NEWSBOX Wirtschafts- und Steuerrecht Ausgabe 129, Datum
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1 Hinausschieben des Vertragsendes bei vereinbarter Beendigung durch Erreichen der Regelaltersgrenze Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, Osterholz-Scharmbeck Tel Fax Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsvertrag; Tarifvertrag; Beendigung; Regelaltersgrenze; Entfristungsklage Abstrakt Die Arbeitsvertragsparteien können im Falle der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze den Beendigungszeitpunkt durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses nach 41 Satz 3 SGB VI hinausschieben. 41 S. 3 SGB VI ist mit höherrangigem Recht vereinbar und ermöglicht daher die vorgenannte Vertragsverlängerung. Seite 1
2 I. Einleitung In wesentlichen Teilen der deutschen Wirtschaft fehlt es an geeigneten Fachkräften. Arbeitgeber haben daher vielfach ein Interesse daran, dass langjährige und gut ausgebildete Arbeitnehmer über das Rentenalter hinaus für das Unternehmen tätig sind. Auch manche Arbeitnehmer wollen gerne noch länger arbeiten. Die Verlängerung bestehender Arbeitsverhältnisse muss aber gleichzeitig planbar bleiben. Es soll deshalb ein konkretes Ende vereinbart werden. Dies kann einige Monate oder auch Jahre nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze liegen. Damit dies rechtssicher erfolgen kann, benötigt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund für eine derartige Befristung des Arbeitsverhältnisses. II. Sachstand Will ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis befristen, benötigt er nach 14 I TzBfG einen sachlichen Grund. In Ergänzung zu dieser Regelung besteht zudem die Möglichkeit, gemäß 41 S. 3 SGB VI den bereits vereinbarten Beendigungszeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze hinauszuschieben. 14 I TzBfG Zulässigkeit der Befristung Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn 1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht, 2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern, 3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,, 4. die die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt, 5. die Befristung zur Erprobung erfolgt, 6. Differenzierungen in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen, 7. Differenzierungen der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder, 8. die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht. Seite 2
3 41 SGB VI Altersrente und Kündigungsschutz Der Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen Alters ist nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, gilt dem Arbeitnehmer gegenüber als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen, es sei denn, dass die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt bestätigt worden ist. Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben. Fraglich ist, ob danach Altersabstandsklauseln zulässig sind. III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 19. Dezember AZR 70/17) hatte vor dem Hintergrund dieser Regelungen über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Die Parteien streiten über die Entfristung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer war bei dem beklagten Land langjährig als Lehrer mit einem Unterrichtsdeputat von 23 Wochenstunden beschäftigt. Durch den Arbeitsvertrag wurde der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in Bezug genommen. Der Tarifvertrag sah in 44 Nr. 4 TV-L vor, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Erreichens der Regelaltersgrenze am 31. Januar 2015 enden würde. Noch im Januar 2015 haben die Parteien das Ende für das Arbeitsverhältnis dahingehend hinausgeschoben, dass der als Beendigungsdatum vereinbart wurde. Später wurde dann die Wochenarbeitszeit des Klägers verändert. Zunächst hat der Arbeitgeber im Februar 2015 die widerrufliche Verpflichtung zu Mehrarbeit angeordnet. Im März 2015 wurde die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit des Klägers mit Wirkung vom 1. Februar 2015 dauerhaft erhöht. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der vereinbarten Befristung am 31. Juli 2015 geendet hat. Er ist der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis nicht wirksam befristet worden sei. Durch 41 S. 3 SGB VI wäre nur eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses möglich gewesen. Durch die spätere Veränderung der Stundenzahl sei jedoch eine Veränderung des materiellen Gehalts des Arbeitsverhältnisses eingetreten. Ausserdem sei 41 S. 3 SGB VI europarechtswidrig und dürfe daher gar nicht angewendet werden. Seite 3
4 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. November Sa 218/16). Das Arbeitsverhältnis sei wirksam befristet worden. Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil bestätigt, da die Befristung des Arbeitsvertrags wirksam vereinbart worden sei. Zunächst hat der siebte Senat klargestellt, dass die Regelung des 41 Satz 3 SGB VI sowohl den verfassungsrechtlichen, als auch den europarechtlichen Vorgaben genüge. In Bezug auf die Vereinbarkeit mit dem Europarechts konnte das BAG sich auf eine bereits ergangene Entscheidung des EuGH beziehen, welcher bereits entsprechend erkannt hatte (EuGH, Urteil vom 28. Februar C-46/17). Darüber hinaus gehende Anforderungen aus dem deutschen Verfassungsrecht seien nicht erkennbar. Die gegenständliche Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2015 sei zudem nach 41 Satz 3 SGB VI gerechtfertigt, da im laufenden Arbeitsverhältnis der tarifvertragliche Beendigungszeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze hinausgeschoben worden sei. Nicht entscheidungserheblich sei die Frage gewesen, ob eine Hinausschiebensvereinbarung nach 41 Satz 3 SGB VI voraussetzt, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses unter Beibehaltung der übrigen Vertragsbedingungen geändert wird. Vorliegend sei mit der Vereinbarung vom Januar 2015 nur der Beendigungszeitpunkt hinausgeschoben worden. Die Arbeitszeiterhöhung sei erst sechs Wochen später und damit nicht im Zusammenhang mit der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts vereinbart worden. IV. Fazit Der materielle Gehalt der Entscheidung ist übersichtlich. Das BAG hat klargestellt, dass die Regelung des 41 S. 3 SGB VI mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Diese Feststellung kann indes kaum überraschen, da der EuGH sich bereits zuvor in genau dieser Weise geäußert hatte. Auch die richterliche Bestätigung der tatbestandlichen Voraussetzung der Norm lag auf der Hand. Voraussetzung für das Hinausschieben des Vertragsendes ist einzig, dass zwischen den Parteien eine Regelung vereinbart ist, die das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze beendet. Eine solche Regelung kann sowohl individual- als auch kollektivrechtlich bestehen. Der für die Betriebspraxis wesentliche Punkt in der vorliegenden Entscheidung ist der Teil, der leider offenbleiben musste. So konnte unentschieden bleiben, ob eine Hinausschiebensvereinbarung voraussetzt, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses geändert wird oder gleichzeitig auch eine materielle Veränderung des Vertragsinhaltes erfolgen darf. Im konkreten Fall wurde noch im Januar die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, die Veränderung hinsichtlich der Stundenzahl jedoch erst im März vereinbart. Der zeitliche Abstand war damit so evident, dass sich die Frage einer einheitlichen Hinausschiebens- und Veränderungshandlung nicht gestellt hat. Seite 4
5 Damit bleibt für die Vertragspraxis weiter ungeklärt, ob für 41 S. 3 SGB VI die gleiche Veränderungsfeindlichkeit gilt wie dies für 14 II S. 1 TzBfG der Fall ist. Eine vergleichende Betrachtung drängt sich jedoch auf. Nach 14 II S. 1 TzBfG ist für die sachgrundlose Befristung eine dreimalige Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zur Höchstdauer von zwei Jahren zulässig. Der Begriff der Verlängerung ist dabei wörtlich zu nehmen. Eine Veränderung des materiellen Gehaltes des Arbeitsverhältnisses soll gerade nicht ermöglicht werden. Eine solche Veränderung würde die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses beinhalten, welches wegen des Vorbeschäftigungsverbotes nach 14 S. 2 TzBfG unzulässig ist (grundlegend bereits BAG, Urteil vom 23. August AZR 12/06). Der Wortlaut der Norm ist folglich eng auszulegen. Genau das Wortlautargument spricht auch für eine vergleichbar strenge Auslegung des 41 S. 3 SGB VI: Danach ist es nur zulässig, den Beendigungszeitpunkt während des laufenden Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben. Die Vertragsparteien sollen folglich lediglich den bereits bestehenden Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze durch einen späteren Beendigungszeitpunkt ersetzen. Der Gesetzeszweck stützt das Wortlautargument. Der Gesetzgeber hat durch 41 S. 3 SGB VI die Möglichkeit eröffnet, bestehende Arbeitsverhältnisse über die Regelaltersgrenze hinaus fortzusetzen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass sich aus den bisherigen Regelbeispielen des 14 I S. 2 TzBfG keine Sachgrundbefristungsmöglichkeit für sich betrachtet ergab (siehe zuletzt BAG, Urteil vom , 7 AZR 17/13). Auch der Sinn und Zweck der Norm ist daher auf die bloße Verlängerung, nicht jedoch die Veränderung des Arbeitsvertrages gerichtet. Für die Vertragspraxis bedeutet das vorliegende Urteil daher nur eine begrenzte Rechtssicherheit. Zwar kann nach 41 S. 3 SGB VI wirksam das Beendigungsdatum hinausgeschoben werden, wenn zuvor eine Vereinbarung über das Ende des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze getroffen wurde. Ob im Zuge der Verlängerung auch eine Veränderung des Vertragsinhaltes vorgenommen werden kann, ist indes weiter unklar. Dem Vorsichtsprinzip folgend sollte deswegen eine angedachte Veränderung im materiellen Gehalt des Arbeitsverhältnisses von der Verlängerungsvereinbarung des 41 S. 3 SGB VI zeitlich entkoppelt werden. Dass dies zulässig ist, hat das vorliegende Urteil gleichfalls bestätigt. Da es an einer gesetzlichen Regelung zur erforderlichen Länge der zeitlichen Entzerrung fehlt, sollten beide Vereinbarungen mindestens in unterschiedliche Abrechnungszeiträume fallen. Dadurch dürfte sicher ausgeschlossen werden, dass zu einem späteren Zeitpunkt arbeitsgerichtlich von einer Verknüpfung der Verlängerungs- mit der Veränderungshandlung ausgegangen werden kann. Die noch unentschiedene Streitfrage kann mit diesem Vorgehen bereits präventiv arbeitgeberseitig entschärft werden. Seite 5
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