Entscheidung. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion
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- Marie Schneider
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1 Entscheidung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion Anonymisierte nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen Quelle: Bundesministerium der Justiz, Berlin 18/03/08 ENTSCHEIDUNG über die ZULÄSSIGKEIT der Individualbeschwerde Nr /03 H.-G. H. gegen Deutschland ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ZULÄSSIGKEIT DER Individualbeschwerde Nr /03 H.-G. H. gegen Deutschland Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 18. März 2008 als Kammer mit den Richtern Peer Lorenzen, Präsident, Snejana Botoucharova, Karel Jungwiert, Rait Maruste, Renate Jaeger, Mark Villiger, Isabelle Berro-Lefèvre, Richter, und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin, im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 2. Oktober 2003 eingereicht wurde, nach Beratung wie folgt entschieden:
2 SACHVERHALT 2 Der 1960 geborene Beschwerdeführer, Herr H.-G. H., ist deutscher Staatsangehöriger und in X. (Deutschland) wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wurde er von Herrn G. Rixe, Rechtsanwalt in Bielefeld, vertreten. A. Die Umstände des Falls Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen. 1. Hintergrund der Rechtssache und Verfahren betreffend die Vaterschaft a. Verhältnis zwischen den Parteien Frau S. B. lebt seit 1997 mit ihrem Partner, Herrn B., zusammen. Im März 1999 ging sie eine intime Beziehung mit dem Beschwerdeführer ein und traf sich regelmäßig mit ihm. Im August 1999 wurde sie schwanger. Laut dem Beschwerdeführer bestätigte sie ihm und ihren Verwandten, dass er der Vater des Kindes sei, traf ihn aber wegen Gesundheitsproblemen, die durch die Schwangerschaft verursacht wurden, nicht mehr so häufig. Am 17. März 2000 erkannte B. mit Zustimmung von S. B. die Vaterschaft für das ungeborene Kind (M.) an. Am 8. Mai 2000 wurde M. geboren. Bis August 2000 besuchte der Beschwerdeführer S. B. und das Kind mehrmals im Krankenhaus und in ihrer Wohnung. Am 22. August 2000 teilte das Jugendamt Wesel dem Beschwerdeführer auf dessen Ersuchen hin mit, dass B. die Vaterschaft für M. bereits anerkannt habe. Am 25. September 2000 heirateten S. B. und B.
3 3 Zwischen September 2002 und Januar 2003 sah der Beschwerdeführer M. neun Mal wieder. Der Beschwerdeführer trug vor, dass vor und nach diesem Zeitraum weitere Kontakte von S. B. bzw. B. verhindert worden seien. Am 29. April 2003 gab der Beschwerdeführer ein notarielles Vaterschaftsanerkenntnis bezüglich M. ab, obwohl der Notar ihn darüber belehrt hatte, dass ein Vaterschaftsanerkenntnis nicht gültig sei, solange ein anderer Mann der Vater des Kindes sei. b. Das Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft Am 24. Juni 2003 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Amtsgerichts Rheinberg zurück, mit dem die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass er und nicht B. der leibliche Vater von M. sei, abgewiesen worden war. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer nach 1600d Abs. 1 BGB (siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ) kein Recht auf Feststellung der Vaterschaft habe, denn nach 1592 Nr. 2 BGB sei B. der Vater von M. (siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ). Auch stehe dem Beschwerdeführer kein Recht nach 1600 Abs. 1 BGB (siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ) auf Anfechtung des von B. abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisses zu. Am 25. Juli 2003 legte der Beschwerdeführer gegen diese Entscheidungen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein (1 BvR 1548/03). Das Verfahren ist derzeit noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig. 2. Das Verfahren vor dem Amtsgericht Rheinberg Am 10. Dezember 2002 wies das Amtsgericht Rheinberg einen Antrag des Beschwerdeführers vom 14. März 2002 auf Gewährung eines 14-tägigen Umgangsrechts mit M. ab, nachdem es den Beschwerdeführer, S. B. und B. sowie einen Vertreter des Jugendamts angehört hatte. Es stellte fest, dass S. B. den Vortrag des Beschwerdeführers, wonach er der leibliche Vater von M. sei, bestreite. Dem Beschwerdeführer stehe kein Umgangsrecht nach 1684 Abs. 1 BGB (siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und
4 4 einschlägige innerstaatliche Praxis ) zu, weil er kein Elternteil im Sinne dieser Vorschrift sei. Der gesetzliche Vertreter sei der Vater des Kindes. Entgegen seinem Vortrag habe der Beschwerdeführer auch als mutmaßlicher leiblicher Vater von M. kein Umgangsrecht nach 1685 Abs. 2 BGB in analoger Auslegung (siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ). Das Umgangsrecht eines Kindes sichere dessen Interessen an der Wahrnehmung sozialer Kontakte. Der Beschwerdeführer sei für M. jedoch ein völlig unbeteiligter Dritter. Auch im Hinblick auf sein Recht auf Aufklärung seiner Abstammung diene der Umgang mit dem Beschwerdeführer dem Wohl von M. nicht. Das Amtsgericht hielt die Bestellung eines Verfahrenspflegers für M. nicht für geboten, da Rechtsfragen zwischen den Parteien im Streite stünden und sich ein Interessengegensatz zwischen M. und seinen Eltern nicht aufdränge. 3. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Am 15. September 2003 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zurück. Es stellte fest, dass dem Beschwerdeführer ein Umgangsrecht aus 1684 BGB nicht zustehe, weil gemäß 1592 ff. BGB B. der Vater von M. sei. Auch habe er kein Umgangsrecht aus 1685 BGB, weil diese Vorschrift nicht dahingehend auszulegen sei, dass sie auch den biologischen Vater eines Kindes erfasse. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. April 2003 (1 BvR 1493/96 und 1724/01; siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ) 1685 BGB für unvereinbar mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Familienleben erklärt habe, sei dieses Urteil für den Fall des Beschwerdeführers ohne Relevanz. Selbst wenn man unterstelle, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater von M. sei - was zwischen den Parteien strittig sei - habe das Bundesverfassungsgericht 1685 BGB nur insoweit für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, als die Vorschrift den Umgang zwischen einem Kind und seinem leiblichen Vater auch dann nicht gestatte, wenn zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung bestehe oder bestanden habe. Selbst wenn man
5 5 unterstelle, dass der Vortrag des Beschwerdeführers bezüglich seiner Kontakte zu M. zutreffend sei, liege eine sozial-familiäre Beziehung zwischen ihm und M. nicht vor. Eine solche soziale Beziehung entstehe, wenn ein leiblicher Vater zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen habe. Im Falle des Beschwerdeführers habe sich eine solche Beziehung nicht entwickelt, weil zwischen Mai und August 2000 nur sporadische Besuche im Krankenhaus und in der Wohnung von S. B. stattgefunden hätten. Darüber hinaus habe es danach bis September 2002 keine Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und M. gegeben. Es sei nicht erkennbar, dass die neun weiteren Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und M., die zwischen September 2002 und Januar 2003 und laut S. B, und B. teilweise ohne deren Zustimmung stattfanden, zu einer familiären Beziehung geführt hätten. 4. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Am 2. Oktober 2003 legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Er rügte, dass er durch die Ablehnung der Familiengerichte, ihm den Umgang mit M. zu gestatten und für das Kind einen Verfahrenspfleger zu bestellen, sowie durch ihre unzureichenden Nachforschungen bezüglich des tatsächlichen Verhältnisses zwischen ihm und M. in seinem Recht auf Achtung seines Familienlebens und in seinem Recht auf Gehör verletzt worden sei. Ferner werde durch die unterschiedliche Behandlung zwischen ihm und Personen, denen nach 1684 Abs. 1 und 1685 Abs. 2 BGB ein ausdrückliches Recht auf Umgang zustehe, sein Recht auf Gleichbehandlung missachtet. Am 31. August 2004 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers (1 BvR 2073/03) zur Entscheidung anzunehmen, weil die Familiengerichte sein Recht auf Familienleben nicht verletzt hätten. Es wies erneut auf seine grundlegende Entscheidung vom 9. April 2003 (1 BvR 1493/96 und 1724/01; siehe Einschlägiges innerstaatliches Recht und einschlägige innerstaatliche Praxis ) hin, in der es ausgeführt habe, dass das Recht eines leiblichen Vaters auf Achtung seines Familienlebens verletzt sei, wenn er auch dann kein Umgangsrecht habe, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestehe oder bestanden habe. Im Falle des Beschwerdeführers hätten die Familiengerichte nicht verkannt, dass das Recht auf Achtung des
6 Familienlebens auch leibliche Väter erfasse. Sie hätten jedoch festgestellt, dass zwischen dem Beschwerdeführer und M. nie eine sozial-familiäre Beziehung bestanden habe. 6 B. Das einschlägige innerstaatliche Recht und die innerstaatliche Praxis 1. Die einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs a. Bestimmungen zur Vaterschaft 1592 ff. BGB in der zum Zeitpunkte des Erlasses der familiengerichtlichen Entscheidungen geltenden Fassung enthalten Bestimmungen über die Vaterschaft. Nach 1592 BGB ist Vater eines Kindes entweder der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1) oder der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder dessen Vaterschaft nach 1600d BGB gerichtlich festgestellt ist (Nr. 3). Nach 1594 Abs. 2 BGB ist eine Anerkennung der Vaterschaft nicht wirksam, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht. Die Anerkennung der Vaterschaft bedarf der Zustimmung der Mutter ( 1595 Abs. 1 BGB). Die Vaterschaft kann angefochten werden. Nach 1600 Abs. 1 BGB sind zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt: der Mann, dessen Vaterschaft nach 1592 Nr. 1 und 2 besteht, sowie die Mutter und das Kind. Besteht keine Vaterschaft nach 1592 Nr. 1 und 2 BGB, so ist die Vaterschaft durch das Familiengericht festzustellen ( 1600d Abs. 1 BGB). Die Rechtswirkungen der Vaterschaft können, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden ( 1600d Abs. 4 BGB).
7 7 b. Bestimmungen zum Umgangsrecht Nach 1684 Abs. 1 BGB hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Nach 1685 Abs. 1 BGB haben Großeltern und Geschwister ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Dasselbe gilt für einen (früheren) Ehepartner oder Lebenspartner eines Elternteils, wenn diese Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, und für Personen, bei denen das Kind längere Zeit als Pflegekind gelebt hat ( 1685 Abs. 2 BGB). 2. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2003 Am 9. April 2003 erließ das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung zu der Rechtsstellung des (mutmaßlichen) leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters eines Kindes (1 BvR 1493/93 und 1 BvR 1724/01). Es befand insbesondere, dass weder 1684 noch 1685 BGB dahin gehend ausgelegt werden könnten, dass dem leiblichen Vater ein Umgangsrecht zustehe. Jedoch bilde auch der leibliche, aber nicht rechtliche Vater eines Kindes mit diesem eine Familie, die unter dem Schutz des Grundgesetzes stehe, wenn zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung bestehe, die darauf beruhe, dass der Vater zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen habe BGB sei mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Schutz des Familienlebens insoweit nicht vereinbar, als er den leiblichen Vater eines Kindes auch dann vom Umgang ausschließe, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestehe oder bestanden habe und dieser Umgang dem Kindeswohl diene. RÜGEN Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 8 der Konvention die Ablehnung der deutschen Gerichte, ihm den Umgang mit seinem Kind M. zu gestatten. Er brachte vor, dass er und M. eine Familie bildeten, dass er Verantwortung für M. getragen habe, so gut es ihm angesichts
8 8 der Verhinderung von Kontakten durch B. und S. B. möglich gewesen sei, und dass er auch weiterhin Verantwortung für M. tragen wolle. Der Umgang zwischen ihm und M. diene dem Wohl von M., weil er ein Recht auf Aufklärung seiner Abstammung habe. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass die innerstaatlichen Gerichte seine Verfahrensrechte aus Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 6 der Konvention verletzt hätten. Sie hätten keinen Verfahrenspfleger für das Kind bestellt, obwohl die Parteien nicht in der Lage gewesen seien, die Interessen des Kindes vollständig darzulegen; ferner hätten sie keine ausreichenden Nachforschungen über das tatsächliche Verhältnis zwischen ihm und seinem Kind angestellt. Gestützt auf Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention machte der Beschwerdeführer außerdem geltend, dass er als leiblicher Vater, dessen Vaterschaft nicht anerkannt sei, gegenüber Elternteilen diskriminiert worden sei, die in 1684 BGB genannt seien. Bei diesen Personen könne der Umgang nur ausgeschlossen werden, wenn er dem Kindeswohl widersprechen würde, während der Umgang in seinem Falle von der Intensität des tatsächlichen Verhältnisses zwischen ihm und seinem Kind abhänge und somit von den rechtlichen Eltern bestimmt werden könne. Auch sei er gegenüber Großeltern und Geschwistern diskriminiert worden, denen im Unterschied zu ihm ein Umgangsrecht aus 1685 Abs. 1 BGB zustehe, ohne dass sie beweisen müssten, dass bereits eine familiäre Beziehung zwischen ihnen und dem Kind bestehe. RECHTLICHE WÜRDIGUNG A. Rügen nach den Artikeln 8 und 6 der Konvention Der Beschwerdeführer behauptete, dass die Ablehnung der deutschen Gerichte, ihm den Umgang mit M. zu gestatten, sowie die Verfahrensführung im Umgangsverfahren sein Recht auf Achtung seines Familienlebens und seine durch Artikel 8 bzw. Artikel 6 der Konvention garantierten Verfahrensrechte verletzt hätten. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass diese Rügen allein nach Artikel 8 zu prüfen sind, der, soweit maßgeblich, lautet: (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens....
9 9 (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist... zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Der Gerichtshof muss zunächst feststellen, ob die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte das Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne von Artikel 8 missachteten. Der Gerichtshof erinnert daran, dass sich der Begriff des Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt und auch andere faktische familiäre Bindungen erfassen kann, wenn die Beteiligten in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenleben. Ein Kind, das aus einer solchen Beziehung hervorgeht, ist vom Augenblick seiner Geburt an und schon allein durch seine Geburt ipso iure Teil dieser Familien -Einheit (siehe Keegan./. Irland, Urteil vom 26. Mai 1994, Serie A Bd. 290, S , Rdnr. 44; Lebbink./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr /99, Rdnr. 35, ECHR 2004-IV; und Znamenskaya./. Russland, Individualbeschwerde Nr /01, Rdnr. 26, 2. Juni 2005). Jedoch reicht die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein - d.h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten - nicht aus, um unter den Schutz von Artikel 8 zu fallen (vgl. Lebbink, a.a.o., Rdnr. 37). In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleichkommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische familiäre Bindungen zu schaffen (siehe Kroon u.a../. die Niederlande, Urteil vom 27. Oktober 1994, Serie A Bd. 297-C, S , Rdnr. 30, und Lebbink, a.a.o., Rdnr. 36). Ferner hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter Artikel 8 fallen kann, und zwar vor allem dann, wenn der Umstand, dass das Familienleben noch nicht vollständig hergestellt war, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen war (vgl. Pini u.a../. Rumänien, Individualbeschwerden Nr /01 und 78030/01, Rdnr. 143, 146, ECHR 2004-V). Sofern es die Umstände rechtfertigen, muss sich das Familienleben insbesondere auch auf die potentielle Beziehung erstrecken, die sich zwischen einem nichtehelichen Kind und dessen leiblichem Vater entwickeln kann. Maßgebliche Kriterien, die in diesen Fällen für das tatsächliche und praktische Vorliegen enger persönlicher Bindungen maßgeblich sein können, sind unter
10 10 anderem die Art der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse an dem Kind und Bekenntnis zu ihm seitens des leiblichen Vaters sowohl vor als auch nach der Geburt (siehe Nylund./. Finnland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr /95, ECHR 1999-VI; N../. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr /99, 19. Juni 2003, und Lebbink, a.a.o., Rdnr. 36). Der Gerichtshof stellt fest, dass in der vorliegenden Rechtssache zwischen S. B. und dem Beschwerdeführer strittig ist, ob der Beschwerdeführer der leibliche Vater von M. ist. Der Beschwerdeführer konnte seine Vaterschaft bislang nicht anerkennen lassen. Er erhob Klage vor den Familiengerichten auf Feststellung seiner Vaterschaft, diese stellten aber fest, dass er nach den geltenden Bestimmungen des BGB kein Recht auf eine Vaterschaftsfeststellung habe, weil B. die Vaterschaft für M. bereits zuvor und mit Zustimmung von S. B. anerkannt habe. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen diese Entscheidungen ist derzeit noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die innerstaatlichen Gerichte in dem vorliegenden Umgangsverfahren den Antrag des Beschwerdeführers ausgehend von der Annahme geprüft haben, dass er der leibliche Vater von M. sei. Deshalb geht der Gerichtshof für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens ebenfalls davon aus, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater von M. ist. Bei der Prüfung, ob neben der angenommenen biologischen Verwandtschaft noch weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale vorliegen, die auf das Bestehen einer engen persönlichen Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und M. hindeuten, stellt der Gerichtshof fest, dass S. B. und der Beschwerdeführer nie eine faktische Familie gebildet haben, indem sie in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenlebten. Der Beschwerdeführer hatte zwar zumindest im Jahre 1999 eine intime Beziehung zu S. B., jedoch hat sie seit und auch während der Beziehung zu dem Beschwerdeführer -mit einem anderen Mann, B., zusammengelebt (vgl. dagegen Keegan, a.a.o., S. 18, Różański./. Polen, Individualbeschwerde Nr /00, Rdnr. 64, 18. Mai 2006; G../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr /01, Rdnr. 10, 35, 26. Februar 2004; N., a.a.o.; und Lebbink, a.a.o., Rdnr. 38). Somit war M. vom Augenblick seiner Geburt an Teil einer anderen Familien-Einheit. Auch mit M. lebte der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt zusammen (vgl. im Gegensatz dazu Yousef./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr /96, Rdnr. 51, ECHR 2002-VIII). Überdies stimmte S. B. der Anerkennung der Vaterschaft durch B. zu, mit dem sie über die ganzen Jahren zusammenlebte und den sie später heiratete, und sie bestritt in dem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten die Vaterschaft des Beschwerdeführers (vgl. M. B../. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde
11 11 Nr /93, Entscheidung der Kommission vom 6. April 1994, Decisions and Reports (DR) 77-A, S. 115 und Nylund, a.a.o.; vgl. dagegen Boughanemi./. Frankreich, Urteil vom 24. April 1996, Urteils- und Entscheidungssammlung 1996-II, S , Rdnr. 35). Der Gerichtshof verkennt nicht, dass die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu M. u.a. von seinem Verhältnis zur Mutter des Kindes abhängen und daher wie in anderen Fällen, die den Umgang von Vätern mit ihren Kindern betreffen in gewissem Umfang von der Mutter mitbestimmt werden können. In der vorliegenden Sache wird die familiäre Situation von M. jedoch noch stärker dadurch bestimmt, dass er von Geburt an mit seiner Mutter und seinem rechtlichen Vater, dem späteren Ehemann seiner Mutter, zusammenlebt, die sich gemeinsam um ihn kümmern bzw. gekümmert haben, er also in einem anderen und stabilen Familienverband lebt. Der Gerichtshof sieht sich demzufolge nicht einer Situation gegenüber (wie sie beispielsweise in der Sache Kroon, a.a.o., S. 58, Rdnr. 40, gegeben war), in der die Achtung des Familienlebens es verlangen würde, der biologischen und sozialen Wirklichkeit Vorrang vor einer Rechtsvermutung zu geben. Zwar kann sich auch aus anderen Faktoren als dem Zusammenleben ergeben, dass die Beziehung zwischen einem Vater und seinem Kind beständig genug ist, um als Familienleben eingestuft zu werden. Jedoch besuchte der Beschwerdeführer S. B. und M. von dessen Geburt im Mai 2000 bis August 2000 nur vier Mal im Krankenhaus und einige Male in deren Wohnung. Zwei Jahre darauf sah er M. weitere neun Mal, bis S. B. bzw. B. ab Januar 2003 weitere Kontakte verhinderten. Nach Ansicht des Gerichtshofs reicht der Umstand, dass der Beschwerdeführer M., ein kleines Kind, bzw. seine Mutter vor deren Eheschließung mit B. über einen Zeitraum von vier Monaten ein paar Mal und zwei Jahre später nochmals über einen Zeitraum von fünf Monaten besucht hat, nicht aus, um zwischen diesen Personen eine hinreichend intensive und beständige Beziehung zu begründen, die als Familienleben einzustufen wäre (vgl. im Gegensatz dazu Kroon, a.a.o., S , Rdnr. 30). Es bleibt daher noch festzustellen, ob sich der Begriff des Familienlebens unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache auf die angestrebte Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem mutmaßlichen Kind erstreckt, wenn man berücksichtigt, dass die rechtlichen Eltern des Kindes weitere Kontakte und damit die Entwicklung einer engeren Beziehung zwischen den beiden verhindert haben.
12 12 Ob in solchen Fällen in der Praxis tatsächlich enge persönliche Bindungen bestehen, hängt zum einen von dem nachweisbaren Interesse des Beschwerdeführers an M. und seinem Bekenntnis zu ihm sowohl vor als auch nach der Geburt ab. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerdeführer die Mutter und das Kind mehrmals aus eigenem Antrieb besucht hat und versucht hat, die Vaterschaft für das Kind anzuerkennen. Er versuchte, als leiblicher Vater von M. anerkannt zu werden und regelmäßigen Umgang mit ihm zu haben, indem er ein Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten anstrengte, als M. fast zwei Jahre alt war. Insgesamt muss jedoch davon ausgegangen werden, dass er ein gewisses Interesse an dem Kind gezeigt hat. Dennoch ist der Gerichtshof der Ansicht, dass es unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache zweifelhaft ist, ob die Verbindung zwischen dem Beschwerdeführer und M. eine hinreichende rechtliche und tatsächliche Grundlage hat, um als Familienleben im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 der Konvention eingestuft zu werden. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, weil die Rüge des Beschwerdeführers in jedem Fall aus den folgenden Gründen unzulässig ist. Der Gerichtshof stellt fest, dass die deutschen Gerichte den Antrag des Beschwerdeführers im Lichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts geprüft haben. Die innerstaatlichen Gerichte sind zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer durch gelegentliche Besuche in der Wohnung der rechtlichen Eltern keine hinreichenden sozialen Bindungen zu M. aufgebaut hat, die dazu führen würden, dass ein Umgang dem Kindeswohl dienen würde. Im Hinblick auf die Umstände des Falls muss davon ausgegangen werden, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidungen, mit denen der Antrag des Beschwerdeführers auf Einräumung eines Umgangsrechts abgelehnt wurde, auf zutreffende und ausreichende Gründe gestützt haben. Es bleibt noch festzustellen, ob davon ausgegangen werden kann, dass die deutschen Gerichte die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers aus Artikel 8 gewahrt haben, d.h. ob der Entscheidungsprozess fair und so gestaltet war, dass die gebührende Achtung der durch Artikel 8 geschützten Interessen sichergestellt war (vgl. G., a.a.o., Rdnr. 52; H../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr /02, Rdnr. 94, ECHR 2004-III). Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht persönlich angehört wurde und er von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seine Argumente diesem Gericht, dem Oberlandesgericht und dem Bundesverfassungsgericht
13 schriftlich vorzutragen, die ihrerseits in ihren Entscheidungen auf sein Vorbringen eingegangen sind. 13 Im Hinblick auf die Rüge des Beschwerdeführers, dass die Familiengerichte keine ausreichenden Nachforschungen über die tatsächliche Beziehung zwischen ihm und M. angestellt hätten, stellt der Gerichtshof fest, dass insbesondere das Oberlandesgericht Düsseldorf den Fall ausgehend von der Annahme geprüft hat, dass der Vortrag des Beschwerdeführers bezüglich seiner Kontakte zu M., der von S. B. teilweise bestritten wurde, zutreffend war. Soweit der Beschwerdeführer ferner rügte, die Familiengerichte hätten keinen Verfahrenspfleger für M. bestellt, waren die Familiengerichte nach ordnungsgemäßer Feststellung des Sachverhalts der Ansicht, dass die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und M. nicht stark genug sei, um eine familiäre Beziehung darzustellen, die ein Umgangsrecht verlangen würde. Unter diesen Umständen war es zum Schutz des Kindeswohls nicht geboten, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Deshalb wurden die durch Artikel 8 geschützten Interessen des Beschwerdeführers bei der von den innerstaatlichen Gerichten angewendeten Verfahrensweise insoweit gebührend geachtet. Folglich gelangt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 8 in den Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte nicht missachtet wurden. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 3 und 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist. B. Rügen nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention Der Beschwerdeführer trug vor, dass er ferner gegenüber allen Personen, denen nach 1684 Abs. 1 und 1685 Abs. 1 BGB ein Umgangsrecht eingeräumt werde, in Bezug auf sein Recht auf Umgang mit M. benachteiligt sei. Er berief sich auf Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention. Artikel 14 lautet: Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder
14 14 sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Das in Artikel 14 niedergelegte Recht, bei der Wahrnehmung der in der Konvention garantierten Rechte nicht diskriminiert zu werden, ist dann verletzt, wenn Staaten Personen in vergleichbaren Situationen unterschiedlich behandeln, ohne dafür eine objektive und vernünftige Rechtfertigung zu liefern (siehe Inze./. Österreich, Urteil vom 28. Oktober 1987, Serie A Bd. 126, S. 18, Rdnr. 41; Thlimmenos./. Griechenland [GK], Individualbeschwerde Nr /97, Rdnr. 44, ECHR 2000-IV). Der Gerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich der Beschwerdeführer als mutmaßlicher leiblicher Vater eines Kindes, mit dem er nie zusammenlebte, nicht in einer vergleichbaren Situation mit Eltern befand, deren Vaterschaft rechtlich festgestellt wurde, oder mit Personen, die lange Zeit mit dem betreffenden Kind in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt haben. Auch hat er nicht dargetan, dass Großeltern oder Geschwister in einer ähnlichen Situation, d.h. in einer Situation, in der die familiäre Beziehung zwischen den betreffenden Personen noch nicht festgelegt ist und es keine stabile Beziehung zu dem Kind gegeben hat, besser behandelt worden wären. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde ebenfalls nach Artikel 35 Abs. 3 und 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist. Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Individualbeschwerde mit Stimmenmehrheit für unzulässig. Claudia WESTERDIEK Kanzlerin Peer LORENZEN Präsident
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