Reformatoren wie Calvin und Zwingli und vielen anderen mehr ging es darum, die Menschen von der Abhängigkeit von kirchlicher Institution und den Priestern zu befreien. Sie sollten selbst an der Bibel prüfen können, was denn christlich sei und ob das, was der Papst oder die Priester lehrten, der Bibel enstprach. Diese Urkunde des Glaubens und nicht die Lehre der Kirche galt es in den Mittelpunkt zu stellen. Die bedrückten Gewissen der Menschen galt es zu befreien und den Gläubigen selbst Entscheidungsmöglichkeit zu geben. Wenn im Abendmahl der Priester abgewandt von der Gemeinde die Abendmahlsworte sprach: hoc est corpus meus (das ist mein Leib) und das Kreuz
2 darüber schlug dann verstanden die Menschen hinten in der Kirche nur: Hokuspocus und hielten das ganze für Zauberei. Deshalb wurde der Gottesdienst nicht mehr in lateinischer, sondern in deutscher Sprache gehalten. All das sollte die Mündigkeit des Einzelnen und der Gemeinde, die sich um die Bibel versammelt, stärken. Diese Veränderung hatte weitreichende Folgen für Kirche und Gesellschaft über die Aufklärung bis heute. In Zeiten, in denen Menschen wieder verstärkt unreflektiert irgendwelchen einfachen Parolen hinterherlaufen oder sich wegen der Komplexität der Zusammenhänge von allem abwenden, ist es wieder umso wichtiger: selber lesen selber denken selber verstehen. Und die Bibel ist mit ihren Geschichten und grundlegenden Wahrheiten immer noch ein kritisches Korrektiv, eine anregende Perspektive: indem sie daran erinnert, dass es mehr gibt als wir sehen und verstehen, dass es einen gnädigen Gott gibt, der in aller Schuldverstrickung vergibt und Versöhnung ermöglicht, dass Nächstenliebe oder sogar Feindesliebe Leitbilder für das Zusammenleben in unserer einen Welt sind. Wo das verloren geht, geht eine Wertebasis und Perspektive für unsere Gesellschaft verloren. Der zweite Grundgedanke hängt eng mit dem ersten zusammen: Bildung von Anfang an. Die Reformation hat einen wahren Bildungsboom ausgelöst, der bis heute prägend ist. Luthers Katechismus als Zusammenfassung des Glaubens sollte das christliche Haus prägen. Schulen wurden gegründet viele durch den Freund Luthers, durch Philipp Melanchthon. In seinem Brief an den christlichen Adel deutscher Nastion schrieb Luther: Vor allen Dingen sollten in den hohen und niedrigen Schulen die Heilige Schrift die wichtigste und allgemeinste Vorlesung sein, und fu r die Knaben das Evangelium. Und wollte Gott, daß jede Stadt auch eine Ma dchenschule ha tte, in der die Ma dchen ta glich eine Stunde das Evangelium ho rten, es wa re auf deutsch oder lateinisch [...] Sollte nicht angemessenerweise jeder Christenmensch mit neun oder zehn Jahren das ganze heilige Evangelium kennen, worin sein Name (Christenname) und sein Leben steht? Es ging also zuerst um die Bibel. Dabei verstanden die Reformatoren Bildung nie nur als Wissensvermittlung über die Bibel oder als religiöse
3 Bildung, sondern immer als Persönlichkeitsbildung in einem umfassenden Sinn. Und das hat eine prägende Kraft entfaltet, die kaum zu überschätzen ist. Dass Bildung auch heute von entscheidender Bedeutung ist, wissen wir alle. Und dass immer noch die Bildungs- und Teilhabechancen der Menschen aus ärmeren Verhältnissen deutlich geringer sind als die derjenigen aus betuchteren und bildungsnäheren Häusern das würde bei Luther heute auf heftigsten Widerstand und Protest stoßen. Zu dieser Bildung gehört auch heute religiöse Bildung und deshalb ist es höchst nötig, dass Religionsunterricht in seiner ganzen interreligiösen Breite heute gestärkt wird. Wie sollen Menschen unsere Kultur verstehen, wenn sie nicht wenigstens rudimentär in biblische Geschichten eingeführt werden? Sonst verwechseln Menschen Golgatha mit Colgate, halten die Arche Noah für ein U-Boot und verstehen weder Bach noch Rembrandt. oder haben keine Ahnung, welche Geschichten sich in Bibel und Koran gleichermaßen wiederfinden. Und einen dritten Gedanken will ich nennen, der den Kern der reformatorischen Botschaft betrifft. Natürlich diente die Bibelübersetzung Martin Luthers auch der Verbreitung seiner Grunderkenntnis von der Rechtfertigung allein aus Glauben. Deshalb nahm er sich auch die Freiheit, genau diesen Gedanken deutlich zu markieren. Im Römerbrief steht im 28. Vers des 3. Kapitels eigentlich kein allein und denoch übersetzt Luther so und es steht auch in der überarbeiteten Neuausgabe so: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Noch immer ist diese reformatorische Botschaft aktuell. Für manche Christenmenschen ist sie aktuell, weil sie aus der Enge einer gesetzlichen Frömmigkeit herausführt. Für andere ist es heute vielleicht eher die Frage nach dem gnädigen Nächsten als die Frage nach dem gnädigen Gott. Kann ich vor den anderen bestehen? Vor meinem Chef, vor meinen Kollegen, oder auch vor meinen eigenen Ansprüchen, die mich drücken? Vor gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwängen, die mich einordnen und bewerten wollen? Im Netz, wenn ich mich mit meinen Gedanken oute? Ich bin Mensch in meiner Würde nicht durch das, was ich leisten oder mir leisten kann und nicht durch das, was andere mir zuschrieben. Ich bin Mensch, ich bin Geschöpf Gottes, weil ich in unendlicher Liebe Gottes geschätzt bin.
4 Die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Ehmke, hat es gerade in ihrer Dankesrede säkular gesagt: Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. So reden zu können, hat ihre Wurzel auch in der reformatorischen Botschaft. Und so hat die reformatorische Botschaft eine sehr persönliche, eine gesellschaftliche und eine enorm politische kritische Funktion, mit der wir uns als Kirche der Reformation in einmischen in die Gestaltung unserer Gesellschaft und tun das heute in großer ökumenischer Verbundenheit, weil wir uns in diesen grundlegenden Dingen heute einig sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Und ich freue mich auf das Jahr, in dem wir den Spuren der Reformation weiter nachgehen feiern, gedenken und die Zukunft in den Blick nehmen wollen. Amen.
5 Liebe Gemeinde! Ich begrüße an dieser Stelle herzlich unsere Reformationsbotschafterin Maria Esfandiari und unseren Reformationsbotschafter Jens Böhrnsen. Ihre Aufgabe ist es nicht, für die Evangelische Kirche zu werben, sondern die Themen und Erkenntnisse der Reformation ins Licht zu rücken und zu helfen ihre Bedeutung für heute zu erschließen. Dabei geht es um eine ganz persönliche Sicht wie auch die gesellschaftliche Relevanz der reformatorischen Erkenntnisse. Wir sind sehr froh, mit Ihnen, liebe Frau Esfandiari, eine junge Katholikin als Botschafterin gewonnen zu haben, die sich in der Evangelischen Studierendengemeinde engagiert hat uns uns eine Perspektive aus der Geschwisterkirche eröffnen kann. Sie haben gesagt, dass Luther heute Twitter und Facebook nutzen würde, um seine Botschaft zu verbreiten. Mit ihrer Expertise als Medienwissenschaftlerin können Sie besonders diese mediale Sichtweise einbringen. Mit Ihnen, lieber Herr Böhrnsen, verbinden wir nicht nur Ihre frühere Tätigkeit als Bürgermeister Bremens, sondern auch Ihre persönliche Verbundenheit mit unserer Evangelischen Kirche. Sie haben gesagt, dass ohne die Reformation eine soziale Demokratie nicht zu denken ist, auch wenn davon vor 500 Jahren noch nicht viel zu erkennen war. Mit Ihrer Erfahrung bringen Sie persönliche und politische Aspekte ein. Wir sind Ihnen beiden sehr dankbar, dass Sie diese Aufgabe übernommen haben und sich in dieser Weise in den Dienst einer Sache gestellt haben, die nicht nur die Welt bewegt hat vor 500 Jahren, sondern deren Gedankenwelt bis heute wirkt. Das deutlich zu machen und produktiv werden zu lassen für das kommende Jahr das ist die schöne Aufgabe. Wir wollen Ihnen Beiden dafür Gottes Segen wünschen und zusagen. Als Zeichen dafür bekommen Sie heute natürlich eine Lutherbibel überreicht. Gebet: Wir bitten dich, Gott, für Maria Esfandiari und Jens Böhrnsen. Gib ihnen Freude an ihrer Aufgabe, Kraft für Termine und Veranstaltungen, Lust am Reden und Diskutieren. Erfülle sie und uns im
6 kommenden Jahr mit der Freude am Evangelium, mit dem offenen Blick für die Menschen in unserer Stadt und mit dem Willen zur Verständigung über alle Verschiedenheit in Religion und Kultur hinweg. Amen. Gott, es ist dir nicht genug, Gott zu sein ohne uns Menschen. Du wendest dich uns zu. Du bist selbst ein Mensch geworden in Jesus Christus. Wir ho ren dein Wort und wir lesen die Bibel als die große Geschichte deiner Liebe zu uns. Gott, es macht uns Angst, wenn Menschen sich auf Heilige Schriften berufen, um damit Ungerechtigkeit, Gewalt und Terror zu rechtfertigen. Wir wissen, dass dies auch in der Geschichte der Christenheit immer wieder geschehen ist. Bewahre uns vor der großen Versuchung, unsere Absichten als deinen Willen auszugeben, in den großen Konflikten unserer Zeit und in dem ta glichen Streit und der Rechthaberei unter uns. Du bist ein Gott der Liebe und des Friedens. Gott, wir geho ren zu einer Kirche, die auf dein Wort gebaut sein soll und dieses Wort als gute Botschaft weitersagt in die Welt. Wir erleben, dass dein Wort nicht überall geho rt wird, dass es den harten Boden der Gleichgültigkeit nicht durchdringen kann. Wir bitten dich heute besonders für alle, die mit deinem Wort umgehen, die es lesen und ho ren erforschen und auslegen, erza hlen und predigen. Wir sind dankbar für alle Menschen, die dein Wort lieb haben und ihm dienen wollen. Begabe und begeistere sie, damit dein Wort ein lebendiges Wort unter uns bleibt. Alle Erfahrungen unseres Lebens sind aufgehoben bei dir. Davon erza hlt uns die Bibel durch alle Zeiten hindurch. Lass uns vertrauen, dass in diesem Buch das Wort des Lebens zu finden ist. Denn wir sind gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Ma chte noch Gewalten, weder Gegenwa rtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von deiner Liebe, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
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