Die Entwicklung der Erziehung in römischer Antike und Moderne - ein Werteverfall?
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- Gottlob Arwed Linden
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1 Kurzvortrag von Marie-Thérèse Eble zur Endrunde des Certamen Carolinum November 2012 Die Entwicklung der Erziehung in römischer Antike und Moderne - ein Werteverfall?
2 Gliederung I. Einleitung 3 II. Messallas Position und sprachliche Gestaltung 3 III. Historischer Hintergrund im Bezug auf die Erziehung und Beurteilung der Kritik 6 IV. Parallelen zu heutiger Problematik und Fazit 7 V. Anhang 9 2
3 I. Einleitung Faszinierend ist die römische Literatur für mich immer dann, wenn Autoren sich mit zeitlosen Sachverhalten auseinandersetzen, die die Menschen sowohl vor 2000 Jahren als auch in unserer Gegenwart betreffen. In den Medien wird zur Zeit ein solches Thema kontrovers diskutiert, das ich daher zum Gegenstand meines Kurzvortrags machen möchte. Die Kinder, die einen Großteil des Tages in der Betreuung von Kindertagesstätten und Krippen verbringen, werden immer jünger. Zweifel bestehen, ob es möglich ist, dass Kleinkinder dabei dieselbe Zuwendung erfahren wie im Kreis der Familie und ob Betreuer zentrale Werte und Fähigkeiten unserer Gesellschaft genauso vermitteln wie die Eltern. Kritik daran, wie sich Erziehungsideale verändern und welche Folgen dies langfristig für das Zusammenleben der Menschen hat, übte bereits der römische Autor Tacitus in seinem 102 n. Chr. verfassten Dialogus de oratoribus. In diesem Werk lässt er mehrere Römer die Frage debattieren, welche Ursachen es für den allgemeinen Niedergang der Redekunst gibt. Messalla, dessen Meinung der vorliegende Textauszug wiedergibt, erklärt dies durch Fehler in der Kindererziehung. Seine Position habe ich im Folgenden genauer herausgearbeitet. II. Messallas Position und sprachliche Gestaltung Der Textauszug lässt sich zunächst in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil (dial. 28, 4-6) beschreibt Messalla das Idealbild der römischen Erziehung in früherer Zeit, pridem (Z. 1). Damals habe in erster Linie die Mutter die Erziehung des Kindes übernommen und es als ihre wichtigste Aufgabe, als praecipua laus (Z. 2f.), angesehen, sich um die Nachkommen zu kümmern ( inservire liberos Z. 3) und den Haushalt zu schützen ( tueri domum Z. 3). Die dauerhafte und enge Bindung zwischen der selbst stillenden Mutter und ihrem Kind betont Messalla durch den Pleonasmus gremio ac sinu matris (Z. 2). Dass er eine fürsorgende Mutter einer von ihm abwertend als emptae nutricis (Z. 2) bezeichneten Amme vorzieht, wird in der Antithese non in cellula emptae nutricis, sed gremio ac sinu matris (Z. 1f.) deutlich. 3
4 Des Weiteren sei eine ausgewählte Verwandte zur Erziehung der Kinder hinzugezogen worden. Eligebatur (Z. 4) wird zu diesem Zweck in einer Inversion hervorgehoben. Die hohen Ansprüche an die propinqua (Z. 4) verdeutlicht Messalla in dem Ausdruck probatis spectatisque moribus (Z. 4f.) und verstärkt dies durch die Verwendung von zwei Synonymen ( probatus und spectatus ). 1 Durch ihre bloße Anwesenheit habe sie schlechte Einflüsse ( turpe Z. 6 und inhonestum Z. 7) vom Kind ferngehalten, da alle Bewohner des Haushalts voller Respekt auf sittlich richtiges Sprechen und Verhalten geachtet hätten. Messalla geht darüber hinaus auf ihre vielseitigen Funktionen ein, da sie nicht nur das Lernen ( studia und curas Z. 8), sondern auch Pausen ( remissiones Z. 8) und das Spiel ( lusus Z. 8) beaufsichtigt habe. Dies alles sei gewissen- und tugendhaft sanctitate [...] ac verecundia (Z. 9) ausgeführt worden. Im Folgenden nennt Messalla, hervorgehoben durch die dreimalige Wiederholung von sic (Z. 10), drei berühmte Beispiele für eine gelungene Erziehung dieser Art, durch die Mütter ihren Söhnen zu einer guten Position ( principes Z. 11) im Erwachsenenalter verholfen hätten. Er erwähnt dabei z.b. Cornelia[...] Gracchorum (Z. 9), die in der Antike tatsächlich als unübertroffenes Vorbild einer Frau von Stand, einer matrona, galt 2 sowie die Mütter der Kaiser Caesar und Augustus (vgl. Z. 10f.). Dass Strenge ein besonders wichtiges Mittel in der Erziehung der Kinder sei, zeigt Messalla durch einen weiteren Pleonasmus disciplina ac severitas (Z. 12). Erst diese könne die jungen Menschen an die artes honestas (Z. 14), an die ehrenhaften Künste heranführen darunter versteht Tacitus die drei Berufsmöglichkeiten, die ein junger vornehmer Römer zur Wahl habe: den Kriegsdienst ( rem militarem Z. 14), das Rechtswesen ( iuris scientiam Z. 14) und die Rhetorik ( eloquentiae studium Z. 15). Für Messalla ist das Kleinkind unbeeinflusst von schlechten Eigenschaften ( pravitatibus Z. 13) und durch fehlende Erfahrung und Reife noch sincera et integra (Z. 12). Gerade deshalb hält er eine gute Erziehung für so wichtig, weil sie den an sich guten Menschen vor Schlechtem schützen soll. Insgesamt erscheint dieser erste Abschnitt durch die mehrmalige Verwendung von sprachlichen Mitteln stilistisch besonders ausgestaltet. Vor allem die häufigen, harmonisch wirkenden Trikola (vgl. z.b. Z. 10/12f./14f.) unterstreichen insgesamt den Gegensatz zwischen ausgewogener, idealer Erziehung in früherer Zeit und der 1 Güngerich, S Alpers, S
5 fehlerhaften Kindererziehung zu Messallas Zeit, die im zweiten Textabschnitt (dial. 29, 1-2) kritisiert wird. Der starke Kontrast lässt sich bereits an den ersten zwei Wörtern at nunc (Z. 16) ablesen. Die Erziehung werde nun in die Hände einer Magd und einiger Sklaven gegeben (vgl. Z. 16f.) Deutlich wird Tacitus Ablehnung gegen diese Veränderung in dem Gegensatz zwischen committeretur (Z. 6) und delegatur (Z. 16). Committere es steht im Zusammenhang mit der älteren Verwandten - klingt wie das liebevolle Übergeben des Kindes an eine gut ausgewählte Person. 3 In der Literatur versteht man in delegare eher das sich Entledigen des Kindes. 4 Darüber hinaus werden sowohl die Magd als auch die Sklaven von Messalla abgewertet. Bei ancilla (Z. 16) steht das meist abschätzig gebrauchte Deminutivum Graeculae (Z. 16). 5 Die Sklaven werden als vilissimus (Z. 17) beschrieben und als völlig ungeeignet für diese wichtige Aufgabe ( serio ministerio Z. 18). Im Folgenden erläutert Messalla die schlechten Einflüsse dieser Betreuer auf das Kind: ihre fabulis et erroribus (Z. 19) und dass ohne die ältere Verwandte eine Respektsperson im Haus fehle und niemand auf seine Sprache und sein Handeln achte (vgl. Z ). Messalla erklärt, dass sogar die eigenen Eltern (vgl. Z. 22) zu dieser schlechten Erziehung beitrügen und man so falsche Werte weitergäbe, lasciviae (Z. 23) und dicacitati (Z. 23) stellt er in einer Antithese die richtigen Werte probitati (Z. 22) und modestiae (Z. 22) gegenüber. In lascivia bezieht er sich auf das Verhalten der durch schlechte Erziehung geprägten Kinder, in dicacitas besonders auf die fehlenden Sitten im Sprechen. So lässt sich hier wieder der Bezug zur Ausgangsfrage des Dialoges herstellen, zu den Ursachen für den Verfall der Redekunst. Das führe zwangsläufig dazu, dass sich impudentia (Z. 23), unverschämtes Verhalten, und sui alienique contemptus (Z. 24) verbreiten, d.h. das Nichtachten der Sitten sich selbst und Anderen gegenüber. 3 Güngerich, S Keilbach, S. 14, Güngerich, S Güngerich, S. 125, Loretto, S. 9 5
6 III. Historischer Hintergrund im Bezug auf die Erziehung und Beurteilung der Kritik Man kann vielleicht die kritische Haltung Messallas besser verstehen, wenn man sich die zentralen Ideale in der römischen Erziehung der Antike vor Augen hält. In der Literatur, z.b. bei dem Pädagogen Castle, werden dazu vor allem gravitas und pietas genannt. 6 Für gravitas finden sich die Übersetzungen Charakterstärke, Ernst, Würde, Erhabenheit 7, die deutsche Bedeutung von pietas reicht von Pflichtgefühl und Treue über Vaterlandsliebe bis hin zur Elternliebe. 8 Bei beiden Begriffen handelt es sich um Werte, die auf vielfältige Weise das römische Leben geprägt haben und über Generationen hinweg weitergegeben wurden. 9 Im Auszug aus Tacitus Dialog ist diese traditionelle Wertevorstellung offensichtlich. Ausdrücke wie mores, modestia, probitas, disciplina ac severitas und sanctitas ac verecundia gehören zu der Haltung, die man bereits durch frühkindliche Erziehung in der Familie fördern wollte. Daraus folgt Tacitus Ablehnung gegenüber allem, was diesem sittlichen Verhalten widerspricht: turpis oder inhonestus, darüber hinaus lascivia, dicacitas, impudenta und sui alienique contemptus. Laut Messallas Ausführungen seien viele dieser Werte durch eine entartete Erziehung verfallen und ersetzt worden. Um dies besser beurteilen zu können, möchte ich kurz die römische Erziehung in der historischen Entwicklung schildern. Trotz der Macht des Mannes als pater familias war die Bedeutung der Frauen für die Erziehung der Kinder sehr groß. 10 Castle vermutet sogar, dass zur früheren römischen Zeit der mütterliche Einfluss so tief und dauernd 11 war wie in keiner anderen Kultur. Die Mütter stillten meist selbst und zogen das Kind bis zu seinem siebten Lebensjahr fast alleine groß, 12 nur wenn nötig, wurde wie bei Tacitus erwähnt eine maior propinqua ausgewählt. 13 Danach sollten durch die Erziehung des Vaters nicht nur 6 Castle, S PONS, S PONS, S Castle, S Keilbach, S Castle, S Castle, S Keilbach, S. 13 6
7 praktische Fähigkeiten, sondern die auch für Messalla so zentralen Werte vermittelt werden, um das Kind an das sittliche römische Ideal heranzuführen. 14 Diese behütete, häusliche Erziehung sah man ausdrücklich als Kontrast zur griechischen Vorstellung von Kindererziehung, bei der Ammen und Pädagogensklaven erzogen. Der einsetzenden Hellenisierung, bei der der griechische Einfluss die römische Kultur in vielen Bereichen veränderte, passte sich auch die Erziehung an. 15 An die Stelle des Vaters als Vorbild trat der paedagogus, für die ersten Lebensjahre wurde eine Amme ausgewählt, die das Kind stillte und großzog. 16 Nach Meinung vieler römische Autoren sollte eine Amme nur wenn unbedingt benötigt eingesetzt werden und in diesem Fall sehr gut ausgewählt sein. 17 Z.B. geht Quintilianus auf die hohen Anforderungen an Sprache und Sitten der Amme ein, weil ihre Eigenschaften das Kind dauerhaft prägen. 18 Diese Theorie war jedoch weit entfernt von der Praxis, in der das Erziehen durch ungenügend gebildete Frauen zur Regel wurde. 19 Die Kritik in Messallas Rede rührt also daher, dass man die moderne Erziehung mit dem Verlust des Familiensinns und damit zentraler sittlicher Werte assoziierte. IV. Parallelen zu heutiger Problematik und Fazit Im Verlauf der letzten Generationen werden Parallelen zwischen der Erziehungsentwicklung in der römischen Antike und in der Gegenwart deutlich. So bedeutete Kindheit früher im positiven Fall ein behütetes häusliches Aufwachsen im Kreis der Familie. Der Vater arbeitete, die Mutter umsorgte ihre Kinder und beide versuchten, sie in jeder Weise individuell zu fördern und sie durch einen ständigen Dialog und vorbildhaftes Verhalten an traditionelle Werte und praktische Fertigkeiten heranzuführen Respekt, Fleiß, soziales und ehrenhaftes Verhalten, Bildung. Heute beobachten wir neben althergebrachten Modellen tendenziell ein Aufbrechen des früheren Erziehungsideals. Grund dafür waren die veränderten Familienstrukturen Castle, S Castle, S. 119 f. 16 Friedländer, S Eichenauer, S. 248 f. 18 Quint. Inst. I, 1, 4 19 Friedländer, S Nave-Herz, S. 17 7
8 (der Begriff der Patchwork -Familie etablierte sich am Ende des 20. Jahrhunderts) 21, die Erwerbstätigkeit der Mutter, die die Rollenverteilung in der Familie ändert 22. In einer Art Auslagerung der Erziehungsarbeit gewinnen andere Betreuungsformen an Bedeutung: Kindertagesstätten, Tagesmütter und Krippen. 23 Genauso wie von Messalla zu seiner Zeit wird dies auch heute kritisch betrachtet. Sowohl Krippen für immer jüngere Kinder als auch die Qualität der Betreuung sind umstritten. Verschiedene Wissenschaftler prophezeien langfristig negative Folgen durch ungenügende Betreuung (Betreuungsschlüssel, mangelnde Ausbildung). 24 Dadurch ergeben sich Lücken in der Sprachfrühförderung, der Kreativität, der Ausbildung von sozial-emotionaler Kompetenz und individuellen Fähigkeiten und Merkmalen. Auftreten könnten Verhaltensauffälligkeiten, Ausgrenzungen, das Übersehen von Begabungen und Defizite im kommunikativen Bereich. 25 Eine solche Einschätzung, wie Messalla sie vornimmt, wenn er den Verlust sittlicher Werte und traditioneller Fähigkeiten beschreibt, ist grundsätzlich subjektiv. Die von Messalla historisch als Werteverfall dargestellte Entwicklung in der Erziehung kann heute auch neutral als Wertewandel gesehen werden: von traditionellen Werten hin zu einer Verstärkung der Selbstständigkeit des Kindes. 26 Ob sich diese Veränderung negativ auf unsere heutige Gesellschaft auswirkt, muss weiter beobachtet werden und darf meiner Meinung nach in keinem Fall vorverurteilt werden. Kritisch zu bedenken ist, dass die Praxis in einer Krippe oder Kindertagesstätte generell nicht alle theoretischen Ansprüche erfüllen kann und bereits kleinere Defizite in Zuwendung und individueller Förderung ein Kind langfristig prägen können. Sicher wird es für Eltern nötig sein, sich der Verantwortung dahingehend zu stellen, dass sowohl die eigene Erziehung als auch die Fremdbetreuung einer gewissenhaften Kontrolle auf Qualität und Inhalt unterliegen. Ebenso ist es Aufgabe der Gesellschaft, in Erziehungseinrichtungen zukunftsorientiert Zeit und Geld zu investieren. Meine Brüder würden mir sicher zustimmen, wenn ich behaupte, dass unsere sprachlichen Kompetenzen vor allem vom frühen Lesen, Kommunizieren und Diskutieren im Elternhaus geprägt wurden und von der ständigen Anwesenheit einer Vertrauensperson. 21 Nave-Herz, S Nave-Herz, S Schaaf, S Schaaf, S Schaaf, S Nave-Herz, S. 68 8
9 V. Anhang 1. Eigene Übersetzung von dial. 28,2-29,4: 28 (4) Denn früher wurde jedem sein Sohn, geboren von einer keuschen Mutter, nicht im Kämmerchen einer gekauften Amme, sondern im Schoß und Schutz der Mutter aufgezogen, deren besonderer Ruhm es war, das Haus zu beschützen und die Kinder zu fördern. (5) Auch wurde irgendeine ältere Verwandte ausgewählt, deren bewährten und vortrefflichsten Sitten die ganze Nachkommenschaft derselben Familie anvertraut wurde; in ihrer Gegenwart war es auch nicht erlaubt, zu sagen, was schändlich zu sagen, und nicht zu machen, was unehrenhaft zu machen schien. (6) Ebenso beaufsichtigte sie nicht nur die Studien und die Interessen, sondern auch die Erholung und die Spiele des Jungen mit einer gewissen Tugend und Zurückhaltung. Wir vernehmen, dass so Cornelia, Mutter der Gracchen, so Aurelia, Mutter des Caesars, so Atia, Mutter des Augustus in der Erziehung vorstanden und ihre Kinder zu hoch gestellten Staatsmännern emporbrachten. (7) Diese Disziplin und Strenge zielte dahin ab, dass das aufrichtige und unberührte und durch keine schlechten Eigenschaften verdrehte Wesen all dieser sich sofort mit ganzem Herzen die ehrenhaften Künste aneignete und sich entweder dem Kriegsdienst, der Kenntnis des Rechts oder der Ausbildung der Redegewandtheit zuwandte, dies allein ausführte und dies ganz in sich aufnahm. 29 (1) Heute jedoch wird das geborene kleine Kind irgendeiner griechischen Magd anvertraut, der der eine oder andere von allen Sklaven hinzugesellt wird, gewöhnlich der unbedeutendste und für diese ernste Aufgabe nicht geeignete. Mit deren Geschichten und Irrtümern werden die jugendlichen und unerfahrenen Gemüter sogleich getränkt; und kein einziger im ganzen Haus legt Gewicht darauf, was er in Anwesenheit des jungen Herrn sagt oder tut. (2) Ja sogar die Eltern selbst gewöhnen die Kleinen nicht an Rechtschaffenheit und an Bescheidenheit, sondern an Zügellosigkeit und Witzelei, wodurch sich allmählich Schamlosigkeit einschleicht und Geringschätzung gegenüber dem Eigenen und dem Fremden. 9
10 2. Lateinische Originaltexte Dialogus de oratoribus 28,4 29,2 28 (4) Nam pridem suus cuique filius, ex casta parente natus, non in cellula emptae nutricis, sed gremio ac sinu matris educabatur, cuius praecipua laus erat tueri domum et inservire liberos. (5) Eligebatur autem maior aliqua natu propinqua, cuius probatis spectatissimisque moribus omnis eiusdem familiae suboles committeretur; coram qua neque dicere fas erat, quod turpe dictu, neque facere, quod inhonestum factu videretur. (6) Ac non studia modo curasque, sed remissiones etiam lususque puerorum sanctitate quadam ac verecundia temperabat. Sic Corneliam Gracchorum, sic Aureliam Caesaris, sic Atiam Augusti praefuisse educationibus ac produxisse principes liberos accepimus. (7) Quae disciplina ac severitas eo pertinebat, ut sincera et integra et nullis pravitatibus detorta unius cuiusque natura toto statim pectore arriperet artes honestas et, sive ad rem militarem sive ad iuris scientiam sive ad eloquentiae studium inclinasset, id solum ageret, id universum hauriret. 29 (1) At nunc natus infans delegatur Graeculae alicui ancillae, cui adiungitur unus aut alter ex omnibus servis, plerumque vilissimus nec cuiquam serio ministerio accommodatus. Horum fabulis et erroribus virides statim et rudes animi imbuuntur; nec quisquam in tota domo pensi habet, quid coram infante domino aut dicat aut faciat. (2) Quin etiam ipsi parentes non probitati neque modestiae parvulos assuefaciunt, sed lasciviae et dicacitati, per quae paulatim impudentia inrepit et sui alienique contemptus. Zusätzliche Textstelle: M. Fabius Quintilianus, Inst. Orat. I 1, 4-6 (4) Ante omnia ne sit vitiosus sermo nutricibus: quas, si fieri posset, sapientes Chrysippus optavit, certe quantum res pateretur optimas eligi voluit. Et morum quidem in his haud dubie prior ratio est, recte tamen etiam loquantur. (5) Has primum audiet puer, harum verba effingere imitando conabitur. Et natura tenacissimi sumus eorum, quae rudibus animis percepimus: ut sapor quo nova imbuas durat, nec lanarum colores, quibus simplex ille candor mutatus est, elui possunt. Et haec ipsa magis pertinaciter haerent quae deteriora sunt. Nam bona facile mutantur in 10
11 peius: quando in bonum verteris vitia? Non adsuescat ergo, ne dum infans quidem est, sermoni qui dediscendus sit. (6) In parentibus vero quam plurimum esse eruditionis optaverim. Nec de patribus tantum loquor: nam Gracchorum eloquentiae multum contulisse accepimus Corneliam matrem, cuius doctissimus sermo in posteros quoque est epistulis traditus, et Laelia C. filia reddidisse in loquendo paternam elegantiam dicitur, et Hortensiae Q. filiae oratio apud triumviros habita legitur non tantum in sexus honorem. 3. Quellen- und Literaturverzeichnis a) Primärquellen und Übersetzungshilfen Blank-Sangmeister, Ursula Römische Frauen Ausgewählte Texte, Stuttgart 2008 Hau, Rita et al. PONS Lateinisches Wörterbuch, Stuttgart 2003 (zitiert: PONS) Loretto, Franz Frauen des Altertums Ein lateinisches Lesebuch (Text), Münster 1977 b) Sekundärliteratur Alpers, Michael Der Vater bestimmte. Oder der Gatte Roms Frauen, in: GEO Epoche Nr. 5, S (zitiert: Alpers) Castle, E. B. Eichenauer, Monika Güngerich, Rudolf Die Erziehung in der Antike und ihre Wirkung in der Gegenwart, Stuttgart 1965 (zitiert: Castle) Untersuchungen zur Arbeitswelt der Frau in der römischen Antike, Frankfurt am Main 1988 (zitiert: Eichenauer) Kommentar zum Dialogus des Tacitus, Göttingen 1980 (zitiert: Güngerich) 11
12 Keilbach, Andreas Messallas zweite Rede (dial. 28,1 35,5) Der optimistische Standpunkt moralischpädagogischer Ursachenfindung für den Verfall der Beredsamkeit, Freiburg 2007 (zitiert: Keilbach) Loretto, Franz Frauen des Altertums (Kommentar), Münster 1977 (zitiert: Loretto) Nave-Herz, Rosemarie Familie heute Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung, Darmstadt 1994 (zitiert: Nave-Herz) Schaaf, Julia Wo ist das Kind gut aufgehoben?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2. September 2012, Nr. 35, S (zitiert: Schaaf) 12
13 4. Folie Die Entwicklung der Erziehung in römischer Antike und Moderne ein Werteverfall? 28,4-6 Nam pridem suus cuique filius, ex casta parente natus, non in cellula emptae nutricis, sed gremio ac sinu matris educabatur, cuius praecipua laus erat tueri domum et inservire liberos. Eligebatur autem maior aliqua natu propinqua, cuius probatis spectatissimisque moribus omnis eiusdem familiae suboles committeretur; coram qua neque dicere fas erat, quod turpe dictu, neque facere, quod inhonestum factu videretur. Ac non studia modo curasque, sed remissiones etiam lususque puerorum sanctitate quadam ac verecundia temperabat. Sic Corneliam Gracchorum, sic Aureliam Caesaris, sic Atiam Augusti praefuisse educationibus ac produxisse principes liberos accepimus. Quae disciplina ac severitas eo pertinebat, ut sincera et integra et nullis pravitatibus detorta unius cuiusque natura toto statim pectore arriperet artes honestas et, sive ad rem militarem sive ad iuris scientiam sive ad eloquentiae studium inclinasset, id solum ageret, id universum hauriret. 29,1-2 At nunc natus infans delegatur Graeculae alicui ancillae, cui adiungitur unus aut alter ex omnibus servis, plerumque vilissimus nec cuiquam serio ministerio accommodatus. Horum fabulis et erroribus virides statim et rudes animi imbuuntur; nec quisquam in tota domo pensi habet, quid coram infante domino aut dicat aut faciat. Quin etiam ipsi parentes non probitati neque modestiae parvulos assuefaciunt, sed lasciviae et dicacitati, per quae paulatim impudentia inrepit et sui alienique contemptus. Tacitus, Dialogus de oratoribus 28,4-29,2 13
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