Maryam Zaree Kluge Gefühle

Transkript

1 Maryam Zaree Kluge Gefühle

2 Berlin GmbH Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Alte Jakobstraße 85/ Berlin Tel.:

3 PERSONEN ANALYTIKER KAMRAN 3

4 Szene 1 Tara alleine zuhause. Sie sitzt auf dem Boden und trägt Sportklamotten. Ihre Beine sind vor ihr ausgestreckt. Sie macht gymnastische Übungen, eine Art Yoga. Wir hören eine verständnisvolle aber antreibende Frauenstimme aus einem Handylautsprecher. STIMME Nur Mut! Stellen Sie einander 36 persönliche Fragen und beschleunigen Sie eine Annäherung. Über tausend Testpersonen haben an Arthur Arons Forschungsexperiment teilgenommen und die Resultate sind überragend. Wir legen los: 1. Nehmen Sie sich drei Minuten und erzählen Sie einander Ihre Lebensgeschichte in so vielen Details wie möglich. 2. Nennen Sie drei Dinge, die Sie und Ihr Partner gemeinsam haben sollten. 3. Fragen Sie Ihr Gegenüber: Welcher Tod würde in der Familie am besten verkraftet werden? 4. Haben Sie eine heimliche Vorahnung, wie Sie sterben werden... Die letzte Frage, wird von einem Anruf unterbrochen. Tara versucht umständlich an ihr Telefon zu gelangen, verliert dabei das Gleichgewicht. Taras Mutter sitzt auf einem Sessel, in ihrer Hand ein Mobiltelefon. Tara? Mama? Ich kündige. Was? Den Job. Mama, das ist kein Job, ich zahle dich nicht mal. Kein Job? Was ich für dich mache, ist kein Job? Was ist passiert? Nichts. Kriegst du zu viele Anrufe? Es ruft doch kaum keiner an. 4

5 Was ist dann los? Die Afghanin ist los. Keine Sekunde halt ich die mehr aus. Zahir, Mama, die Afghanin hat einen Namen. Meinetwegen Zahir, wenn es dich glücklich macht, immer will sie persisch mit mir sprechen mit ihrem scheußlichen Akzent, den kein Mensch versteht, aber ihre Geschichten, die sind zum Verrücktwerden. Was wollte sie denn? Was kann sie schon wollen? Mitleid will sie. Und immer die gleiche Leier. Ganz alleine sei sie barfuß aus Afghanistan nach Deutschland gelaufen. Mit nichts außer dem Kleid an ihrem Körper, die Taliban immer auf ihren Fersen. Erst mal, wenn sie wirklich vor den Taliban geflohen ist, warum hatte sie dann überhaupt ein Kleid an und keine Burka? Und dann nach Deutschland gelaufen? Wirklich? Das kann nicht ihr Ernst sein. Ich finde das einfach nur stillos. Mir würde das im Traum nicht einfallen mit meiner Geschichte so hausieren zu gehen. Aber die Zahir wartet nur darauf, dass einer danach fragt, wo sie herkommt, und dann gibt es kein Halten mehr. Ich bin mir sicher, die Taliban sind froh, sie los zu sein. Ich versteh nicht, warum du dich überhaupt mit ihr unterhältst. Was gibt es da nicht zu verstehen, sie ruft mich ständig an. Mama, sie ruft nicht dich an, sie ruft mich an. Aber es klingelt bei mir. Es klingelt bei dir, weil das eine Umleitung ist und du meine Anrufe entgegennimmst. Ja eben und dann muss ich mit ihr reden. Nicht reden. Du sollst den Namen notieren und ausrichten, dass ich zurückrufe. Hör auf mich anzuschreien. Ich schreie nicht. Doch du schreist. 5

6 Mama, ich schreie nicht, es tut mir leid, dass du das Gefühl hast, ich würde schreien, aber... Gefühl? Ich brauch kein Gefühl, ich hab Ohren. In Ordnung, vergessen wir s. Notier einfach den Namen und sag, ich ruf zurück. Mach ich, den ganzen Tag mach ich nix anderes. Mein ganzes Leben hab ich für andere gearbeitet, aber von meiner Tochter muss ich mich dafür anschreien lassen. Tut mir leid, ich werde nicht mehr schreien. Jedenfalls hab ich der Zahir gesagt, dass ihr Neffe Samir keine Chance in Deutschland hat. Als alleinstehenden Mann werden sie ihn ins Gefängnis stecken und abschieben. Das hast du nicht gesagt. Doch. Ich versuche jetzt ruhig zu bleiben und mich nicht aufzuregen, was nicht so einfach ist, Mama, aber gut. Samir ist extrem labil. Seit Monaten versuche ich schon sein Vertrauen zu gewinnen und dass du mir jetzt so dazwischen grätschst ruiniert mir nicht nur meinen Fall, sondern ist bei einem so traumatisierten Klienten einfach nur menschenverachtend. Jetzt übertreib mal nicht. Wenn seine Tante mich anruft und nach meiner Meinung fragt, soll ich dann nicht sagen, was ich denke? Sie ruft nicht dich an, sie ruft mich an. Ich vertrete ihn, ich werde dafür bezahlt. Halt dich da bitte einfach raus. Erst soll ich für dich arbeiten, dann soll ich mich raushalten, ich weiß wirklich nicht, was du von mir willst. Ich möchte, dass du mir weiterhin hilfst, aber meinen Klienten bitte keine Ratschläge gibst. Arbeitest? Ja ok dann arbeitest. Danke für deine Arbeit Mama. Gerne. Ich komme später zum Essen. 6

7 Ich hab keine Zeit, leider. Wie, ich dachte wir verbringen den Abend zusammen und du kochst für mich? Ich möchte mein Buch zu Ende lesen. Dein Buch? Ach so, ok dann nicht. Du hattest mir halt versprochen, dass ich vorbeikommen kann, wenn ich nicht alleine essen möchte. Jetzt sei nicht traurig, wir können morgen zusammen essen. Ich bin nicht traurig. Wie läuft denn die Suche, kümmerst du dich drum? Mama, bitte, ich habe keine Zeit für einen Mann, ich arbeite wie eine Geisteskranke. Du weißt, du bist schon fünfunddreißig. Wie sollte ich das vergessen, du erinnerst mich ständig dran. Ich sag ja nur, mein Schatz. Außerdem habe ich der Zahir natürlich nicht gesagt, dass ihr Neffe keine Chance hat, ich bin ja nicht dumm. Ich hab ihr nur gesagt, dass du eine hervorragende Anwältin bist, die problemlos jedem Afghanen Asyl besorgen kann, und dass sie das gerne all ihren afghanischen Verwandten ausrichten kann. ironisch Das ist ganz lieb von dir, Mama. Danke. Bis morgen. Bis morgen, mein Schatz. Tara beendet das Telefonat will sich wieder in Position bringen, die Stimme aus dem Handy setzt die Fragen fort. STIMME Wenn Sie heute Abend sterben würden ohne die Möglichkeit ein letztes Mal mit jemandem zu sprechen, was würden Sie am meisten bereuen nicht gesagt zu haben? Tara löst sich aus der Position und legt sich in den Toten Mann. Hält das kaum aus und steht gleich wieder auf und beginnt zu chatten. Der Ablauf hat etwas Repetitives. Lose Folge: Tara erhält eine Nachricht, sie freut sich, ihre Aufregung steigt, sie tippt wie wild in ihr Handy, erhält plötzlich keine Antwort mehr und bleibt hilflos zurück. Sie ruft Rabia an. Verdammt jetzt geh ran... Rabia geht ran Rabia, der Typ von der Datingseite antwortet nicht 7

8 mehr. Eben meinte er noch, dass er mit mir auf eine einsame Insel will, weil ich so naiv bin und jetzt ist er plötzlich weg. Er hat nicht wirklich naiv gesagt? Doch, das Frauenfeindliche ist Strategie. Jedenfalls hab ich ihm jetzt eine Frage von Arthur Aron gestellt. Von wem? Ist egal. Also... Tara warte. Zu ihrem Sohn Oskar, ich telefoniere jetzt? Die Frage war... Entschuldige, Tara, warte kurz. Zu ihrem Sohn Was ist? (...) Nein, du kriegst das Passwort nicht. Zu Tara Tara? Ok, er antwortet nicht, entspann dich einfach, vielleicht ist er aufm Klo. Das kann nicht sein, er ist gerade aktiv. Er kann auch aktiv sein, wenn er auf dem Klo ist. Stimmt, aber warum antwortet er dann nicht? Tara, das Gespräch wird jetzt komisch. Zu ihrem Sohn Oskar, es reicht, wir haben darüber gesprochen, computerfreie Zeit, lies ein Buch Aus der Ferne hören wir ein Fick dich ins Knie. Was hast du gesagt? Nimm das sofort zurück, sonst spielst du nie wieder. Oh Gott, Rabia, er hat gerade was gepostet. Ja und? Er antwortet seit 18 Uhr 32 nicht mehr, es ist jetzt 18 Uhr 44 und jetzt postet er plötzlich ein lustiges Foto. Meinst du, er findet mich zu ernst? Nein. Was dann? Nichts, es hat wahrscheinlich nichts mit dir zu tun. 8

9 Wie kann das mit mir nichts zu tun haben, wir waren mitten im Gespräch. Ihr habt gechattet. Ja eben, ich versteh das nicht. Tara, der Typ hat einen Blog, das ist sein Job, Dinge zu posten. Zu ihrem Sohn Oskar, weg vom Router, ich glaub es geht los. Kann ich dir kurz den Verlauf vorlesen und du sagst mir, warum er nichts mit mir zu tun haben will? zu ihrem Sohn In dein Zimmer. Zu Tara Ja lies. Also... Liest Er: Du schreibst, du würdest auf eine einsame Insel eine Zahnbürste mitnehmen, das ist lustig. Ich: Warum? Er: Weil das für eine Dating-Plattform sehr pragmatisch klingt. Ich: Aber es stimmt. Er: Das mag ich an dir. Ich: Das Pragmatische? Er: Ja Ich: Danke. Er: Bitte. Ich: Was würdest du mitnehmen? Er: Meine Mutter. Ich: Wirklich? Er: Das war ein Spaß. Ich: Hihi. Er: Vielleicht dich, wenn du weiter so naiv bist. 9

10 Ich: Ich bin nicht naiv. Zu Tara Das hab ich ja schon gesagt, jedenfalls ich dann weiter: Welchen Tod in deiner Familie würdest du am besten verkraften? Warte, das hast du nicht gefragt? Doch. Warum würdest du irgendjemandem auf der Welt so eine Frage stellen? Wie? Das soll uns näherbringen. Und was hat er gesagt? Na nichts, er antwortet ja nicht mehr. zu ihrem Sohn Oskar, das ist das letzte Mal, ich schwöre dir, ich schmeiße den Computer aus dem Fenster und dich hinterher, hast du mich verstanden? Zu Tara Entschuldige bitte, aber Oskar will die ganze Zeit dieses Folterspiel spielen. Bitte was? So ein Computerspiel mit einer völlig inakzeptablen Folterszene. Zu ihrem Sohn Inakzeptabel, hörst du mich, Oskar. Aha. Pause Entschuldige, ich wollte nicht taktlos sein. Schon ok... wirklich. Wie geht es deiner Mutter mit ihrem neuen Job? Das ist kein Job. Sie hilft mir aus. Es läuft super, ihr gefällt es gut und ich hab weniger Arbeit. Was mach ich jetzt mit dem Typ? Dich auf was anderes konzentrieren. Musst du dich nicht um die Afghanen kümmern? Jetzt redest du schon wie meine Mutter, diese Leute haben Namen. Ja, ich muss mich um ihn kümmern, ich mach das jetzt. Bis später. Tschüss und danke. 10