Zum adäquaten Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin
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- Sebastian Straub
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1 Department of Psychiatry and Psychotherapy Zum adäquaten Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin Klaus Lieb Universitätsmedizin Mainz Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
2 Erklärung von Interessenkonflikten K. Lieb Seit 2007 keinerlei persönliche Annahme von Geldern oder anderen Zuwendungen der Industrie Wissenschaftliche Kooperation mit der Industrie in der Durchführung klinischer Studien im Studienzentrum unserer Klinik : Kendle Inc., Essex, Norgine, Lilly, Pfizer und Hoffmann La Roche (DRM-Konten der Klinik) Verhaltenstherapeut, Schematherapie Leiter des Fachausschusses Transparenz und Unabhängigkeit der Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft (AkdÄ); Gründungsmitglied von MEZIS e.v.
3 Umgang mit der Pharmaindustrie an der Klinik für Psychiatrie und der Universitätsmedizin Mainz Pharmavertreter haben keinen Zugang auf Station; berichten Neues in der Ärztekonferenz Keine Annahme von Geschenken, Mustern oder Einladungen Pharmaunabhängige Fortbildung mit angemessenen Honoraren Kein Einsatz von Scheininnovationen (Medikamente ohne Zusatznutzen), keine Anwendungsbeobachtungen Kooperation in der Forschung: Klinische Studien im Studienzentrum Lieb,
4 Arzt als Beauftragter des Patienten Krankenkassen BGH 2012: Entscheidungen im Vertrauensverhältnis Patientenwohl Industrie Arzt-Patient- Beziehung Berufsordnung Hippokrat. Eid Gesetzliche Rahmenbedingungen
5 % Received Klinik für Psychiatrie und Interessenkonflikte bei US-amerikanischen Ärzten 100% 80% 60% 40% 20% 0% 78% Drug samples 63% Food & Beverage 83% 72% 35% Reimburse-Meetings 19% Consulting payments 18% 16% 7% 8% Speakers bureaus Advisory boards 9% 4% Payments for enroll patients 3% 1% Received any of the previous 94% 84% Campbell et al, Archives of Int Med, 2010.
6 Höhe und Art der Zahlungen an Ärzte in Massachusetts, USA Bona fide services : Consulting, speaker`s bureaus Erhebungszeitraum Kesselheim et al, NEJM, 2013.
7 Ca. 80% der deutschen Ärzte werden mindestens 1x/Woche von Vertretern besucht, ca. 17% jeden Tag Wie oft wurden Sie im vergangenen Jahr durchschnittlich von Vertretern der pharmazeutischen Industrie besucht? täglich 46% 2-3/Woche Täglicher Besuch: 14% 1/Woche 19% 14% 8% 12% 2/Monat seltener keine Angaben Mindestens 1x/Woche: 84% Lieb und Brandtönies Deutsches Ärzteblatt 2010 Lieb und Scheurich PLOS One (in press)
8 Präparate-Muster und Schreibwaren sind die häufigsten Zuwendungen Nur 4% haben keinerlei Zuwendungen angenommen Bitte schätzen Sie, wie oft Sie im Jahr 2007 folgende Zuwendungen oder Geschenke von Pharmavertretern angenommen haben. Datenbasis: n= 208 (300) Präp. Muster Schreibwaren Kalender Essenseinladung Bücher Küchenhelfer Instrumente anatom. Modelle Lieb und Brandtönies Deutsches Ärzteblatt
9 Weitere Beispiele für Arzt-Industrie-Kontakte Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen (geschätzt > 80% aller Veranstaltungen) Bezahlte (Chef-)Ärzte als Referenten auf Fortbildungsveranstaltungen ( Meinungsbildner ) Honorierte Anwendungsbeobachtungen neu zugelassener Medikamente
10 Interessenkonflikte bei Studierenden Befragung von Medizin-Studierenden an 8 deutschen Universitäten im Jahr 2012 Teilgenommen: 13% - mindestens 1 x an einem gesponserten Mittagessen 24% - mindestens 1 x an einer gesponserten Vorlesung/Fortbildung Angeboten bekommen: 68% - mindestens 1x ein nicht informatives Geschenk 51% - mindestens 1x ein informatives Geschenk 45% - mindestens 1x ein Snack 44% - mindestens 1x ein Sonderdruck 11% - mindestens 1x ein Medikamentenmuster Lieb und Koch (Deutsches Ärzteblatt Int., 2013)
11 60% der Studierenden haben mindestens 1 x ein Geschenk der Pharmaindustrie von Ärzten weitergereicht bekommen, 7% über 10x Datenbasis: n = % Lieb und Koch Deutsches Ärzteblatt Int. (2013) 11
12 9% der Studierenden halten ein Geschenk der Pharmaindustrie im Wert > 50 für sehr angemessen 6% Lieb und Koch Deutsches Ärzteblatt Int. (2013) 12
13 Studie zum Einfluss der Pharmaindustrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien Beauftragt durch die Bundesärztekammer Kooperation aus AkDÄ und Universitätsmedizin Mainz Kritischste Einflussfaktoren: Publication-Bias Zurückhalten von Informationen über neg. Nebenwirkungen (z.b. Vioxx ) Weitere Einflussfaktoren: Einflussnahme auf das Studienprotokoll Ghostwriter Schott et al. (2010a,b) 13
14 Selektive Publikation positiver Studien führt zur Überschätzung von Antidepressiva-Effekten positiv fraglich negativ Studienergebnis publiziert unpubliziert Turner et al., NEJM 2008 Änderung der Effektstärken der Medikamente bei Einschluss auch der unpublizierten Studien um 32% (11-69%)
15 Definition von Interessenkonflikten Interessenkonflikte sind definiert als Situationen, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird (Thompson, 2009) 15
16 Was sind Interessenkonflikte? Durch das Nebeneinander von primären Interessen (Patientenwohl) und sekundären Interessen (z.b. finanzielle Zuwendungen) entstehen Interessenkonflikte Interessenkonflikte sind nicht per se schlecht sie erhöhen aber situativ und graduell das Risiko, nicht entsprechend dem Patientenwohl zu handeln bzw. Sachverhalte verzerrt zu beurteilen ( bias ). Interessenkonflikte sind weit verbreitet und beschränken sich nicht auf Pharma-Kontakte
17 Interessenkonflikte (in Bezug auf Pharmaunternehmen) und Korruption Klinik für Psychiatrie und Keine IK (Ca. 4%) Interessenkonflikte (ca. 96% der Ärzte) Korruption X% Verschreibungserwartung Empfehlungserwartung Unrechtsvereinbarung
18 Wirksamkeit der Verschreibungserwartung Spurling et al. PLOS Medicine 2010
19 Annahme von Geschenken sowie Besuch von gesponserten CME-Veranstaltungen auf Medikamenten- Kosten p < 0.05 p < 0.01 Keine gesponserten CME-Veranstaltungen: Mehr Generika- Verordnungen Annahme Büromaterial: Höhere Gesamtdosen der Medikamente Lieb und Scheurich PLOS One (in press)
20 Milliarden US$ Klinik für Psychiatrie und Geschätzte Marketingausgaben 2011 in den USA ,27 15,74 3,72 0,15 1 2,19 0,16 6,29 0,003 All Classes Clinical Trials Detailing DTC Mailing Meetings Print Advertising Samples Web Advertising Cegedim Strategic Data, Pharma Company Promotional Spending, 2012
21 Neue Medikamente vs. Schein- Innovationen ca. 40% der Arzneimittel der letzten 15 Jahren gehören in die Kategorie unnötig, aber teuer aus: Lieb, Klemperer & Ludwig (2011)
22 Umgang mit Interessenkonflikten Verhinderung/Bestrafung von Korruption Problembewusstsein schaffen Transparenz: Offenlegung von Interessenkonflikten Verminderung von bias : Policies Reduktion von Interessenkonflikten Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
23 Auswirkungen einer strafrechtlichen Regelung von Korruption Interessenkonflikte Arzt-Patient- Beziehung Korruption X% Wettbewerb StGB
24 Umgang mit Interessenkonflikten Verhinderung/Bestrafung von Korruption Problembewusstsein schaffen Transparenz: Offenlegung von Interessenkonflikten Verminderung von bias : Policies Reduktion von Interessenkonflikten Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
25 Blinder Fleck für den Grad der Beeinflussbarkeit Einschätzung der Beeinflussung selbst Kollegen* Nie 9% 2% Selten 36% 12% Gelegentlich 47% 49% Häufig 5% 17% Immer 1% 4% * 20% keine Angaben Lieb und Brandtönies Deutsches Ärzteblatt
26 Kernpunkte für eine besonnene Diskussion Niemand ist ohne Interessenkonflikte Interessenkonflikte sind nicht per se schlecht und sind nicht Korruption es handelt sich um Risikokonstellationen für bias Man kann aber auch nicht so tun als hätten sie keine Auswirkungen oder wären durch Transparenz beseitigt!
27 Förderung von Problembewusstsein und Kulturwandel, Suche nach Lösungen No free lunch-organisationen. In Deutschland: MEZIS e.v. (gegründet 2007) Neurology first (gegründet 2012) Fachausschuss Transparenz und Unabhängigkeit bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)/Bundesärztekammer (eingerichtet 2014) 27
28 Umgang mit Interessenkonflikten Verhinderung/Bestrafung von Korruption Problembewusstsein schaffen Transparenz: Offenlegung von Interessenkonflikten Verminderung von bias : Policies Reduktion von Interessenkonflikten Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
29 Offenlegung allein reicht nicht Transparenz allein verschiebt das Problem von der secrecy of bias zur openness of bias (Krimsky 2010) Signal- zu Rauschen-Problem : Durch Offenlegung aller finanziellen Unterstützungen auch von Förderorganisationen wie DFG wird das Problem der Industrie-Beziehungen verschleiert (Matheson, 2008) Die Offenlegung kann bei Referenten nicht intendierte Folgen haben (Loewenstein et al., 2012) 29
30 Kontraproduktive negative Folgen der Offenlegung von Interessenkonflikten Strategische Übertreibung ( strategic exaggeration ): Die Tendenz, mehr verzerrte Informationen zu geben, um die durch die Offenlegung antizipierte Geringschätzung gegenzuregulieren Moralische Genehmigung ( moral licensing ): Das (häufig unbewusste) Gefühl, dass verzerrte Informationen gerechtfertigt sind, weil die Zuhörer gewarnt wurden Loewenstein et al.,
31 Umgang mit Interessenkonflikten Verhinderung/Bestrafung von Korruption Problembewusstsein schaffen Transparenz: Offenlegung von Interessenkonflikten Verminderung von bias : (Policies) Reduktion von Interessenkonflikten Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
32
33 Geringe Anzahl an Richtlinien und Vorlesungen sowie geringes Interesse das zu ändern an deutschen Universitäten Richtlinien: Nur an 2 (von 30) Unis Vorlesungen: Nur an 8 (von 30) Unis 6% Lieb und Koch GMS Z Med Ausbild 31: Doc10 (2014) open access 33
34 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Ein wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer (Leiter Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin) 40 ordentliche Mitglieder und ca. 150 außerordentliche Mitglieder Aufgabe: Die unabhängige Beratung der BÄK in Fragen, die das Arzneimittelwesen betreffen. Tätigkeiten unter anderem: Pharmakovigilanz (UAW-Fachausschuss) Bewertungen von neuen Pharmaka im Rahmen des AMNOG-Verfahrens Unabhängige Arzneimittelinformationen: Wirkstoff aktuell Arzneiverordnungen in der Praxis, Lehrbuch Arzneiverordnungen
35 Regeln bei Bewertungen von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien 1/3 Die AkdÄ veröffentlicht bei der Bewertung von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien, bei denen eine namentliche Benennung von Experten vorgesehen ist, die Interessenkonflikte der beteiligten Mitglieder und den Umgang damit in der entsprechenden Stellungnahme und, falls diese im Internet veröffentlicht wird, auch dort. Mitglieder, die Interessenkonflikte in den letzten 3 Jahren in Bezug auf das zu bewertende Arzneimittel oder die zu bewertende therapeutische Strategie aufweisen (s. dazu unten), werden von Bewertungen ausgeschlossen.
36 Regeln bei Bewertungen von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien 2/3 Für den Fall, dass keine Mitglieder ohne Interessenkonflikte für die Bewertung gefunden werden können, deren Expertise aber unerlässlich für die Bewertung ist, gilt folgendes Vorgehen: Die AkdÄ dokumentiert intern, dass sie alles getan hat, um unter ihren Mitgliedern Experten zu finden, die frei von Interessenkonflikten in Bezug auf das zu bewertende Arzneimittel oder die zu bewertende therapeutische Strategie sind. Der Hauptansprechpartner/federführende Autor der Bewertung muss frei von entsprechenden Interessenkonflikten sein. Die Zahl der Mitglieder eines Experten-Panels mit entsprechenden Interessenkonflikten soll ein Drittel nicht übersteigen
37 Regeln bei Bewertungen von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien 3/3 Mitglieder mit Interessenkonflikten aufgrund von engen Marketing-Beziehungen (z.b. Mitgliedschaft in einem speaker bureau, nicht-wissenschaftliche Beratertätigkeit in einem advisory board oder Mitglieder mit entsprechendem Aktienbesitz) sind grundsätzlich auszuschließen. Mitglieder mit entsprechenden Interessenkonflikten dürfen bei spezifischen Entscheidungen der Stellungnahme nicht Texte vorformulieren oder mitentscheiden, wenn die Entscheidung durch ihre Interessenkonflikte berührt wird.
38 Fachausschuss Transparenz und Unabhängigkeit der AkdÄ Mitglieder Prof. Dr. Janzen Prof. Dr. Klemperer Prof. Dr. Köbberling Prof. Dr. Lempert Prof. Dr. Lieb Prof. Dr. Ludwig Prof. Dr. Müller Oerlinghausen Dr. Schott
39 Fachausschuss Transparenz und Unabhängigkeit Bsp. für gegenwärtige Diskussionen Maßnahmen zur Reduktion von Interessenkonflikten/ unangemessenem Einfluss ( bias ) in der Gremienarbeit (z.b. AkdÄ, Leitliniengremien) Maßnahmen zur Stärkung unabhängiger Fortbildung Änderung der Berufsordnung Einleitung eines Kulturwandels zur Verhinderung des Ansehensverlustes der Ärzteschaft
40 K. Lieb in Forschung & Lehre, 3/
41
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