Vorlesung Soziologische Theorie SoSe 2016 Mo Uhr, AudiMax. 6. Juni 2016
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- Gitta Judith Kaufer
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1 Vorlesung Soziologische Theorie SoSe 2016 Mo Uhr, AudiMax 6. Juni 2016 Alfred Schütz: Gesellschaft als Lebenswelt/ Soziologie als Phänomenologie und Anthropologie Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 1
2 Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen 2. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag Hans Joas/Wolfgang Knöbl: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen Aktualisierte Auflage Frankfurt/M./Berlin: Suhrkamp Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 2
3 Programm Die Vorgeschichte: Rousseau, Hobbes, Hegel und Marx Die Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Kritik Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Band 7, Frankfurt/M. 1970, , S ; Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Band 1, Berlin (DDR) 1969, S Emile Durkheim: Gesellschaft als integrierte Einheit/Soziologie als Moralwissenschaft Emile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977, S und Emile Durkheim: Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 3
4 Max Weber: Soziologie ohne Gesellschaft Max Weber: Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders.: Schriften , ausgew. v. Dirk Käsler, Stuttgart 2002, S George Herbert Mead: Gesellschaft als universe of discourse/soziologie als Verhaltenswissenschaft George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft. Hrsg. von Charles W. Morris. Frankfurt/M. 1992, S und ! Pfingstmontag ! keine Vorlesung Talcott Parsons: Gesellschaft als politische Einheit/Soziologie als Theorie sozialer Systeme Talcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 4
5 Alfred Schütz/Peter Berger/Thomas Luckmann: Gesellschaft als Lebenswelt/Soziologie als Phänomenologie und Anthropologie Alfred Schütz/Thomas Luckmann: Die Lebenswelt des Alltags und die natürliche Einstellung, in: dies.: Strukturen der Lebenswelt. Band 1, Frankfurt/M. 2003, S Jürgen Habermas: Gesellschaft als System und Lebenswelt/Soziologie als Aufklärungsprojekt Jürgen Habermas: Der normative Gehalt der Moderne, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S Niklas Luhmann: Gesellschaft ohne Zentrum und Spitze/Soziologie als Aufklärung Niklas Luhmann: Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders.: Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 5
6 Pierre Bourdieu: Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)Aufklärung Pierre Bourdieu: Leçon sur la leçon, in: ders.: Sozialer Raum und Klassen. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S Bruno Latour: Gesellschaft posthumaner Kollektive/Soziologie als Theorie hybrider Akteure Bruno Latour: Kleine Soziologie alltäglicher Gegenstände, in: ders.: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin, S Klausur Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 6
7 Weitere Informationen: Die Texte werden in den Tutorien bearbeitet und sollen von allen sonstigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vorlesung mitgelesen werden. Die Anmeldeformalitäten für die Klausur werden im Laufe der Vorlesung erläutert. Sonntags ab spätestens Uhr (meist früher) lassen sich die Folien des darauf folgenden Montags von der Homepage des Lehrstuhls herunterladen ( Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 7
8 Alfred Schütz ( ) Alfred Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1981) S. 11f.: Hat es die Sozialwissenschaft mit dem Sein des Menschen an sich oder nur mit seinen gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu tun? Ist das gesellschaftliche Ganze dem Sein des Einzelnen vorgegeben, so dass das Individuum nur ist, weil es Teil einer Ganzheit ist, oder ist es umgekehrt das, was wir das gesellschaftliche Ganze nennen und seine Teilorganisationen eine Synthesis von Funktionen der einzelnen menschlichen Individuen, deren Sein allein Realität zukommt? Ist das das Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 8
9 gesellschaftliche Sein des Menschen, was sein Bewusstsein, oder umgekehrt sein Bewusstsein, das sein gesellschaftliches Sein bestimmt? Kann das historische Geschehen der Menschheits und Kulturentwicklung unter Gesetzen begriffen werden oder sind umgekehrt alle als Gesetze ausgegebenen Deutungsversuche der fortgeschrittensten Sozialwissenschaft, wie z.b. der Nationalökonomie, ihrerseits bloß historisch bedingte Abstraktionen? Es ist begreiflich, dass derjenige, auf den Fragen von solcher Tragweite einstürmen, der Versuchung unterliegt, ihre Lösung naiv vorauszusetzen und von seinem, durch Temperament, wertenden oder politischen Einstellungen oder bestenfalls metaphysischen Instinkt diktierten Standpunkt aus an die einzelnen Tatsachen heranzutreten. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 9
10 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft (J.C.B. Mohr, Tübingen 1972) S.1: 1. Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. Handeln soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 10
11 Alfred Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, a.a.o. S.15f: Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für die präzise Erfassung des Phänomens Fremdverstehen unerläss- Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 11
12 lich ist. Zwar stellt Weber dem subjektiv gemeinten Sinn eines Handelns dessen objektiv erkennbaren Sinngehalt gegenüber. Aber er differenziert nicht weiter und untersucht jene spezifischen Abwandlungen, die ein Sinnzusammenhang von der jeweiligen Position des Deutenden aus erfährt, ebenso wenig, wie die Auffassungsperspektiven, in denen dem in der Sozialwelt Lebenden seine Mit- und Nebenmenschen überhaupt gegeben ist. S. 16: Die soziale Welt ist eben keineswegs homogen, sondern mannigfach gegliedert, und der Andere, der Partner, ist dem sozial Handelnden und beide wieder dem Beobachter jeweils in verschiedenen Graden der Anonymität, der Erlebnisnähe und Inhaltsfülle gegeben. Der Einzelne zieht aber diese perspektivischen Verkürzungen, in denen ihm die Sozialwelt erscheint, bei Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 12
13 seinen Sinnsetzungs- und Sinndeutungsakten ins Kalkül, und deshalb sind auch sie Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Denn es handelt sich hier nicht um empirische Unterschiede des zufälligen Standpunktes des Einzelnen, sondern um Wesensunterschiede prinzipieller Natur um den wesensmäßigen Unterschied insbesondere zwischen der Selbstinterpretation der Erlebnisse durch das eigene Ich und der Interpretation fremder Erlebnisse durch das deutende alter ego. Dem handelnden Ich und dem deutenden Beobachter präsentiert sich nicht nur die einzelne sinnhafte Handlung und ihr Sinnzusammenhang, sondern auch das Ganze der Sozialwelt in völlig verschiedener Perspektive. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 13
14 S. 28f: Nur wenn angenommen wird, dass auch der Andere mit seinem Verhalten einen Sinn verbinde und diesen Sinn so in den Blick bringen könne, wie ich auf den Sinn meines Handelns hinzusehen vermag, kann überhaupt mit Fug nach dem fremden gemeinten Sinn gefragt werden. Dass aber dieser gemeinte Sinn einer fremden Handlung oder eines fremden Verhaltens nicht mit demjenigen Sinn zusammenfallen muss, welchen der wahrgenommene, von mir als fremdes Handeln oder fremdes Verhalten interpretierte Vorgang für mich, den Beobachtenden, hat, ist die zweite Voraussetzung, welche in diesem Postulat enthalten ist. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 14
15 S. 20f: Schon eine oberflächliche Analyse zeigt nämlich, dass das Sinnproblem ein Zeitproblem ist, allerdings nicht ein solches der physikalischen Raumzeit, die teilbar und messbar ist, oder der historischen Zeit, die immer eine von äußeren Begebenheiten erfüllbarer Ablauf bleibt, wohl aber ein solches des inneren Zeitbewusstseins, des Bewusstseins der je eigenen Dauer, in dem sich für den Erlebenden der Sinn seiner Erlebnisse konstituiert. Erst in dieser tiefsten, der Reflexion zugänglichen Erlebnisschicht, die nur in streng philosophischer Selbstbestimmung schlossen werden kann, ist der letzte Ursprung der Phänomene Sinn und Verstehen aufweisbar. Der mühevolle Weg in diese Tiefenschichten kann aber demjenigen, der sich über die Grundbegriffe der Sozialwissenschaften Rechenschaft geben will, nicht erspart bleiben. Er Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 15
16 wird vielmehr die im hochkomplexen Sinngefüge der Sozialwelt sichtbar werdenden Phänomene nur dann deutlich erfassen können, wenn er sie auf ursprünglichen und allgemeinen Wesensgesetzen des Bewusstseinslebens abzuleiten vermag. Erst die großen philosophischen Entdeckungen Bergsons und vor allem Husserls haben den Zugang zu diesen Tiefenschichten philosophischer Reflexion erschlossen. Nur mit Hilfe einer allgemeinen Theorie des Bewusstseins, wie Bergsons Philosophie der Dauer oder Husserls transzendentaler Phänomenologie, kann die Lösung der Rätsel gefunden werden, mit denen die Problematik der Sinnsetzungs- und Sinndeutungsphänomene umlagert ist. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 16
17 Edmund Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins ( ), Husserliana, Band X, Den Haag S. 23: Die Sache scheint zunächst sehr einfach: wir hören die Melodie, d.h. wir nehmen sie wahr, denn Hören ist ja Wahrnehmen. Indessen, der erste Ton erklingt, dann kommt der zweite, dann der dritte usw. Müssen wir nicht sagen: wenn der zweite Ton erklingt, so höre ich ihn, aber ich höre den ersten nicht mehr usw.? Ich höre also in Wahrheit nicht die Melodie, sondern nur den einzelnen gegenwärtigen Ton. Daß das abgelaufene Stück der Melodie für mich gegenständlich ist, ver-danke ich - so wird man geneigt sein zu sagen - der Erinnerung; und daß ich, bei dem jeweiligen Ton angekommen, nicht voraussetze, daß das alles sei, verdanke ich der vor- Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 17
18 blickenden Erwartung. Bei dieser Erklärung können wir uns aber nicht beruhigen, denn alles Besagte überträgt sich auch auf den einzelnen Ton. Jeder Ton hat selbst eine zeitliche Extension, beim Anschlagen höre ich ihn als jetzt, beim Forttönen hat er aber ein immer neues Jetzt, und das jeweilig vorausgehende wandelt sich in ein Vergangen. Also höre ich jeweils nur die aktuelle Phase des Tones, und die Objektivität des ganzen dauernden Tones konstituiert sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinnerung, zu einem kleinsten, punktuellen Teil Wahrnehmung und zu einem weiteren Teil Erwartung ist. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 18
19 Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, a.a.o. S.104: Wir können nun den Gesamtzusammenhang der Erfahrung auch definieren als den Inbegriff aller durch das Ich als freies Wesen in einem gegebenen Zeitpunkt seiner Dauer vollziehbaren reflexiven Zuwendung (einschließlich aller attentionalen Modifikationen dieser Zuwendungen) auf seine abgelaufenen in phasenweisen Aufbau konstituierten Erlebnisse. Der spezifische Sinn eines Erlebnisses, also das besondere Wie der Zuwendung zu ihm, besteht dann in der Einordnung dieses Erlebnisses in den vorgegebenen Gesamtzusammenhang der Erfahrung. Wir können diesen Satz auch in folgender Form ausdrücken, die zugleich eine präzise Definition des Begriffes gemeinter Sinn abgibt: Gemeinter Sinn eines Erlebnisses ist nichts anderes als eine Selbstauslegung des Erlebnisses von einem neuen Erleben her. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 19
20 S.112: Wir können den Prozess der Einordnung eines Erlebnisses unter die Schemata der Erfahrung durch synthetische Rekognition auch als Deutung dieses Erlebnisses bezeichnen, wenn wir dieses Wort in einem erweiterten Sinn gelten lassen, der auch die in der allgemein üblichen Redeweise damit gemeinte Zuordnung eines Zeichens zu dem, was es bezeichnet, umschließt. Deutung ist dann nichts anderes als Rückführung von Unbekanntem auf Bekanntes, von in Zuwendungen Erfasstem auf Schemata der Erfahrung. Diesen kommt also beim Prozess des Deutens der eigenen Erlebnisse eine besondere Funktion zu. Sie sind die fertigen in der Weise des Wissens (Vorwissens) jeweils vorrätigen Sinnzusammenhänge zwischen kategorial vorgeformten Material, auf welches das zu deutende Erlebnis in einem neuen synthetischen Akt rückgeführt wird. Insoferne sind die Schemata der Erfahrung Deutungsschemata und Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 20
21 als solche wollen wir sie im folgenden bezeichnen. Die Zuordnung eines Zeichens zu einem Zeichensystem, für welche der Terminus Deutungsschema vorzugsweise verwendet wird, ist nur ein Spezialfall des soeben gekennzeichneten Vorgangs der Selbstauslegung überhaupt. S.139: Das Postulat der Erfassung des fremden gemeinten Sinnes besagt nämlich, dass die Erlebnisse des alter ego durch ein ego in der nämlichen Weisen auszulegen seien, wie das alter ego die Selbstauslegung seiner Erlebnisse vollzieht. Ein solches Wissen könnte aber nur in einem eigenen Erleben und in einer Serie reflexiver Blickwendungen auf dieses eigene Erleben bestehen. Hierbei müsste der Beobachter die einzelnen Erlebnisse, und zwar die Urimpressionen, die reflexiven Akte, die akti- Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 21
22 ven Spontaneitäten, die Phantasieerlebnisse usw. in der gleichen Reihenfolge und mit den gleichen Höfen von Protentionen und Retentionen in seinem (des Beobachters) Bewusstsein vorfinden. Mehr noch: der Beobachter müsste dazu fähig sein, auch alle vorvergangenen Erlebnisse des Beobachteten in freier Reproduktion zu durchlaufen, er müsste also dieselben Erlebnisses in ihrer Totalität, und zwar in ihrer gleichen Abfolge erlebt und in gleicher Weise Zuwendungen zu ihnen vollzogen haben, wie der Beobachtete selbst. Das heißt aber nichts anderes, als dass der Bewusstseinsstrom der durée des Beobachters der nämliche sein müsste, wie der des Beobachteten, oder mit anderen Worten, dass Beobachter und Beobachteter ein und dieselbe Person sein müssten. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 22
23 S.156: Die vorgenommene Analyse zeigt aber in voller Deutlichkeit, dass eben diese letzten Fragen erst gestellt werden können, sobald das Ich das vernommene Wort (als von einem alter ego kundgegeben) in Selbstauslegung erfasst hat, dass also alles echte Fremdverstehen auf Akten der Selbstauslegung des Verstehenden fundiert ist. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 23
24 Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze III. Studien zur phänomenologischen Philosophie, Den Haag 1971 S. 116f: Es kann aber mit Bestimmtheit gesagt werden, dass nur eine solche Ontologie der Lebenswelt, nicht aber eine transzendentale Konstitutionsanalyse jenen Wesensbezug der Intersubjektivität aufzuklären vermögen wird, der die Grundlage sämtlicher Sozialwissenschaften bildet, obschon er von diesen meistens nur als schlichte Gegebenheit ungeprüft, d.h. als selbstverständlich angesetzt wird. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 24
25 Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze I. Das Problem der sozialen Wirklichkeit, Den Haag S. 286: Wir können jetzt einige Merkmale der Epoché der wissenschaftlichen Einstellung zusammenfassen. In dieser Epoché werden eingeklammert : (1) die Subjektivität des Denkers als Mensch unter Mitmenschen einschließlich seiner körperlichen Existenz als psycho-physisches menschliches Wesen in der Welt; (2) das Orientierungssystem, durch das die Alltagswelt nach der tatsächlichen, der wiederherstellbaren, der erreichbaren Reichweite usw. gegliedert ist; (3) die grundlegende Sorge und das in ihr gründende System pragmatischer Relevanzen. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 25
26 S.262: Ich weiß, dass ich sterben werde und fürchte mich davor. Diese fundamentale Erfahrung wollen wir die grundlegende Sorge nennen. Dies ist die ursprünglichste Erwartung, der alle anderen entstammen, - die vielen untereinander verflochtenen Systeme von Hoffnungen und Befürchtungen, von Wünschen und Erfüllungen, von Chancen und Wagnissen die den Menschen in der natürlichen Einstellung dazu anspornen, die Meisterung der Welt anzustreben, Hindernisse zu überwinden, Pläne zu entwerfen und sie zu verwirklichen. Doch die grundlegende Sorge selbst ist lediglich ein Korrelat unserer Existenz als menschliches Wesen innerhalb der ausgezeichneten Wirklichkeit des alltäglichen Lebens. Daher sind unsere Hoffnungen und Befürchtungen und die mit ihnen verbundenen Erfüllungen und Enttäuschungen allein in der Wirkwelt verankert und nur in ihr Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 26
27 möglich. Sie sind wesentliche Bestandteile der Realität dieser Welt des Wirkens, beziehen sich aber nicht auf unseren Glauben an sie. Im Gegenteil, es ist bezeichnend für die natürliche Einstellung, dass sie die Welt und ihre Gegenstände so lange sie nicht in Frage gestellt werden als selbstverständlich gegeben hinnimmt. So lange das einmal festzulegende Bezugsschema, nämlich das System unserer eigenen und der fremden verbürgten Erfahrungen nicht fehlschlägt, so lange das Handeln und Tun unter der Anleitung dieses Schemas den gewünschten Erfolg hat so lange vertrauen wir diesen Erfahrungen. Wir sind gar nicht daran interessiert, herauszufinden, ob diese Welt wirklich existiert oder ob sie nur ein wohlgefügtes System zusammenhängender Erscheinung ist. Wir haben keinen Grund, unsere verbürgten Erfahrungen irgendwie zu bezweifeln, von denen wir annehmen, dass sie uns die Dinge so darbieten wie sie wirklich sind. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 27
28 S. 263: Die Phänomenologie hat den Begriff der Epoché eingeführt. Sie versteht darunter ein Verfahren, das unseren Glauben an die Wirklichkeit der Welt ausklammert, um so die natürliche Einstellung durch eine radikale Weiterentwicklung der Cartesianischen Methode des philosophischen Zweifels zu überwinden. Man kann andererseits vielleicht sagen, dass der Mensch in der natürlichen Einstellung auch eine bestimmte Epoché verwendet, die allerdings von der des Phänomenologen ganz verschieden ist. Jener klammert nicht etwa seinen Glauben an die Außenwelt und ihren Gegenständen aus, sondern, im Gegenteil, seine Zweifel an der Existenz dieser Welt. Was er in Klammern setzt, ist sein Zweifel daran, dass die Welt und ihre Gegenstände anders sein könnten, als sie ihm erscheinen. Wir wollen diese Epoché die Epoché der natürlichen Einstellung nennen. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 28
29 S.363: Durch wechselseitiges Verstehen und Einverständnis wird somit eine gemeinsame kommunikative Umwelt geschaffen, innerhalb der die Subjekte sich gegenseitig in ihren Bewusstseinsaktivitäten motivieren. Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 29
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