Europas Potenzial neue Chancen für junge Menschen am Arbeitsmarkt

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1 Europas Potenzial neue Chancen für junge Menschen am Arbeitsmarkt Dienstag, um 19:10 Uhr Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, Großer Veranstaltungssaal Rue Wiertz 77, 1000 Brüssel Begrüßung Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Es gilt das gesprochene Wort.

2 1 Sehr geehrter Herr Staatssekretär Sackmann, sehr geehrter Herr Kommissar Andor, sehr geehrte Damen und Herren, Zur Veranstaltungsreihe Auch ich möchte Sie herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung begrüßen. Sie steht in einer noch jungen Tradition, die wir im vergangenen Jahr in Kooperation mit der Bayerischen Vertretung in Brüssel begonnen haben. Europa spielt eine immer wichtigere Rolle für unsere Unternehmen nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als politische Größe, die den Rahmen für wirtschaftliches Handeln setzt. Deswegen wollen wir als vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. ein Forum bieten, um die Positionen der bayerischen Wirtschaft in Brüssel zu kommunizieren und darüber mit wichtigen europäischen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen. Ein erstes Forum dieser Art haben wir im Januar vergangenen Jahres angeboten. Beim

3 2 Parlamentarischen Abend standen die Prioritäten der ungarischen Ratspräsidentschaft im Mittelpunkt mit einem speziellen Fokus auf die Donauraumstrategie. Zur arbeitsmarktpolitischen Lage in Europa, Dänemark und Deutschland Heute wollen wir diese Tradition fortsetzen und über ein Thema diskutieren, das im Programm der dänischen Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle spielt die Beschäftigungspolitik der EU- Mitgliedsstaaten. Angesichts einer derzeitigen Arbeitslosenquote in der EU von über 10 Prozent 1 ist dies auch dringend notwendig und zwar insbesondere aus zwei Gründen: Die Arbeitslosenquoten innerhalb Europas weisen ein großes Gefälle auf: Während Spanien und Griechenland als Konsequenz aus der Schuldenkrise derzeit Arbeitslosenquoten von 23,3 Prozent bzw. 19,9 Prozent haben, liegen am anderen Ende des Spektrums o Österreich mit 4 Prozent, 1 Im Januar lag die Arbeitslosenquote in der EU-27 bei 10,1 Prozent nach ILO- Definition. Alle weiteren Quoten werden zur Vergleichbarkeit auch nach dieser Definition angeführt.

4 3 o die Niederlande mit 5 Prozent o und Deutschland mit 5,8 Prozent. In diesen Ländern besteht dafür die Gefahr, dass ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dauerhaft zur Wachstumsbremse wird. In Bayern, das im vergangenen Jahr eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von deutlich unter 4 Prozent 2 hatte, hat der Fachkräftemangel einzelne Branchen und Regionen bereits erreicht. Besonders dramatisch ist jedoch das hohe Maß an Jugendarbeitslosigkeit in Europa: Mehr als jeder fünfte Jugendliche in der EU-27 ist arbeitslos 3, in Griechenland und Spanien ist es jeder zweite, in Italien, Portugal, der Slowakei und Litauen jeder Dritte. Diese Werte führen uns vor Augen, wie dringlich die Aufgabe ist, Europas Jugend besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn eine hohe Jugendarbeitslosigkeit ist eine große Tragödie, und zwar 2 Derzeit liegen keine aktuellen Berechnungen für Bayern nach ILO-Standard vor. Nach Berechnungen der Arbeitsagentur, die nicht vergleichbar sind, lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote in Bayern im Jahr 2011 bei 3,8 Prozent. 3 Stand Januar 2012: 22,4 Prozent.

5 4 wirtschaftlich, weil wir jedes Talent brauchen, um Europa in einem immer härteren globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten; gesellschaftlich, weil wir alle einen hohen Preis zahlen, wenn junge Menschen ihre Gaben und Fähigkeiten nicht einbringen können, sondern stattdessen von der Gesellschaft unterhalten werden müssen und natürlich ganz individuell, weil Arbeitslosigkeit junge Menschen stigmatisiert und demotiviert. Das Gefühl, nicht gebraucht zu sein, sollten wir jedem Jugendlichen in Europa ersparen! Wir begrüßen deswegen die Initiative Chancen für junge Menschen der EU-Kommission, über die uns EU-Kommissar Andor heute Abend informieren wird. Und wir sehen es als besonders glücklichen Zufall, dass gerade Dänemark in diesen schwierigen arbeitsmarktpolitischen Zeiten die Führung in Europa übernimmt. Denn Dänemark hat bereits Mitte der neunziger Jahre wegweisende Arbeitsmarktreformen unter dem Stichwort Flexicurity durchgeführt, die große Erfolge gezeigt haben:

6 5 Bis 2008 sank die Arbeitslosigkeit in Dänemark auf 3,6 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit sank im selben Jahr bis auf 7,6 Prozent. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die allgemeine Arbeitslosigkeit in Dänemark bis 2011 auf 7,6 Prozent zwar mehr als verdoppelt. Auch die Jugendarbeitslosigkeit in Dänemark stieg im Januar 2012 bis auf 14,6 Prozent. Dennoch lag Dänemark mit diesen Werten immer noch deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Die Reformen in Dänemark standen auch Pate für die Hartz-Reformen in Deutschland, die ähnliche positive Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt zeigten: Von 2005 bis 2011 sank die Arbeitslosigkeit in Deutschland von 11,3 Prozent auf 5,9 Prozent. Während 2005 die Jugendarbeitslosigkeit noch bei 15,5 Prozent lag, hat sie im Januar 2012 einen Wert von 7,8 Prozent erreicht.

7 6 In Bayern sank die Arbeitslosenquote von 7,0 Prozent in 2005 auf 4,4 Prozent in Für 2011 liegen uns noch keine Werte nach ILO vor. Sie dürften aber noch einmal deutlich niedriger liegen. Wie wirkungsvoll die neuen Arbeitsmarktinstrumente sind, zeigte sich besonders in der Wirtschaftskrise 2008/2009. Das German Jobwunder ist zurückzuführen auf die Fülle an betrieblichen Maßnahmen, die Beschäftigung bei massiven Auftragseinbrüchen gesichert hat. Unsere Betriebe konnten ihr Personal weitgehend halten, das dann einsatzbereit war, als die Auftragslage wieder besser wurde. Das ist auch ein Grund, weswegen Deutschland und Bayern vom wirtschaftlichen Aufschwung der letzten beiden Jahre besonders profitiert haben: Im Jahr 2010 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 3,6 Prozent, im Jahr 2011 um 3 Prozent gewachsen. Bayern war 2010 mit 3,9 Prozent Wachstum noch stärker und lag im Jahr 2011 mit 3 Prozent gleich auf.

8 7 Herausforderungen und Aktivitäten der vbw Alles in allem sehen wir uns in Deutschland und Bayern auf einem sehr guten Weg. Die größte Herausforderung, die sich uns stellt, ist der bereits erwähnte Fachkräftemangel, der demografiebedingt ist. Bereits seit 2008 befassen wir uns in der vbw mit dieser Thematik, als sonst noch niemand in Deutschland sich damit auseinandersetzen wollte. Inzwischen ist das Problem erkannt auch weil der Fachkräftemangel inzwischen in einigen Regionen und Branchen angekommen ist. In den kommenden Jahren wird die Situation noch dramatischer, wenn wir jetzt nicht gegensteuern. Laut unserer Studie Arbeitslandschaft 2030 werden uns bereits Mitte des Jahrzehnts in Deutschland fast 3 Millionen und in Bayern eine halbe Million Fachkräfte fehlen werden. Bis 2030 wird diese Lücke in Deutschland auf 5 Millionen und alleine in Bayern auf eine Million anwachsen.

9 8 Im vergangenen Jahr haben wir in Kooperation mit den bayerischen Metall- und Elektroarbeitgebern bayme vbm ein Aktionsprogramm Fachkräftesicherung aufgelegt. Denn die Metall- und Elektroindustrie ist neben der Gesundwirtschaft besonders vom Fachkräftemangel betroffen. Unser Programm benennt fünf Handlungsfelder, in denen wir dringend umsteuern müssen. Wir müssen die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmern verbessern, die Erwerbsbeteiligung insgesamt, vor allem aber von Frauen erhöhen, zu längeren Lebens- und Wochenarbeitszeiten zurückkehren, eine breit angelegte Bildungsoffensive verfolgen und unsere Zuwanderung gezielt nach den Bedürfnissen unseres Arbeitsmarktes steuern. In jedem Handlungsfeld haben wir spezifische Programme aufgelegt, in Summe mehr als 30 mit

10 9 einem derzeitigen Budget von 40 Millionen Euro. Dazu zählen auch Projekte, die Jugendliche dabei unterstützen, in den Arbeitsmarkt zu finden wie sprungbrett bayern, die größte bayernweite Praktikumsbörse, die Jugendlichen vor Ort Praktikumsplätze vermittelt oder power(me), das sich auf junge Menschen mit schlechtem Hauptschulabschluss konzentriert. Ihnen soll der Einstieg in eine qualifizierte Berufsausbildung in der Metall- und Elektroindustrie ermöglicht werden. Zudem nutzen wir in mehreren Projekten bewusst die Chancen des europäischen Binnenmarktes wie bei audit(me), in dem wir gezielt Bewerber mit im Ausland erworbenen MINT-Abschlüssen qualifizieren oder bei career international(me), eine Anwerbeplattform für die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften. Bereits über 9000 Bewerber 4 haben sich mit ihrem Profil in unserer Bewerberdatenbank registriert und 4 Stand : 9018.

11 10 interessieren sich für eine Beschäftigung in Bayern. Unser M+E-InfoTruck, der seit Jahren in Bayern Schulen besucht, wird künftig auch Schulen in der Tschechischen Republik und in Österreich anfahren, um auf Ausbildungsplätze in Bayern aufmerksam zu machen. Wir sind der Überzeugung, dass wir bei weitem noch nicht die Potenziale ausgeschöpft haben, die ein gemeinsamer europäischer Binnenmarkt auch arbeitsmarktpolitisch bietet. Der endgültige Vollzug der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in allen EU- Mitgliedsstaaten, der noch aussteht, ist ein wichtiger Schritt, dem jedoch weitere Schritte folgen müssen. Wichtig ist vor allem, dass wir dort, wo immer noch hohe Hürden für Arbeitnehmer bestehen, um von einem EU-Land in das andere zu wechseln, möglichst unbürokratische Lösungen finden. Dies gilt insbesondere für die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen, aber auch

12 11 für die Frage, wie man Sprachbarrieren effektiv abbaut. Zudem müssen wir in den Köpfen ein größeres Bewusstsein für einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt schaffen, gerade bei den Jungen, um deren Mobilität zu erhöhen. Nur dann lässt sich das Gefälle, das wir derzeit in der EU erleben hier horrende Arbeitslosenzahlen und dort Fachkräftemangel wirksam reduzieren. Wenn die Menschen dort arbeiten, wo es Arbeit gibt, dann würde Europa als Ganzes doppelt profitieren: die einen würden ihre Sozialausgaben drastisch senken können und damit ihre Haushalte konsolidieren, die anderen ihre Wachstumspotenziale ausschöpfen. Beides solide öffentliche Haushalte und solides Wachstum

13 12 brauchen wir, um aus der derzeitigen Schuldenkrise nachhaltig herauszukommen. Deswegen müssen wir alle arbeitsmarktpolitischen Potenziale ausschöpfen. Schließlich sollten wir das tun, was einige europäische Länder mit Blick auf die dänischen Arbeitsmarktreformen getan haben. Wir sollten uns alle an Best-Practice-Beispielen einzelner Mitgliedsstaaten orientieren. Denn zweifellos ist viel nationales Know-How vorhanden, von dem wir gegenseitig profitieren können. Deutschland etwa wird zu Recht für sein duales Ausbildungssystem gerühmt. Denn die Ausbildung erfolgt schwerpunktmäßig im Betrieb und damit realitätsnah, sie verbindet Theorie und Praxis auf vorbildliche Weise, sie passt sich flexible an wandelnde Arbeitsmarkterfordernisse an und sie ermöglicht den Jugendlichen einen nahezu fließenden Übergang in die Arbeitswelt. Die duale Ausbildung ist ein wichtiger Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland und

14 13 Bayern. So lag die Jugendarbeitslosenquote nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit in Bayern im Januar 2012 bei den unter 25-Jährigen bei gerade einmal 3,2 Prozent, bei den unter 20-Jährigen sogar nur bei 1,7 Prozent. Ich bin der Überzeugung, dass wir im Bereich der dualen Ausbildung einiges an Know-How anzubieten haben, von dem andere Länder lernen können. In diesem Sinne freue ich mich nun auf die Möglichkeiten, die uns der heutige Abend zum Austausch bietet.