NEWSBOX Wirtschafts- und Steuerrecht Ausgabe 101, Datum
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- Leander Knopp
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1 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, Osterholz-Scharmbeck Tel Fax Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsvertrag; Tarifvertrag; Mindestlohn; Anrechnung Sonderleistungen Abstrakt Die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen bestimmt sich - soweit kein höherer tariflicher oder vertraglicher Vergütungsanspruch besteht - nach 2 EFZG ivm. 1 MiLoG. Sieht ein Tarifvertrag einen Nachtarbeitszuschlag vor, der auf den tatsächlichen Stundenverdienst zu zahlen ist, ist auch dieser mindestens aus dem gesetzlichen Mindestlohn zu berechnen. 101/2017 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Seite 1
2 I. Einleitung Zum wurde durch das Mindestlohngesetz ein allgemeinverbindlicher, flächendeckender und unabdingbarer Mindestlohn in Deutschland eingeführt. Ziel des Gesetzes sollte es sein, Lohndumping zu unterbinden und Arbeitnehmern auch in den Branchen und Berufen eine Lohnuntergrenze zu geben, in welchen am Arbeitsmarkt bisher (deutlich) niedrigere Vergütungen verbreitet waren. Mit der Einführung des Mindestlohnes waren Arbeitgeber daher gesetzlich gezwungen, trotz niedrigerer vertraglicher Stundenlöhne den Mindestlohn zu zahlen. Vor diesem Hintergrund suchen Arbeitgeber nach Gestaltungsmöglichkeiten, sämtliche Lohnbestandteile zu kumulieren und in den Stundenlohn einzurechnen, um den Mindestlohn je Stunde zu erreichen. Nachfolgend wird zu klären sein, ob derartige Verrechnungen zulässig sind. II. Sachstand Der gesetzliche Mindestlohn gilt flächendeckend und ist unabdingbar. Ist ein geringerer Stundenlohn als der Mindestlohn vereinbart, muss jedenfalls der Mindestlohn gezahlt werden. Das regelt 1 Abs. 1 MiLoG. Dieser hat den folgenden Wortlaut: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Nach 3 MiLoG ist der Mindestlohn auch unabdingbar. Die Norm lautet: Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen. Fraglich ist indes, ob Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder Nachtarbeitszuschlag sich auf den Mindestlohn auswirken. Auch ist zu fragen, ob die Entgeltfortzahlung im Feiertagsfall auf Basis des Mindestlohn oder eines geringeren Vertragslohns zu erfolgen hat. 101/2017 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Seite 2
3 III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September AZR 171/16) hatte vor dem Hintergrund dieser Regelungen über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Montagekraft beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gilt der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Nachtzuschlag von 25% und auf Urlaubsentgelt in Höhe des 1,5fachen des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes. Die Parteien streiten über restliche Vergütung für den Monat Januar Für diesen Monat zahlte die Beklagte der Klägerin den vertraglich vereinbarten Stundenverdienst von 7,00 Euro bzw. 7,15 Euro. Darüber hinaus wurde eine Zulage nach MiLoG bis zur Mindestlohnhöhe von seinerzeit 8,50 Euro gezahlt. Außerdem hat die Klägerin die Zuschläge für Feiertags- und Nachtarbeit sowie Urlaubsentgelt nebst Urlaubsgeld für einen im Januar genommenen Urlaubstag erhalten. Die Berechnung dieser Positionen ist dabei nicht auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns, sondern nach der vorgenannten vertraglichen Stundenvergütung erfolgt. Das gezahlte Urlaubsgeld wurde zudem vollständig auf Mindestlohnansprüche der Klägerin angerechnet. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Mindestlohn die Berechnungsgröße für die Zahlungen sein müsse. Sie verlangt daher eine Vergütung aller im Januar 2015 abgerechneten Arbeits-, Urlaubs- und Feiertagsstunden mit 8,50 Euro brutto und meint, auch der Nachtarbeitszuschlag sei auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen. Die Vorinstanzen haben antragsgemäß entschieden (Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar Sa 375/15.) Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des LAG bestätigt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September AZR 171/16). Der zehnte Senat stellte zur Begründung auf den Sinn und Zweck des Mindestlohngesetzes ab, welcher auf die Unabdingbarkeit des Mindestlohnes gerichtet sei. Das MiLoG stelle zwar direkt nur auf Ansprüche für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden ab. Der gesetzliche Mindestlohn sei jedoch unabdingbar und müsse deshalb die Berechnungsgrundlage für die hier im Streit stehenden weiteren Vergütungsbestandteile sein. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die jeweiligen Zahlungen direkt der Zahlung geleisteter Arbeit dienen. Dies sei hier nicht der Fall, da der Tarifvertrag insoweit eigene zusätzliche Ansprüche begründe. Hinsichtlich der im Streit stehenden Entgeltfortzahlung wegen des Feiertages folge die Berechnungsgrundlage aus dem Entgeltausfallprinzip. Nach 2 Abs. 1 EFZG habe der Arbeitgeber die aufgrund eines gesetzlichen Feiertags ausgefallene Arbeitszeit in der Höhe zu vergüten, die der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Dies gelte auch für den gesetzlichen Mindestlohn, der aufgrund seiner unabdingbaren und flächendeckenden Geltung anstelle der niedrigeren vertraglichen Vergütung trete. Ein Rückgriff des Arbeitgebers auf eine vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung scheide aus den gleichen Gründen aus. 101/2017 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Seite 3
4 Der tarifliche Nachtarbeitszuschlag und das tarifliche Urlaubsentgelt müssten nach den Bestimmungen des anwendbaren MTV ebenfalls mindestens auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns berechnet werden, da dieser Teil des tatsächlichen Stundenverdienstes im Sinne des MTV sei. Eine Anrechnung des gezahlten Urlaubsgeldes auf Ansprüche nach dem MiLoG könne deshalb gleichfalls nicht erfolgen. Der Tarifvertrag gebe auf diesen Entgeltbestandteil einen eigenständigen Anspruch, der folglich nicht als Entgelt für die geleistete Arbeit entstehe, so dass dieser zusätzlich zum gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen sei. IV. Fazit Das Urteil führt eine weitere Klärung im Umgang mit dem Mindestlohn herbei und setzt die bisherige Rechtsprechung zu diesem Themenkreis konsequent fort. Seit der Einführung des allgemeinen und flächendeckenden Mindestlohns zum hat das Bundesarbeitsgericht bereits mehrere Gelegenheiten erhalten, die Unabdingbarkeit der gesetzlichen Lohnuntergrenze von seinerzeit 8,50 Euro und nunmehr 8,84 Euro zu unterstreichen. Eine Verrechnung sonstiger Entgeltbestandteile mit dem Mindestlohn ist danach grundsätzlich ausgeschlossen. Sie kann nur dann vorgenommen werden, wenn die Vergütungsbestandteile als Gegenleistung für geleistete Arbeit gezahlt werden (BAG, Urteil vom 25. Mai AZR 135/16, Umlage von Jahressonderzahlungen in monatliche Zahlungen). Auch eine faktische Reduzierung des Mindestlohnes durch Nettoabzüge wurde durch das BAG beanstandet (BAG, Urteil vom 14. Juni AZR 181/15, Kosten für Hygienekleidung). Vor diesem Hintergrund ist auch die vorliegende Entscheidung zu betrachten. Ausgehend von der gesetzgeberischen Grundentscheidung zu einer Unabdingbarkeit des Mindestlohnes ist auch mindestens dieser zum Ausgangspunkt für die Berechnung von weiteren Vergütungsbestandteilen heranzuziehen, die ihrerseits auf den Stundenlohn abstellen. Der Mindestlohn ersetzt auch insoweit den niedrigen Vertragslohn. Seit der Einführung des Mindestlohnes sind fast drei Jahre vergangen. Die Tarif- und Vertragspraxis hat sich inzwischen darauf eingestellt. Auch das vorliegende Urteil entstammt der Zeit, in welcher aus dem vertraglichen Bestand heraus der Mindestlohn umgesetzt werden musste. Für Arbeitgeber dürfte inzwischen Klarheit darüber bestehen, wie mit dem Mindestlohn umzugehen ist. Soweit vor 2015 neben dem Stundenlohn vorhandene Anspruchsgrundlagen auf zusätzliche Vergütungsbestandteile (z.b. Sonderzahlungen oder Zuschläge) vereinbart waren oder aus dem Gesetz (Nachtarbeit) folgten, tritt der Mindestlohn an die Stelle des niedrigeren Stundenlohnes. Eine Umwandlung dieser zusätzlichen Ansprüche hin zu Entgeltbestandteilen, die die Arbeitsleistung abgelten, ist nur in den rechtlichen Grenzen möglich, die für die jeweilige Regelungsebene einschlägig sind. Soll etwa ein Arbeitsvertrag hinsichtlich einer Sonderzahlung geändert werden, bedarf es hierfür einer einvernehmlichen Regelung oder einer Änderungskündigung. 101/2017 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Seite 4
5 Anders liegen die Dinge beim Abschluss neuer Arbeitsverträge. Soweit nicht tarifliche oder gesetzliche Vorgaben bestehen, hat der Arbeitgeber es in der Hand, die Vergütung unter Berücksichtigung der vorgenannten Anforderungen zu gestalten. Die Grenze hierfür setzt nur der Mindestlohn als solcher. 101/2017 Mindestlohn ist unterste Bezugsgröße für Entgeltfortzahlung und Nachtarbeitszuschlag Seite 5
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