Gedenkveranstaltung auf Gut Seekamp am zum 75. Jahrestag der Kinderrepublik Seekamp und des SPD Parteitages in Kiel
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- Felix Hoch
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1 Gedenkveranstaltung auf Gut Seekamp am zum 75. Jahrestag der Kinderrepublik Seekamp und des SPD Parteitages in Kiel Redebeitrag von Jürgen Weber MdL 1927 Das besondere Jahr der Kieler SPD Jubiläen und Jahrestage sind wichtige Gradmesser des historischen Selbstverständnisses und des Selbstbewußtsein von Staaten, Gesellschaften und Organisationen. Das gilt im besonderen Maße für politische Parteien. Auch wenn einzelne Daten und Ereignisse nicht die Geschichte in ihrer Struktur, in ihrem Verlauf und in ihrem Wirken wiedergeben können, so sind sie doch mehr als nur Symbole. Sie sind Eckpfeiler der Erinnerung, ohne die ein Verstehen von Traditionen, Erfahrungen und Visionen nicht möglich ist. Wir sind heute zusammengekommen, um uns an zwei wichtige und bedenkenswerte Ereignisse in der Geschichte der SPD, in der Geschichte der demokratischen Arbeiterbewegung zu erinnern. Vom Mai 1927 tagte der Parteitag der Sozialdemokratischen Parteitag Deutschland in Kiel. Das erste und bisher einzige Mal in der fast 140jährigen Geschichte der SPD Wenige Wochen später am 16.Juli begann hier auf Gut Seekamp die erste Kinderrepublik der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. Diese Organisation war 1919 nach österreichischen Vorbild im Deutschen Reich unter dem Vorsitz des sozialdemokratischen Pädagogen Kurt Löwenstein gegründet
2 worden. Über 2000 Kinder kamen nach Kiel und lebten in der kleinen Zeltstadt hier auf dem damals städtischen Gut. Ein kurzer Blick auf das Jahr 1927: Die Weimarer Republik befindet sich im Aufschwung. Die Wirtschaft beginnt sich von Krieg und Inflation zu erholen. Aber Arbeitslosigkeit und soziale Not sind weit entfernt davon, zum Randproblem zu werden. Die Demokratie hat an Stabilität gewonnen. In Berlin regiert ein bürgerlich konservatives Kabinett mit deutschnationalen Anteilen. Aber die Radikalen verlieren an Boden. Und die Sozialdemokratie holt wieder auf. Deutschland unternimmt Schritte zur besseren internationalen Reputation. Kunst und Kultur blühen auf. Aber weiterhin gehen tiefe Risse durch die Gesellschaft: Zwischen arm und reich, zwischen links und rechts. Werfen wir in diesem Umfeld einen Βlick auf die Kieler Sozialdemokratie der damaligen Zeit: Die Kieler SPD hatte etwas mehr als Mitglieder, also mehr als viermal so viel wie heute. Die Statistik der Berufszugehörigkeit der männlichen Mitglieder wies 88,4% Handarbeiter aus. Damit lag der Anteil in Kiel sogar noch über dem damaligen Reichsdurchschnitt von 73,1%.
3 Die Kieler SPD war also eine reine Arbeiterpartei. Oder mit anderen Worten: Sie war fast ohne jeden Einfluss in allen anderen gesellschaftlichen Gruppen, zumindest zahlenmäßig. Nun darf man sich nicht nur von Zahlen leiten lassen. Gerade die Kieler Arbeiterjugend stand in Kontakt und unter dem Einfluß von Intellektuellen ( wie man heute sagen würde). Fortschrittliche Wissenschaftler der Kieler Universität wie Gustav Radbruch, Hermann Heller und andere beeinflußten das Denken vieler junger Menschen in der SPD. Aus diesem Grund waren die republikanischen, humanistischen, staatsbejahenden und nationalen Elemente stärker verankert als an anderen Orten. Insgesamt ist es sicher nicht falsch zu sagen, dass die Kieler SPD im Spektrum der Partei eher dem rechten Flügel zuzuordnen war. Betrachtet man diesen Hintergrund, konnte der Parteitag 1927 eigentlich an keinem anderen Ort besser platziert sein als in Kiel. Denn auf diesem Parteitag sollte es um grundsätzliche politische Weichenstellung gehen. Und diese Weichenstellung sollte nach Auffassung des Parteivorstandes die Abkehr von eher fatalistischen und mechanischen Sozialismuserwartungen alter marxistischer Prägung sein. Auch wenn eine Kommunalpolitische Konferenz und eine Konferenz der sozialdemokratischen Frauen wichtige Bestandteile des Parteitags waren, so bleiben doch in der historischen Wahrnehmung bleiben drei Überschriften des Parteitags maßgeblich:
4 - die Auseinandersetzung mit und der Sieg über die Parteilinken - das Referat Rudolf Hilferdings über die Aufgaben der SPD in der Republik - und die Verabschiedung eines Agrarprogramms der SPD - Um es in aller Kürze zu sagen: Es setzte sich eine Politik durch, die von Fundamentalopposition in der parlamentarischen Demokratie nichts wissen wollte. Der Slogan Die Republik, das ist nicht viel - Sozialismus heißt das Ziel blieb in der SPD zwar populär. Die Republik als Plattform für den Weg zum Sozialismus zu nutzen, hieß aber die Republik und die repräsentative Demokratie grundsätzlich zu akzeptieren. Die Thesen Hilferdings, der in dem organisierten Kapitalismus Entwicklungen sah, die dem Sozialismus den Weg bereiteten, sollten die neue Politik ökonomisch untermauern. Und auch das von Fritz Baade, nach dem Krieg u.a. Kieler Bundestagsabgeordneter, entworfene Agrarprogramm sollte die SPD für neue soziale Schichten attraktiv machen. Der Parteitag 1927 war nicht nur ein politischer Meilenstein in der Geschichte der SPD. Der Kieler Parteitag zeigte die ganze Kraft, Begeisterung und Hoffnung, zu der die demokratische Arbeiterbewegung trotzt aller Schwierigkeiten in dieser Phase der Weimarer Republik in der Lage war. Und das war in der ganzen Stadt sichtbar. Überall in der Stadt, vor allem in den Arbeitervierteln war geflaggt, in schwarz-rot-gold und in rot pur. Tausende von Roten Falken empfingen die Delegierten am Kieler Hauptbahnhof. Eine große Massendemonstration am Eröffnungstag zu den Gräbern der Revolutionsopfer von 1918, ein großer Reichsbanner-Aufmarsch
5 am zweiten Tag, eine imposante Fackelkette, die die Delegierten am dritten Tag auf der Rückkehr von einem Schiffsausflug nach Eckernförde empfing. Eine Vielzahl von Veranstaltungen in Kiel und Umgebung kamen hinzu. Der Vorsitzende der SPD Otto Wels dankte den Kielern mit den Worten: Es war ein Parteitag, der in seiner Gestaltung alles übertraf, was wir jemals auf Parteitagen erlebt haben. Selbstbewusstsein und Optimismus gingen aus von Kiel. Bestätigt wurden sie ohne Frage von dem Wahlsieg im darauffolgendem Jahr, der wieder eine von der SPD geführte Reichsregierung unter Hermann Müller ermöglichte. Und bei der preußischen Landtagswahl baute die SPD in Schleswig- Holstein ihre Rolle als stärkste Partei aus. Aber und das darf nicht vergessen werden. Der Kieler Parteitag sollte auch ein Aufbruch werden, über das eigene traditionelle Arbeitermilieu hinaus, Anhang zu gewinnen. Denn der Wahlerfolg 1928 in Zahlen hieß: 29,8 % im Reich und 25,5% in Schleswig-Holstein wählten SPD. Die Parole Heran an das Volk, die durch das unbedingte Bekenntnis zur Republik und die Öffnung für eine grundsätzliche Koalitionspolitik mit nicht-proletarischen Parteien, unterfüttert wurde, war Absicht und noch nicht Realität.
6 Und man kann es Tragik oder Schwäche nennen, dass der Sozialdemokratie diese Öffnung nicht mehr gelingen konnte, weil man sie zu spät beschritt, um gewappnet zu sein gegen die ökonomischen und politischen Katastrophen, die nur wenige Jahre später den Terroristen Hitler an die Macht beförderten Die Kinderrepublik Aber zurück zur Begeisterung und zum Optimismus. Wenn es ein treffliches Symbol gibt, was den Lebens- und Gestaltungswillen der ehrlichen und demokratischen jungen Kräfte in Deutschland zum Ausdruck bringt, dann ist es die Idee und Wirklichkeit der Kinderrepublik Der Wunsch, das Netzwerk der sozialdemokratischen Organisationen quasi von der Wiege bis zur Bahre zu umspannen, führte auch in Schleswig-Holstein zur Gründung der Organisation der Kinderfreunde. Sie war ausgegangen von den Kieler Jungsozialisten, die mit einem Volksfest die Kinder in den Mittelpunkt der Maifeier 1921 stellten. Die Kinderfreundearbeit wurde von jüngeren Pädagogen, von Mitgliedern der Arbeiterjugend, Jungsozialisten, aber auch einzelnen engagierten prominenten Sozialdemokraten initiiert und getragen. Einer von ihnen war, was man in Kiel eigentlich nicht näher erläutern muss, der damalige Redakteur der Volkszeitung und Stadtverordnete Andreas Gayk. Von ihm ging auch ganz wesentlich die Schaffung der Kinderrepublik Seekamp aus, die zum Modell für viele Nachfolger in den folgenden Jahren bis 1933 werden sollte.
7 Gayk war der Organisator und der Mentor. Die Idee der Kinderrepublik umreißt er in einem Beitrag der VZ: cit Wir werden in Bildern eindrucksvoll gesehen, was in Seekamp verwirklicht wurde. Hier wurde der Versuch gemacht, eigenständige sozialistische Erziehungsideale zu formulieren und zu leben. Hier wurde Selbsttätigkeit und Anleitung als demokratische Prinzipien erprobt. Hier wurde Freizeit für Kinder organisiert, die überwiegend aus einfachen Arbeiterhaushalten kamen Hier wurde aber auch dem zeittypischen Bedürfnis nach Zusammenhalt, Sinnstiftung und Gemeinschaftserlebnis Rechnung getragen Und nicht zuletzt wurde auch politisch kalkuliert, die Kinder in eine politische, kulturelle und ideologische Gemeinschaft aufzunehmen. Die 8-10jährigen Nestfalken, die jährigen Jungfalken und die jährigen Roten Falken sollten hineinwachsen in die Arbeiterjugend, in die Arbeitersportvereine, in die Gewerkschaften und in die SPD. Und viele, vermutlich die meisten, taten es auch solange sie es noch konnten. Es ist kein übertriebenes Pathos, wen ich sage:
8 die Wirkung, der Geist von Seekamp und den nachfolgenden Kinderrepubliken war mitprägend für viele politische Lebenswege nach Lebenswege, die unserer heutigen Demokratie ihr soziales Gesicht gegeben haben.
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