I. Themenkomplex: Die europäische Finanz und Staatsschuldenkrise Rechtswissenschaftl. Komm.
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- Ewald Goldschmidt
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1 I. Themenkomplex: Die europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise Rechtswissenschaftlicher Kommentar Prof. Dr. Hanno Kube, LL.M. Das Bundesverfassungsgericht Erheben Sie sich! Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, 31. Januar 2013 Folie 1
2 I. Einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 II. Analyse III. Perspektiven Folie 2
3 I. Einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr Neuner-Gremium (Urteil vom BvE 8/11) -Beschließendes Sondergremium nach 3 Abs. 3 StabMechG nur in sehr engen Grenzen mit Freiheit und Gleichheit der Abgeordneten zu vereinbaren (erforderliche Vertraulichkeit rechtfertigt Sondergremium nur bei Ankauf von Staatsanleihen durch die EFSF auf dem Sekundärmarkt) 2. Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (Urteil vom BvE 4/11) -Völkerrechtliche Verträge, die in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen (wie der ESM-Vertrag und der Euro Plus-Pakt), sind Angelegenheit der Europäischen Union, weshalb nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG eine hinreichend genaue Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung geboten ist. 3. ESM und Fiskalpakt (Urteil vom BvR 1390/12 u.a.) -Art. 38 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG verlangen, dass Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben als grundlegender Teil der Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat in der Hand des Bundestages verbleibt; jede ausgabenwirksame Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Absolute Obergrenze zulässiger Haftung, wenn Haushaltsautonomie im Fall der Risikoverwirklichung für nennenswerten Zeitraum praktisch vollständig leerliefe. Folie 3
4 II. Analyse 1. Vertrauen auf den Bundestag und ambivalente Folgen? -Euro-Krise verlangt finanziell bedeutsame Entscheidungen der Mitgliedstaaten, dies begründet hohen Legitimationsbedarf -BVerfG verarbeitet den Legitimationsdruck im vertikalen Verhältnis zwischen Deutschland und EU primär im horizontalen Organverhältnis zwischen Parlament und Regierung -Stellt demokratische Legitimation durch den Bundestag/Integrationsverantwortung des Bundestages in den Mittelpunkt: - sowohl im Rechtsetzungsverfahren (Unterrichtungsrechte bezüglich ESM-Vertrag/Euro Plus-Pakt) - als auch in der Vollzugsbegleitung, soweit Legitimation über das Zustimmungsgesetz nicht hinreicht (Vorbehalt einzelfallbezogener Zustimmung zu Haftungsübernahmen) (vgl. Auslandseinsätze der Bundeswehr) Folie 4
5 II. Analyse 1. Vertrauen auf den Bundestag und ambivalente Folgen? -Fokus auf das Parlament in der parlamentarischen Demokratie dem Grunde nach geboten -Aber: Gefahr der Überforderung des Parlaments, zumal im Angesicht der Realität der politischen Entscheidungsstrukturen in der überstaatlichen Einbindung -Einrichtung des Neunergremiums als Versuch, der Einbeziehung des Parlaments in den exekutiven Bereich/dem Erledigungsdruck institutionell Rechnung zu tragen -BVerfG-Entscheidung zum Neunergremium zieht auch insoweit eine Grenze und erhöht den Druck auf das Parlament weiter -Tatsächlicher Legitimationsbeitrag des Parlaments vs. Scheinlegitimation bei faktischer Verzettelung -In der parlamentarischen Demokratie: Parlament primär Ort der Entscheidung über abstraktgenerelle, langfristig angelegte Gesetze in Distanz zum Tagesgeschäft Folie 5
6 II. Analyse 2. Zum verfassungsrechtlichen Maßstab der Entscheidungen -Rechtsprechungslinie erklärt sich auch aus dem Entscheidungsmaßstab (Art. 38 Abs. 1 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG, haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages): Legitimation über den Bundestag rückt alleinig ins Zentrum des Interesses. Dazu zwei Bemerkungen: -1. Das BVerfG betont den Würdegehalt demokratischer Selbstbestimmung. Legt dies nicht nahe, sich bei der subjektivrechtlichen Fundierung des Rechts auf demokratische Teilhabe von der institutionell gebundenen Norm des Art. 38 Abs. 1 GG zu lösen und das subjektive Recht der demokratisch Zugehörigen stattdessen auf Art. 1 Abs. 1 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG zu stützen? -Dies könnte den Blick für das Zusammenwirken der verschiedenen demokratischen Legitimationsstränge und -formen weiten, so auch für die Legitimationsbeiträge durch die mitgliedstaatliche Exekutive und jedenfalls grundsätzlich auch durch die Wahl zum Europäischen Parlament. Folie 6
7 II. Analyse 2. Zum verfassungsrechtlichen Maßstab der Entscheidungen -2. Warum gewährleistet das subjektive Recht auf demokratische Teilhabe Demokratie gerade im Umfang des nach Art. 79 Abs. 3 GG Unverfügbaren? -In der Maastricht- und der Lissabon-Entscheidung hat BVerfG auf genau diesen Umfang rekurriert, weil Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG für den Fall EU-rechtlich begründeter inhaltlicher Verfassungsänderungen auf die äußere Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG verweist. -Aber: Soweit auch in Angelegenheiten der EU keine inhaltliche Verfassungsänderung (durch EU- Recht mit Anwendungsvorrang) im Raum steht, mag aus dem subjektiven Recht auf demokratische Teilhabe auch ein anderer Umfang einklagbarer Demokratie herzuleiten sein. -Anwendungsvorrang des ESM und des Fiskalpakts? Folie 7
8 III. Perspektiven 1. Weitung des Blicks durch Verallgemeinerung des Maßstabs -Die Verallgemeinerung des Prüfungsmaßstabs (Art. 1 Abs. 1 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) könnte den Legitimationsdruck mindern, dem sich das Parlament im Angesicht der zunehmenden überstaatlichen Einbindung mittlerweile ausgesetzt sieht, und eine dogmatische Öffnung für die Komplexität demokratischer Legitimation in Europa bewirken. -Dass die Legitimation über den Bundestag zentral bedeutsam bleibt, steht dabei außer Frage. Die Entlastung könnte eine substanzhaltige Legitimation über den Bundestag sogar sichern. -Herausforderung: Anwendung des verallgemeinerten Maßstabs in praktischen Fällen, sowohl mit Blick auf das Zusammenwirken von Legitimationssträngen als auch mit Blick auf das gebotene Legitimationsniveau bei einer Abkopplung von Art. 79 Abs. 3 GG. Folie 8
9 III. Perspektiven 2. Hauptsacheentscheidung im ESM/Fiskalpakt-Verfahren -Im ESM/Fiskalpakt-Hauptsacheverfahren stellen sich, neben der Frage nach der Verankerung und genauen Reichweite des subjektiven Rechts auf demokratische Teilhabe, weitere Fragen: -1. Welche Bedeutung hat das am ergangene EuGH-Urteil in der Rs. Pringle? EuGH: - ESM gehört dem Bereich der Wirtschaftspolitik an - Art. 123 AEUV (Verbot der monetären Staatsfinanzierung) richtet sich an EZB und NZB, nicht an ESM - Art. 125 (Bail-out-Verbot) soll im Kern Haushaltsdisziplin sichern (teleologische Interpretation); Konditionalität der ESM-Hilfe zielt gerade auf Haushaltsdisziplin ab BVerfG: - ESM in der Eilentscheidung verfassungsrechtlich gebilligt, daher insoweit kein Konflikt mit dem EuGH Folie 9
10 III. Perspektiven 2. Hauptsacheentscheidung im ESM/Fiskalpakt-Verfahren -2. Wie ist mit der Erstreckung des Prüfungsgegenstandes auf das EZB-Handeln umzugehen? - EZB-Handeln selbst als Prüfungsgegenstand? Vgl. LS 7 der Maastricht-Entscheidung - Ermöglicht der EZB-seitige Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten und verstößt die EZB damit gegen Art. 123 AEUV? - Vorlage an EuGH geboten (Art. 267 AEUV)? Oder eigenständige Prüfung eines ausbrechenden Rechtsakts ( strukturwirksame Kompetenzverschiebung im Sinne des Honeywell-Beschlusses) durch das BVerfG? - Wenn EuGH das EZB-Handeln billigt (vgl. die teleologische Auslegung von Art. 125 AEUV in der Rs. Pringle): Wiederum ausbrechender Rechtsakt? Vgl. auch das laufende EuG- Verfahren Az. T-492/12 gegen das OMT-Programm. - Problem des Rechtsfolgenausspruchs Folie 10
11 III. Perspektiven 2. Hauptsacheentscheidung im ESM/Fiskalpakt-Verfahren -3. Sollte das BVerfG im vorliegenden Zusammenhang näher auf Art. 146 GG eingehen? - Diskussion führt in der Sache nicht weiter, sondern gefährdet den bewährten Verfassungsbestand - Ziel sollte es sein, die Entwicklungsoffenheit des Grundgesetzes zu verdeutlichen (gerade auch im Maßstab des Demokratieprinzips). - Materielle Grenzen, insbesondere der Haftung für fremde Schuld und der inhaltlichen Fremdbestimmung des Haushalts, sollten aber zugleich weiterhin selbstbewusst betont werden. - Dies nicht nur mit Blick auf geläufige Szenarien wie die Einführung von Eurobonds, sondern auch mit Blick auf die tatsächliche Reichweite des schon bestehenden EU- Sekundärrechts und diesbezügliche Entwicklungstendenzen: - Schatten-ESM auf Grundlage von Art. 143 Abs. 2 AEUV - die konkreten Inhalte der Six-Pack- und Two-Pack-Regelungen. Folie 11
12 Prof. Dr. Hanno Kube, LL.M. Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht, Finanz- und Steuerrecht Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Johannes Gutenberg-Universität Mainz Jakob-Welder-Weg 9 D Mainz Deutschland Tel (0) Mail: hkube@uni-mainz.de Folie 12
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