Forensische Psychiatrie Rechtsgrundlagen Teil 2. pgukps Mauer, Ausbildung DPGKP
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- Katarina Geisler
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1 Forensische Psychiatrie Rechtsgrundlagen Teil 2 pgukps Mauer, Ausbildung DPGKP
2 Fahrplan Freiheitsentzug bei psychisch Kranken als Prävention oder Sanktion? Aufgaben von Unterbringungs- und Heimaufenthaltsgesetz Strafrechtliche Verurteilung vs. Maßnahmenvollzug Verfahren zur Einweisung 2
3 Verhaltensauffälligkeit / Gefahr I Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen einer psychischen Erkrankung sind rechtlich nicht weiter von Belang Tritt eine Gefahr hinzu, so ist die Anwendung einzelner (Schutz)Gesetze zu erwägen (zb UbG, HeimAufG) Bei ernster/erheblicher Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Person selbst oder anderer, die auf eine psychische Krankheit (= Symptomatik) zurückzuführen sind, sind Schutz- und Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen. Dies vordergründig ohne Freiheitsbeschränkungen und Anwendung von Zwang. Fachliche Standards der jeweiligen Berufsgruppen sind einzuhalten. Oftmals ist Kreativität gefragt. 3
4 Verhaltensauffälligkeit / Gefahr II Bei keinem ausreichenden Schutz durch die gelinderen Maßnahmen ist Steigerung der Invasivität der Schutzmaßnahme möglich. => DOKU!! Ultima ratio: Freiheitsbeschränkung nach den Vorgaben UbG/HeimAufG zulässig. Diese Aufgaben sind den Gesundheitsbehörden zuzurechnen. Sicherheit Freiheit 4
5 Gefahr I Eigen- / Fremdgefährdung Konkreter Gefahreneintritt nicht erforderlich ( 5 vor 12 ) / Prognose gerichtet auf Gesundheit / Leben Krankheiten / Organschäden hervorgerufen, bestehende Störungen verschlechtert; UbG scheitert jedoch grds. bei Gefahr von Sach-/ Vermögenswerte, öff. Ordnung (zb unsinniges, asoziales, störendes Verhalten) Qualität der Gefahr: ernstlich und erheblich 5
6 Gefahr II Ernstlichkeit der Gefahr Hohes Maß an Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintrittes gegeben; Beeinträchtigung von Leben/Gesundheit steht zumindest mittelbar bevor; Aktualität (zeitliche Komponente) Erheblichkeit der Gefahr Gefahr von gewisser Qualität Ausschluss Bagatellgefahren; Dauerhafte gesundheitliche Nachteile, kurzfristige im Ausmaß einer schweren Körperverletzung (Anlehnung an strafrechtlichen Begriff): => wichtige Organe betroffen / Folgen über 24 Tage 6
7 Gefahr III (Judikatur zum UbG) Die Ansicht, dass unter einer Gesundheitsgefährdung im Sinne des UbG nur eine Schädigung durch aktives Verhalten, nicht aber auch durch ein Unterlassen (Wegfall der Medikamenteneinnahme) zu verstehen sei, kann weder aus dem Gesetz noch seinen Materialien abgeleitet werden (OGH 7 Ob 610/91). Die Gefährdung muss eine "ernstliche" sein. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbstschädigung oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend (OGH 9 Ob 152/98p). Die Prognose muss auf objektiven und konkreten Anhaltspunkten" beruhen (OGH 4 Ob 210/09z). 7
8 Gefahr IV (Judikatur zum UbG) Die beiden Kriterien (Anm: Ernstlichkeit, Erheblichkeit) stehen in einer Wechselbeziehung: Bei besonders schwerwiegenden Folgen genügt bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit, um die Zulässigkeit der weitergehenden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit zu bejahen, und umgekehrt (OGH 4 Ob 210/09z). Die Unterbringung aufgrund einer bloßen Behandlungsbedürftigkeit" ist ebensowenig zulässig wie eine Anhaltung als Maßnahme der Fürsorge (OGH 7 Ob 610/91). "Behandlungsbedürftigkeit" sowie jener Zustand, der durch das unbehandelte Fortbestehen der psychischen Krankheit entsteht, rechtfertigen eine Unterbringung erst dann, wenn sie zu einer besonders schwerwiegenden und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit führen (OGH 2 Ob 542/92). 8
9 Gefahr V (Judikatur zum UbG) Die Gefahr, die sich aus dem infolge des krankheitsbedingten Verhaltens des Patienten befürchteten Verlust seines sozialen Umfeldes ergeben könnte (Verlust des Heimplatzes in einem Pensionistenheim bei Unterbleiben einer Heilbehandlung im Rahmen einer Unterbringung) lässt sich als bloß indirekte Folge der Krankheit nicht unter den Gefährdungsbegriff des 3 Z 1 UbG subsumieren. Es ist daher nicht möglich, einem Patienten den Verbleib innerhalb seines gewohnten sozialen Umfeldes im Wege einer im Rahmen der Unterbringung gemäß 3 UbG vorzunehmenden Behandlung zu sichern (OGH 2 Ob 573/93). Die Bestimmungen des UbG bezwecken auch die Vermeidung prognostizierbarer erheblicher Sachschäden, die Dritten im unlösbaren Konnex mit Gefahren gemäß 3 Z 1 UbG drohen (hier: Einschlagen Fensterscheibe, um Angehörigen den Schädel abzuschneiden ; OGH 1 Ob 247/98z). 9
10 Gefahr VI (Judikatur zum UbG) Ernste u. erhebliche Gefährdung bejaht bei alkoholisierter Person, die unzureichend bekleidet war und sich nächtens bei -20 Grad im Freien aufhalten wollte (UVS Steiermark, /93). Zulässigkeit einer Unterbringung verneint, wenn eine Person aufgrund von Affektausbrüchen im Zusammenhang mit Alkohol die Polizeibeamten heftig beschimpft und mit ihren Armen um sich schlägt, ohne dass diese Tätlichkeiten zu einer Verletzung führen (UVS Steiermark, /96). Keine Gefährdung isd UbG bei Beschmieren der Tür der Nachbarin infolge eines Streites. Gegenstände aus dem Fenster werfen kann erst bei Erreichen bestimmten Ausmaßes als Gefährdung isd UbG angesehen werden (Anm: ivm Fremdgefahr für Menschen; LGZ Wien, 42 R 538/05m). 10
11 Gefahr VII (Judikatur zum UbG) Keine Gefahr isd UbG bei Ablehnung einer Biopsie im Rahmen zwei diagnostizierter Knoten in der Brust bei einer psychisch erkrankten Dame (UVS Steiermark, /2009). Die Unterbringung darf nicht der Abklärung einer möglichen psychischen Krankheit dienen (ausschließlich Diagnostisches Interesse ; LG Linz, 21 R 387/14d). 11
12 Überblick UbG UbG Gilt nur in Psychiatrien! Schutz durch Anhaltungen in einem geschlossenen Bereich oder sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Grundsatz: Ausschließlich Gefahrenabwehr, nicht Erzwingung therapeutischer/ fürsorglicher Ziele! 3 UbG: In einer psychiatrischen Abteilung darf nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. 12
13 Überblick HeimAufG HeimAufG Gilt in Pflege- u. Betreuungseinrichtungen, Behinderteneinrichtungen, Krankenanstalten außerhalb von Psychiatrien und ab Juli 2018 in Kinder-/Jugendeinrichtungen Schutz durch Anwendung einer Freiheitsbeschränkung. Eine solche liegt vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. 4 HeimAufG: Eine Freiheitsbeschränkung darf nur vorgenommen werden, wenn der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. 13
14 Aus Gefahr wird Straftat Besteht jedoch nicht nur eine Gefährdung, sondern hat der psychisch Erkrankte bereits gegen ein Strafgesetz verstoßen, so sind die Strafverfolgungsbehörden (= Justiz) am Zug, und nicht mehr die Gesundheitsbehörden! Dies ist die magische Trennlinie Freiheitsentzug bei psychisch Kranken als Prävention oder Sanktion? Wie kommt es zum Start eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens? => Allgemeines Anzeigerecht ( 80 Strafprozessordnung): Wer von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt, ist zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt. 14
15 Anzeigepflicht nach 7 GuKG Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe sind verpflichtet, der Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn sich in Ausübung ihres Berufes der Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die schwere Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt wurde. Die Anzeigepflicht besteht nicht, wenn die Anzeige in den Fällen schwerer Körperverletzung eine Tätigkeit der Gesundheits- und Krankenpflege beeinträchtigte, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. In diesem Fall hat der Angehörige des Gesundheitsund Krankenpflegeberufes die betroffene Person über bestehende anerkannte Opferschutzeinrichtungen (zb Weißer Ring, Interventionsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt, Frauenhäuser, Kinderschutzzentren) zu informieren. 15
16 Ermittlungsverfahren Wird geführt von der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft Prüfen, ob gegen ein Strafdelikt verstoßen wurde. Für Strafbarkeit relevant: Begehung einer Straftat, die im Strafgesetzbuch mit Strafe bedroht ist Aber: Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. ( 4 StGB) Gibt es aufgrund einer psychischen Erkrankung Anhaltspunkte für eine Zurechnungsunfähigkeit? => 11 StGB ist zu prüfen! 11 StGB: Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft. => Kein Strafurteil möglich! Bestrafung scheitert! 16
17 Vorbeugende Maßnahme Da keine Bestrafung möglich ist, hat der Gesetzgeber hier eine zweite Spur im Strafrecht eingezogen; nämlich die mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen ( Maßnahmenvollzug ) Dient dem Schutz/der Sicherheit der Gesellschaft vor psychisch kranken Straftätern; soll auch der Behandlung des Betroffenen dienen! Alte Begrifflichkeiten werden verwendet => 21 StGB: Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher Justizminister Brandstetter hat 2017 einen Entwurf für eine Abänderung des Maßnahmenrechts ausgearbeitet. Der Entwurf soll alsbald dem Parlament zur Diskussion vorgelegt werden. => Link 17
18 21 Abs. 1 StGB Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes ( 11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Anlasstat Gefährlichkeitsprognose 18
19 21 Abs. 2 StGB Liegt eine solche Befürchtung vor, so ist in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auch einzuweisen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. In einem solchen Fall ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch überdie Strafe anzuordnen. Strafurteil (Verurteilung) Anlasstat Gefährlichkeitsprognose 19
20 21 Abs. 3 StGB Ergänzung zu Abs. 1 und 2: Als Anlasstaten im Sinne der Abs. 1 und 2 kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nicht in Betracht, es sei denn, sie wurden unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ( 89) begangen. 20
21 22 StGB Wer dem Missbrauch eines berauschenden Mittels oder Suchtmittels ergeben ist und wegen einer im Rausch oder sonst im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung begangenen strafbaren Handlung oder wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung ( 287) verurteilt wird, ist vom Gericht in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an berauschende Mittel oder Suchtmittel eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen oder doch mit Strafe bedrohte Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen werde. Von der Unterbringung ist abzusehen, wenn der Rechtsbrecher mehr als zwei Jahre in Strafhaft zu verbüßen hat, die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorliegen oder der Versuch einer Entwöhnung von vornherein aussichtslos scheint. 21
22 Vollzugsreihenfolge ( 24 StGB) Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher ist vor der Freiheitsstrafe zu vollziehen. Die Zeit der Anhaltung ist auf die Strafe anzurechnen. Wird die Unterbringung vor dem Ablauf der Strafzeit aufgehoben, so ist der Rechtsbrecher in den Strafvollzug zu überstellen, es sei denn, dass ihm der Rest der Strafe bedingt oder unbedingt erlassen wird. 22
23 Dauer ( 25 StGB) Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen. Sie sind so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert. Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher darf jedoch nicht länger als zwei Jahre dauern. Über die Aufhebung der vorbeugenden Maßnahme entscheidet das Gericht. Ob die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter noch notwendig ist, hat das Gericht von Amts wegen mindestens alljährlich zu prüfen. 23
24 Verfahren ( 429 StPO) I Liegen hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass die Voraussetzungen des 21 Abs. 1 StGB gegeben seien, so hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu stellen. Besonderheiten im Ermittlungsverfahren: Der Verteidiger ist berechtigt, zugunsten des Betroffenen ( 48 Abs. 2) auch gegen dessen Willen Anträge zu stellen. Der Betroffene ist mindestens durch einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie zu untersuchen. Von Vernehmungen des Betroffenen ist abzusehen, soweit sie wegen seines Zustandes nicht oder nur unter erheblicher Gefährdung seiner Gesundheit möglich sind. 24
25 Verfahren ( 429 StPO) II U-Haft Liegt einer der im 173 Abs. 2 und 6 angeführten Haftgründe vor, kann der Betroffene nicht ohne Gefahr für sich oder andere auf freiem Fuß bleiben oder ist seine ärztliche Beobachtung erforderlich, so ist seine vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder seine Einweisung in eine öffentliche Krankenanstalt für Geisteskrankheiten anzuordnen. Diese Krankenanstalten sind verpflichtet, den Betroffenen aufzunehmen und für die erforderliche Sicherung seiner Person zu sorgen. 25
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