Kant und Nagarjuna - Erkenntnistheoretische und ethische Grundlagen im Idealismus und Madhyamaka. C. Kategorien bzw. Begriffe des reinen Verstandes
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- Britta Holst
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1 Kant und Nagarjuna - Erkenntnistheoretische und ethische Grundlagen im Idealismus und Madhyamaka Arbeitsblatt 5 Erkenntnistheoretische Positionen: Urteilsformen/Apriorische Anschauungsformen/Kategorien C. Kategorien bzw. Begriffe des reinen Verstandes Die Rolle, die Begriffe und Grundsätze des reinen Verstandes in der Theorie der Erfahrung spielen, erörtert Kant in der Kritik der reinen Vernunft im Rahmen der transzendentalen Analytik in vier Schritten: 1 Analytik der Begriffe des reinen Verstandes 1. Er leitet die Kategorien aus den Urteilsformen ab (metaphysische Deduktion) 2. Er zeigt, dass Vorstellungen nur mit Hilfe von Kategorien auf Gegenstände bezogen werden können (transzendentale Deduktion) 2 Analytik der Grundsätze des reinen Verstandes 3. Er stellt die Weisen fest, in denen Kategorien auf Aspekte der (zeitlichen) Anschauung bezogen (schematisiert) werden (Schematismus) 4. Er formuliert mit Hilfe der schematisierten Kategorien diejenigen Grundsätze, die den allgemeinen Rahmen sowohl der naturwissenschaftlichen wie auch der alltäglichen Gegenstandserfahrung bilden. Erst hier haben wir es mit den synthetischen Urteilen a priori zu tun. (Grundsätze) 1. Metaphysische Deduktion der reinen Verstandesbegriffe Die reinen Verstandesbegriffe lassen sich für Kant entdecken, indem man zunächst ganz allgemein das Wesen der Verstandestätigkeit analysiert. Die wesentliche Tätigkeit des Verstandes besteht dabei im Urteilen. Im Urteil stellt der Verstand ganz allgemein einen Zusammenhang zwischen einem Gegenstand und seinem Prädikat her. Abstrahiert man nun von allen spezifischen Inhalten unserer Erkenntnis (etwa in dem Urteil S ist P ), dann lassen sich diese Urteilsformen gemäß Kant nach ihren Titeln und Momenten vollständig darstellen. 1. Quantität der Urteile (Allgemeine, Besondere, Einzelne) 2. Qualität der Urteile (Bejahende, Verneinende, Unendliche) 3. Relation der Urteile (Kategorische, Hypothetische, Disjunktive) 4. Modalität der Urteile (Problematische, Assertorische, Apodiktische) Gemäß der Urteilstafel drückt jedes Erkenntnisurteil eine bestimmte Qualität, eine bestimmte Quantität, eine bestimmte Relation und eine bestimmte Modalität aus. (Entsprechens ist das Urteil: Die Rose ist rot ein einzelnes (Quantität), bejahendes (Qualität), kategorisches (Relation) und assertorisches (Modalität) Urteil.) 19
2 Die zur Allgemeinen Logik gehörende Urteilstafel ist nun allerdings aufgrund ihrer reinen Formalität gegenüber dem Inhalt unserer Erkenntnis völlig indifferent. In welchem Bezugsverhältnis stehen also diese rein formalen Urteilsformen zum Mannigfaltigen unserer Sinnlichkeit? Denkt man die einzelnen Verknüpfungsarten bzw. die reine Einheitsstiftung in den Urteilstypen rein für sich, durch die verschiedenes Mannigfaltiges zu einer Erkenntnis vereinigt wird und stellt sich diese reine Synthesis allgemein in einem Begriff vor, dann erhält man den gesuchten Verstandesbegriff. Denn dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt der reine Verstandesbegriff heißt (Kr.d.r.V., B 104f.) Also ergeben sich die Kategorien als apriorische Momente des Urteilens, weil der Verstand nichts anderes tut, als durch Urteile Einheit herzustellen. Die Kategorien lassen sich entsprechend aus der Urteilstafel ableiten: 1. Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit) 2. Kategorien der Qualität (Realität, Negation, Limitation) 3. Kategorien der Relation (Inhärenz und Subsistenz, Kausalität und Dependenz, der Gemeinschaft) 4. Kategorien der Modalität (Möglichkeit und Unmöglichkeit, Dasein und Nichtsein, Notwendigkeit und Zufälligkeit) Kant hat nun gezeigt, dass die Kategorien als Begriffe von Einheitsfunktionen, die sowohl dem Urteil wie den Anschauungen Einheit geben, ihren Ursprung a priori in der Tätigkeit des Verstandes haben, wobei sich diese Tätigkeit nicht anders als in den zwölf verschiedenen Typen von Urteilen vollziehen kann. Geklärt aber ist noch nicht die Frage, wie die Kategorien als subjektive Bedingungen des Denkens für die Erkenntnis von Gegenständen in der Welt überhaupt objektive Gültigkeit besitzen können. Aufgabe der transzendentalen Deduktion ist entsprechend die Rechtfertigung der aufgefundenen Einheitsfunktionen. Aufgabenstellung: 1. Erläutern Sie, welche Stellung der Allgemeinen Logik im Rahmen der metaphysischen Deduktion zukommt. 2. Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe Das Deduktionskapitel ist wohl das schwierigste Kapitel im Rahmen der Kritik der reinen Vernunft, wobei sich die transzendentale Deduktion der ersten Ausgabe von 1781 noch einmal von der transzendentalen Deduktion der zweiten Ausgabe von 1787 unterscheidet. Für unseren Zweck soll es genügen, uns nur in Grundzügen mit der Problemstellung vertraut zu machen, der sich Kant gegenübergestellt sieht. Mit der Aufstellung der Kategorientafel ist nur ein erster Schritt getan. Im Folgenden muss Kant zeigen, wie die Kategorien auf eine Mannigfaltigkeit von Daten in Raum und Zeit 20
3 (mindestens aber in der Zeit) bezogen werden, wenn sie gegenständliche Bedeutung haben sollen. Wie also können sich die Sinnlichkeit und der Verstand, die Kant doch vorher in ihrer artspezifischen Differenz unterschieden hatte, überhaupt aufeinander beziehen? Nun gibt es aber keine Erfahrung ohne Vereinheitlichung des Mannigfaltigen durch den Verstand, und diese Vereinheitlichung ist nur möglich, wenn die mannigfaltigen Inhalte einem einheitlichen Bewusstsein angehören. Fragt man also nach dem Grund der Einheit, der diese Verbindung bzw. Synthesis leistet, dann bleibt nichts anderes als die Einheit des Bewusstseins bzw. eine reine ursprüngliche Apperzeption bzw. die Einheit des einigen Selbstbewusstseins, das sich im Ich denke zum Ausdruck bringt. Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt als: die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Actus der Spontaneität, d.i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperception, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperception (Kr.d.r.V., B ) Diese ursprüngliche Einheit des Bewusstseins darf allerdings nicht selbst als Kategorie Einheit unter dem Titel der Quantität aufgefasst werden, sondern sie liegt dieser Kategorie Einheit (und allen anderen Kategorien) zugrunde. Auch darf das im Ich denke aufgefasste Ich nicht als etwas Gegenständliches (etwa als das empirische Ich) aufgefasst werden, sondern ist als Subjekt der transzendentalen Apperzeption bzw. als logisches Ich vom empirischen Ich unterschieden. Die transzendentale Apperzeption bezieht sich allerdings nicht unmittelbar auf unsere Sinnlichkeit. Vielmehr ist es die transzendentale Einbildungskraft als produktive Einbildungskraft, die zwischen Verstand und Sinnlichkeit vermittelt. Der Verstand übt durch seine reinen Begriffe zwar eine intellektuelle Synthesis aus, die auf das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt bezogen ist, die transzendentale Einbildungskraft aber bezieht sich auf das Mannigfaltige unserer sinnlichen Anschauung und nimmt damit eine transzendentale Synthesis zwischen unseren Vorstellungen vor. Erst vermittels der Einbildungskraft bezieht sich der Verstand mit seinen Begriffen auf unsere Sinnlichkeit und kann von Kategorien im eigentlichen Sinn gesprochen werden, durch die wir die Gegenstände unserer Erfahrung formal konstituieren. Urteile können also objektiv gültig sein, wenn sie auf Begriffen beruhen, die einerseits Bedingungen der Erfahrung von Gegenständen und andererseits Bedingungen der Möglichkeit der (phänomenalen) Gegenstände sind. Als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung bilden die schematisierten Kategorien zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände dieser Erfahrung. Die in letzter Konsequenz subjektiven Kategorien besitzen somit objektive Gültigkeit für die Erfahrung. 21
4 3. Schematismus der reinen Verstandesbegriffe Im Rahmen der Analytik der Begriffe des reinen Verstandes konnte Kant zwar zeigen, dass die reinen Begriffe des Verstandes objektiv gültig sind und dass Kategorien auf Gegenstände bezogen werden können. Um zu zeigen, wie synthetische Urteile a priori bzw. Grundsätze des reinen Verstandes wie etwa das Kausalitätsprinzip möglich sind, muss Kant darüber hinaus allerdings noch aufzeigen, wie ein solcher Bezug möglich ist. Da nämlich Kategorien und Anschauungen artspezifisch different sind, ist nicht unmittelbar einsichtig, wie sie aufeinander bezogen werden können. Für Kant bedarf es daher eines Dritten, das zwischen ihnen vermittelt und die Subsumtion von Anschauungen unter Begriffe möglich macht. Dieses Dritte muss, wenn es zur Vermittlung geeignet sein soll, sowohl mit dem Verstand als auch mit der Sinnlichkeit etwas gemeinsam haben, d.h. es muss allgemein wie die Verstandesbegriffe und anschaulich wie das sinnlich Gegebene sein. Diesen Bedingungen aber genügen Vorstellungen von Aspekten der Zeit, die sowohl anschaulich als auch allgemein sind, da die Zeit die formale Gegebenheitsweise aller Gegenstände ist. Diese Vorstellung von Aspekten der Zeit nennt Kant Schemata der Einbildungskraft und weist ihnen die Aufgabe zu, die Subsumtion von Anschauungen unter Begriffe möglich zu machen. Das Vermögen aber, welches eine solche Subsumtion leisten kann, ist für Kant die Urteilskraft. Denn die Urteilskraft ist nichts anderes, als das Vermögen, das Besondere unter das Allgemeine zu subsumieren. Ist das Allgemeine durch den Verstand bereits gegeben, so ist die Urteilskraft bestimmend. Muss das Allgemeine erst noch gefunden werden, so ist die Urteilskraft reflektierend. Im vorliegenden Fall handelt es sich also um die bestimmende Urteilskraft, da das Allgemeine (der reine Verstandesbegriff bzw. die Kategorie) bereits durch den Verstand gegeben ist. Da es sich hierbei nicht um empirische Begriffe handelt, sondern um reine Begriffe, kann es sich nicht um die empirische Urteilskraft handeln, sondern um die transzendentale Urteilskraft, die das Besondere (das sinnliche Material) unter das Allgemeine (die entsprechende Kategorie) subsumiert, damit Erfahrungserkenntnis möglich wird. Die Schemata der Verstandesbegriffe sind dabei nicht Bilder im eigentlichen sind, sondern vielmehr Regeln, nach denen einem Begriff ein Bild zu verschaffen ist bzw. Regeln, durch die den Kategorien Gegenstandsarten zugeordnet werden. Die Schemata der reinen Verstandesbegriffe bezeichnet Kant auch als Zeitbestimmungen nach Regeln a priori und gliedert sie nach vier Aspekten der Zeit: dem Nacheinander von Augenblicken bzw. der Zeitreihe, dem Zeitinhalt, der Zeitordnung und dem Zeitbegriff, wobei diesen Aspekten die Kategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität entsprechen. Erkenntnisbedeutung kommt den reinen Verstandesbegriffen also nur als schematisierten Kategorien zu, wobei Kant an dieser Stelle zu einem entscheidenden Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft gelangt: Es fällt aber doch in die Augen; daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl restringiren, d.i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich in der Sinnlichkeit) Also sind die Kategorien ohne Schemate nur Functionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Die Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisirt, indem sie ihn zugleich restringirt (Kr.d.r.V., ). 22
5 Aufgabenstellung: 1. Erläutern Sie, Kants Aussage hinsichtlich den erkenntnistheoretischen Fragestellungen: Welche sind die Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens? Welche sind die Möglichkeiten des Erkennens? Welche sind die Grenzen des Erkennens? 4. Grundsätze des reinen Verstandes Kant geht zunächst auf den obersten Grundsatz aller analytischen Urteile ein. Denn das System aller Grundsätze des reinen Verstandes umfasst sowohl die logisch-analytischen Urteile wie auch die synthetischen Urteile a priori. Der oberste Grundsatz aller analytischen Urteile besteht im Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs:»Keinem Dinge kommt ein Prädicat zu, welches ihm widerspricht«(kr.d.r.v., B 190). Noch einmal weist Kant darauf hin, dass der Satz des Widerspruchs zwar das allgemeine und völlig hinreichende Prinzip aller analytischen Erkenntnisse darstellt, jedoch keineswegs ein hinreichendes Kriterium im Hinblick auf unsere synthetischen Erkenntnisse a posteriori bzw. unsere empirischen Erkenntnisse, schon gar nicht im Hinblick auf synthetische Erkenntnisse a priori. Denn diese letzteren Erkenntnisse stellen gegenüber den analytischen Urteilen eine Erweiterung unserer Erkenntnis dar. Da es hierbei um die Erkenntnis der Natur als eines einheitlichen und objektiven Erfahrungszusammenhanges geht, Erfahrung aber auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen beruht, weil es sonst nur eine»rhapsodie von Wahrnehmungen«(Kr.d.r.V., B 195) gäbe, muss der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile die im Rahmen der transzendentalen Ästhetik und der transzendentalen Analytik ermittelten Bedingungen der synthetischen Einheit wiederum als Einheit in sich begreifen. Der oberste Grundsatz lautet entsprechend:»ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung«(Kr.d.r.V., B 197). Was zu den Bedingungen einer möglichen Erfahrung überhaupt gehört, das gehört gleichfalls zu den Bedingungen der Gegenstände einer möglichen Erfahrung und gilt daher a priori von allen Objekten. Im Hinblick auf eine mögliche Erfahrungserkenntnis überhaupt, bilden die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die Bedingungen der Gegenstände einer möglichen Erfahrung eine Einheit bzw.»die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objective Gültigkeit in einem synthetischen Urtheile a priori«(ebd.). Da die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung nichts anderes sind, als die Formen unserer Sinnlichkeit und unseres Verstandes, können im Rahmen einer uns möglichen Erfahrung nur solche Gegenstände für uns zu Objekten werden, die diesen Bedingungen unterliegen. Die synthetischen Urteile a priori sind also diejenigen Urteile, in denen die Einheit zwischen den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung hergestellt wird, d.h. sie geben die rein formalen Bedingungen an, unter denen wir berechtigt sind, über Gegenstände im Rahmen einer uns möglichen Erfahrung zu urteilen. Aufgrund der inneren Beziehung der synthetischen Urteile a priori sind wir auch berechtigt, unsere Erfahrungserkenntnis auf Regeln zu bringen und Naturgesetze zu formulieren. Denn»selbst Naturgesetze, wenn sie als Grundsätze des empirischen 23
6 Verstandesgebrauchs betrachtet werden, führen zugleich einen Ausdruck der Nothwendigkeit, mithin wenigstens die Vermuthung einer Bestimmung aus Gründen, die a priori und vor aller Erfahrung gültig sind, bei sich«(kr.d.r.v., B 198), wobei die Natur nichts anderes ist, als der formal durch die Gesetzlichkeit des Verstandes einheitlich bestimmte Erscheinungszusammenhang. Denn»ohne Unterschied stehen alle Gesetze der Natur unter höheren Grundsätzen des Verstandes, indem sie diese nur auf besondere Fälle der Erscheinung anwenden. Diese allein geben also den Begriff, der die Bedingung und gleichsam den Exponenten zu einer Regel überhaupt enthält, Erfahrung aber giebt den Fall, der unter der Regel steht«(ebd.). Notwendigkeit kommt also nur den Grundsätzen des reinen Verstandes zu, wobei wir eine solche Notwendigkeit unseren Urteilen, da sie jederzeit a posteriori sind, niemals schlechthin zuschreiben können. Denn die»notwendigkeit nach Begriffen«, welche die Grundsätze des reinen Verstandes auszeichnet, ist ein»mangel in jedem empirischen Satze, so allgemein er auch gelten mag«(ebd.). Da die Grundsätze des reinen Verstandes Urteile sind,»die der Verstand wirklich a priori zu Stande bringt«, und die reinen Verstandesbegriffe es sind,»deren Beziehung auf mögliche Erfahrung alle reine Verstandeserkenntniß ausmachen muss«(kr.d.r.v., B 187), sind wir auch berechtigt, über jedes wirkliche und im Rahmen unserer Erfahrung mögliche Ereignis in der Welt zu urteilen, dass es eine Ursache hat und selbst eine Wirkung hervorbringt. Doch bleibt es prinzipiell immer möglich, dass wir unser Urteilen falsifizieren können, beispielsweise dann, wenn in den Einzelwissenschaften ein Fall entdeckt wird, der einem Naturgesetz widerspricht. Wobei wir ohne die Grundsätze des reinen Verstandes gar keinen solchen Fall entdecken könnten, wir uns also gar keiner Ausnahme von einer Regel bewusst werden könnten, weil es gar keine Regel gäbe, der irgendein Fall widersprechen könnte. Aus dem obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile lassen sich nun auch sämtliche Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung systematisch ableiten. Denn die Darlegung der synthetischen Urteile a priori bzw. der Grundsätze des reinen Verstandes besteht in nichts anderem, als in der Auslegung der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, d.h. die Grundsätze des reinen Verstandes sind nichts anderes, als die Regeln des objektiven Gebrauchs der Kategorien bzw. die Regeln der Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen. Entsprechend der Kategorientafel lauten die Grundsätze des reinen Verstandes: 1.) Das Prinzip der Axiome der Anschauung lautet:»alle Anschauungen sind extensive Größen«(Kr.d.r.V., B 202). 2.) Das Prinzip der Antizipationen der Wahrnehmung lautet:»in allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d.i. einen Grad«(Kr.d.r.V., B 207). 3.) Das Prinzip der Analogien der Erfahrung ist:»erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer nothwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich«(kr.d.r.v., B 218). Das oberste Prinzip der Analogien der Erfahrung führt zu drei weiteren Grundsätzen: 1. Analogie: Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz.»Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur 24
7 weder vermehrt noch vermindert«(kr.d.r.v., B 224). 2. Analogie: Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität:»Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von Ursache und Wirkung«(Kr.d.r.V., B 223). 3. Analogie: Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft:»Alle Substanzen, so fern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung«(Kr.d.r.V., B 256). 4.) Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt drücken aus:»1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existirt) nothwendig«(kr.d.r.v., B ). Insbesondere ist damit Humes These widerlegt, die darin besteht, dass unsere Kausalurteile keineswegs universell und objektiv gelten, sondern bloß das Resultat einer subjektiven Gewöhnung an empirische Regelhaftigkeiten darstellen. Dagegen führt Kant das Prinzip der Kausalität auf den reinen Verstandesbegriff einer Relation der Kausalität und Dependenz zurück, der entsprechend der geleisteten Deduktion in strengem Bezug auf das in Raum und Zeit Gegebene die Zweite Analogie der Erfahrung als ein im Rahmen einer uns möglichen Erfahrung objektiv gültiges synthetisches Urteil a priori begründet. 25
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