Bundesbehörden im Dilemma: Rechtshilfe an Spanien oder Einhaltung der Antifolter-Konvention?
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- Kirsten Hoch
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1 Gruppe augenauf Postfach Zürich Tel PC Mail Bern, den 9. Juni 2016 Medienkonferenz Bundesbehörden im Dilemma: Rechtshilfe an Spanien oder Einhaltung der Antifolter-Konvention? TeilnehmerInnen: - Oihan Ataun, baskisches Folteropfer (spanisch) - Olivier Peter, Rechtsanwalt im Auslieferungsverfahren (französisch) - Stephanie Motz, Rechtsanwältin im Asylverfahren (deutsch) - Rolf Zopfi, Mediensprecher der Menschenrechtsgruppe augenauf (deutsch) - Lorea Bilbao, Rechtsanwältin und Mediensprecherin des baskischen Komitees gegen Folter (spanisch)
2 Zu Nekane Txapartegi Am 6. April 2016 wurde die Baskin Nekane Txapartegi in Zürich verhaftet. Die Verhaftung erfolgte aufgrund eines spanischen Auslieferungsantrags. Sie wird von den spanischen Behörden gesucht, weil sie wegen Unterstützung der ETA zu einer Gefängnisstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist. Nekane Txapartegi war bis 1999 in ihrem Heimatdorf Gemeinderätin für die baskische Partei Herri Batasuna. Sie wurde von der Guardia Civil, verhaftet und 5 Tage lang mit absoluter Kontaktsperre verhört. In diesen Tagen wurde sie massiv gefoltert, bis sie bereit war, ein vorgefertigtes Geständnis zu unterzeichnen. Nach 9 Monaten wurde sie auf Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Sie arbeitete danach als Journalistin und war in einer baskischen Vereinigung gegen Folter aktiv. Erst Ende 2007 kam es zur Gerichtsverhandlung, in der sie der Mitgliedschaft in der ETA für schuldig befunden wurde. Sie floh 2009 in die Schweiz und begann sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Sie ist aktuell im Gefängnis Zürich inhaftiert und kämpft gegen ihre Auslieferung an Spanien. Gleichzeitig hat sie ein Asylgesuch eingereicht. Rolf Zopfi
3 WARUM DIE SCHWEIZ NEKANE TXAPARTEGI NICHT AUSLIE- FERN KANN Die Realität der Folter im Baskenland Tausende von Basken wurden von spanischen Polizisten und Soldaten als Folge der antiterroristischen Politik der spanischen Regierung gefoltert. Die Reaktion der Gerichte und die Straflosigkeit, von der die Polizei und das Militär profitieren, werden systematisch von internationalen Organisationen kritisiert. 1 Immer wieder werden sie durch internationale Gerichte verurteilt. 2 Die von der baskischen Regionalregierung eingesetzte Untersuchungskommission hat die Tragweite des Problems bestätigt und festgestellt, dass mehr als 5000 Fälle von Folter zwischen 1960 und 2013 bewiesen sind. 3 Schliesslich haben auch spanische Richter in den Medien anerkannt, dass es in den Terrorismusverfahren zu Exzessen 4 und Folterpraktiken 5 kam. Die von Nekane Txapartegi erlittene Folter Unter den Fällen in dem Bericht der baskischen Regierung ist auch der Fall von Nekane Txapartegi. 6 Nach ihrer Verhaftung durch die Guardia Civil wurde Nekane Txapartegi nach Madrid gebracht. Auf dem Weg dorthin wurde sie in einen Wald geführt, wo man ihre Exekution simulierte. Während der Autofahrt wurde ihr ein Plastiksack über den Kopf gezogen und sie wurde mehrfach geschlagen und hatte das Gefühl, fast zu ersticken. 7 Die Schläge und Erstickung wurden auch nach der Ankunft im Kommissariat der Guardia Civil fortgeführt. Während der fünf Tage von Verhören und Folter wurde sie nackt ausgezogen, geschlagen, durfte kaum schlafen und wurde vergewaltigt und sexuell belästigt. 1 Siehe die Liste der Berichte von internationalen Organisationen im Dossier. 2 Siehe die Liste der Verurteilungen durch internationale Instanzen im Dossier denuncias-torturas/ 4 Interview mit dem ehemaligen Instruktionsrichter, Balthazar Garzon, erschienen in der Tageszeitung Publico, 27. Juni El juez De Prada desnuda la AN, Artikel erschienen in der Tageszeitung GARA, Bescheinigung von Francisco Etxebarria Gabilondo, Kriminologisches Institut des Baskenlandes, Strafanzeige von Nekane Txapartegi,
4 Die Gewalttaten fanden vor und nach den Verhören statt und wurden immer heftiger, je länger sich Frau Txapartegi weigerte, von der Guardia Civil vorbereitete Aussagen zu bestätigen. Beweise für die Folter Vor dem Untersuchungsrichter und auch später, durch eine Anzeige gegen die Folter, denunzierte Frau Txapartegi die erlittene Folter. Trotz Verzögerungen und Mängeln im spanischen Untersuchungsverfahren konnte Frau Txapartegi zahlreiche Unterlagen sammeln, die die Wahrheit ihrer Aussagen belegen. Zusätzlich zu ihren eigenen wiederholten und konsistenten Denunzierungen liegen folgende weitere Belege für die Folter vor: die Zeugenaussage von Mikel E- gibar Mitxelena, der zu derselben Zeit verhaftet und an demselben Ort gefoltert wurde, und der aussagt, die Schreie von Frau Txapartegi gehört zu haben; 8 ein medizinischer Bericht, erstellt beim Eintritt ins Gefängnis, der das Vorliegen zahlreicher Verletzungen nach dem Transfer aus dem Verhörkeller der Guardia Civil belegt; 9 die Zeugenaussage von Maria Lourdes Txurruka, die den verheerenden Zustand von Frau Txapartegi nach ihrer Ankunft im Gefängnis beschreibt; 10 ein psychiatrischer Bericht, der bestätigt, dass sie heute noch an einer post-traumatischen Belastungsstörung leidet; 11 sowie die Abwesenheit jedwelcher vertretbaren Erklärung für diese Belege durch die Regierung. Der von der Regierung eingesetzte Rechtsmediziner hat ausserdem bezeugt, dass Frau Txapartegi mit Sicherheit gefoltert wurde. 12 Diese Belege zeigen zudem auf, dass die Folter während der incommunicado Haft stattfand, und zwar in dem Moment, als sie die Aussagen machte, welche zu ihrer Verurteilung führten. 8 Schriftliche Erklärung von Mikel Egibar Mitxelena, Arztbericht aus dem Gefängnis Soto del Real, Artzbericht von Dr. Mario Gmür, 3. Juni Bescheinigung von Francisco Etxebarria Gabilondo, Kriminologisches Institut des Baskenlandes,
5 Die Bedeutung der Folter für das Auslieferungsverfahren Der Beweis von Folter ist ein entscheidender Faktor im Auslieferungsverfahren: gemäss der Anti-Folterkonvention (Art. 15 CAT) 13 und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Ziff. 2 EMRK) 14 ist es nicht zulässig, einem Auslieferungsantrag stattzugeben, wenn dieser sich auf Aussagen stützt, bei denen eine konkrete Gefahr besteht, dass sie durch Folter erlangt wurden. Wie bereits dargelegt bestätigen zahlreiche Beweise, dass die Aussagen, auf denen die Verurteilung von Nekane Txapartegi beruht, unter Folter gemacht wurden. Diese Beweise wurden dem Bundesamt für Justiz zugestellt, das nun zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss: n Die Auslieferung verweigern und Frau Txapartegi aus der Haft entlassen, in der Anerkennung ihrer Rolle als Opfer von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. n Die Auslieferung bewilligen, in Verletzung der Verpflichtungen der Antifolter-Konvention und der EMRK. Schlussbemerkung Wenn die Schweiz die Auslieferung verweigert, gefährdet sie ihre politischen Beziehungen mit Madrid. Ein Risiko, das andere Staaten bereits eingegangen sind: Belgien hat die Auslieferung einer baskischen Staatsangehörigen an Spanien aus ähnlichen Gründen verweigert. 15 Wenn die Schweiz die Auslieferung bewilligt, setzt sie sich der ernsten Gefahr einer Verurteilung durch das UN Anti-Folterkomitee oder den EGMR aus, die sich nicht davor scheuen zu anerkennen, dass im Untergeschoss von Madrid gefoltert wird. Olivier Peter, Rechtsanwalt 13 Entscheid des UN Anti-Folterkomitees, Orkatz Gallastegi Sodupe gg. Spanien (CAT/C/48/D/453/2011), Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Othman (Abu Qatada) gg. Vereinigtes Königreich, Urteil der Anklagekammer des Berufungsgerichts Gent, und Urteil des belgischen Berufungsgerichts vom , in dem die Auslieferung der baskischen Flüchtenden, Natividad Jauregi Espina, verweigert wird.
6 Zum Asylgesuch von Nekane Txapartegi Folter wird nicht untersucht Während der Haft im Gefängnis in Madrid schickte Frau Txapartegi einen handschriftlichen Bericht der erlittenen Folter an ihre Anwältin. Diese erstattete mit diesem und den medizinischen Gefängnisakten in Tolosa Anzeige. 16 Das Verfahren wurde nach Madrid weitergeleitet, wo es ohne Untersuchung archiviert wurde. Auch bei einer späteren Wiederaufnahme des Verfahrens kam es, wie in zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen, zu keiner Untersuchung. Die Begründung: es handle sich um Selbstverletzungen und Verletzungen aufgrund von Gegenwehr bei der Verhaftung. Terrorismusverfahren Makro-Prozess 18/98 und Tribunal Supremo Der auf die erfolterten Aussagen gestützte Strafprozess gegen Frau Txapartegi fand vor der Audiencia Nacional statt. Vor diesem Gericht wurden die spanischen Terrorismusfälle unter harter Hand geführt. Frau Txapartegis Fall war Teil des sogenannten Makro-Prozesses 18/98, in dem 47 Beschuldigte aufgrund von ihren politischen Aktivitäten für ein freies Baskenland für Mitgliedschaft und Kollaboration mit der ETA verurteilt wurden. Während dieses Prozesses denunzierte Frau Txapartegi die erlittene Folter vor Gericht, was in einer Videoaufnahme dokumentiert ist. 17 Nekane Txapartegi wurde von der Audiencia Nacional dennoch wegen Mitgliedschaft der ETA sowie Kollaboration mit der ETA zu 8 Jahren Haft verurteilt. 18 Im Wissen um diesen politischen Prozess, schaffte es Nekane Txapartegi bereits vor der Urteilsverkündung der Audiencia Nacional ins Ausland zu fliehen. Gegen dieses Urteil erhob Nekane Txapartegi Beschwerde an das Tribunal Supremo. Auch dieses Gericht entschied im Makro-Prozess 18/98 politisch. Gestützt auf die Folteraussagen verurteilt sie das Tribunal Supremo wurde wegen Kollaboration mit der ETA zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten. Die Verurteilung wegen Mitgliedschaft der ETA, welche sie auch unter Folter nicht hatte gestehen müssen, wurde umgestossen Strafanzeige von Nekane Txapartegi, Das Video ist auf youtube.com abrufbar: (ab 1:30 Min). 18 Das Urteil der Audiencia Nacional ist auf Anfrage erhältlich. 19 Das Urteil des Tribunal Supremo ist auf Anfrage erhältlich.
7 Verhaftung in der Schweiz Seit mehreren Jahren lebt Nekane Txapartegi in der Schweiz im Exil. Im April 2016 wurde sie hier verhaftet, weil Spanien ihre Auslieferung fordert. In Spanien wurde sie bereits gefoltert, inhaftiert und aufgrund der Folteraussagen verurteilt. Zudem erwartet sie jetzt in Spanien eine mehrjährige Haftstrafe für Taten, die sie nie begangen hat. Frau Txapartegi hat inzwischen in der Schweiz Asyl beantragt, um sich vor weiteren Menschenrechtsverletzungen durch die spanischen Behörden zu schützen. Denn in Spanien droht ihr eine schwerwiegende Verletzung der Anti-Folterkonvention 20 und ihres Rechts auf Freiheit (Art. 5 EMRK). 21 Hinzu kommen Haftbedingungen, die für die schwer traumatisierte Frau unmenschlich und erniedrigend sind und mit der Gefahr weiterer Folterungen und unmenschlicher Behandlung einhergeht (Art. 3 EMRK 22 und Anti-Folterkonvention 23 ). Schlussbemerkung Die Schweiz muss nun entscheiden, ob sie Frau Txapartegi in der Schweiz Asyl gewährt oder sie nach Spanien ausliefert. Lehnt die Schweiz das Asylgesuch ab, so läuft die Schweiz ernsthaft Gefahr, wegen Verletzung der Anti- Folterkonvention und der EMRK verurteilt zu werden. Stephanie Motz, Barrister 20 Entscheid des UN Anti-Folterkomitees, Orkatz Gallastegi Sodupe gg. Spanien (CAT/C/48/D/453/2011), Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Othman (Abu Qatada) gg. Vereinigtes Königreich, no 8139/09, , , 235; Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Willcox and Hurford gg. Vereinigtes Königreich, nos 43759/10; 43771/12, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Soering gg. Vereinigtes Königreich, no 14038/88, , 88-91; Aswat gg. Vereinigtes Königreich, no 17299/12, , Entscheid des UN Anti-Folterkomitees, Josu Arkauz Arana gg. Spanien (CAT/C/23/D/63/1997), 11.5, 12.
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Rundschreiben Nr. 4: Weiterleitung von Anzeigen zum Zwecke der Strafverfolgung an das Ausland bei fehlender schweizerischer Strafhoheit
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