Vorwort. Conor Woodman. Bazar statt Börse. Meine Reise zu den Wurzeln der Wirtschaft ISBN:
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- Frank Graf
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1 Vorwort Conor Woodman Bazar statt Börse Meine Reise zu den Wurzeln der Wirtschaft ISBN: Weitere Informationen oder Bestellungen unter sowie im Buchhandel. Carl Hanser Verlag, München
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6 Prolog Wenn das Gatlang-Tal in England liegen würde, hätte man es längst als landschaftlich schönes Gebiet klassifiziert, ein erfolgreicher Industrieller aus der Viktorianischen Zeit hätte über ihm ein Denkmal aus Stein errichtet und Tausende von Urlaubern würden dort jedes Jahr voller Bewunderung familienweise Wanderungen machen. Es liegt aber im Himalaja (genauer gesagt: im Norden von Nepal), und so fällt es lediglich in die Kategorie noch ein Tal und scheint völlig menschenleer zu sein. Zumindest bis auf Naygar, einen runzligen alten Mann, auf den ich durch Zufall gestoßen war. Der dortige Mönch beschäftigte ihn als Hausmeister für das Kloster, vor dem wir jetzt einträchtig zusammensaßen. Offenbar gehörte es zu Naygars beschwerlichen Pflichten, Klumpen von Yakfleisch zu trocknen, das er gefunden hatte, ein Amphetamin auf Kräuterbasis zu schnupfen, das er aus der Vegetation vor Ort hergestellt hatte, und ein wachsames Auge auf das benachbarte Tibet zu halten. Das rohe Fleisch lehnte ich dankend ab, doch das Kräuterprodukt interessierte mich. Ich hatte eine Nase voll davon genommen, einfach, um nicht un gesellig zu sein. Nun fühlte ich mich leicht berauscht. Ich lauschte dem Klang der Kuhglocken und beobachtete eine Karawane von Händlern, die in der Ferne mit ihren Yaks über die Berge zogen. Wohin bringen sie die Yaks?, fragte ich Ram, meinen Über setzer und Führer. Nach einer Diskussion mit Naygar, die fast fünf Minuten dauerte, wendete er sich wieder mir zu und antwortete schlicht: Tibet. Ich hatte geglaubt, die
7 2 Prolog Gren ze zu Tibet sei völlig abgeriegelt, um die Genehmigung zu bekommen, sie zu überqueren, müsse man sich mit einer Unmenge Papierkram herumschlagen, ohne jede Garantie, dass man sie dann tatsächlich passieren durfte. Als ich Ram darauf ansprach, folgte noch eine lange Diskussion. Dann lieferte er mir eine etwas ausführlichere Erklärung: Sie wissen nicht, dass dort eine Grenze verläuft. Sie treiben schon seit Jahrhunderten über diesen Pass Handel. Das faszinierte mich sofort. Die alten Händler transportierten Teppiche, Felle, Pelze und Gewürze auf Yaks über den Pass und trieben Handel mit Tibetern, die kostbares Salz aus dem Norden brachten. Danach kehrten sie zurück, um ihre Waren auf dem Markt auf der nepalesischen Seite mit Gewinn zu verkaufen. Wie bestimmten sie die Preise für ihre Waren? Verhandelten sie darüber oder gab es feste Preise? Wie sahen die Risiken und Gewinnspannen auf diesem Markt aus? Das sind die Fragen, die ein Ökonom sich stellt, wenn er auf menschliche Verhaltensweisen stößt, mit denen er sich nicht auskennt. Wie die Antworten auf diese Fragen lauten, kann man am besten herausfinden, indem man sich alles selbst anschaut. Ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie alle mit sofortiger Wirkung entlassen werden. Ihnen steht für jedes Jahr bei diesem Unternehmen eine Abfindung von 200 Pfund zu, aller dings nur bis zu einem Höchstbetrag von 800 Pfund. Außerdem haben Sie das Recht, ab sofort Arbeitslosenunterstützung zu beantragen. Ich hob den Blick von meinen Notizen. 20 verwirrte, wütende, verzweifelte Gesichter starrten mich fassungslos an. Ich wusste jedoch, dass ich nur das machte, was getan werden musste. Das Unternehmen, dem die meisten dieser Arbeiter den größten Teil ihres Berufslebens gewidmet hatten, warf keinen Gewinn mehr ab. Es war einfach meine Aufgabe, es zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen.
8 Prolog 3 Das war 2004, im Sommer. Ich war 30, Single, hatte eine schicke Wohnung im Zentrum von London und einen Job, bei dem ich ein Gehalt in der Höhe bekam, von der die meisten jungen Männer träumen. Leider war mein Arbeitstag aber so lang, dass es in manchen Monaten ein echtes Problem war, etwas davon auszugeben. Ich war Finanzanalytiker bei einer großen amerikanischen Firma und befasste mich gerade mit der Umstrukturierung eines Unternehmens in Nordengland, das Glas herstellte. Es war seinen Verbindlichkeiten in der letzten Zeit nicht mehr nachgekommen. Ich hatte in meinem Büro die entsprechenden Berechnungen durchgeführt das Unternehmen hatte definitiv keine wirkliche Zukunft. Mein Chef war der Ansicht, dass ich ein bisschen praktische Erfahrung brauchte, und so war ich mit einem kleinen Team losgeschickt worden, um 400 Menschen zu entlassen. Dieser Schritt war notwendig, damit das Unternehmen sein ganzes Potenzial verwirklichen konnte. Die harte wirtschaftliche Realität ließ sich nicht bestreiten, und dass diesen Leuten für ihre lebenslange Loyalität nur eine Abfindung von 800 Pfund zustand, war keine Verhandlungssache. Doch plötzlich wurde mir klar, dass ich am falschen Ort war. Wie konnte ich solche Nachrichten überbringen? Dafür hatte ich doch nicht Betriebswirtschaft studiert! Ich musste mich von diesem Job befreien, und zwar noch heute. Vorher musste ich allerdings weiteren 380 Menschen die schlechte Nachricht mitteilen. In jenem vom Zufall bestimmten Augenblick in Nepal, in dem ich versuchte, all dem zu entkommen, setzte sich die Idee in mir fest, dass die Antwort auf meine Krise zu Hause darin lag, alte Märkte zu verstehen. Wie verhalten sich die Leute in einem alten Warenmarkt im Vergleich zur unbarmherzigen Welt der Unternehmensfinanzierung? Sind sie ge nau so rücksichtslos? Was haben wir vergessen oder nie gelernt? Und,
9 4 Prolog ganz verwegen: Konnte ich die Kenntnisse, die ich mir als Ökonom und Analyst angeeignet hatte, benutzen, um im Konkurrenzkampf zu bestehen und Gewinne zu machen, oder würde ich schlicht zu weiß, zu grün oder gar zu gelb sein? Die Wirtschaftswissenschaft befasst sich mit Beziehungen und Interaktionen. Der Handel hat uns schon immer mit Menschen aus anderen Kulturen zusammengebracht. Vor Jahren gingen die frühen Händler auf Reisen, um neue Märkte für ihre Waren zu finden, und lernten dabei fremde, aufregende Kulturen kennen. Man hat oft gesagt, die Jagd nach dem Geld sei die Wurzel allen Übels. Ich sehe das ganz anders, denn ohne das Gewinnmotiv gäbe es keinen Handel, und ohne Handel wüssten wir überhaupt nichts über die Welt vor unserer Haustür. Ich konnte mir keinen besseren Weg vorstellen, um die Welt der Wirtschaft und die Menschen wirklich zu verstehen, als selbst einer jener Händler zu werden, die die Berge und damit die Grenze in der Ferne überquerten, selbst zu erleben, wie sie miteinander umgingen, und neue Beziehungen aufzubauen. Nach meiner Rückkehr begann ich, mich eingehender mit dieser Idee zu beschäftigen, und erkannte, dass es auf unserem Planeten unzählige Märkte gab, bei denen ich mitmachen konnte. Ich wollte herausfinden, ob ich anfangs nur mit wenig Geld in der Tasche um die ganze Welt reisen, mich mit einigen der gerissensten Händler messen und mit einem ordentlichen Gewinn zurückkommen konnte. Zum Glück wusste ich damals noch nicht, worauf ich mich da einließ Zu jenem Zeitpunkt wollte ich nur die Theorie testen, dass man die Menschen besser verstehen kann, wenn man Handel mit ihnen treibt, und dass das Auge eines Ökonomen ihm viel darüber verraten kann, wie die Welt funktioniert. Ich stellte mir also eine kleine Aufgabe.
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