Eine Medizin für alle
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- Klaudia Ursler
- vor 7 Jahren
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1 1 Eine Medizin für alle chronisch Kranke und teure Patienten O.-A. Müller, Rotkreuzkrankenhaus München Patientenforum Medizinethik vom Evangelische Akademie Tutzing Allgemeine Vorbemerkungen: Chronisch Kranke sind im Prinzip immer teure Patienten, da in der Regel ein doch erheblicher Medikamentenbedarf besteht bzw. auch weitere Folgekrankheiten eintreten können. Zusätzlich kommt es immer wieder zu Krankenhausaufenthalten um Verschlechterungen oder Komplikationen bzw. Zusatzerkrankungen schnell beherrschen und verbessern zu können. Beispiele hierfür sind: der Diabetes mellitus, chronische Herzerkrankungen, insbesondere die Herzinsuffizienz, chronische Lungenerkrankungen insbesondere die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Karzinome so sie den überhaupt in ein chronisches Stadium zu überführen sind sowie Transplantationen mit ihren Komplikationen und Folgekosten. Sehr viel seltener gibt es positive Beispiele für chronisch Kranke, wo ein rechtzeitiges Eingreifen die chronische Krankheit abmildert und Folgeerkrankungen zeitlich hinausschiebt oder sogar verhindert. Auch hier sei der Diabetes mellitus als Beispiel genannt, der bei sehr konsequenter Behandlung mit exzellenter Blutzuckereinstellung nicht mit der hohen Komplikationsrate wie üblich verbunden ist. Es werden also Kosten gespart. Ein sehr viel besseres Beispiel sind die Jodmangel-bedingten Schilddrüsenvergrößerungen bzw. Knoten. Hier kann durch eine rechtzeitige Jodprophylaxe die Vergrößerung bzw. Knotenbildung bei rechtzeitigem Einsatz von Jodid verhindert werden bzw. wenn bereits Schilddrüsenveränderungen eingetreten sind, durch eine konsequente Behandlung mit Jod Folgeerkrankungen, nämlich Autonomien, d.h. heiße Knoten, mit dem Risiko einer Hyperthyreose bzw. degenerative Veränderungen d.h. kalte Knoten, mit dem
2 2 Risiko einer malignen Entartung verhindert werden. Diese so kostengünstige Jodprophylaxe wird immer noch nicht genügend konsequent in der Bundesrepublik durchgeführt, so dass derzeit für Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen in der Bundesrepublik ca. 1,5 Mrd. Euro ausgegeben werden müssen. Es ist geradezu ein Skandal, dass in der Schwangerschaft eine Lebensphase mit deutlich vermehrtem Jodbedarf immer noch weniger als 30 % der Frauen eine Prophylaxe mit Jodtabletten durchführen. Eine gewisse Besserung scheint dadurch einzutreten, dass die in der Schwangerschaft sehr beliebte Gabe von Folsäure jetzt oft mit Kombinationspräparaten, die zusätzlich Jodid enthalten, gegeben wird. Im Folgenden wird auf die oben genannten häufigen Erkrankungen mit ihren Komplikationen eingegangen werden, die sehr hohe Kosten verursachen, die z. T. wegen der höheren durchschnittlichen Lebenserwartung der Bundesbürger auch noch weiter ansteigen werden. Diabetes mellitus: Etwa 6 Mio. Bundesbürger leiden an einem Diabetes mellitus, man rechnet mit einer Dunkelziffer von nochmals 50 %, so dass insgesamt mit 9 Mio. Erkrankungen gerechnet werden muss. Hiervon betreffen etwa 5 % den sog. Typ I-Diabetes, also denjenigen Diabetes, der in der Regel in der Kindheit bzw. Jugend auftritt und sofort eine Insulintherapie erforderlich macht. Aber nicht nur bei dieser kleineren Patientengruppe, sondern bei den sog. Typ II-Diabetikern, das sind diejenigen, die zunächst noch nicht mit Insulin behandelt werden müssen, sondern eine sog. Insulinresistenz entwickelt haben und oft noch mit oralen Antidiabetika behandelt werden können. Diese große Gruppe hat zum Großteil ein Übergewicht und als weitere Risikofaktoren einen Hochdruck und eine Fettstoffwechselstörung. Zusammen mit dem Diabetes mellitus spricht man vom sog. metabolischen Syndrom oder plakativer ausgedrückt vom tödlichen Quartett. Die typischen Komplikationen des Diabete mellitus sind Gefäßkomplikationen, die sich an größeren (sog. Makroangiopathie) oder kleineren Gefäßen (sog. Mikroangiopathie) abspielen.
3 3 So kommt es zu Komplikationen an Augenhintergrund (sog. diabetische Retinopathie), am Herzen (koronare Herzerkrankung), am Gehirn (Schlaganfälle), an der Niere (diabetische Nephropathie) sowie auch an den Gefäßen der Extremitäten (diabetische Angiopathie) und an den Nerven (diabetische Polyneuropathie). Zusätzlich kommt es an der Niere durch über die Harnwege aufsteigende Infektionen zur chronischen Pyelonephritis, zusammen mit der diabetischen Nephropathie kommt es dann zur Funktionseinschränkung bis hin zur Dialysepflichtigkeit oder Notwendigkeit einer Transplantation. Eine besonders häufige und teure Komplikation ist der sog. diabetische Fuß, der einerseits durch die Gefäßveränderungen, andererseits durch die Polyneuropathie und den daraus entstehenden Veränderungen des Knochengerüstet entsteht. Oft genug kommt es zu Verletzungen und damit zu chronischen Entzündungen, die immer wieder eine Behandlung bis hin zur Amputation notwendig machen. Wenn auch alle diese Komplikationen heutzutage zum größeren Teil gut beherrschbar sind, z. B. Laserbehandlung der diabetischen Retinopathie, verkürzen sie einerseits die Lebenserwartung des Diabetikers, erhöhen aber die Folgekosten in enormen Ausmaß. Hier seien die zahlreichen, notwendigen Krankenhausaufenthalte und Operationen genannt sowie nochmals die schon erwähnte Dialysebehandlung bzw. notwendige Nierentransplantation, die in der Regel dann auch mit einer Transplantation des endokrinen Pankreas gekoppelt wird, also dem Anteil der Bauchspeicheldrüse, nämlich die Langerhans schen Inseln, die für die Insulinproduktion zuständig sind. Herzerkrankungen: Als Folgeerkrankungen des Diabetes wurde bereits die koronare Herzerkrankung genannt, die zur chronischen Herzinsuffizienz bis hin zum Herzversagen führen kann. Die koronare Herzerkrankung tritt auch ohne manifesten Diabetes mellitus auf, genannt seien die weiteren Risikofaktoren Hyperlipidämie, Nikotin und die familiäre Vorgeschichte. Die Fortschritte in der Behandlung sind enorm, genannt seien die Gefäßbehandlungen durch Angioplastie bzw. durch Einsatz von Stents bis hin zur sog. Bypass-Operation. Alles dieses kostet viel Geld. Auch dürfen nicht die Kosten für die konservative medikamentöse Therapie unterschätzt werden.
4 4 Beispiele hierfür sind neuere Antiarrhythmika bzw. auch neuere Hochdruckmittel, die ja häufig bei älteren Menschen eingesetzt werden müssen, die aufgrund des langjährigen Hochdrucks eine sog. hypertensive Herzerkrankung mit Herzinsuffizienz haben. Die einzelne Tablette ist oft gar nicht so teuer, aber die jahrelange Dauertherapie und die Häufigkeit dieser Krankheitsbilder führen doch zu ungeheuren Gesamtsummen. Ein sehr prägnantes Beispiel hierfür ist die Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure, das ASS 100. Auch hier ist jede einzelne Tablette billig, aber die Unzahl der Patienten, die dieses Medikament einnehmen muss, macht dieses althergebrachte Medikament, das seit mehr als 1 Jahrhundert in höherer Dosierung als Schmerzmittel eingesetzt wird, zur einem Kassenschlager der Pharmaindustrie weltweit. Chronisch obstruktive Lungenkrankheit: Als Beispiel für die zahlreichen primären Lungenerkrankungen soll diese häufige chronisch obstruktive Lungenerkrankung abgehandelt werden. Sie ist in der Regel Folge einer chronisch rezidivierenden Bronchitis, die zur Zerstörung von Alveolen und damit zur Verminderung der Atemfläche führt. Folge sind das Lungenemphysem und die Obstruktion. Schon die medikamentöse Behandlung mit entsprechenden Medikamenten, oft mit Sprays bzw. Inhalatoren verabreicht, kostet enormes Geld, es kommt aber immer wieder zu Exacerbationen dieses Krankheitsbildes mit notwendigen Krankenhausaufenthalten. Schlussendlich wird auch eine chronische Sauerstoffgabe notwendig, die zum Glück für die Patienten heutzutage auch zu Hause mit entsprechenden wiederum teuren Apparaten durchgeführt werden kann. Folge dieser chronischen Lungenerkrankungen ist die Herzbelastung, insbesondere des rechten Herzens, was wiederum zu ergänzender medikamentöser Therapie führt. Oft genug verstärkt Nikotin dieses Krankheitsbild und es gibt leider genügend Patienten, die nicht die Vernunft bzw. Energie aufbringen, das Rauchen einzustellen.
5 5 Karzinome: Nach den Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind die Karzinome die zweithäufigste Todesursache in der Bundesrepublik Deutschland. Auch hier sind therapeutische Fortschritte zu verzeichnen, so dass die Überlebenschancen für Karzinom-Patienten gestiegen sind. Dieser Fortschritt wird mit sehr aufwändigen Behandlungsmethoden, sei es Operation, sei es eine Bestrahlungstherapie, sei es mit Medikamenten, erzielt, die entsprechend teuer sind. Die medikamentösen Behandlungsstrategien sind heute oft sehr umfangreich und lang dauernd. Manche moderne Zytostatika kosten in der Tagesdosis ein vielfaches des normalen Pflegesatzes bzw. der für das entsprechende Krankheitsbild vorgesehenen Erstattungskosten. Hier wird den Krankenhäusern etwas zugemutet, was längerfristig nicht durchgehalten werden kann. In onkologischen Tageskliniken bzw. Praxen ist das bereits geändert und die Medikamentenkosten werden bei entsprechender Indikation voll von den Krankenkassen übernommen. Ein Fortschritt auf diesem Gebiet wird nur durch weitere Kostensteigerung möglich sein, als Beispiel seien hier Therapiemodalitäten mit bestimmten Antikörperpräparaten genannt, die ihren entsprechend hohen Preis haben. Transplantationsmedizin: Der Bedarf an Transplantationen steigt und damit der Bedarf an Spenderorganen, die nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen. Der eigentliche operative Eingriff ist in der Regel Routine und gar nicht einmal so aufwendig und teuer, sieht man von speziellen Transplantationen wie z. B. von Herz und Lunge einmal ab. Allein die Kosten für die Spenderorgane sind schon immens hoch, da hierfür ja ganze Institutionen aufrecht erhalten werden müssen. Auch müssen die entsprechenden Untersuchungen zur Organverträglichkeit berücksichtigt werden. Enorm aufwendig und teuer sind aber auch die notwendigen Nachuntersuchungen und die immer notwendige immunsuppressive Therapie, die heutzutage eben nicht nur mit dem relativ billigen Glucocorticoiden bzw. Azathioprin (Imurek) durchgeführt werden, sondern mit teureren, moderneren Präparaten. Als Beispiel seien hier die Cyclosporine genannt. Die heute kombinierte immunsuppressive Therapie führt zur Einsparung von Glucocorticoiden, was das so gefürchtete iatrogene Cushing- Syndrom, zumindest nur in milderer Form, auftreten lässt.
6 6 Zusammenfassende Schlussbetrachtung: Gute Medizin ist teuer, auch bei strenger Indikationsstellung und Vermeidung von überflüssigen Therapiewegen. Ich habe das an einigen Beispielen aufzuzeigen versucht, die natürlich überhaupt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. So habe ich den uns so selbstverständlich gewordenen aber ebenfalls teuren Gelenkersatz nicht diskutiert, da diese Maßnahmen inzwischen etabliert und häufig sind und der Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten steht. Da wir aber noch nicht am Ende der Entwicklung und damit nicht am Ende der Kostensteigerung sind und die zunehmende Überalterung unserer Bevölkerung und klar vor Augen stehen muss, ist es zu erwarten, dass nicht jede Medizin für alle da sein kann und es damit Therapiewege geben wird, die sich der eine leisten und der andere eben nicht leisten kann. Die Übernahme sämtlicher Medizinkosten über die Krankenkassen und damit über die Solidargemeinschaft der Beitragszahler wird in dieser Form nicht aufrecht erhalten werden können. Dies muss einem klar sein. Man kann heute die so wichtigen ethischen Gesichtspunkte bei der Berücksichtigung der Frage wer bekommt was nicht mehr ohne die Kostenüberlegungen diskutieren.
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