Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum EG- Recht und Vergleich mit den Ansätzen des polnischen Verfassungsgerichtshofs
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1 Sven Höbel Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum EG- Recht und Vergleich mit den Ansätzen des polnischen Verfassungsgerichtshofs 1. Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht a) Geltungsvorrang gegen Verfassungsvorrang Damit die Europäische Gemeinschaft eine funktionierende Rechtsgemeinschaft sein kann, muss die Geltung des Gemeinschaftsrechts im Gebiet seiner Gültigkeit einheitlich sein 1. Eine Rechtsgemeinschaft ist außerdem nur möglich, wenn das nationale Recht hinter das Gemeinschaftsrecht zurücktritt 2. Nach Ansicht des EuGH muss dieser Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch vor nationalem Verfassungsrecht gelten 3. Allerdings gibt es, wie oben gezeigt, verfassungsrechtliche Grenzen zur Übertragung von Kompetenzen aus dem Hoheitsbereich an die rechtsetzenden Organe der Europäischen Gemeinschaften, deren Gesetzgebung dann wieder über dem nationalen Verfassungsrecht stehen soll. Diese gegenseitige Verschränkung 4 ist ein fundamentales dogmatisches Problem 5, welches einer Lösung durch die Rechtsprechung der nationalen Verfassungsgerichte sowie des EuGH bedarf. aa) Aussagen des BVerfG Nach Auffassung des BVerfG ist das Gemeinschaftsrecht weder Bestandteil des nationalen Rechts noch Völkerrecht, sondern eine eigene 1 Vgl. EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 Costa./. E.N.E.L.. 2 Vgl. Hirsch, NJW 1996, 2457 (2458). 3 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269) Costa./. E.N.E.L.. 4 Hirsch, NJW 1996, 2457 (2458). 5 Vgl. Nicolaysen in: Europarecht 1991, Beiheft 1, S. 10.
2 Rechtsordnung, die aus einer autonomen Rechtsquelle fließt 6. Es betrachtet schon seit 1974 neben den durch Art. 79 Abs. 3 GG verbürgten Verfassungsprinzipien den Grundrechtsteil des Grundgesetzes als ein zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale, den zu relativieren nicht vorbehaltlos durch die verfassungsrechtliche Übertragungsbefugnis gestattet ist 7. Diese Prinzipien wurden durch die Verfassungsänderung vom zu einer geschriebenen verfassungsgebotenen Voraussetzung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Das BVerfG definiert ferner eine Anwendungsschranke für das Gemeinschaftsrecht aus dem Art. 38 GG. In seinem Maastricht-Urteil verlangt es zur Geltungserhaltung des Demokratieprinzips eine hinreichende Bestimmbarkeit der die Rechtsordnung für Gemeinschaftsrecht öffnenden Gesetze 9 und verdeutlicht, dass spätere wesentliche Änderungen des im EU-Vertrag angelegten Integrationsprogrammes nicht mehr vom Zustimmungsgesetz des Vertrages gedeckt seien, und dass sich auf Rechtsakte europäischer Einrichtungen und Organe, sofern sie sich aus den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte entfernen, auch nicht der Anwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes erstrecke 10. Würden europäische Einrichtungen außerhalb der ihnen durch ein Zustimmungsgesetz übertragenen Kompetenzen (ultra vires) handeln, so wären deutsche Staatsorgane gehindert, die entsprechenden Rechtsakte in Deutschland anzuwenden 11. bb) Aussagen des Trybunal Konstytucyjny Das polnische Verfassungsgericht betrachtet das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht als zwei relativ autonome, aber in Wechselwirkungsverhältnis stehende Rechtssysteme BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (173f.); 37, 271 (277f.). 7 BVerfGE 37, 271 (280, 296); bestätigend 58, 1; 73, 339 (372, 375, 376); 75, 223 (235); 89, 155 (174), weitere Beispiele bei Hirsch, NJW 1996, 2457 (2458). 8 BGBl. I 2068; Münch/Kunig-Rojahn, Art. 23 Rn BVerfGE 89, 155 (156), vgl. Heintzen, AöR 119 (1994), 564 (570f.). 10 BVerfGE 89, 155 (156, 187). 11 Vgl. BVerfGE 89, 155 (188). 12 K 18/04 Nr. 12.
3 Eine Schranke für die Übertragung von Kompetenzen setzt das Trybunal Konstytucyjny, wenn diese solch substantielles Gewicht haben, dass die Republik Polen ohne sie nicht mehr als souveräner und demokratischer Staat fungieren könne 13. Ihm zufolge kann weder Art. 90 Abs. 1, noch Art. 93 Abs. 3 PV ein internationales Organ ermächtigen, Rechtsvorschriften oder Entscheidungen zu erlassen, die im Widerspruch zum obersten Recht der Republik Polen (Art. 8 Abs. 1 PV) stehen 14. Die Verfassung genieße, so das Trybunal Kostytucyjny weiter, Geltungs- und Anwendungsvorrang auf dem Territorium der Republik 15 und betont, dass sich der in Art. 91 Abs. 2 verankerte Anwendungsvorrang völkerrechtlicher Verträge nur auf einfache Gesetze beziehe und nicht auf die Verfassung. Die EG und die EU, so das Trybunal, handelten auf Grundlage der Gründungsverträge und in Rahmen der ihnen durch die Mitgliedsstaaten anvertrauten Kompetenzen. Vorschriften, die über dies hinaus gingen, hätten keinen Vorrang vor denen des innerstaatlichen Rechts 16. Das Trybunal betont zwar, dass die Erfordernisse zur Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten, wie sie Art. 31 Abs. 3 definiert 17, nur an den polnischen Gesetzgeber gerichtet sind. Für den Fall eines unüberwindbaren Widerspruchs zwischen Gemeinschaftsrecht und polnischem Verfassungsrecht jedoch sieht das Trybunal Konstytucyjny keine Lösungsmöglichkeit bei der Rechtsprechung, sondern verweist auf die Notwendigkeit einer Lösung durch den Volkssouverän, der durch das ihn repräsentierende Staatsorgan entweder eine Änderung des Gemeinschaftsrechts oder eine Verfassungsänderung, beziehungsweise im äußersten Falle einen Austritt aus der Europäischen Union herbeiführen müsste 18. cc) Vergleich der Standpunkte Sowohl das BVerfG als auch das Trybunal Konstytucyjny betrachtet die nationale Verfassung als die höchstrangige Rechtsquelle, deren 13 K 18/04 Nr K 18/04 Nr K 18/04 Nr K 18/04 Nr Vgl. Wyrzykowski in: Ius publicum Europaeum, S. 87 ff.. 18 K 18/04 Nr. 13.
4 Grundstrukturen durch Gemeinschaftsrecht nicht antastbar sind. Beide Gerichtshöfe räumen dem Gemeinschaftsrecht somit grundsätzlich nur den Vorrang vor Normen aus einfachgesetzlichen Rechtsquellen ein. Anwendungsschranken für das Gemeinschaftsrecht sehen beide Verfassungsgerichte in den Grundstrukturen der nationalen Verfassungen. Aus der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich, dass die Verfassung gewissermaßen aus drei Stufen von Normen mit unterschiedlichem Grad an Abänderbarkeit durch Gemeinschaftsrecht besteht: Erstens die Staatsidentität bildenden Grundsätze der Art. 1 und 20 GG, die bedingungslos unabänderlich sind, zweitens den Grundrechtsteil, den zu relativieren nicht vorbehaltlos gestattet ist 19, und drittens die übrigen Verfassungsnormen. Auch das Trybunal Konstytucyjny vollzieht diese Dreiteilung: Zum Einen der unantastbare Bereich staatsidentitätsbildender Normen, deren Grenzen niemals durch die Übertragung von Kompetenzen an Gemeinschaftsorgane überschritten werden dürfen; zum Zweiten der Grundrechtsschutz, der bei einem unüberwindbaren Widerspruch zu Gemeinschaftsrecht eine Verfassungsänderung beziehungsweise eine politische Lösung notwendig macht; und drittens die übrigen Verfassungsnormen. Wenn Organe der EG außerhalb ihrer Kompetenzen (ultra vires) handeln, so stimmen beide Verfassungsgerichte in der Zumessung der Rechtsfolge der Nichtanwendbarkeit entsprechender Rechtsakte miteinander überein. b) Verfassungsbindung zwischenstaatlicher öffentlicher Gewalt Bezüglich der Frage, ob Akte öffentlicher Gewalt zwischenstaatlicher Einrichtungen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unterfallen, hat das BVerfG entschieden, dass das Grundgesetz nur für die von ihm verfasste Staatsgewalt, begrenzt auf das Gefüge deutscher Staatsorganisation gelte, und im Zuge dessen die Rechtsschutzgewährleistung gegenüber öffentlicher Gewalt 19 BVerfGE 37, 271 (280).
5 ausgeschlossen, die nicht zu diesem Gefüge gehört 20. Es sei dem Gesetzgeber kraft Art. 24 Abs. 1 GG das Ermessen eingeräumt, Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, was auch die Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegenüber dieser übertragenen Hoheitsgewalt mit einschließe 21. Das Trybunal Konstytucyjny hält fest, wie oben bereits dargestellt, dass die Voraussetzungen zur Einschränkung verfassungsrechtlicher Freiheiten und Rechte, geregelt durch Art. 31 Abs. 3 PV, sich an den polnischen, nicht jedoch an den Gemeinschaftsgesetzgeber adressieren 22. Dem kann ebenfalls eine Befreiung der Gemeinschaftsrechtakte von der direkten Bindung an die nationalen Verfassungserfordernisse gefolgert werden. Zur Frage der Rechtsschutzgarantie 23 äußert sich das Trybunal nicht. 2. Rechtsprechung zu den Kompetenzen der nationalen Gerichtsbarkeiten a) Prüfungskompetenz über EU-Rechtsakte aa) Aussagen des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht äußert sich in seinem Maastricht- Beschluss zu seiner Prüfungskompetenz über Gemeinschaftshandeln außerhalb der dem handelnden Gemeinschaftsorgan zugewiesenen Kompetenz: Würden etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unions- Vertrag in einer Weise handhaben oder fortbilden, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liegt, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich. Die deutschen Verfassungsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden. Dementsprechend prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte 20 BVerfGE 58, 1 (26). 21 BVerfGE 58, 1 (28). 22 K 18/04 Nr In der polnischen Verfassung geregelt in Art. 77 Abs. 2.
6 der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen. 24 Diese Prüfungskompetenz bedeutet, dass nicht eine einzige die Rechtseinheit der Gemeinschaft wahrende Gerichtsbarkeit Grenzen und Inhalt der den Gemeinschaftsorganen eingeräumten Hoheitsrechte definiert, sondern dass das BVerfG selbst über die Konformität von Akten der Gemeinschaftsorgane mit den ihnen übertragenen Befugnissen urteilen kann. Zudem spricht es gar anderen deutschen Verfassungsorganen eine Prüfungskompetenz über die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten zu 25. Wörtlich hat das BVerfG den Fachgerichten die Prüfungskompetenz zugesprochen, soweit die Nichtanwendbarkeit von EG-Recht in Deutschland behauptet wird 26. Dass keine Kontrollzuständigkeit des BVerfG bezüglich der Vereinbarkeit von EG-Recht mit deutschem Recht im Rang unterhalb des Verfassungsrechts besteht, erscheint hingegen unangezweifelt 27. bb) Aussagen des Trybunal Konstytucyjny Das polnische Verfassungsgericht betont, die Mitgliedstaaten behielten das Recht zu beurteilen, ob die Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaften (der Union) beim Erlass der jeweiligen Rechtsvorschriften in den Grenzen der ihnen erteilten Befugnisse handelten und ob sie dabei die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten. Vorschriften, die über diese Grenzen hinausgehen, haben keinen Vorrang vor denen des innerstaatlichen Rechts. 28 Auch das Trybunal Konstytucyjny sieht also eine Prüfungskompetenz über die Konformität von Akten der Gemeinschaftsorgane mit den ihnen übertragenen Befugnissen auf Seiten der Mitgliedsstaaten für gegeben. Es unterlässt dabei die Benennung der Staatsorgane, die diese Prüfungskompetenz besitzen sollen. 24 BVerfGE 89, 155 (188). 25 Vgl. Hirsch NJW 1996, 2457 (2460f.). 26 BVerfG, EuZW 1995, 412 (413). 27 Vgl. Kirchhof in: Europarecht 1991, Beiheft 1, S. 11 (19). 28 K 18/04, Nr. 15.
7 b) Verwerfungskompetenz aa) BVerfG Wenn gemäß der Rechtsprechung des BVerfG nationale Verfassungsorgane auch kompetent zur Prüfung der Rechtmäßigkeit von Akten der Gemeinschaftsorgane befugt sind, und bei festgestellter Unrechtmäßigkeit gehindert sind, diese in Deutschland anzuwenden 29, dann stellt sich noch immer die Frage, ob diese Organe auch die letztendliche Kompetenz zur Verwerfung eines solchen Gemeinschaftsrechtsaktes hätten, oder ob diese Befugnis im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG nur dem BVerfG zukäme. Dazu sagt das BVerfG in seinem Solange-I-Urteil: Das innerstaatliche Gesetzesrecht erhält (...) einen Geltungsschutz gegenüber Gerichten, die ihm aus verfassungsrechtlichen Gründen die Gültigkeit versagen möchten. (...) Deshalb erfordert es der Grundgedanke des Art. 100 GG, die Geltung des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik Deutschland in gleicher Weise wie das nationale Recht vor Beeinträchtigungen zu schützen. 30 Dieses beanspruchte Entscheidungsmonopol in Analogie zu Art. 100 Abs. 1 GG 31 wurde auch durch Solange-II und den Maastricht-Beschluss nicht verworfen 32. bb) Trybunal Konstytucyjny In der polnischen Verfassung regelt Art. 193 die Vorlagen der Gerichte zum Verfassungsgericht. Danach kann jedes Gericht dem Verfassungsgericht Rechtsfragen über die Vereinbarkeit eines Normativaktes oder mit ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen vorlegen, wenn die gerichtliche Entscheidung von der Beantwortung der entsprechenden Rechtsfrage abhängig ist. Eine Muss-Vorschrift gleich dem Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG existiert also in der polnischen Verfassung nicht, und ein Entscheidungsmonopol des Verfassungsgerichts für Fragen der Anwendbarkeit von EU-Rechtsakten kann aus Art. 193 PV nicht erschlossen werden. 29 BVerfGE 89, 155 (188). 30 BVerfGE 37, 271 (284f.). 31 Dazu näher Grimm, RdA 1996, 66 (70). 32 BVerfGE 73, 339; Vgl. Hirsch, NJW 1996, 2457 (2461).
8 3. Verhältnis zum EuGH Gemäß Art. 220 EGV kommt dem EuGH die Wahrung des Rechts der Rechtsgemeinschaft durch eine einheitliche und verbindliche Auslegung der gemeinschaftlichen Rechtsquellen zu. Dem entspricht auch die Pflicht des Art. 234 Abs. 3 EGV, nach dem nationale letztinstanzliche Gerichte also auch die Verfassungsgerichte entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Fragen dem EuGH zu einer bindenden Entscheidung 33 vorlegen müssen. Gleichzeitig behalten sich aber die nationalen Verfassungsgerichte Deutschlands und Polens eine letztendliche Prüfungskompetenz der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte aller Gemeinschaftsorgane also auch derer des EuGH vor. Das Verhältnis der Verfassungsgerichtshöfe und des EuGH ist daher davon geprägt, dass in Bezug auf Fragen der Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrecht jedes Gericht sich letztendliche Verbindlichkeit zuschreibt, und dem anderen entsprechend jeweils diese Kompetenz abspricht. Bedeutet dies eine Konfrontation zwischen den Verfassungsgerichten und dem EuGH? a)bverfg Das BVerfG hat auf Grundlage seines Solange-I-Beschlusses sein Recht abgeleitet, Gemeinschaftsrecht auf seine Grundrechtskonformität zu prüfen 34. Zwar hat es sich von der Ausübung dieses Rechts durch den Solange-II-Beschluss zurückgezogen und entsprechende Vorlagen der Fachgerichte für unzulässig erklärt 35, dies aber von der Bedingung der Gewährung eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards durch die Gemeinschaften, insbesondere den EuGH, abhängig gemacht 36. Im Beschluss zur Bananenmarktordnung stellte das BVerfG klar, dass nur noch solche Vorlagen zulässig sind, die ein generelles Absinken des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards geltend machen 37. Während also das BVerfG dem EuGH in Solange-I gewissermaßen das Misstrauen bezüglich der Wahrung des dem BVerfG eigenen 33 EuGH Slg. 1969, 165 (178); BVerfGE 52, 187 (201). 34 BVerfGE 37, 271 (281ff.). 35 BVerfGE 73, 339 (387). 36 BVerfGE 73, 339 (340). 37 BVerfGE 102, 147.
9 Grundrechtsstandards aussprach 38, erkannte es nach der Entwicklung entsprechender Rechtsprechungsgrundsätze durch den EuGH einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandard an und sprach damit gleichzeitig die Warnung aus, dass bei Abfallen von diesem Standard wieder von der noch immer existierenden Prüfungs- und Verwerfungskompetenz gebraucht gemacht würde 39. Im Maastricht-Urteil betont das BVerfG zudem abweichend von seiner Rechtsprechung aus dem Eurocontrol-I-Beschluss 40, dass sich die Kontrollbefugnis nicht nur auf Anwendungsakte deutscher Staatsorgane, sondern generell auf den Grundrechtsschutz in Deutschland erstrecke 41. Da der EuGH ebenfalls ein Gemeinschaftsorgan darstellt, unterfielen folglich auch seine Entscheidungen der Kontroll- und Verwerfungsbefugnis des BVerfG 42. Das BVerfG spricht dem EuGH die Qualität eines gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu 43. Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter liege vor, wenn eine Vorlage eines nationalen letztinstanzlichen Gerichtes an den EuGH aufgrund des Art. 177 Abs. 3 EWGV (heute Art. 234 Abs. 3 EGV) verpflichtet ist, und dieser Verpflichtung aus Willkür nicht genügt wird. Auch für das BVerfG ist diese Verpflichtung verbindl9ch 44. Im Maastricht-Urteil spricht das BVerfG von einem Kooperationsverhältnis zwischen ihm und dem EuGH 45. Die Kooperation bestünde in diesem Sinne darin, dass das BVerfG die Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrechtsakten in Deutschland von der richtigen Entscheidung des EuGH über ihre Gültigkeit abhängig macht. Der EuGH wäre dann gewissermaßen gezwungen, zur Geltung seiner Entscheidungen auf dem Bundesgebiet auf das BVerfG Rücksicht zu nehmen, während das BVerfG von der Möglichkeit einer Gefährdung der Rechtsgemeinschaft im Falle der Verwerfung von EuGH-Entscheidungen abgeschreckt würde. Dabei weist das BVerfG auf eine Trennlinie zwischen einer Rechtsfortbildung innerhalb der Verträge und einer deren 38 Vgl. Classen in: Manssen/Banaszak, S Vgl. Grimm, RdA 49, 66 (69f.). 40 BVerfGE 89, 155 (175). 41 BVerfGE 89, 155 (175). 42 Vgl. Vitzthum, JZ 1998, 161 (161f.). 43 BVerfGE 73, 339 (366f.). 44 BVerfGE 37, 271 (282). 45 BVerfGE 89, 155 (156).
10 Grenzen sprengenden, vom geltenden Vertragsrecht nicht gedeckten Rechtsetzung hin 46 und mahnt den EuGH zu einer künftigen Vertragsauslegung, die der Begrenzung der eingeräumten Hoheitsbefugnisse Rechnung trägt und nicht einer Vertragserweiterung gleichkommt 47. b) Trybunal Konstytucyjny In seinem Beschluss über die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union bemerkt das Trybunal Konstytucyjny, dass die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, insbesondere die auf dem Territorium Polens anzuwendenden EG-Verordnungen, auf ihre Vereinbarkeit mit dem nationalen Standard der grundrechtlichen Freiheiten überprüft werden können 48. Im selben Urteil sagt es: Es fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofs (Art. 188 PV), einzelne Entscheidungen des EuGH oder dessen ständige Rechtsprechung am Maßstab der polnischen Verfassung direkt zu prüfen. 49 Festzustellen ist daraus zunächst, dass sich auch das Trybunal Konstytucyjny die Möglichkeit einer Prüfungskompetenz bezüglich des nationalen Grundrechtsstandards vorbehält, was als Parallelität zum Solange-I-Urteil gewertet werden kann. Auch supranationale Hoheitsakte können am nationalen Grundrechtstandard gemessen werden, was der Linie des BVerfG aus dem Maastricht-Urteil entspricht 50. Näher zu untersuchen ist das zweite Zitat, die direkte Überprüfung von EuGH- Entscheidungen durch den VerfGH falle nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Daraus kann zum einen im Sinne von Solange-II gedeutet werden, dass das Trybunal sich bei Bestand eines verfassungsgerechten Grundrechtsstandards seitens der Gemeinschaften von der Kontrolle einzelner Entscheidungen zurückzieht. Zum anderen mag daraus dem EuGH das Recht zur Rechtsfortbildung im Gebiet des Gemeinschaftsrechts eingeräumt werden, wie es das BVerfG auch in seinem Kloppenburg-Beschluss betonte 51. Unter welchen 46 BVerfGE 89, 155 (209). 47 BVerfGE 89, 155 (210). 48 K 18/04, Nr. 23 a.e. 49 K 18/04 Nr BVerfGE 89, 155 (175). 51 BVerfGE 75, 223 (242).
11 Voraussetzungen das Trybunal nun von seinem Entscheidungsrecht über supranationale Hoheitsakte absieht, bleibt aus seinen bisherigen Äußerungen offen. Das Trybunal spricht auch in keinem seiner Urteile von der Kontrolle der Gewährleistung eines Grundrechtsstandards durch die Gemeinschaften, dessen Unterschreitung entsprechend dem Bananenmarktordnungs-Beschluss des BVerfG 52 für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden muss. Das Trybunal betrachtet die Befugnis des EuGH, im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV Gemeinschaftsrecht verbindlich auszulegen, als Teil der für die Republik Polen verbindlichen völkerrechtlichen Verträge 53. Ferner betont es, dass eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV keine Gefährdung oder Einschränkung seiner Kompetenzen bedeute, und dass eine Vorlage an den EuGH durch das Trybunal der Ausübung seiner Rechtsprechungskompetenzen entspreche 54. Das Trybunal äußert sich allerdings nicht zu der Frage, ob die Verletzung des Art. 234 Abs. 3 EGV durch ein nationales Gericht einer Verletzung des Rechts auf den zuständigen gesetzlichen Richter bedeutet, das in Art. 45 Abs. 1 PV festgeschrieben ist. c) Vergleich Das Trybunal hat sein Verhältnis zum EuGH nicht ausdrücklich wie das BVerfG als Kooperationsverhältnis definiert. Bis ins Detail hierüber können Übereinstimmungen zwischen der Position des BVerfG und des Trybunal zum EuGH auch nicht verglichen werden, da die Rechtsprechung des Trybunal Konstytucyjny aufgrund der erst relativ kurzen Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union weit weniger detailliert ausgeprägt ist als die des BVerfG. Von den Grundzügen her allerdings können einige Übereinstimmungen festgestellt werden: Beide Gerichtshöfe beanspruchen ein letztendliches Prüfungs- und Verwerfungsrecht von EG-Rechtsakten auf nationalem Territorium am Maßstab der Verfassungen und der Gemeinschaftsverträge bzw. deren Zustimmungsgesetze, ziehen sich zurück von der Überprüfung einzelner Sachverhalte bezüglich des 52 BVerfGE 102, K 18/04, S. 10, Nr K 18/04, S. 10, Nr. 18.
12 Grundrechtsschutzes und gestehen dem EuGH die Befugnis zur Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts zu. Als Konfrontation kann dieser zwischen dem BVerfG und dem EuGH nun schon mindestens ein Jahrzehnt währender Zustand der Beziehungen zwischen nationalen Verfassungsgerichtshöfen und dem EuGH wohl schon deshalb nicht bezeichnet werden, weil er schon so lange ohne konträre Positionen in Einzelentscheidungen Bestand hat. Grimm 55 sieht in einer Vorlage eines Verfassungsgerichts nach Art. 234 EGV ein Entschärfungsmittel. Solch eine Vorlage übe einerseits eine Warnfunktion gegenüber dem EuGH aus, indem es verdeutlicht, dass das Verfassungsgericht ein Vertragsverletzungsproblem sieht. Zum anderen verschaffe es dem EuGH die Gelegenheit, sich entsprechend über die Rechtsstandpunkte der anderen Mitgliedsstaaten zu informieren und in Abwägung der Standpunkte eine Entscheidung in deren Einvernehmen zu treffen. Schon die Tatsache, dass Warnungen und Entschärfungsmittel im Verhältnis der Gerichtshöfe von einem Verfassungsrichter im Falle unterschiedlicher Rechtseinschätzungen, die ein Konfliktpotenzial bergen, für nötig gehalten werden, zeigt, dass das momentane Verhältnis zwischen den Gerichtshöfen keine dogmatisch befriedigende Dauerlösung für eine immer tiefer integrierende Rechtsgemeinschaft darstellt. 55 Grimm, RdA 1996, 66 (69f.).
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