Interview der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel, mit der griechischen Tageszeitung KATHIMERINI
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- Eike Hans Weber
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1 Interview der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel, mit der griechischen Tageszeitung KATHIMERINI Vor einigen Tagen haben Sie Ihre Absicht erklärt, die Verfassungsverhandlungen auf der Grundlage des bereits vorhandenen, von Frankreich und den Niederlanden allerdings abgelehnten EU- Verfassungsvertrags wieder aufzunehmen. Welche Fortschritte kann die deutsche Präsidentschaft in ihrer relativ kurzen Amtszeit erzielen? Antwort: Ich habe den Eindruck, dass alle in der EU der Auffassung sind, dass Europa in der Welt von morgen nur bestehen kann, wenn die geltenden vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Alle Mitgliedstaaten haben sich von Anfang an aktiv in die Ausarbeitung des Verfassungsvertrags einbringen können. Immerhin haben ihn inzwischen 18 Mitgliedstaaten ratifiziert Griechenland gehört dazu. Mein Ziel als EU-Ratspräsidentin ist, einen Fahrplan für das weitere Vorgehen zu erstellen, damit der Verfassungsprozess rechtzeitig zu den Europawahlen im Frühling 2009 abgeschlossen werden kann. Bei dieser schwierigen Aufgabe setze ich auch auf die Unterstützung Griechenlands. Wie stehen Sie dem Konzept einer Mini-Verfassung gegenüber, worin die institutionellen Vorschläge des bisherigen Verfassungsvertrags (EU-Präsident und Außenminister, Zusammensetzung der Kommission, Entscheidungsprozesse) zwar enthalten sind, nicht jedoch die allgemeinen Grundsätze, die Widerstand hervorriefen? Antwort: Während der deutschen Ratspräsidentschaft werden wir zunächst allen Partnern genau zuhören und natürlich auch mit den Mitgliedstaaten, die noch nicht ratifiziert haben, darüber sprechen, an welchen Stellen sie beim Verfassungsvertrag noch Bedenken haben. Öffentliche Vorfestlegungen helfen uns heute nicht weiter, sie würden eine Einigung nur noch schwieriger machen. Am Ende muss aber ein Konsens aller stehen. Nicht umsonst lautet das Motto unserer Ratspräsidentschaft: Europa gelingt gemeinsam. Nur wenn alle Partner eng zusammenarbeiten und Kompromissbereitschaft zeigen, wird die Neubegründung der europäischen Einigung gelingen. Der französische Präsidentschaftskandidat und konservative Gaullist Nicolas Sarkozy, der eigentlich zur gleichen politischen Familie gehört wie Sie, hat vor
2 - 2 - kurzem erklärt: In der EU ist kein Platz für die Türkei. Wie beurteilen Sie diese Stellungnahme? Könnte es eine gemeinsame deutsch-französische Position auf der Grundlage einer privilegierten Partnerschaft zwischen der Türkei und der EU geben, wie sie in der Vergangenheit vorgeschlagen worden ist? Antwort: Die enge Anbindung der Türkei an die EU liegt in unser aller Interesse. Im Jahr 2005 wurden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses aller EU-Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung ist vertragstreu; dazu gehört auch, dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden, denn neben der Aufnahmefähigkeit der EU muss auch die Fähigkeit zu einer EU-Mitgliedschaft klar unter Beweis gestellt werden. Um Fortschritte zu machen, muss die Türkei deshalb die hierfür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Die Beitrittsverhandlungen wurden im vergangenen Dezember teilweise ausgesetzt, da die Türkei bestimmten Verpflichtungen im Beitrittsprozess bislang nicht nachgekommen ist. Alles Weitere bleibt abzuwarten. Glauben Sie, dass die endgültigen Grenzen der EU irgendwann definitiv festgelegt werden sollten? Welche Länder kämen in diesem Fall als potenzielle EU-Mitglieder in Frage? Antwort: Seit dem 1. Januar 2007 umfasst die EU 27 Mitgliedstaaten. Mit der Türkei und Kroatien wird derzeit verhandelt, 5 weitere Staaten die Westbalkanstaaten von Albanien bis Serbien haben langfristig eine Beitrittsperspektive. Auf der Grundlage der jetzigen Verträge, also ohne einen Verfassungsvertrag, sind weitere Erweiterungen aus meiner Sicht allerdings nicht vorstellbar. Europa muss handlungsfähig sein. Daher wird die EU auf Dauer nicht jeden beitrittswilligen Staat aufnehmen können. Deshalb müssen attraktive Alternativen zur EU-Mitgliedschaft entwickelt werden. Ich sehe die europäische Nachbarschaftspolitik, die unter deutscher EU-Präsidentschaft weiterentwickelt wird, nicht nur, aber auch unter diesem Aspekt. Während Ihrer Präsidentschaft wird der VN-Vermittler Martti Ahtisaari seine Vorschläge zum endgültigen Status des Kosovo unterbreiten. Glauben Sie, dass die Unabhängigkeit des Kosovo trotz russischer und serbischer Reaktionen in die Wege geleitet werden kann? Antwort: Die Vorschläge von Martti Ahtisaari zum künftigen Status des Kosovo liegen auf dem Tisch. Ich möchte den weiteren Beratungen nicht vorgreifen. Lassen Sie mich nur so viel sagen: In einem multiethnischen Kosovo wird die EU auch auf die Rechte und den Schutz der nicht-albanischen Bevölkerung achten müssen.
3 - 3 - Ist mit einer Initiative der deutschen Präsidentschaft zur Aufhebung der so genannten wirtschaftlichen Isolation Nordzyperns zu rechnen? Und wenn ja, wie tritt man der Möglichkeit entgegen, dass ein solcher Schritt als eine indirekte, politische Anerkennung des Besatzungsregimes auf Nordzypern gedeutet wird? Antwort: Der EU-Außenministerrat im Dezember 2006 hatte sich darauf geeinigt, dass die Arbeiten an der Direkthandelsverordnung zur Aufhebung der wirtschaftlichen Isolation Nordzyperns unter deutscher EU-Präsidentschaft wieder aufgenommen werden. Diesen Auftrag werden wir als Präsidentschaft umsetzen und in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen. Ich weiß, wie wichtig diese Frage für Griechenland ist. In Ihrem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde haben Sie sich gegen die Forderung französischer Spitzenpolitiker geäußert, die EZB unter politische Kontrolle zu setzen. Warum sollten derartige, für das Wachstum in der Eurozone entscheidende Fragen, wie die Höhe der Zinsen, nicht der Kontrolle der Regierungen und der Parlamente unterliegen, welche den Volkswillen repräsentieren? Antwort: Die Stabilität des Euro ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand. Der Euro ist jetzt die gemeinsame Währung für 317 Millionen Menschen in 13 Ländern darunter auch Griechenland. Er repräsentiert die Stärke unseres gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraums und ist Symbol der europäischen Integration. Die Stabilität des Euro liegt in unser aller Interesse. Garant hierfür ist die Europäische Zentralbank. Ihre Unabhängigkeit ist entscheidend dafür, dass sie eine verlässliche und damit auch glaubwürdige Geldpolitik betreiben kann. Davon bin ich überzeugt. Es herrscht nunmehr allgemein die Auffassung, dass die ehrgeizigen Ziele der Lissabon-Strategie für das dynamische Wachstum einer EU mit der Wissensgesellschaft als Spitzenreiter nur noch auf dem Papier existieren. Plant die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hier Initiativen zu ergreifen, um diesem Prozess einen neuen Anstoß zu verleihen? Antwort: Die Lissabon-Strategie hat konkrete Erfolge gebracht. Wir haben z.b. mit der Dienstleistungsrichtlinie die Grundlage für eine Intensivierung des grenzüberschreitenden Handels geschaffen, ohne dabei wichtige Standards, wie z.b. den Arbeitnehmerschutz, aufzugeben. Die Mitgliedstaaten setzen ihre nationalen
4 - 4 - Reformprogramme zügig um, und zwar mit einigem Erfolg, wie die sich verstärkende Wirtschaftsdynamik in Europa zeigt. Lissabon bedeutet jedoch nicht nur Wirtschaft. Mit unserem Emissionshandelssystem sind wir international Vorreiter im Klimaschutz. Dies macht sich auch wirtschaftlich bezahlt, da Europa im Bereich der Umwelttechnologien weltweit führend ist. An diese Erfolge wird die deutsche Präsidentschaft gemeinsam mit allen Partnern in der EU anknüpfen. Wir wollen weniger Bürokratie, um der Wirtschaft mehr Spielräume für Innovationen und zusätzliche Beschäftigungsimpulse zu geben. Mit dem europäischen Aktionsplan zur Energiepolitik werden wir die Voraussetzungen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung in Europa schaffen. Und wir wollen den Klimaschutz entscheidend voranbringen. Dazu soll eine gemeinsame europäische Position für den internationalen Klimaschutz nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls in 2012 erarbeitet werden. Wie würden Sie in groben Zügen Ihre Vision für das soziale Modell in Europa beschreiben? Ist die Durchsetzung von, Ihrer Ansicht nach, wichtigen und erforderlichen Reformen durch die Regierungszusammenarbeit Ihrer Partei mit den Sozialdemokraten erleichtert oder erschwert worden? Antwort: Die Zusammenarbeit der beiden Koalitionspartner ist gut. Europa steht vor großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Wir wollen sie gemeinsam meistern. Denn die Menschen in Europa erwarten von uns den Erhalt und die Weiterentwicklung des europäischen Sozialstaatsmodells gerade auch unter den Bedingungen der demographischen Entwicklung und der fortschreitenden Globalisierung. Was wir brauchen, ist daher ein wachstumsstarkes Europa, das mehr Beschäftigung schafft und gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern auch in Zeiten des Wandels soziale Sicherheit bietet. Diese soziale Dimension Europas ist mir wichtig. Wir wollen durch unsere Politik auf nationaler wie europäischer Ebene mit dazu beitragen, dass die Menschen in Europa wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken können. Sie sollen erkennen: Europa lohnt sich für jeden. Die Regierung der Großen Koalition zeigte sich bzgl. der Emissionseinschränkung von Schadstoffen und der Nutzung von Kernenergie gespalten. Könnten vielleicht diese Meinungsverschiedenheiten die Entwicklung einer gemeinsamen Energiepolitik der Union während der deutschen Präsidentschaft beeinträchtigen? Antwort: Nein, die Große Koalition führt in Sachen Energie einen konstruktiven Dialog. Wir setzen gemeinsam auf mehr Energiesparen durch moderne
5 - 5 - Umwelttechnik und auf mehr erneuerbare Energien. Wir alle müssen versuchen, Antworten auf die Frage zu finden, wie und in welchem Umfang Emissionen vermieden werden können. Die Lösungen können nur mittel- bis langfristig angelegt sein. Aber wir wissen, dass der Zugang zu Energie und der Schutz des Klimas die beiden großen Herausforderungen für die Menschheit darstellen. Was erwarten Sie von Vladimir Putin hinsichtlich der Energiezusammenarbeit EU Russland, insbesondere im Lichte der jüngsten Krise mit Weißrussland? Antwort: Ich habe diese Thematik bei meinem jüngsten Besuch in Sotschi mit Präsident Putin besprochen. Europa braucht Energiesicherheit. Es braucht die Zuverlässigkeit seiner Lieferanten, ebenso wie Russland unsere Zuverlässigkeit als Abnehmer braucht. Wir werden deshalb als EU mit Russland über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verhandeln, das ein ehrgeiziges Energiekapitel enthalten soll. Präsident Putin versteht unser Anliegen. Die Entscheidung des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, einer bedeutenden Anzahl von Einwanderern eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, hat die Reaktion anderer europäischer Regierungen - u.a. auch der Bundesregierung - hervorgerufen. Wie sehen Sie die Entwicklung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik in der EU? Antwort: Ich will die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um die Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Bekämpfung der illegalen Migration weiter zu verbessern. Illegale Einwanderung ist ein Thema, das uns alle angeht. Griechenland gehört zu den Mitgliedstaaten, die als Mittelmeeranrainer stark betroffen sind. Aber auch die übrigen EU-Mitgliedstaaten sind zunehmend Ziel illegaler Migration. Wichtig ist daher, dass wir uns der Herausforderung gemeinsam stellen. Wir müssen bei der Kontrolle unserer Grenzen noch stärker zusammenarbeiten und zugleich enger mit den Transit- und Herkunftsstaaten kooperieren. Und wir müssen die Ursachen der illegalen Migration wie Armut, Hunger und gewalttätige Konflikte in den Griff bekommen. Auch bei dieser Aufgabe weiß ich: Griechenland ist ein starker Partner, auf den ich zählen kann.
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