Michael Häder Institut für Soziologie Lehrstuhl für Methoden der Empirischen Sozialforschung
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- Eleonora Krämer
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1 Michael Häder Institut für Soziologie Lehrstuhl für Methoden der Empirischen Sozialforschung Ringvorlesung Einführung in die Methoden der empirischen Sozialforschung II
2 Michael Häder (SoSe 2006) Die Themen der nächsten Vorlesungen Stichproben I Stichproben II / Standardisierte Beobachtung Skalierung und Skalierungsverfahren Herkömmliche und kognitive Preteststrategien Theorien der Befragung Einführung in die standardisierte Befragung Fragebogenkonstruktion: von der Kunstlehre zur Wissenschaft Spezielle Verfahrensformen bei persönlichen, telefonischen und schriftlichen Umfragen Neuere Formen der quantitativen Befragung Inhaltsanalysen, Schwerpunkt quantitative Analysen Soziale Experimente und Evaluationsstudien Sozialwissenschaftliche Datensätze
3 Überblicksvorlesung zu den in den Sozialwissenschaften gebräuchlichen Untersuchungsformen: a) Experimentelle Designs b) Längsschnitt-, Querschnitt- und Paneldesigns c) Fallstudien d) Kohortenanalysen e) Sekundäranalysen f) nicht reaktive Verfahren g) Komplexe Strategien in der Marktforschung
4 a) Experimentelle Designs
5 Experiment zum Begriff Francis Bacon (1561 bis 1626) Experiment = Schlussfolgerungen aufgrund eigener Beobachtungen ziehen (nicht nur den Autoritäten gehorchen). Heute: Eher synonym für empirisch arbeiten keine Experimente im sozialwissenschaftlichen Sinn Umgangssprachlich: Alle Untersuchungsformen sind Experimente (DDR als soziales Experiment; Slogan Keine Experimente, dieses Mal die richtige Partei wählen ) Man hat etwas versucht / etwas verändert und schaut sich an, was daraus geworden ist. Außerdem: Gewagte Veränderungen, Herumtasten, Ausprobieren Sozialwissenschaften: Methodisch hoch anspruchsvolles Design zur Aufdeckung von Ursache Wirkungsbeziehungen (Ursache geht der Wirkung voraus) Unterscheide Kausalität und Korrelation Prüfung einer Vermutung in der Wirklichkeit
6 Kriterien (1.) Experimental- und Vergleichsgruppen werden gebildet (2.) Eine zufällige Zuweisung der Versuchspersonen in diese Gruppen (3.) Die Manipulation der unabhängigen Variablen (4.) Vorher- und Nachermessung Varianten * Einmalige Messung nur in einer Gruppe * Survey Design (Umfragen mit großen Stichproben) * Klassisches, experimentelles Design Einmalige Messung Survey Design Klassisches, experimentelles Design Exp.-Gr.: Vergleichsgruppe: t0 X t1 M - - t0 X t1 M - M t0 t1 t2 M X M M M R! X Manipulation M Messung R: Randomisierung
7 Probleme bei sozialen Experimenten Interne Validität = Gültigkeit innerhalb des Experiments. Wird das gemessen, was gemessen werden soll? Zwischenzeitliches Geschehen, Veränderungen im Messinstrument, Ausfälle von Teilnehmern Externe Validität = Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Personen. Reaktivität des Messens, reaktive Effekte der experimentellen Situation Der Hawthorne-Effekt. Das Milgram-Experiment. Ethische Probleme Reaktivität der Messung Hoher Aufwand
8 b) Querschnitt- und Trenderhebungen, Panelstudien
9 Querschnitterhebungen Ein Zeitpunkt bzw. eine kurze Zeitspanne, in der eine einmalige Erhebung vorgenommen wird (einmalige Abbildung) Ziel der Untersuchung ist entscheidend, es sind keine Trendaussagen (über Entwicklungen) möglich Beispiel: Zusammenhang zwischen dem Besitz einer bestimmten PKW-Marke und der Wahlentscheidung für eine bestimmte Partei
10 Trenderhebungen = Mehrere Querschnittstudien zum selben Thema mit folgenden Eigenschaften: (1.) Gleiche Fragestellungen (z.b. zur Wahlabsicht) werden zu (2.) mehreren Zeitpunkten (z.b. wöchentlich) bei (3.) unterschiedlichen Stichproben (jeweils anderen Personen) und (4.) gleicher Grundgesamtheit (z.b. alle Wahlberechtigte) erhoben. Unterscheide zwischen Aggregatdaten und Individualdaten! Zusammenfassung der Ergebnisse vieler Personen Daten können personenbezogen ausgewertet werden
11 Michael Häder (SoSe 2006) Beispiel (Aggregatdaten) Ergebnisse aus drei Befragungen 1. Frage: Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit dem Gesundheitswesen? Mittelwerte auf einer 5-stufigen Skala mit 1 = sehr unzufrieden und 5 = sehr zufrieden, Quelle: Leben Ostdeutschland 1990: : : Frage: Sind Sie heute gegenüber 1990 zufriedener oder unzufriedener mit dem Gesundheitswesen? Anteil zufriedenerer Personen, Quelle Leben Ostdeutschland 1993: 29% 1996: 27%
12 Panelerhebungen Die selben Untersuchungspersonen (= das Panel) werden wiederholt befragt (Wellen). Panel- und Trenderhebungen sind Längsschnittuntersuchungen. Probleme beim Panel 1. Schwund pro Welle (Verweigerungen, Wegzug, Mortalität usw.) wahrscheinlich nicht zufällig 2. Großer forschungsorganisatorischer Aufwand, daher teuer 3. Konstanz des Messinstruments muss gesichert werden (Paneleffekt) 4. Datenschutz besonders sensibel 5. keine repräsentativen Erhebungen
13 Varianten des Paneldesigns Alternierendes Panel t0 t1 t2 t3 t4 G1 M M M G2 M M Rotierendes Panel (SOEP) t0 t1 t2 t3 t4 G1 M M M M M G2 M M M M - G3 M M M - - G4 M M G5 M G6 - M M M M G7 - - M M M G M M G M
14 Geteiltes Panel t0 t1 t2 t3 t4 G1 M M M M M Q1 M Q2 - M Q3 - - M - - Q M - Q M Access-Panels Fester Stamm an Personen, der für Befragungen gezielt rekrutiert wird. (Hintergrund: Sinkende Teilnahmebereitschaft.) Sowohl per Telefon als auch via Internet. Noch zahlreiche methodische Probleme. Wachsende Beliebtheit vor allem in der Marktforschung. Wichtig: Art und Weise der Rekrutierung des Panels
15 Datenstruktur bei den verschiedenen Erhebungsformen Querschnittsdaten: Auf einen Zeitpunkt bezogen, können mit allen Designs erzeugt werden Zeitreihendaten: Sequenz von Werten einer Variablen zu verschiedenen Zeitpunkten (z.b. DAX, Arbeitslosenzahlen) Paneldaten: Daten zu den selben Untersuchungseinheiten, zu verschiedenen Zeitpunkten, nicht nur mithilfe des Paneldesigns zu erheben (auch mithilfe von Retrospektivfragen) Verlaufs- und Ereignisdaten: Informationen über Zeitintervalle zwischen dem Auftreten bestimmter Ereignisse. Suche nach Sachverhalten, die das Ereignis bestimmen. (Ehedauer, Überlebensdauer nach einer OP, Dauer der Arbeitslosigkeit, Berufsverläufe, Wohndauer, usw.)
16 c) Kohortendesign als Spezialfall eines Paneldesigns
17 Kohorte (def.) = Bevölkerungsgruppe, die durch ein zeitlich gemeinsames, längerfristig prägendes Startereignis definiert wird. Zwei Möglichkeiten Ex ante: Gezielte Auswahl bestimmter Kohorten und deren retrospektive Befragung Ex post: Nachträgliche Bildung von Kohorten in einer Querschnittserhebung Alters- oder Geburtskohorten, waren gemeinsam bestimmten Ereignissen ausgesetzt = Kohorteneffekte
18 Kohorteneffekte: Unterscheide: Kohorten und Kalenderzeit, Beispiel: Bewältigung der Wende in der DDR resultiert aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Kohorten und nicht aus dem Alter der Betroffenen Alters- bzw. Lebenszykluseffekte: Zusammenhänge zwischen den interessierenden Merkmalen und der seitdem verstrichenen Zeit (Prozesszeit), z.b. Ehedauer und Scheidung Periodeneffekte: Einfluss historisch einmaliger Ereignisse (z.b. neues Scheidungsgesetz, Inflation, Weltkrieg, Mondlandung, Tschernobyl, Ölkrise, 68-er Bewegung usw.) Beispiel: Gegenwärtig nutzen vor allem 15- bis 25-jährige ihre Handys für SMS. Frage: Ist dies ein...? (1.) Lebenszykluseffekt ( Nutzer bleiben immer im gleichen Alter) (2.) Kohorteneffekt ( Nutzer werden immer älter) (3.) Periodeneffekt ( Nutzer werden immer älter)
19 d) Fallstudien
20 Analyse einer Untersuchungseinheit - einer Person - einer Personengruppe - einer Organisation - einer Gesellschaft oder Kultur Einsatz von Fallstudien - bei seltenen Ereignissen oder seltenen Personen - bei Geldmangel - wenn wenig Wissen vorliegt - auch aus ethischen Gründen Vorteile Nachteil - Hohe Anschaulichkeit - Differenzierte Datenerhebung und auswertung sind möglich - häufig explorative Absichten (Pilotcharakter) Vielfältige Varianten: Analyse von Briefen, Lebensläufen, Tiefeninterviews, Zeitungsnotizen, Statistiken, Fotos, Gruppengespräche, Gerichtsakten usw. - Verallgemeinerungen sind kaum möglich Keine generellen Strategien für Fallstudien, keine standardisieren Methoden einsetzbar!
21 e) Sekundäranalysen
22 Rückgriff auf vorhandene Datenbestände Vorteil: Billig und relativ schnell einsetzbar Nachteil: Adäquate Daten finden Quellen: ZA-Köln (Datensätze), amtliche Statistik, Versicherungen, Kirchenbücher usw. Prozessproduzierte Daten als weitere Quelle: Aufzeichnungen, die nicht zum Zweck der wissenschaftlichen Analyse vorgenommen worden sind Beispiel: Teilnahme an politischen Protestaktionen in Leipzig (n = 484) im Zeitraum 1992 bis 1996, Vergleich von Unterlagen des Ordnungsamtes und der LVZ (Jenkel/Lippert 1998) Nur im der LVZ: 49% Nur im Ordnungsamt: 32% In LVZ und Ordnungsamt: 19% Grenze: Zweck der Erstellung der Daten (z.b. Polizeistatistik), Ermessensspielräume und Güte der Daten meist unbekannt
23 Record-Linkage-Studien Spezielle Form der Sekundäranalyse Verknüpfung verschiedener Datenquellen (z.b. Arbeitslosenstatistik und Gesundheitsdaten) Voraussetzung (1.): ID (z.b. Name und Geburtsdatum) in den Datensätzen Voraussetzung (2.): Zugang ist gestattet Datenschutz kann durch Datentreuhänder gewährleistet werden In Medizin inzwischen üblich Demnächst: Volkszählung, ansonsten in der Sozialforschung noch selten
24 f) Nicht reaktive Verfahren
25 - Nicht reaktive Feldexperimente - Verhaltensspuren - Nutzung prozeßproduzierter Daten - Verdeckte Beobachtungen Telefonzellen-Experiment Ampel-Experiment Lost-letter-Technique Misdirected Letter Technique Verwähltechnik Pizza-Konsum (Clinton) Autoradio Abnutzungen Anzeigen Zeitungsartikel Reaktivität: Infolge der Messung wird das zu untersuchende Objekt verändert. Zielpersonen sind sich über die Messung bewusst. Interviewer als eine der Hauptursachen. Sehr subtile Mechanismen wirken
26 Komplexe Strategien aus der Marktforschung
27 GfK-BehaviorScan - In bestimmten Haushalten werden Testwerbesendungen ausgestrahlt, in der Kontrollgruppe nicht. - Elektronische Instrumente registrieren die Fernsehnutzung. - Zuordnung erfolgt mithilfe eines Matching-Verfahrens. (Bestimmte Haushalte werden nur mit Werbung im Supermarkt konfrontiert, andere erhalten zusätzlich Inserate in der Fernsehzeitung und eine weitere Gruppe wird über das Fernsehen mit entsprechenden Werbesendungen versorgt.) - Die Werbexperimente erfolgen warengruppenspezifisch. Kontroll- und Testgruppe mit ansonsten gleichem Einkaufsverhalten (= Randomisierung) werden gebildet. - In bestimmten Fernsehzeitungen ist gezielt Werbung placiert worden, die Vergleichsgruppe wurde nicht mit dieser Werbung konfrontiert. - Flächendeckend wird in der Region zusätzlich das Kaufverhalten der Experimental- und der Vergleichshaushalte beobachtet. In den Testgeschäften werden hier 90 bis 95 Prozent der Lebensmitteleinkäufe registriert. - Daten werden über einen längeren Zeitraum hinweg erhoben.verlaufsdaten ermöglichen Aussagen zur Nachhaltigkeit der untersuchten Werbebeiträge.
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