Zusammenfassung Vortrag Professor Dr. med. Norbert Grulke Psychische Gesundheit bei Jugendlichen
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- Reinhold Krüger
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1 Zusammenfassung Vortrag Professor Dr. med. Norbert Grulke Psychische Gesundheit bei Jugendlichen Donnerstag, 15. April 2010 Bella Studie Es wurden 2863 Familien mit Kindern im Alter von 7 17 Jahren nach psychischer Gesundheit befragt: 22% psychisch auffällig 10% psychisch auffällig im engeren Sinne (behandlungsbedürftig) Insgesamt Verschiebung von somatischen zu psychischen Störungen (und von akuten zu chronischen Erkrankungen) Typische Risikofaktoren: ungünstiges Familienklima o Familienkonflikte o Konflikte in der Familie der Eltern (vor allem Mutter) o Unzufriedenheit in der Partnerschaft o Sucht und andere psychische Erkrankung der Eltern Alleinerziehend Sehr junge Mutter Broken Home (der Mutter) niedriger sozioökonomischer Status niedriger Bildungsstand wenig personale, familiäre und soziale Ressourcen Peter Martin Thomas Mozartstraße Stuttgart Fon Fax kontakt@petermartinthomas.de Kreisjugendring Böblingen Kreisjugendring Göppingen Kreisjugendring Rems-Murr Stadtjugendring Esslingen Stadtjugendring Herrenberg Stadtjugendring Leinfelden-Echterdingen Stadtjugendring Stuttgart Stadtjugendring Sindelfingen Kreisjugendring Rems-Murr e. V. KSK Waiblingen BLZ Konto 5720 Kleiner Exkurs: Armut ist mehr als Geldmangel Es wird geschätzt, dass ca. 6 Millionen Kinder in armen Haushalten (Jahreseinkommen der Eltern bis zu Euro) leben. Das sind ca. 1/3 aller kindergeldberechtigten Kinder. Jedes 6. Kind unter 7 Jahren ist auf Sozialhilfe angewiesen. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden und aus Einwandererfamilien. Die Folgen sind nicht nur finanzieller, sondern auch gesundheitlicher Art. So ist jedes 3. arme Kind schon bei seiner Einschulung behandlungsbedürftig. Folgen der Armut Bei den sozial benachteiligten Kindern ist zu beobachten, dass sie ungesünder leben o Ernährung o Bewegung o Rauchen immer häufiger in isolierten Wohnvierteln unter sich bleiben (Ausgrenzung und Gettoisierung) keine ausreichende soziale Unterstützung haben häufiger psychisch auffällig werden!
2 Bildung ist ein wesentlicher protektiver Faktor gegen psychische Störungen In keinem Land der westlichen (PISA-)Welt ist Herkunft mit Bildungsabschluss so eng verknüpft wie in Deutschland Herkunft ist in Deutschland viel besserer Prädiktor für Schulerfolg/-misserfolg als Intelligenz: o Die relative Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs für ein Akademikerkind ist in Deutschland 6,9 mal so hoch wie jene eines Facharbeiterkindes o Selbst bei gleicher individueller Lese- und Mathematikkompetenz beträgt dieses Verhältnis noch 4 zu 1 Bei den sozial benachteiligten Kindern ist zu beobachten, dass sie keine höheren Schulen besuchen nur mangelhafte Ausbildungsmöglichkeiten haben oft wenig Aufstiegschancen haben Jedes 4. Schulkind habe die Schule "ohne Beherrschung des Mindestmaßes an Kulturtechnik" verlassen, die selbst Hilfsarbeiten erfordern. Die Tendenz ist stark steigend. Es entwickeln sich "Armutskarrieren", die sozial vererbt werden. Insgesamt höhere Geburtenrate in unteren Schichten: Akzentuierung des Problems in der Zukunft Epidemiologie: Bella Studie Schutzfaktoren: familiäre Schutzfaktoren besonders wichtig o hohe gegenseitige Akzeptanz o gegenseitige Unterstützung o gute Kommunikation o viele gemeinsame Unternehmungen häufigste Störungsbilder: 10% Störung des Sozialverhaltens 8% Ängste 5% Depression unspezifische emotionale Störungen wahrscheinlich am häufigsten (es gibt dazu aber keine Daten) Angst und Depression oft als Bauchweh oder Kopfweh, seltener Rückenschmerz Störung des Sozialverhaltens ein sich wiederholendes, persistierendes Verhaltens-muster, bei dem Grundrechte anderer oder wichtige altersentsprechende soziale Normen und Gesetze verletzt werden mindestens 6 Monate anhaltend das Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeits-störung, Schizophrenie, manisch-depressiven Episode, tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder hyper-kinetischen Störung muss ausgeschlossen sein Leitsymptome der Störung des Sozialverhaltens Hohes Maß an Ungehorsam, Streiten, Tyrannisieren Ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche Grausamkeit gegenüber Menschen und Tieren Erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum Zündeln
3 Stehlen Häufiges Lügen Schuleschwänzen Weglaufen von zu Hause Lügen, Stehlen, Weglaufen= dissoziale Trias Familiäre Ursachen Mangelhafte Erziehungskompetenz Pädagogik: Liebe und Vorbild Oft weder das eine noch das andere, sondern Gewalt Vernachlässigung Ambivalenz Überbehütung Frühe Gewalterfahrung Keine sicheren Datenquellen hinsichtlich der Epidemiologie von Kindesmisshandlung und vernachlässigung in Deutschland. Massive Gewalterfahrung im Kindesalter: o Jungs: ca. 12 %, Mädchen ca. 10 %. Sexuelle Misshandlungen (mit Körperkontakt): o Jungs: ca. 3 %, Mädchen ca. 9 % Faktoren des Erwerbs und des Beibehaltens dissozialen Verhaltens Lernen am Erfolg, besonders durch Duldung o Gewalt als instrumentelles Verhalten, um Vorteile zu bekommen o Unzureichende Sanktionen bei Grenzüberschreitungen Lernen am Modell (real, Medien) o Gewalttätige Peers als Vorbilder o Gewalt als legitimes Mittel in den Medien Negatives Selbstkonzept o Narzisstische Kompensation erlebter Defizite Additive Effekte durch Rauschmittel o die meisten Körperverletzungen geschehen alkoholisiert Fehlende soziale Kontrollmechanismen o Wegschau-Mentalität Wichtige Faktoren der Resilienz Selbstwirksamkeitserleben Selbstwirksamkeits- und Erfolgserfahrungen, etwas fertig zu kriegen sind entscheidende Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung Das Gefühl zu nichts nütze" zu sein, macht krank Kontrolle und Reaktanz Menschen sind bestrebt, die Kontrolle über ihr Leben zu erhalten Sie setzen sich gegen Einschränkungen zur Wehr
4 Risikoerfahrung Risikoverhalten bietet Chancen zur Selbstwerterhöhung Misserfolge vermitteln Grenzerfahrungen zur eigenen Wirksamkeit. Die Suche nach den Handlungsfehlern bei Misserfolgen enthüllt Kompetenzdefizite und falsche Selbstwahrnehmungen Salutogenese Salutogenese als Einstellung gegenüber der Umwelt, in der Anforderungen erlebt werden als bedeutsam verstehbar handhabbar Sie liefert die motivationale, kognitive und emotionale Basis für ein Verhalten, mit dem diese Anforderungen wahrscheinlicher bewältigt werden können als eine Sicht, die die Welt als beschwerlich, chaotisch und überwältigend ansieht. Resilienz und Salutogenese: Versuch einer Zusammenfassung Ressourcenorientierung: Menschen wählen und formen ihre Umwelten in einem bedeutenden Umfang. Bei individueller Hilfestellung ist die Betrachtung individueller bzw. psychologischer Aspekte von Problembewältigung für den Einzelnen aussichtsreicher als die Diskussion von (sozial bedingten) Risikofaktoren. Resilienz ist ein Ergebnis des Zusammenspiels von Person und Umwelt: sie existiert in abgestuften Facetten, die risikospezifisch und kontextabhängig sind. Resilienzentwicklung ist dynamisch: Traumata können die Resilienz schädigen Protektive Mechanismen sind ebenfalls in Interaktion von Person und Umwelt zu verstehen (Sozial)biologische Ausstattung (z. B. kognitive Voraussetzungen) frühere biografische Umständen (positive Bewältigungserfahrungen) vorteilhaften Wendepunkten o Bildungs- und Berufschancen o Partnerwahl o Veränderung durch einen Umgebungswechsel Resilienz und Salutogenese Faktoren der Resilienz der Versuch einer Synthese von verschiedenen Forschungsergebnissen Stabile emotionale Beziehungen zu mindestens einem Elternteil oder einer anderen Bezugsperson Soziale Unterstützung durch Personen außerhalb der Familie, Akzeptanz der Person durch andere Emotional positives, offenes, beratendes, unterstützendes, lenkendes und normorientiertes ( strukturgebendes ) Erziehungsklima Rollenvorbilder für ein konstruktives Bewältigungsverhalten bei Belastungen Balance von sozialen Verantwortlichkeiten und Leistungsforderungen Kognitive Kompetenzen (wie zumindest Durchschnittsintelligenz) Temperamentsmerkmale, die effektives Bewältigungsverhalten begünstigen (z.b. Flexibilität, Frustrationstoleranz, Soziabilität, nicht zuletzt Humor) Selbstwirksamkeitserfahrungen, Selbstachtung, internale Kontrollüberzeugungen Aktives Bemühen, Stressoren zu bewältigen, statt sie zu vermeiden oder zu relativieren Erfahrung von Sinnhaftigkeit, Struktur und Bedeutung in der eigenen Entwicklung
5 Schule als protektive Faktoren Schulen, die Selbstwertentwicklung anregen und sozialen wie Leistungserfolg fördern, reduzieren die Wahrscheinlichkeit emotionaler und Verhaltensstörungen; sie sind ein protektiver Faktor gegen familiale Benachteiligungen und prädizieren Lebenserfolg Arbeitsstelle hat wahrscheinlich weniger Einfluss Förderung von Resilienz: Big Brothers Big Sisters Big Brothers, Big Sisters Mentoren-Programme zur Unterstützung benachteiligter Menschen: Große Brüder und große Schwestern für Kinder, die besonders dringend eine erwachsene Bezugsperson brauchen z. B. broken Home Beeindruckende Resultate: o Reduktion von Drogen (46%) und Alkohol (27%) o weniger Schule schwänzen (52%) o verbesserte Beziehungen der Jugendlichen zu Eltern und Peers Nichtforderndes Beziehungsangebot Anthony Bloom, orthodoxer Mönch: Wenn wir einen Menschen nicht anschauen und die Schönheit in ihm sehen, können wir gar nichts für ihn tun. Man hilft einem Menschen nicht dadurch, dass man entdeckt, was bei ihm falsch, hässlich und verzerrt ist. (...) Jeder einzelne von uns ist ein Abbild Gottes, aber jeder gleicht einem beschädigten Bild. Wenn wir eine Ikone erhielten, die durch Abnutzung, durch menschlichen Hass oder andere Umstände beschädigt wurde, würden wir sie mit Ehrfurcht, Zärtlichkeit und Trauer betrachten. Wir würden unsere Aufmerksamkeit nicht in erster Linie der Tatsache zuwenden, dass sie beschädigt ist, sondern der Tragödie ihrer Beschädigung. Wir würden uns darauf konzentrieren, was von der Schönheit übrig ist und nicht auf das, was von der Schönheit verloren ging. Und das ist es, was wir bezüglich jedes Menschen erst noch lernen müssen... Eher eine Haltung als eine Handlung Akzeptierende Wertschätzung des Menschen (nicht unbedingt seiner Handlungen) Echtheit vor Technik (Kongruenz zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation) Kein Opportunismus wie auch immer gegenüber den Jugendlichen: Da-Sein aber nicht hinterher laufen Klarheit in der eigenen Haltung, bei sich bleiben Bei funktionierender Beziehung oft wohlwollende Strenge : Annehmende Struktur klare Regeln und Absprachen Konfrontation bei Regelverstößen Unterstützung bei der Suche nach Sinn
6 Psychologisch-pädagogische Ansätze Biographie als Schlüssel zum Verständnis Fact finding: o Soviel wie möglich Informationen einholen (am besten vom Betroffenen, ggf. auch Eltern, Lehrer..) o Auf Grund der Geschichte des Jugendlichen Verhaltensweisen analysieren o Eventuell verlorene Teile der Lebensgeschichte zugänglich machen Eine Lebenslinie legen mit Steinen und Blumen (vgl. NET) Ein Lebensbuch gestalten mit Briefen, Fotos, gemalten Bildern Ziel: Unterstützung und Begleitung der Kinder und Jugendlichen bei ihrer Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie. Ganzheitliche Sicht und (Selbst)Verständnis für die Gewordenheit der Kinder und Jugendlichen Ressourcen- und resilienzorientiertes Arbeiten Unterstützung beim Verstehen und Bewältigen von Problemen, Auseinandersetzung mit der Bedeutsamkeit Stärken der Jugendlichen finden und fördern o Welche positiven Eigenschaften besitzen meine Jugendliche? o Welche Tätigkeiten können sie wirklich gut ausführen? o Woran haben sie Spaß und Freude? Ressourcen des Umfeldes einbeziehen Anerkennung und positive Rückmeldungen geben Vertrauen und Zutrauen (Unterstützung bei adäquatem Risikoverhalten Bei Problemen und bei Lösungssuche Jugendliche mit einbeziehen Jugendliche als Experten für ihre Probleme zu Experten für ihre Lösungen zu machen o Warum verhältst du dich so? o Was steckt dahinter? o Wer oder was kann dir helfen? o Wobei kann ich dich unterstützen? o. Protektion von Störungen: Kreativität im Umgang mit schwierigen Jugendlichen und schwierigen Situationen Immer mal wieder mutig Neues ausprobieren! (Textzusammenfassung aus den Folien von Professor Dr. med. Norbert Grulke)
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