Können PädagogInnen andere Menschen selbständig machen? Zu den Paradoxien einer Erziehung zur Selbständigkeit
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- Andrea Kranz
- vor 8 Jahren
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1 Können PädagogInnen andere Menschen selbständig machen? Zu den Paradoxien einer Erziehung zur Selbständigkeit siegen.de
2 Brigitte Rauschenbach (1990: S. 162 f) skizziert die Beispiele von drei Kindern einer zweiten Grundschulklasse. Während die achtjährige Akademikertochter allein zu Verwandten nach Kanada fliegt, aber ihren Schulweg noch nie ohne Erwachsenengeleit zurückgelegt hat, hat sich ein Arbeitersohn aus ihrer Schulklasse bereits im Vorschulalter ohne Erwachsenenbegleitung durch ganz Berlin bewegt, und ihre arabische Klassenkameradin berichtet, dass sie bislang nie im Wald war, aber ihre jüngeren Geschwister selbständig versorgt. Wer von den dreien ist das selbständigste Kind?
3 Pädagogische Blick Selbständigkeitsprofile Räume als Lernfelder und Orte, an denen Anforderungen entstehen Pädagogische Gestaltung von Räumen
4 Differenzierungen erwachsenenzentrierter und kindzentrierter Selbständigkeit (Heckhausen und Kemmler,, 1957). äußerer und innerer Selbständigkeit (Wolfgang Weiß, 1974) funktionale und produktive Selbständigkeit (Tobias Rülcker 1990)
5 Unter funktionaler Selbständigkeit können wir uns die Fähigkeiten und Fertigkeiten vorstellen, die Menschen in unserer Gesellschaft benötigen um zurechtzukommen, bei Kindern etwa sich selbst anziehen, am Straßenverkehr teilnehmen oder mit technischen Medien umgehen zu können. Um hier mithalten zu können, nicht ständig auf andere angewiesen zu sein, Abläufe nicht zu stören, ist ein breites Spektrum von Fertigkeiten nötig, die als eine Form von Selbständigkeit verstanden werden können.
6 Produktive Selbständigkeit hebt darauf ab, ein eigenes Stück Denken und ein Stück eigenes Leben zu realisieren. Dies kann quer liegen zu den Interessen und Erwartungen anderer Menschen oder von Institutionen, denn von ihnen macht man sich auf diese Weise (partiell) unabhängig. Jenseits des Anpassungsdrucks ist es möglich, eigene Interessen auch auf eigenartige Weise zur Geltung zu bringen, Zivilcourage zu zeigen oder mit Erwartungen flexibel umzugehen.
7 Dimensionen von Selbständigkeit 1. Selbständigkeit als Fähigkeit zur Selbstkontrolle und zum Selbstzwang 2. Selbständigkeit als Machtquelle 3. Selbständigkeit als Kontrolle über das eigene Leben 4. Selbständigkeit Zukunftsvorstellungen und Lebenspläne zu entwickeln 5. Selbständigkeit als Aneignung in einem Lebensfeld 6. Selbständigkeit als Fähigkeit zu einem eigenständigen Urteil
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9 1. Selbständigkeit als Fähigkeit zur Selbstkontrolle und zum Selbstzwang
10 Micha:Wenn ich alleine bin und ich was haben will, dann kauf ich mir das einfach. Da ist mir das egal, ob ich das Geld nun nicht habe oder so. Ich ärger mich aber hinterher darüber. Oder wenn ich jetzt zum Beispiel für die Miete das Geld nun nehme, dann ärger ich mich schwarz, wenn ich die Miete plötzlich nicht mehr hab. A: Das wär auch so eine Gefahr, dass du das Geld für die Miete ausgeben würdest für was anderes und würdest dann deine Wohnung verlieren? Micha:Ja. So wie meine Mutter. Die kauft sich statt, meine Mutter hat sich letztens die hat sich verschuldet total hoch, über fünftausend Mark. Und nun hat sie das runtergearbeitet auf 400 Mark und nun ist sie schon wieder bei zweitausend. Das kapier ich irgendwie nicht. A: Hast Du nicht grad beschrieben, wie schnell so was geht? Micha:Ja, ich hab das, das ist Vererbung meiner Mutter sag ich mal. Ich mein so, ich glaub, das kann man gar nicht vererben, aber bei mir is das halt so.
11 Vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln Statt elterlicher Anordnung und Gehorsamserwartung bei Androhung von Strafe (machtbezogene, äußere Kontrolle) besteht jetzt eine Konformitätserwartung aufgrund begründeter Empfehlungen seitens der Eltern, wobei subtilere Formen der Gewaltausübung bzw. Machtanwendung eingesetzt werden: Aus Angst vor offener Bloßstellung, vor sozialer Geringschätzung oder gar Degradierung (z.b. bei Lehrer-Schüler Schüler-Beziehungen), aber auch weil der drohende offene Nachweis der eigenen Unterlegenheit Peinlichkeitsgefühle erzeugt, die es zu vermeiden gilt, tun sich Kinder und Jugendliche gegenüber Erwachsenen - trotz entgegenstehender Neigungen - Zwang an. Sie bilden in zunehmendem Maße Selbstzwangmechanismen aus, indem sie lernen, aktuelle, spontane Neigungen und Affekte quasi selbstverständlich dem übergeordneten Prinzip der Vernunft zu unterwerfen. (Büchner 1983: 199)
12 2. Selbständigkeit als Kontrolle über das eigene Leben
13 Aktivität und Kontrollmeinung Handlungen im eigentlichen Sinn des Wortes werden nur eingeleitet, wenn die betreffende Person ein minimales Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten der Zielerreichung hat. Kontrollmeinungen sind daher wichtige Voraussetzungen für konkrete Handlungen; sie sind aber auch wichtige Bestandteile des Selbstbewusstseins und des Selbstwertes (Flammer 1990: 94).
14 Überzeugung der Nichtkontrolle Hilflosigkeit Wenn Menschen (aber auch Tiere) wiederholt unangenehmen Ereignissen ausgesetzt sind, denen sie nicht ausweichen und die sie auch nicht verhindern können, werden sie diesen gegenüber hilflos. Diese Hilflosigkeit besteht darin, dass sie einen Nicht-Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Verhalten und dem Auftreten der Ereignisse 'wahrnehmen'. Diese Überzeugung der Nicht-Kontrolle kann dazu führen, dass tatsächliche Kontrollmöglichkeiten in der gleichen oder sogar in einer neuen Situation auch nicht mehr wahrgenommen werden. (Flammer1990: 75)
15 Also, das war so. Ich bin früh, hab früh meine kleine Schwester zum Kindergarten gebracht. Meine große Schwester hat meinen Bruder rausgeholt aus m Bett... _ und ich bin dann nachher zur Hilfsschule gegangen. Meine anderen beiden Geschwister zur normalen Schule. Ahja,, und eines Tages ging ich dann inne Schule, saßen wir auch schon im Unterricht, und damals war meine Direktorin Frau Kochner aus der Hilfsschule und kam se in die Klasse rein und hat gesagt: Sabrina, komm mal mit, das Jugendamt ist da. Ich erstmal n Schreck bekommen, wusste schon irgendwie wieder Bescheid, was los war. Hat H mir das Jugendamt erzählt, dass (sie) meine Mutter angeblich zwischen zwei besoffenen Männern umhergetorkelt gesehen haben. Und das war n Schock, und da hieß es dann: Sabrina, du musst weg von Greifswald, weg von deine Mutter, weg von deinen Geschwistern. Aber da ich meine Geschwister noch mochte, haben sie mir erstmal noch n Gefallen getan, dass ich erstmal bei meiner Schwester bleiben durfte. Und denn haben sie nachher rausgekriegt, dass ich Hilfsschüler war. Und das war so n Heim, wo keine Hilfsschüler rein durften, wo halt nur Normalschüler reindurften.. Und da haben sie mich nach Rostock gebracht. Und das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Das tut jetzt sogar noch weh.
16 Kreislauf zur Produktion von Unselbständigkeit
17 3. Selbständigkeit: Zukunftsvorstellungen und Lebenspläne entwickeln
18 ich-kann-immer-wieder und und und-so-weiter Jedes konkrete Entwerfen beruht auf der meist stillschweigenden Annahme, dass ich das, was ich gestern tun konnte, auch heute tun könnte und morgen werde tun können - sofern mir die Umstände nicht zwingend das Gegenteil beweisen. Diese Voraussetzung ist ihrerseits mit der Annahme verbunden, dass das Heute im wesentlichen wie das Gestern ist und dass es ein Morgen wie das Heute geben wird - selbstverständlich unter Berücksichtigung konkreter Einzelveränderungen (Schütz 1984: 41). Für das Entwerfen spielt daher eine wichtige Rolle die Annahme über das Fortbestehen der Welt, so wie ich diese Welt kenne, und mein Fortbestehen in der Welt, so wie ich mich kenne (Schütz 1984: 43).
19 Änderungen durch den Auszug: Requisiten des Alltags Beziehungen zu anderen Menschen: Freunden, Erwachsenen Zeitstruktur Versorgungs- und Kontrollstruktur
20 Fazit: abrupte, erzwungene Wechsel untergraben die Handlungsfähigkeit, lösen Angst aus und blockieren Entwicklungen
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