Russland: Aktuelle innenpolitische Entwicklungen. Prof. Dr. Lic. Eberhard Schneider
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- Mareke Simen
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1 November 2016 Zusammenfassung Am 5. Oktober 2016 ernannte der russische Präsident Wladimir Putin den bisherigen Leiter der staatlichen russischen Atomenergiebehörde (ROSATOM), Sergej Kirijenko, zum Ersten Stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration mit der Zuständigkeit für die russische Innenpolitik als Nachfolger für Wjatscheslaw Wolodin, der zum Vorsitzenden der neuen Staatsduma gewählt worden war. Putin setzt offensichtlich großes Vertrauen in Kirijenko. Kirijenkos eigentlicher Job dürfte die Vorbereitung der Präsidentenwahlkampagne für Putin im Jahr 2018 sein. Der Direktor des Programms Wirtschaftspolitik des Carnegie-Zentrums Moskau, Andrej Motschan, stellte Anfang Oktober 2016 den krisenhaften Zustand der russischen Wirtschaft fest. Das Haushaltsdefizit wird 2016 fünf Prozent des BIP betragen. Seit 2000 ist der Kapitalexport höher als der Gewinn aus dem Export fossiler Rohstoffe. Der Anteil der privaten Wirtschaft ist auf % zurückgegangen. Trotzdem wird es in nächster Zeit nicht zu sozialer Instabilität kommen. Beim Vergleich der Umfrageergebnisse der letzten Jahre des Moskauer Lewada-Zentrums nach dem Vertrauen in Institutionen fällt auf, dass das Vertrauen in die Staatsduma innerhalb eines Jahres von 40 % auf 22 % zurückgegangen ist. Das Rating der Regierung ist mit 26 % das niedrigste seit fünf Jahren. Das Vertrauen in die Kirche sank in vier Jahren von 50 % auf 43 %, weil sie wohl zunehmend als Teil der Machtvertikale gesehen wird. Am 26. Oktober 2016 wurden die Resultate von Umfragen über die Schattenwirtschaft, die auf 30 % des BIP geschätzt wird, publiziert. Gegenwärtig reagieren nur 16,4 % der Bürger negativ auf die Schattenwirtschaft; 2001 waren es noch 42,2 %. In 15 Jahren ging unter der Präsidentschaft Putins die Ablehnung der Schattenwirtschaft um das Zweieinhalbfache zurück. 1
2 Das ISPSW Das Institut für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW) ist ein privates, überparteiliches Forschungs- und Beratungsinstitut. In einem immer komplexer werdenden internationalen Umfeld globalisierter Wirtschaftsprozesse, weltumspannender politischer, ökologischer und soziokultureller Veränderungen, die zugleich große Chancen, aber auch Risiken beinhalten, sind unternehmerische wie politische Entscheidungsträger heute mehr denn je auf den Rat hochqualifizierter Experten angewiesen. Das ISPSW bietet verschiedene Dienstleistungen einschließlich strategischer Analysen, Sicherheitsberatung, Executive Coaching und interkulturelles Führungstraining an. Die Publikationen des ISPSW umfassen ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher, sicherheits- und verteidigungspolitischer Analysen sowie Themen im Bereich internationaler Beziehungen. Über den Autor dieses Beitrags ist Advisory Board Member of the EU-Russia Centre in Brüssel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen und Leiter der sozialwissenschaftlichen Forschung des Berliner West-Ost-Instituts. 2
3 Analyse Neuer Kurator für die russische Innenpolitik Am 5. Oktober 2016 ernannte Präsident Wladimir Putin den bisherigen Leiter der staatlichen russischen Atomenergiebehörde (ROSATOM), Sergej Kirijenko, zum Ersten Stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration mit der Zuständigkeit für die russische Innenpolitik 1 als Nachfolger für Wjatscheslaw Wolodin, der zum Vorsitzenden der am 18. September 2016 neuen Staatsduma gewählt worden war. Kirijenko, 1952 im georgischen Suchumi geboren, absolvierte 1984 in Gorkij (jetzt wieder Nischnyj Nowgorod) das dortige Institut für Wassertransportingenieure und 1993 die Akademie für Volkswirtschaft bei der russischen Regierung. Der Öffentlichkeit wurde Kirijenko bekannt, als ihn der damalige Präsident Boris Jelzin im April 1998 mit 36 Jahren zum Regierungschef ernannte. Der damalige jüngste Premier Russlands wurde als Kinderüberraschung tituliert. Kirijenko erhielt die Zustimmung der Staatsduma erst bei der dritten Abstimmung. Erster Stellvertreter an der Regierungsspitze war Boris Nemzow. Beide kannten sich bereits aus ihrer gemeinsamen Zeit in Nischnyj Nowgorod. Nach vier Monaten, im August 1998, wurde Kirijenko von Jelzin wieder entlassen. Für seine Reformen, die Kirijenko durchführen wollte, fand er in der von Nationalisten und Kommunisten beherrschten Staatsduma nicht die notwendige Unterstützung. Viele Russen machen ihn noch heute für den Zusammenbruch der Wirtschaft in der damaligen Krise verantwortlich und für ihre finanziellen Verluste. Nach seiner Entlassung wollte Kirijenko in der Politik bleiben und gründete die politische Bewegung Neue Kraft, die später in die Union rechter Kräfte von Boris Nemzow einging, deren Fraktion er in der Staatsduma von 1999 bis 2000 leitete kandidierte Kirijenko für das Oberbürgermeisteramt in Moskau. Er wurde aber nach Jurij Luschkow nur Zweiter. Bis zur Übernahme der Leitung der Föderalen Agentur für Atomenergie (ROSATOM) 2005 war er ab 2000 Bevollmächtigter Vertreter des Präsidenten im Föderalen Bezirk Wolga. Kirijenko hatte Putin kennengelernt, als er als Ministerpräsident am 25. Juli 1998 den damals völlig unbekannten Putin als den neuen FSB-Chef vorstellte. Bei russischen Experten gilt Kirijenko als Technokrat, dem eigene politische Ideen fehlen. Doch wenn er sie hätte, fände er im Kreml wohl kaum Resonanz für diese. Der Generaldirektor des Moskauer Zentrums für politische Information, Alexej Muchin, meinte zu der neuen Ernennung: Kirijenkos eigene Weltanschauung spielt überhaupt keine Rolle, denn sein eigentlicher Job wird die Vorbereitung der Wahlkampagne für Putin sein. 2 Im Jahr 2018 findet die Präsidentenwahl statt, für die Putin erneut kandidieren kann. Die Verfassung lässt eine Wiederwahl zu. Putins zweiter Turn, bei dem erneut gezählt wird, begann Weiter Muchin: Kirijenko soll das russische System lediglich korrigieren. Das heißt, einen Ausgleich schaffen zwischen dem äußersten Konservatismus und dem radikalen Liberalismus. Er soll vor allem das Image Putins verbessern wie auch das Personenkarussell der letzten Wochen. Das Gerede vom liberalen Reformer Kirijenko nennt Muchin einen liberalen Traum, der mit dem neuen Mann nicht in Erfüllung gehen werde
4 In der 44. Kalenderwoche wird Kirijenko den Aufsichtsratsvorsitz von ROSATOM übernehmen. Dadurch wird Kontinuität gesichert und deutlich, dass das politische Gewicht Kirijenkos größer ist als vermutet. Putin setzt offensichtlich großes Vertrauen in Kirijenko, der so zu einem Nomenklatur-Oligarchen wird (Andrej Kolesnikow von Carnegie Moskau). Wirtschaftsanalysen Krisenhafter Zustand der russischen Wirtschaft Die Anfang Oktober 2016 erschienene neue Ausgabe der Zeitschrift Osteuropa ist schwerpunktmäßig der russischen Wirtschaft gewidmet. In seiner langen Analyse untersucht der Direktor des Programms Wirtschaftspolitik des Carnegie-Zentrums Moskau, Andrej Mowtschan, die Lage der russischen Wirtschaft in diesem Jahr. 3 Er stellt den krisenhaften Zustand der russischen Wirtschaft fest, der folgendermaßen zusammengefasst werden kann: - Schätzungsweise 40 % der Produktionskapazitäten Russlands sind veraltet. Der Bestand an Werkzeugmaschinen ist in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Nur selten wurden die ausgesonderten Maschinen durch neue, mit höher Leistung, ersetzt. - Das Haushaltsdefizit betrug % und wird 2016 auf 5 % steigen. Bei dieser Berechnung beruft sich der Autor auf Angaben des Finanzministeriums. 4 - Russland leidet an einem großen Effizienzproblem. So benötigt das Land beispielsweise viermal so viel Energie wie Japan zur Generierung der gleichen Summe des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Anderes Beispiel: Die Kosten für den Gütertransport, die Lagerung und die Zollabfertigung sind signifikant höher als in Entwicklungsländern und sogar als in vielen entwickelten Ländern, weswegen Waren aus Russland kaum konkurrenzfähig sind. - Russland mangelt es an Arbeitskräften, deren Zahl aufgrund des Schrumpfens der Bevölkerung jährlich um ein halbes Prozent zurückgeht. - Seit 2000 ist der Kapitalexport höher als der Gewinn aus dem Export von fossilen Rohstoffen. - Der Anteil der privaten Wirtschaft am Bruttoinlandsprodukt ohne private Gesellschaften, die in Wirklichkeit vom Staat kontrolliert werden ist auf % zurückgegangen. Die private Wirtschaft erzeugt heute pro Einwohner ein BIP von weniger als $. Der Anteil der Klein- und Mittelunternehmen am BIP beträgt % (in viele Ländern aber %). - Jedes Jahr verlassen bis Hochqualifizierte und Unternehmer Russland. Das Land hat ungefähr 10 Mio. Menschen, die zur Mittelschicht gehört hätten, durch Emigration verloren (in den USA 6 Mio. der ersten und zweiten Generation, von denen sich 3 Mio. als Russen bezeichnen; in Israel 1,5 Mio.; in Großbritannien mehrere hunderttausend; in den übrigen europäischen Ländern mindestens 1 Mio.). Der gesamten Mittelschicht Russlands gehören heute nicht mehr als 10 Mio. Menschen an. 3 4 Movčan, Russlands Volkswirtschaft Fundamentaldaten einer fundamentalen Krise, in: Osteuropa, 2016, Nr. 5, S
5 - Die Bewertung des Rubels stimuliert zwar den Export, trägt aber nicht zur Wachstumsförderung bei. Denn wachsen kann nur die heimische Nachfrage, die in Rubel berechnet wird und praktisch nicht zunimmt. Für fas alle in Russland hergestellte Waren müssen Rohstoffe, Vorprodukte oder Produktionsanlagen importiert werden (je nach Ware zwischen 15 % und %). Die Abwertung des Rubels hat die Produktionskosten und die Kosten von Dienstleistungen schneller wachsen lassen als die Nachfrage. Trotzdem politische Stabilität Mowtschan geht davon aus, dass es in nächster Zeit nicht zu sozialer Instabilität kommen wird und dass die gegenwärtige Führung aus folgenden Gründen nicht gefährdet ist: 1. Die Krise ist nach einer langen Periode des Wachstums eingetreten, dessen sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bewusst ist. Ende 2015 lag das BIP pro Einwohner real auf demselben Niveau wie 2006 und die Reallöhne auf dem des Jahres Im Jahr 1999 auf dem Tiefpunkt der damaligen Wirtschaftskrise waren das BIP pro Kopf um 21 % und die Reallöhne um 40 % niedriger als 2016 gewesen. Erst wenn die Einkommen der Bevölkerung sich dem Niveau des Jahres 1999 annähern, wird die Unzufriedenheit massiv zunehmen. 2. In den Jahren waren der Wohlstandszuwachs wie auch die Stagnation und der Rückgang in den Jahren äußerst ungleich verteilt. Nur eine kleine soziale Gruppe spürte erhebliche Veränderungen. 3. In Russland gibt es keine offene Konkurrenz um die Macht, die von unabhängigen Medien begleitet und von oppositionellen Teilen der Elite finanziert und organisiert wird. 4. Ein interner Konflikt ist in kremlnahen Kreisen unwahrscheinlich. Andere Länder lehren, dass oft ein Konflikt ausbricht, wenn der Anteil der Öl- und Gasrente am BIP unter % und das BIP pro Einwohner unter $ fällt. In Russland beträgt der Rentenanteil % des BIP, pro Kopf $ (2016). 5. In Russland besteht, wo die Macht nicht institutionell verankert ist, wo keine Konkurrenz um die Macht besteht und wo Handlungen und Entscheidungen nicht kritisch hinterfragt werden, sondern die öffentliche Meinung durch Propaganda weitgehend manipuliert und durch vorgetäuschte Probleme abgelenkt wird, ein hohes Risiko für eine äußerst teure, irrationale und irreparable Entscheidung, die zu einer einschneidenden Veränderung der Situation mit äußerst negativen ökonomischen Konsequenzen führt. Eliten Der Direktor des Moskauer Zentrums zur Erforschung der postindustriellen Gesellschaft, Wladislaw Inosemzew, befasste sich in seiner Studie über die wirtschaftliche Modernisierung Russlands für das Französische Institut für internationale Beziehungen (IFRI) auch mit der russischen Elite. 5 Er kommt zu folgendem Ergebnis: 5 5
6 1. Die russische Elite ist eine rohstofforientierte Elite. 2. Sie ist sowjetunionorientiert, aber nicht ideologisch, sondern in dem Sinn, dass sie auf materielle Aktiva ausgerichtet ist, auf denen ihr Wohlstand basiert. 3. Der russische bürokratische Apparat ist so konstruiert, dass Korruption nicht sein By-product ist, sondern seine Hauptantriebskraft ist. 4. Die politische Elite ist in der Lage, die Gesellschaft zu manipulieren, da diese gespalten ist. Und die Strategie der Elite besteht darin, kollektive Aktionen der Gesellschaft zu verhindern. 5. Die Elite entstand in der letzten Dekade durch eine negative Auswahl, die Kompetenz wurde der Loyalität geopfert. Perspektive Der ehemalige Finanzminister und Stellvertretende Regierungschef Alexej Kudrin sprach am 26. Oktober 2016 auf dem Waldaj-Klub in Sotschi über Wege zur Überwindung der Wirtschaftskrise. 6 Der Klub war 2004 von Wladimir Putin als internationales Diskussionsforum gegründet worden, zu dessen jährlichen herbstlichen Sitzungen sich russische und ausländische Politiker, Wissenschaftler und Journalisten in Russland treffen. Es geht um Fragen der russischen Außen- und Innenpolitik mit jeweils wechselnden Themen, zu denen Putin spricht mit einer anschließenden Pressekonferenz. Der Vorsitzende des Zentrums für strategische Ausarbeitungen (ZSR) Alexej Kudrin, der im Frühjahr auf Vorschlag von Präsident Waldimir Putin mit der Ausarbeitung eines langfristigen Entwicklungsprogramms für Russlands beauftragt worden war, erklärte, dass eine Vertiefung der Wirtschaftskrise in Russland möglich sei, dass aber der liberale Flügel in der russischen Regierung in der Lage sei, die Folgen abzuwenden. Kudrin, der im Frühjahr zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Wirtschaftsrats beim Präsidenten ernannt worden war, vertritt den liberalen Flügel bei der Staatsmacht. Mit dem wirtschaftlichen Reformprogramm, dessen Struktur Kudrin auf der geschlossenen Sitzung vortrug, werde nach der Präsidentenwahl 2018 begonnen. Es gehe nicht um einige operative Maßnahmen, die notwendig seien, um der Krise die Schärfe zu nehmen, sondern um eine Strategie, dank derer Russland unter den neuen Bedingungen der globalen Wirtschaft stark gemacht werden kann, deren Produkte konkurrenzfähig sind und deren Erlöse die Einnahmen aus dem Rohstoffexport ersetzen werden. Neue Umfragen: Institutionenvertrauen Schattenwirtschaft Vertrauen in Institutionen Am 13. Oktober 2016 veröffentlichte das Moskauer Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum eine Meinungsumfrage, die vom 23. bis zum 26. September 2016 unter Personen über 18 Jahren in 137 Siedlungspunkten in 48 Regionen durchgeführt worden war. 7 Gefragt wurde nach dem Vertrauen in Institutionen mit folgendem Ergebnis: Präsident 74 %, Armee 60 %, Staatssicherheitsorgane 46 %, Kirche/religiöse Organisationen 43 %, Massenmedien (Presse, Radio, Fernsehen) 27 %, Regierung 26 %, Föderationsrat, Staatsanwalt
7 schaft und Polizei je 24 %, regionale Machtorgane 23 %, Staatsduma, kommunale Organe, Gerichte KMU (kleine und mittlere Unternehmen) je 22 %, Gewerkschaften und Banken je 15 %, politische Parteien 12 %, Großbusiness, Geschäfts- und Industriekreise 11 %. Im Vertrauensranking rangieren die Macht- und Sicherheitsorgane (Präsident, Armee, Sicherheitsorgane) mit 46 % bis 74 % an erster Stelle. Dann folgen schon die Kirchen mit 43 % und die Massenmedien mit 27 %. Die Justiz (Staatsanwaltschaft, Gerichte) liegt zwischen 22 % und 24 %. Den Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren (Parteien), und deren gewählter Vertretung (Staatsduma) wird nur geringes Vertrauen entgegengebracht (12 % bzw. 22 %). Am untersten Ende rangiert das große Business mit 11 %. Wenn die Umfrageergebnisse der letzten Jahre verglichen werden, fällt auf, dass das Vertrauen in die Staatsduma stark zurückgegangen ist, 8 innerhalb eines Jahres von 40 % auf 22 %. Das Rating der Regierung ist mit 26 % das niedrigste seit fünf Jahren. Das Vertrauen in die Kirche sank in vier Jahren von 50 % auf 43 %, weil sie wohl zunehmend als Teil der Machtvertikale gesehen wird. Das russische Justizministerium hatte vom 12. bis 31. August 2016 das Lewada-Zentrum außerplanmäßig überprüft. Daraufhin nahm das Ministerium das Zentrum am 5. September 2016 als 141. Organisation in das Verzeichnis derjenigen auf, welche die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen. Dem Zentrum wurde nicht die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zum Einspruch gegeben. Direkter Auslöser soll nach Meinung verschiedener russischer Experten die Ende August veröffentlichte Meinungsumfrage mit niedrigen Zustimmungswerten für die Machtpartei Einiges Russland gewesen sein. Das Zentrum hatte in seinen Finanzberichten, die regelmäßig den entsprechenden Kontroll- und Steuerbehörden vorgelegt worden waren, nie verborgen, dass es Mittel aus dem Ausland als Honorare für durchgeführte Umfragen erhält. In dem am 13. Juli 2012 novellierten NGO-Gesetz sind die Begriffe politische Tätigkeit und Finanzierung aus dem Ausland bewusst unbestimmt gehalten, so dass repressive Maßnahmen selektiv gegen jeden angewandt werden können, der irgendwelchen Gruppen, die der Staatsmacht nahestehen, unerwünscht erscheinen. Unter den erweiterten Begriff politische Tätigkeit fällt nun auch die Gestaltung und Formulierung von öffentlicher Meinung. Der als ausländischer Agent gelisteten NGO werden härtere Berichtspflichten auferlegt. Lässt sich eine NGO nicht als ausländischer Agent registrieren, drohen Sanktionen gegen die Organisation (Geldstrafen bis hin zur Auflösung) und gegen deren Leiter (Freiheitsentzug von bis zu vier Jahren). Alle Informationsmaterialen und Medien einer entsprechenden NGO müssen das Label ausländischer Agent tragen. Medien müssen in ihrer Berichterstattung über eine solche NGO immer erwähnen, dass es sich um einen ausländischen Agenten handelt. Schattenwirtschaft Am 26. Oktober 2016 veröffentlichte die Nesawissimaja gaseta ( Unabhängige Zeitung ) die Ergebnisse von Umfragen, die das Meinungsforschungsinstitut WZIOM und die Russische Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten (RANChiGS) über die Schattenwirtschaft durchgeführt haben. 9 Gegenwärtig reagieren nur 16,4 % der Bürger auf die Schattenwirtschaft negativ, 2001 waren es noch 42,2 %. In 15 Jahren unter der Präsidentschaft Putins ging die Ablehnung der Schattenwirtschaft um das Zweieinhalbfache zurück
8 Auf 64 % nahm der Anteil von Personen zu, die unter Umgehung des Staates wirtschaften. Fast ein Viertel der Bürger bekommen ihren Lohn nicht offiziell, sondern im Briefumschlag, an der Steuer vorbei. Die Schattenwirtschaft wird auf 30 % des BIP geschätzt waren mehr als ein Drittel der Beschäftigen (38,3 %) in der Schattenwirtschaft tätig. Auf die Frage, warum sie in der Schattenwirtschaft tätig sind, wurde geantwortet, dass man nicht daran glaubt, legal Geld verdienen zu können. 30 % waren der Ansicht, dass sie ihre Einkünfte und die Erhöhung ihres Lebensniveaus nicht ohne die Verletzung der Gesetze erreichen können. Je niedriger das Einkommen (52 %), umso stärker die Überzeugung, dass eine Verbesserung der Lebensbedingungen erreicht werden kann, ohne die Gesetze zu verletzen. *** Anmerkungen: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder und ist erstmalig im November 2016 im Newsletter Russland intern aktuell Nr. 90 des Deutsch-Russischen Forums Berlin erschienen. 8
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Wortformen des Deutschen nach fallender Häufigkeit:
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