ISPSW Strategy Series: Focus on Defense and International Security Putins Wiederwahl Prof. Dr. Lic. Eberhard Schneider.
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- Stanislaus Lang
- vor 6 Jahren
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1 Zusammenfassung Wladimir Putin ist am 18. zum vierten Mal zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt worden mit der höchsten Stimmenzahl und der höchsten Wahlbeteiligung, die er je erreicht hat. Nach dem Ablauf seiner neuen sechsjährigen Amtszeit muss er sich bis 2024 überlegen, welche Machtoption er dann für sich wählt. Das ISPSW Das Institut für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW) ist ein privates, überparteiliches Forschungs- und Beratungsinstitut. In einem immer komplexer werdenden internationalen Umfeld globalisierter Wirtschaftsprozesse, weltumspannender politischer, ökologischer und soziokultureller Veränderungen, die zugleich große Chancen, aber auch Risiken beinhalten, sind unternehmerische wie politische Entscheidungsträger heute mehr denn je auf den Rat hochqualifizierter Experten angewiesen. Das ISPSW bietet verschiedene Dienstleistungen einschließlich strategischer Analysen, Sicherheitsberatung, Executive Coaching und interkulturelles Führungstraining an. Die Publikationen des ISPSW umfassen ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher, sicherheits- und verteidigungspolitischer Analysen sowie Themen im Bereich internationaler Beziehungen. 1
2 Analyse Wladimir Putin ist am 18. zum vierten Mal als Präsident der Russischen Föderation mit 76,7 % wiedergewählt worden. 1 Er hatte den Wahltermin auf den 18. Mai legen lassen, denn an diesem Tag waren vor vier Jahren im Kreml feierlich die Dokumente über die Annexion der Krim unterzeichnet worden. Putin wertet die Präsidentenwahl wohl auch als ein Referendum über die damalige Entscheidung. Mit dem höchsten Wahlergebnis der bisherigen seiner vier Präsidentschaftswahlen wurde eines der vom Kreml ausgegebenen Wahlziele von 70 % Zustimmung erreicht. Zur Präsidentenwahl waren von der Zentralen Wahlkommission außer Putin noch sieben weitere Kandidaten (sieben Männer und eine Frau) zugelassen worden, bei der letzten Präsidentenwahl 2012 waren es nur fünf. Die übrigen Kandidaten erreichten folgende Ergebnisse (Aufzählung in der Rangfolge bis zu 1 %): Pawel Grudinin (für die Kommunisten) 11,8 %, Wladimir Schirinowskij (für die nationalistisch-populistische LDPR) 5,65 %, Xenia Sobtschak (Tochter von Putins Universitätsprofessor Anatolij Sobtschak und späterem Oberbürgermeister von St. Petersburg, dessen Stellvertreter Putin später zwei Jahre war) 1,68 %, Grigorij Jawlinskij (für die liberale Partei Jabloko ) 1,05 %. Das zweite Wahlziel, die Wahlbeteiligung von 70 %, wurde mit 67,47 % nur knapp verfehlt, immerhin auch die höchste, die Putin bei Präsidentschaftswahlen erreicht hat. Eine hohe Wahlbeteiligung war für den Kreml auch noch aus einem zweiten Grund wichtig, denn der Oppositionskandidat Alexej Nawalnyj hatte wegen seiner Nichtzulassung zur Wahl zu deren Boykott aufgerufen. Die Zentrale Wahlkommission hatte ihn nicht zur Wahl zugelassen, weil er vorbestraft ist. Das Gericht in der Stadt Kirow hatte ihn 2013 zu fünf Jahren Lagerhaft auf Bewährung verurteilt. Im Februar 2016 bezeichnete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Gerichtsverfahren als willkürlich und voreingenommen. Im November 2016 hob das Oberste Gericht der Russischen Föderation das Urteil des Gerichts in Kirow wieder auf und verwies es an das Gericht zur Neuverhandlung zurück. Nawalnyj war vorgeworfen worden, dass er 2009 als damaliger Berater des Gouverneurs des Gebiets Kirow den dortigen staatlichen Holzbetrieb Kirowles um 1,3 Mio. Rubel ( ) geschädigt habe. Das Gericht in Kirow stützte sich damals auf einen Hauptzeugen, den Geschäftsführer von Kirowles, der vorher die Unterschlagung von 16 Mio. Rubel gestanden hatte. Er kam mit einer Strafe von vier Jahren auf Bewährung davon, wohl als Gegenleistung für die Belastung von Nawalnyj. Im neuen Verfahren vom Februar 2017 wurde Nawalnyj nach der Neuaufnahme des Prozesses erneut zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Um eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, wurde in Einrichtungen, die vom Staat finanziert werden, Druck auf deren Mitarbeiter ausgeübt, zur Wahl zu gehen. In vielen russischen Regionen wurden am Wahltag zudem Nahrungsmittelmessen durchgeführt, auf denen die Bürger, wenn sie zur Wahl gingen, Lebensmittel zu niedrigen Preisen kaufen konnten. 2 Die Wähler konnten sich dann auch medizinischen Untersuchungen unterziehen. Junge Menschen erhielten Geschenke: Eintrittskarten für Konzerte und Kinofilme, Passhüllen, Ladegeräte für Handys. Hintergrund: Die Regionen stehen untereinander im Wettbewerb um die besten Wahlergebnisse, mit denen der Gouverneur bzw. Präsident dann glänzen und seine Kariere befördern sowie erfolgreicher um höhere finanzielle Zuschüsse aus Moskau kämpfen kann
3 Von der Zentralen Wahlkommission waren internationale Wahlbeobachter akkreditiert worden und von Bürgerkammern. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE hatte 13 Langzeit- und 420 Kurzzeitbeobachter entsandt. 3 ODIHR kommt zu dem Ergebnis, dass die Präsidentschaftswahlen gut verwaltet worden sind, aber durch Einschränkungen der Grundfreiheiten und Mangel an echter Konkurrenz gekennzeichnet waren. Bei der Zentralen Wahlkommission wurden 380 Beschwerden eingereicht und bei den unteren Wahlkommissionen 160. Mögliche nächste Schritte Nach der Vereidigung von Wladimir Putin als Präsident im Mai 2018 ist nicht nur mit einer neuen Regierung zu rechnen die Regierung muss laut Verfassungsartikel 116 vor dem neu gewählten Präsidenten ihre Vollmachten niederlegen, sondern auch mit einer neuen Konfiguration von Machtstrukturen. 4 Dabei geht es zum einen um Pläne, ein Ministerium für Staatssicherheit (MGB) zu schaffen. Ein MGB gab es schon einmal, es war kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs im März 1945 geschaffen und kurz nach Stalins Tod im März 1953 wieder aufgelöst worden. Das MGB könnte durch Zusammenlegung des Inlandsgeheimdienstes FSB, des Auslandsgeheimdienstes SWR das wäre dann wieder der KGB, den 1991 der damalige Präsident Boris Jelzin gerade in die beiden genannten Bestandteile zerlegt hatte und des Personenschutzes FSO entstehen. Das zweite Vorhaben betrifft die Schaffung eines Föderalen Ermittlungsdienstes (FSR) einer Art russischem FBI aus dem Ermittlungskomitee, der Ermittlungsverwaltung des FSB und der Ermittlungsabteilung des Innenministeriums. Veränderungserwartungen Der Leiter des Programms Innenpolitik und Politische Institutionen des Carnegie-Zentrums Moskau, Andrej Kolesnikow, und der Soziologe des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, Denis Wolkow, stellten am 14. die Ergebnisse ihres gemeinsamen Projekts Wir warten auf Veränderungen vor. 5 Sie hatten im August 2017 russlandweit quantitative Meinungsumfragen und Gruppendiskussionen durchgeführt. Die Meinung der Befragten ist gespalten: 42 % sprachen sich für entschlossene und umfassende Reformen aus, während 41 % kleine und schrittweise Veränderungen bevorzugten. Die unter 25-Jährigen traten wider Erwarten nur zu 34 % für entschiedene und weitreichende Reformen ein, 15 % wollten keinerlei Veränderungen, bei den anderen Altersgruppen nur 10 %. Fast die Hälfte der jungen Russen meinte, dass das Land nur geringe Veränderungen brauche. Die jungen Russen unterstützen die Regierung auch häufiger als die 25- bis 39-Jährigen, die bereits im Beruf stehen. Substanzielle Vorstellungen über potenzielle Reformen sind am ehesten bei den Moskauern zu finden. Ein Drittel der in Moskau Befragten (doppelt so viele wie im Durchschnitt) sehen in einer verbesserten Qualität staatlicher Dienstleistungen und in staatlicher Unterstützung für Unternehmen wichtige Reformen. Für 20 % der befragten Moskauer ist die Gewährleistung freier und fairer Wahlen ein Reformbedarf. Abweichend zur skeptischen Haltung der Moskauer Fokusgruppe kann nur das derzeitige Regime in Russland Reformen durchführen. Putin verkörpert die Hoffnungen jeder einzelnen gesellschaftlichen Gruppe, denn er ist der wichtigste Liberale, Nationalist, Imperialist und Sozialist
4 Entwicklungsoptionen Jewgenij Gontmacher, Professor am Nationalen Forschungsinstitut Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO), zeichnete am 12. drei Optionen für Putin bezüglich Russland nach der Präsidentenwahl: Schönheitsreparatur, Großeuropa und nicht-europäischer Sonderweg. 6 Die Option Schönheitsreparatur umfasst billige Kredite für Unternehmen und Steuersenkungen, Schönheitsreparaturen der Justizund der Strafverfolgungsbehörden, Einführung neuer sozialer Unterstützungsmaßnahmen. Die Option Großeuropa geht davon aus, dass Geldinjektionen in die Wirtschaft das wirtschaftliche Wachstum nicht wieder herstellen können, sondern vielmehr zum Ausbruch einer Inflation und zur Verschlechterung des Investitionsklimas führen würden. Vielmehr sollte in den nächsten Jahren mehr in Humankapital (Bildung, Gesundheit), in die Infrastruktur (Straßenbau, Kommunikation) und in die Einführung neuer Technologien (Digitalisierung, Roboterisierung u.a.) investiert werden. Darüber hinaus muss die staatliche Verwaltung grundlegend verbessert werden. Und schließlich sollten Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber Großeuropa, dessen Bestandteil Russland weiterhin bleibt, geöffnet werden. Voraussetzung für alles ist der Übergang zu echter Demokratie und der ihr eigenen politischen Konkurrenz, unabhängiger Justiz und vollwertiger kommunaler Selbstverwaltung. Diese Wende würde auch Änderungen in der Außenpolitik Russlands bewirken, hin zu einer Partnerschaft mit dem Westen auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Die Option nicht-europäischer Sonderweg geht davon aus, dass Russland eine besondere nicht-europäische Art der Zivilisation darstellt, die von einem Staatszentrismus bestimmt wird. Der Staat tritt als sakrales Wesen gegenüber dem Individuum auf, dem dieses zu dienen verpflichtet ist Nach dem Ablauf der neuen Amtszeit 2024 wird Putin 71 Jahre alt sein. Da er offensichtlich der Meinung ist, dass ohne ihn alles zusammenbricht, sind folgende Szenarien vorstellbar: 1. Putin wiederholt das Szenario von 2008: Um die Verfassung nicht zu verletzen, kandidiert Dmitrij Medwedew als Präsident, Putin wird Premier und steuert Präsident Medwedew. 2. Putin folgt dem Beispiel des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und lässt die Verfassung durch Löschung des dritten Absatzes in Artikel 81 ändern: Ein und dieselbe Person darf nicht länger als zwei Amtsperioden das Präsidentenamt hintereinander ausüben. Der Änderung der Verfassung müssen zwei Drittel der Abgeordneten der Staatsduma, drei Vierteil der Senatoren des Föderationsrats und zwei Drittel der Regionalparlamente zustimmen, was für Putin kein Problem sein dürfte, denn die Vertreter der Machtpartei Einiges Russland stellen dort überall die Mehrheit der Abgeordneten. Am Wahlabend erklärte Putin, dass er vorerst nicht vorhabe, die Verfassung zu ändern. Das chinesische Beispiel vom 25. Februar 2018 ist offensichtlich in zu frischer Erinnerung. Übrigens gratulierte der chinesische Präsident Xi Jinping Putin als erster zur Wiederwahl. 3. Putin sucht einen Nachfolger aus, entweder (a) zur Hälfte seiner sechsjährigen Amtszeit, dann würde er für die nächsten drei Jahre zur lame duck. Oder (b) am Ende seiner regulären Amtszeit, dann müsste zur Propagierung eines Nachfolgerkandidaten bei der Präsidentenwahl eine gewaltige Propagandakampagne gestartet werden
5 4. Putin zieht sich auf ein Amt zurück, von dem er alles steuern kann und in dem er sich nicht mehr regelmäßig einer Wahl stellen muss. Das könnte das Amt eines zu schaffenden Präsidenten von Einiges Russland sein, denn die Machtpartei steuert alles. Oder für Putin wird eine andere diesbezügliche Funktion ausgedacht. Für welches Szenario wird sich Putin entscheiden? *** Anmerkungen: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder. Über den Autor dieses Beitrags ist Advisory Board Member des EU-Russia Centre in Brüssel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen und Leiter der sozialwissenschaftlichen Forschung des Berliner West-Ost-Instituts. 5
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