Fallstudien in der Führungskräfteentwicklung
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- Heini Bruhn
- vor 8 Jahren
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1 Fallstudien in der Führungskräfteentwicklung Dr. Stephan Krumm (Schuh & Co.) / Dr. Wolfgang Amann (Complexity Management Academy) Fallstudien sind inzwischen nicht mehr aus der Führungskräfteentwicklung wegzudenken. Sie werden weltweit zwar unterschiedlich, dennoch auf breiter Basis eingesetzt. Durch ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bieten sie besondere Stärken, aber auch Schwächen. Wichtig ist daher, dass man sich als Executive Education Kunde in ausreichend erfahrene Hände gibt. Fallstudien in der Führungskräfteentwicklung waren ursprünglich ein rein amerikanisches Phänomen. Die Wirtschaftsfakultät in Harvard hatte diese Lern- und Lehrmethode vor über hundert Jahren schon von den Jurakollegen übernommen. Doch erst die Anglosaxonisierung der Managementausbildung mit der weltweiten Verbreitung der entsprechenden MBA-Abschlüsse und Akkreditierungen bereiteten Fallstudien auch den Weg nach Europa. Auch heute noch lesen MBA- Studenten in Harvard in ihren zwei Ausbildungsjahren Seiten an Fallstudien. Die nach dem Harvard-Modell gestaltete IESE Business School in Barcelona verlangt von ihren Kursteilnehmern sogar, dass sie Seiten gedanklich verdauen und in Kursen besprechen. Viele Einrichtungen folgten der amerikanischen Leitkultur des fallstudienbasierten Ausbildens auch von Führungskräften. Kaum eine Veranstaltung kann heute noch einzig mit Folien, Vorträgen und der sporadischen Diskussion mit Kursteilnehmern auskommen. Insbesondere für die Vermittlung von Komplexitätswissen und -fähigkeiten stellen sie ein interessantes Werkzeug dar. Fallstudie ist nicht gleich Fallstudie Fallstudien decken dabei ein sehr breites Spektrum an Formen ab. Von Minifallstudien, die kaum eine Seite lang sind, bis hin zu den über 20-seitigen Harvard-Fallstudien, die oft noch weitere zehn Seiten an angefügten Grafiken, Schaubildern und Übersichten zu Finanzzahlen haben. Manche werden entweder durch Videos ergänzt oder existieren nur als Video bzw. Beschreibungen auf PowerPoint- Folien. Tabelle 1 verdeutlicht deren unterschiedliche Schwierigkeitsstufen. Somit beschreibt ein Typ von Fallstudien die eigentliche Problematik auf der ersten Seite klar und deutlich, damit sich die Führungskräfte auf die tiefergehende Analyse und Problemlösung fokussieren können. Andere hingegen verstecken das eigentliche Problem, welches, angeleitet durch den Kursleiter, schrittweise herausgearbeitet wird. Ferner kann man sehr deskriptive und somit auch sehr leicht zu diskutierende Fallstudien von komplizierteren Fallstudienübungen unterscheiden. Letztere sind typischerweise in Simulationen eingebettet. Bei der Fallstudie Hindustan Lever Leaping a millenium Complexity Management Journal 01/2014 9
2 geht es z. B. darum, eine bahnbrechende, aber auch komplexe Innovation zur Umsatzsteigerung und gleichzeitiger Armutsbekämpfung gegenüber Anspruchsgruppen zu präsentieren und zu lernen, diese über die Zeit zielgerichtet zu optimieren. Es werden also nicht nur Analysefähigkeiten, sondern auch Umsetzungsfähigkeiten einschließlich der Kommunikation, des Verhandelns und des Managements von Komplexität angestrebt (Tab. 1). Internationale Unterschiede Über die Jahre bemerkten die Leiter von Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte, dass manche Fallstudien kulturkompatibler sind als andere. Die an sehr anglosaxonischen Institutionen geschriebenen Fallstudien müssen nicht selten zumindest in der Fallstudiendiskussion kulturell angepasst behandelt oder sogar durch lokalere ersetzt werden, da Management zumindest teilweise kulturabhängig ist. Im deutschsprachigen Raum fordern Kursteilnehmer, dass Fallstudien nicht nur Diskussionen fördern oder in Kursen nur geredet wird. Edutainment wird wichtiger, aber bitte mit viel Substanz, mit konzeptionellem Fundament. Chinesische Fallstudien, auch wenn sie in Englisch veröffentlicht werden, nehmen zudem an, dass Führungskräfte sich nicht, wie im Westen angenommen, immer rational denken und sich so verhalten. Auch dominiert in den anglosaxonischen Fallstudien oft nur der eine Held oder die eine Heldin, wohingegen in China häufig eine Gruppe von berechtigten Anspruchsgruppen mitentscheiden. Vorteile von Fallstudien Gute Fallstudien aktivieren, was eine wichtige Voraussetzung für Lernen ist. Sie bedienen dabei die unterschiedlichsten Lernstile, wie sie in Abbildung 2 dargestellt sind und mit typischen Begriffen beschrieben werden. Denn Veranstaltungen, die sich rein auf die Präsentation von Folien mit Inhalten konzentrieren, vernachlässigen viele Lerntypen. Schwierigkeitsstufe Analytische Dimension Konzeptionelle Dimension Darstellungsdimension Stufe 1 Beurteilung der Entscheidung anderer, Vorschlag von Alternativen, Entwicklung von Umsetzungsplänen Anwendung eines einzelnen Konzeptes oder einer einzelnen Theorie Korrekte Analyse eines kurzen, gut strukturierten Falles, der alle wichtigen Informationen enthält Stufe 2 Beurteilung der Probleme, Optionen, Lösungen je nach Dringlichkeit und Wichtigkeit. Vorschlag der besten Umsetzungsalternative Auswahl des richtigen Erklärungsansatzes aus mehreren Optionen unter Anleitung Korrekte Analyse eines mittelschweren, längeren Falles, der nicht sofort alle Antworten preisgibt. Zu fehlenden Informationen müssen Annahmen getroffen werden Stufe 3 Neue, eigene Interpretation von Sachverhalten und Vorgehensweisen in sehr mehrdeutigen Situationen Anwendung mehrerer Lösungsansätze und Perspektiven nach eigener Priorisierung, Einschätzung und Verteidigung der Vorgehensweise Analyse eines umfangreichen, herausfordernden Falles mit mehreren Schichten an Wahrheiten, möglichen Sichtweisen und Lösungen Tab. 1: Schwierigkeitsstufen bei Fallstudien in der Führungskräfteausbildung 10 Complexity Management Journal 01/2014
3 Sie bewirken durchaus gewollt eine Polarisierung der Meinungen, die es dann geschickt zu verteidigen gilt. Dafür müssen sie nicht nur intellektuell ansprechend sein, sondern auch emotional. Oft enthalten sie daher auch einen gewissen Zeitdruck, die tickende Uhr, die Kursteilnehmer weiter zur Lösungsfindung anstachelt. Somit bewegen sich Führungskräfteseminare mit Fallstudien rasch weg von passiven Veranstaltungen hin zu aktiven Lernerfahrungen, in welchen inhaltlich Substanz mit einem gewissen Maß an Edutainment bereichert wird. Gute Erlebnisse verstärken dabei die Lernwirkung. Es darf dabei allerdings nicht vergessen werden, dass Fallstudien nur ein Teil einer guten Seminarerfahrung sind. Es bedarf eines ausgeglichenen Behandelns von vier kritischen Phasen: Vom Lernzyklus her muss in Phase 1 eines modernen Lernmodells zunächst geklärt werden, warum ein zu behandelndes Thema und auch der Fall an sich wichtig sind. Ohne die Frage nach dem Warum lassen sich Führungskräfte kaum motivieren. In Phase 2 sollen dann die Funktionsweisen von Konzepten erklärt werden. Diese werden dann in Phase 3 anhand von Fallstudien geübt. Um Abwechslung in Seminarabläufe zu bringen, kann die Reihenfolge von Phasen 2 und 3 durchaus vertauscht werden. Auf sie folgt Phase 4 und die Erörterung sowohl des so what und des now what. Der Inspiration schließt sich somit eine notwendige Abstraktion der wichtigen Erfolgsprinzipien an. Führungskräfte müssen wichtige Erkenntnisse in ihr weiteres Denken und Wirken integrieren (Abb. 2). Nachteile von Fallstudien Wie jedes Werkzeug birgt auch die Fallstudie gewisse Risiken in sich. Am IMD beschwerte sich z. B. ein Teilnehmer, dass er die gleiche ABB Fallstudie bereits dreimal vorgesetzt bekommen hat. Was kann ein Veranstalter tun, wenn die Fallstudie, für die ein ganzer Vormittag eingeplant war, bereits bekannt ist? Was passiert in dem Fall, in dem die Teilnehmer die Fallstudie nicht gelesen haben oder das Problem überhaupt nicht begreifen 1. Der Aktivist 2. Der Nachdenker 3. Der Theoretiker 4. Der Pragmatiker differenzierend versuchend interessiert praktisch aufnahmefähig anwendbar analytisch unbefangen fühlend betrachtend denkend ausführend akzeptierend risikoreich bewertend wahrnehmend intuitiv produktiv logisch fragend abstrakt beobachtend greifbar aktiv gegenwartsbezogen reflektierend zukunftsbezogen pragmatisch erfahrungsorientiert beobachtungsorientiert vorstellungsstark experimentierfreudig intensiv zurückhaltend rational verantwortlich Abb. 2: Von Honey und Mumford vorgeschlagene Lernstile Complexity Management Journal 01/
4 oder überhaupt nicht als Problem einschätzen? In einem Kurs zu guter Corporate Governance wird z. B. oft und gerne die Boeing Fallstudie verwendet, in der ein verheirateter CEO, der für den moralischen Turnaround sorgen sollte und auch den Börsenwert um 50 % steigerte, eine Affäre hatte. War er noch tragbar? Es gibt Länder und Kulturen, in denen dies entweder als großes Problem wahrgenommen oder als Sturm im Wasserglas abgetan wird. Oder was passiert, wenn einer der Teilnehmer die Lösung kennt, diese auch gleich bekannt gibt und sich somit jede weitere Diskussion erübrigt? Was ist zu tun, wenn die Teilnehmerstimmung aufgrund eines bis dato unbekannten Faktors in eine schlechte Stimmung umschwenkt oder die Teilnehmer abgelenkt sind und somit gar keine Diskussion aufkommt? Gute Executive Education Institutionen kompensieren diese Risiken mit erfahrenen Referenten und stets neuen eigenen Fallstudien. Doch dies ist eher die Ausnahme. Auch scheuen Firmen oft davor zurück, regelmäßig neue und professionelle Fallstudien in Auftrag zu geben, obwohl sich deren Nutzen rasch bezahlt machen könnte. Die Complexity Community Wie dargestellt, bieten Fallstudien Chancen und Risiken. Was kann aber das Verstehen der eigenen Situation und die Entwicklung effektiver Komplexitätslösungen mehr beschleunigen als ein Netzwerk von Experten und Führungskräften, die ebenfalls ihre Lösungen vorantreiben müssen? Wir sind überzeugt, dass es verschiedene Netzwerk- und Austauschebenen geben muss (Abb. 3). Unsere Complexity Community genießt durch die Zusammenarbeit mit führenden Hochschulinstituten einen exklusiven Zugang zu Stateof-the-Art Forschung und Studien. Als Mitglied definieren Sie hierzu die Forschungsfragen von morgen sowie aktuelle Schlüsselthemen. Prinzipien für eine effektive Komplexitätssteuerung sowie moderne Strategien werden intensiv innerhalb der Community diskutiert. Mitglieder erkunden Best Practices und erhalten Zugang zu Executive Coaching für ihren eigenen Umsetzungsweg. Sie kennen stets die neuesten Methoden sowie Werkzeuge und sichern sich damit Anregungen für die Weiterentwicklung. General Management Top-Management Best Practice Sharing Individuelle Coachings Definition zukünftiger Themenschwerpunkte Benchlearnings Kennenlernen von Best Practice aus anderen Branchen Branchenübergreifende Studien und Forschungsprojekte Komplexitätsmanagement Methoden & Werkzeuge Pharma... Fokusgruppen Best Practice Sharing Erarbeitung individueller Lösungen Spezifische Studien und Forschungsprojekte Maschinenu. Anlagenbau Automotive Mittleres Management Abb. 3: Netzwerk- und Austauschebenen der Complexity Community 12 Complexity Management Journal 01/2014
5 Ein moderner Ansatz des Komplexitätsmanagements geht nicht mehr von einer rein objektiven Komplexität aus. Die eigene Wahrnehmung entscheidet. Fazit Fallstudien stellen eine sehr flexible Möglichkeit dar, eine moderne Führungskräfteausbildung zu unterstützen. Sie können dabei jedoch nur ein wichtiges Puzzleteil im Gesamtbild der Veranstaltung darstellen. Sie müssen der Zielgruppe entsprechend ausgewählt, in der Veranstaltung richtig positioniert und gut vorbereitet sein. Sie sind somit kein einfaches, sondern ein anders einzusetzendes Lernwerkzeug. Eine wirklich professionelle Anwendung bleibt dabei, auch heute noch trotz der immer häufigeren Verwendung, eine wahre Kunst. Literaturhinweise Adler, G.; Amann, W.: Case writing for executive education a survival guide. IAP (2011). Honey, P.; Mumford, A.: The manual of learning styles. Peter Honey Publishing (1992). Kontakt Dr. Stephan Krumm Geschäftsführender Gesellschafter Schuh & Co. GmbH Mitgründer der Academy Telefon: stephan.krumm@schuh-group.com Complexity Management Journal 01/
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