Psychische Folgen und Bewältigungsstrategien von erlebter Gewalt: die Perspektive der Traumaambulanz
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- Vincent Maurer
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1 Fachforum Kriminalprävention Bielefeld Psychische Folgen und Bewältigungsstrategien von erlebter Gewalt: die Perspektive der Traumaambulanz Dr. med. Dipl. Psych. S. Koch-Stoecker Psychiatrische Institutsambulanz Bethel, Bielefeld 1
2 Opferambulanz - Traumaambulanz Täter, du Opfer! 2
3 Männer als Täter und Opfer von Gewalt ¾ der Klientel unserer Trauma-ambulanz ist weiblich! Wieso?
4 These 1: Männer erleben weniger Gewalt als Frauen 4
5 5
6 These 2: Gewalt ist für Männer weniger?/anders? belastend als für Frauen 6
7 Beeinträchtigung: z.b. Wut, Ärger, Rachegedanken 7
8 These 3: Männer bewerten Gewaltsituationen seltener als traumatisch als Frauen dies tun 8
9 Psychisches Trauma nach DSM IV (1) die Person erfuhr, beobachtete oder war konfrontiert mit einem oder mehreren Ereignissen, die tatsächlichen oder drohenden Tod, tatsächliche oder drohende ernsthafte Körperverletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen einschloss. (2) die Reaktion der Person schloss starke Angst, Hilflosigkeit oder Grauen ein. Männer evtl. weniger verängstigt in Gewaltsituationen -> weniger hilflos-angstvoll 9
10 These 4: Männer entwickeln aus traumatischen Gewaltsituationen seltener als Frauen eine Trauma-Folgestörung (PTBS) 10
11 Ausmaß und Folgen von Traumata Deutlich mehr als die Hälfte aller Menschen erlebt mindestens einmal im Leben ein psychisch traumatisches Ereignis Drei Viertel der Betroffenen verarbeiten das Erlebte ohne längerfristige seelische Schäden Jede(r) Vierte entwickelt in den ersten sechs Monaten nach dem Trauma Symptome der so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) 11
12 Risikofaktoren für PTBS PTBS Prävalenzen: Ca. > 50% nach Vergewaltigung Ca. 50% bei Kriegs- und Vertreibungsopfer Ca. 25% nach anderen Gewaltverbrechen Ca. 10%-15% bei Verkehrsunfallopfern Ca. 15% bei schweren Organerkrankungen, (Herzinfarkt, schwere Krebserkrankungen) Wenig soziale Unterstützung (Freunde, Familie) Erlebter Stress nach dem Trauma Weibl. Geschlecht Traumaschwere/ Lebensbedrohung Peritraumatische Dissoziation Frühere Traumatisierung, frühere psych. Erkrankungen Persönlichkeitseigenschaften Katastrophisierender Bewertungsstil Schuldfrage! 12
13 PTBS - Symptome Beharrliches Wiedererleben des Ereignisses: Sich aufdrängende Bilder, Gedanken, Wahrnehmungen (Flashbacks), wiederkehrende (Alp-)Träume, Gefühl, als ob das Ereignis wiederkehrt Vermeidung und Abflachung der Reagibilität - Bewusstes Vermeiden von traumakorrelierten Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, Aktivitäten, Orten oder Menschen - Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern, - Vermindertes Interesse an Aktivitäten, - Gefühl der Entfremdung von anderen, - Gefühl einer eingeschränkten Perspektive Anhaltende Symptome erhöhter Erregung Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit/ erhöhte Wachsamkeit 13
14 Mögliche Folgeprobleme bei posttraumatischer Belastung Entwicklung weiterer psychischer Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Missbrauch von Suchtmitteln Entwicklung körperlicher Beschwerden wie Schmerzen, Herzbeschwerden, sexuelle Störungen Entwicklung sozialer Probleme wie Partnerkonflikte, Arbeitsplatzverlust Bei ca. jedem/r dritten Betroffenen bleiben die Probleme über mehr als 10 Jahre bestehen. 14
15 These 5: Männer haben bessere Schutzfaktoren als Frauen 15
16 Schutzfaktoren: Voreinstellung und Resilienz Bergführer bei Rettungseinsätzen: Bemerkenswert ist, dass nur 20% der Bergführer Erlebnisse wie das Bergen von Toten tatsächlich als Trauma bezeichnen. Offenbar beurteilt diese Personengruppe die Schwere einer Belastung mit einem "härteren" Maßstab als die übrige Bevölkerung. Neue Zürcher Zeitung,
17 Ausgangssituation Bekannte Situation? Unbekannte checken, erinnern, Situation: kein 1. Voreinstellung: affektiv färben, passendes Verhalten (Bergführer, Lokführer ) optimale Handlung im Repertoire, planen bewerten => 2. Resilienz, bedrohlich?? angemessen handeln optimales Erregungslevel Blickkontakt sprechen Selbstsicherheit fight - kämpfen? freeze - einfrieren? flight - weglaufen? gesteigerte Herzrate Panik Mobilisation reduz. PTBS- Herzrate Dissoziation Gefahr Immobilisation 17
18 Männer??? Bekannte Situation: checken, erinnern, affektiv färben, optimale Handlung planen Voreinstellung: Situationsbewertung: falls doch bedrohlich: Unbekannte Situation: kein passendes Verhalten im Repertoire, bewerten => bedrohlich?? shit happens nicht bedrohlich fight angemessen handeln optimales Erregungslevel Blickkontakt sprechen fight - kämpfen? freeze - einfrieren? flight - weglaufen? gesteigerte Herzrate Panik Mobilisation PTBS- reduz. Herzrate Dissoziation Gefahr Immobilisation 18
19 Resilienz selbstbewusst mit sich im Reinen sein Die schwierige Rolle der Kindheit! später! 19
20 Männer, die den Weg in die Traumaambulanz finden Männer in der Traumaambulanz bleiben oft nur sehr kurz, laden ab und verschwinden! Männer in der Traumaambulanz klagen eher über somatische Beschwerden Männer in der Traumaambulanz berichten stark und ohne Tränen von den Erlebnissen. Männer in der Traumaambulanz sind häufig von Partnerinnen geschickt, vordergründig ohne eigenes Anliegen 20
21 Interventionen: Handlungsbetont! Schwierig: auf Affekte fokussieren (Expositionsmethoden) Besser: an automatischen Gedanken arbeiten (kognitiv, CPT) Tipps und Tricks, aktivieren, Aufgaben verteilen Vermeidungen abbauen; klare Absprachen, aber kein Druck 21
22 Wenn Männer dann doch PTBS haben Kriegserlebnisse: keine Flucht, kein Kampf, Erstarren vor grausamen Bildern Ungeübt im Umgang mit dem Erstarren: Alkohol, Depression, Suizid 22
23 Exkurs: Resilienz durch Rationalität Buchempfehlung: Imre Kertesz: Roman eines Schicksallosen Rowohlt Auschwitz. Ohne zu deuten, ohne zu werten, ohne Emotion, deskriptiv-analytisch aus der Perspektive eines beobachtenden jungen Menschen > überlebenssichernd! 23
24 Exkurs: Gewaltreduktion durch Vernunft Buchempfehlung: Steven Pinker: Gewalt Eine neue Geschichte der Menschheit S. Fischer These: Vernunft hat die Bedeutung und das Ausmaß von Gewalt in der Menschheit reduziert! Je vernünftiger eine Gesellschaft, umso weniger Gewalt findet statt. (Befähigung, zum Abstand vom egozentrischen Blickwinkel, Reflexion besserer Wege ) 24
25 Resilienz - selbstbewusst mit sich im Reinen sein - und wie sie früh am Entstehen gehindert wird Die schwierige Rolle der Kindheit! Täter und Opfer werden früh gemacht!! Sowohl Mädchen als auch Jungen leiden Tätersein und Opfersein > im Erwachsenenalter kaum zu trennen 25
26 Gewalt: Folge gebrochener Kinderseelen Buchempfehlung: Arno Gruen Wider den Gehorsam (Klett Cotta) Bevor sie sprechen können und sich ihr Denken organisiert, müssen viele Menschen schon lernen, gehorsam zu sein. Wer nicht früh zu Gehorsam gezwungen wird, sondern Achtung und Ernstnehmen erfährt, wird später kein Gewalttäter 26
27 Gewalt gegen Kinder Körperliche Gewalt Dunkelfeldstudien 1990er Jahre: Ausmaß körperlicher Gewalthandlungen gegenüber Kindern und Jugendlichen durch Eltern/Erziehungsberechtigte => 70 bis 80 %. Schwere Formen von Gewalt: 10-15%. Inzwischen: Rückgang in der Anwendung körperlicher Gewalt, allerdings nicht bei den schweren Formen. Sexuelle Gewalt Betroffenheit von Mädchen durch sexuellen Missbrauch: 10 bis 18 %. Jungen ein Anteil von 5 bis 14 % (je nach Definition). Risiko sexueller Gewalt ist 6-fach erhöht bei den Kindern, die auch körperliche Gewalt erleben. 27
28 Gewalt gegen Kinder Psychische Gewalt > demütigen, schikanieren, ablehnen, lächerlich machen Mehr als 1/3 geben an, auf solche Weise verletzt worden zu sein Zeuge elterlicher häuslicher Gewalt 75-90% im gleichen Zimmer oder nebenan. (Abrahams 1994) Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt sind zu 1/3 bis 2/3 selbst auch Opfer von elterlicher Gewalt (Hester et al. 2000) 28
29 Gewalt gegen Kinder Vernachlässigung»Kindesvernachlässigung«nur schwer zu bestimmen Prävalenz bei Befragungen - soweit beurteilbar 5 bis 10 %. Hirnreifung wird beeinträchtigt, Basis für Persönlichkeitsstörungen, Selbstverletzungen 29
30 Folgen der Gewalt gegen Kinder Psychische Folgen: Depression und Angststörungen Abhängigkeitserkrankungen (Alkohol, Drogen) Persönlichkeitsstörungen Konzentrations- und Schlafstörungen Schuld- und Schamgefühle Soziale Folgen: Schlechtere Bildungs- und Berufschancen Sozialer Rückzug, Mangel an Lebensqualität Delinquenz, Gefängnisaufenthalte Körperliche Folgen: Diabetes, Hochdruck, Asthma Operationen, gynäkologische Probleme Anfälligkeit für entzündliche Erkrankungen 30
31 Cortisol antientzündlich! Cortisol: ausgeschüttet bei Fight-Flight, aber reduziert bei Freeze Die Rolle der Entzündungen Niedrige Cortisolspiegel und hohe Entzündungsmarker bei misshandelten Kindern (Ehlers 2013) Chronische andauernde psych. Überforderung: Balance des Cortisol-Regelkreises gestört: Entzündungsfördernde Stoffe werden ausgeschüttet ohne ausreichende Hemmung durch Cortisol. Immunsystem geschwächt: => Autoimmunerkrankungen; Krebs?? 31
32 Intervention hilft! Ländl. Region, Georgia: 272 vernachlässigte Kinder (im 12. LJ): sign. erhöhte Zytokine Mütter: 7 Std. Gruppentraining: - nicht schreien - nicht schlagen - nach Bedürfnissen fragen - sich hineinversetzen Kinder: 7 Std. Gruppentraining: - Ziele setzen - Vereinbarungen einhalten - Werte beachten vs. Kontrollgruppe ohne Training => Ende der Intervention: KG hat doppelt so hohe Zytokine => 8 Jahre später: noch immer signifikante Unterschiede!! Miller et al. A family-oriented psychosocial intervention reduces inflammation in low-ses African American youth. PNAS
33 Zusammenfasung In der Akut-Traumaambulanz sind weniger Männer als Frauen. Gründe könnten sein: Männer erleben zwar Gewalt, aber weniger traumatisch beurteilte Gewalt,. zwar traumatische Gewalt, aber erleiden seltener Traumafolgestörungen wenn sie Traumafolgestörungen erleiden, haben sie weniger Übung, sich damit auseinanderzusetzen (-> Alkohol und Suizide) Interventionen müssen diesen Spezifika Rechnung tragen! Frühe Gewalterfahrungen beschädigen physiologische Schutzfaktoren (bei Mädchen und Jungen!). Sie machen anfällig für spätere eigene Ausübung von Gewalt, für psychische, soziale und sogar körperliche Not. Die Inzidenzzahlen für frühe Gewalt sind nach wie vor hoch, frühe Interventionen dringendst erforderlich! und zum Glück wohl auch hilfreich! 33
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