Einführen der Prozesskostenrechnung
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- Eike Küchler
- vor 7 Jahren
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1 Einführen der Prozesskostenrechnung Grundlagen, Methodik, Einführung und Anwendung der verursachungsgerechten Gemeinkostenzurechnung Bearbeitet von Detlef Remer erweitert, überarbeitet Buch. XXI, 319 S. Hardcover ISBN Format (B x L): 17 x 24 cm Gewicht: 708 g Wirtschaft > Unternehmensfinanzen > Betriebliches Rechnungswesen Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.
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3 2 Aufbau von Teil I Grundlagen der Prozesskostenrechnung 1 Vorbemerkungen Problemstellung Methodischer Überblick Entstehung und Begriff 2 Notwendigkeit der Prozesskostenrechnung Drastischer Gemeinkostenanstieg Mängel traditioneller Kostenrechnungssysteme Neue Betrachtungsweisen durch die Prozesskostenrechnung 3 Methodik der Prozesskostenrechnung Anmerkungen zum schematischen Ablauf Zielsetzungen Prämissen und Einsatzgebiet Prozesskettenbetrachtung Prozessmenge, Prozesskosten, Prozesskostensatz Kostentreiber Unterscheidungskriterien einzelner Prozesse Grundbegriffe Methodische Abläufe 4 Zusammenfassung
4 3 1 Vorbemerkungen 1.1 Problemstellung Marktentwicklungen und technischer Fortschritt haben zu veränderten Kosten- und Leistungsstrukturen geführt: Im Durchschnitt aller deutschen Industrieunternehmen sind mittlerweile über 50% aller Beschäftigten in den indirekten Leistungsbereichen tätig,»spitzenwerte«erreichen sogar über 90%; die Gemeinkosten sind dementsprechend in Relation zu den Gesamtkosten stark angestiegen. Unter indirekten Leistungsbereichen sind Unternehmensbereiche außerhalb der direkten Fertigung zu verstehen, in denen überwiegend Gemeinkosten anfallen, z. B. Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Qualitätswesen, Beschaffung, Logistik, Arbeitsvorbereitung, Instandhaltung, Verwaltung, Vertrieb etc.; sie werden deshalb auch als Gemeinkostenbereiche oder Overhead bezeichnet. Dies sind, wie Sie später noch feststellen werden, die dominierenden Einsatzbereiche einer Prozesskostenrechnung. Aufgrund immer neuerer technologischer Anwendungen ist auch künftig in den indirekten Bereichen mit weiter steigendem Gemeinkostenanteil zu rechnen: Die angeblich»fixen«kostenbestandteile laufen davon und das traditionelle betriebswirtschaftliche Instrumentarium kann keinerlei Hilfestellung bei der Suche nach Rationalisierungspotenzialen, Chancen und Risiken sowie Ineffizienzen in den Gemeinkostenbereichen leisten. So werden Effizienzverbesserungen, Kosteneinsparungen, eine realitätsnahe Gemeinkostenverrechnung und die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen und Daten aus dem Bereich der Kostenrechnung für viele Unternehmen zur Überlebensfrage und können nicht befriedigend gelöst werden. Der Fokus des Kostenmanagements muss sich mehr in Richtung der indirekten Bereiche verlagern. Diese Tatsachen liefern Anlass genug, nach neuen Wegen der Kostenrechnung zu suchen, um die dringend notwendige Kostentransparenz zurückzugewinnen. Die Prozesskostenrechnungsmethodik gilt nun als Antwort auf diese Anforderungen. Durch sie werden Planung, Erfassung, Kontrolle und Steuerung der Gemeinkostenbereiche möglich gemacht und damit die Grundlagen für ein effektives Gemeinkostenmanagement und eine verursachungsgerechtere Gemeinkostenverrechnung geliefert. Die Methodik der Prozesskostenrechnung wurde von der Praxis in Ermangelung geeigneter Lösungen seitens der Wissenschaft entwickelt. Es ist also betrieblichen Kostenrechnern und Controllern zu verdanken, dass die Aufmerksamkeit durch die Prozesskostenrechnung auf ein praktisch bedeutsames Phänomen gelenkt wurde, nämlich den drastischen Gemeinkostenanstieg und dessen mangelnde Transparenz. Durch die Prozesskostenrechnung werden Prozessabläufe kostenstellenübergreifend sichtbar, planbar und steuerbar gemacht. Dies geschieht nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Kosten, sondern auch unter dem von Qualität und Zeit. Die Prozesskostenrechnung versucht, konkreter zur eigentlichen Kostenverursachung vorzustoßen. Die Kostenund Leistungsbeziehungen werden dabei schärfer analytisch herausgearbeitet. Sie überträgt das Denken in Bezugsgrößen weg von Produktionsmengen, wie es die flexible
5 4 Vorbemerkungen Plankostenrechnung für die Fertigung kennt, auf den Gemeinkostenbereich. Das Ziel ist eine leistungsorientierte Zurechnung von Gemeinkosten auf der Basis der Erfassung und Bewertung von Prozessen. Man begibt sich hierzu auf eine Ebene unterhalb oder innerhalb der Kostenstellen, wo hinterfragt wird, welche Leistungen dort erbracht werden. Die Hauptzielsetzung der Prozesskostenrechnung besteht darin, Konzepte bzw. Methoden zum Management und zur Verrechnung der in der Praxis laufend steigenden Gemeinkosten aller indirekten Unternehmensbereiche, insbesondere der Personalkosten dieser Bereiche, zu entwickeln und bereitzustellen. Da aber innerhalb des indirekten Leistungsbereiches lediglich repetitive Tätigkeiten verursachungsgerecht erfasst werden können, ist festzustellen, dass die unternehmensweite Implementierung der Prozesskostenrechnung weder vorgesehen noch für möglich gehalten wird. Besonnenes Abwägen der Vor- und Nachteile neuer Management- und Kostenrechnungskonzepte ist allerdings sehr empfehlenswert. Ein entscheidender Vorteil einer an den Geschäftsprozessen orientierten Perspektive gegenüber der erprobten funktionalen Sichtweise liegt darin, dass durch die Orientierung an Geschäftsprozessen ein Teil der Dynamik der Märkte in das Unternehmen hineingetragen wird und erforderliche Anpassungen frühzeitig angezeigt werden. Zur Entwicklung der Prozesskostenrechnung haben folgende Tendenzen in der Unternehmensführung in Richtung Prozessorientierung ihrerseits beigetragen: 2 Der Trend weg vom traditionell eher bestands- und aufbauorientierten Denken hin zu einer Ausrichtung auf Prozesse bzw. Abläufe, beispielsweise im Produktionsmanagement (z. B. Just in time, Qualitätsmanagement) und im Finanzmanagement (z. B. Flussrechnungen) Der Trend (und Zwang) hin zu einer vermehrt dezentralisierten Führung erfordert dezentrales Kostenmanagement. Um in unteren Managementstufen Verständnis und Akzeptanz einer solchen Kostenrechnung sicherstellen zu können, muss sie die entsprechende Sprache sprechen, d. h. die Nähe zu den operativen Prozessen vor Ort suchen. Eine moderne Kostenrechnung, welche die Erfordernisse des Strukturwandels integriert, muss folgende Anforderungen erfüllen:»abbildung der Beanspruchung betrieblicher Ressourcennutzung bei allen Produkten im Rahmen der Kostenrechnung. Kalkulation muss sowohl Markt- als auch interne Kostensituationen berücksichtigen. Kostentreiber gilt es als»stellschrauben«des Kostenmanagements zu ermitteln und zu beeinflussen. Kostenrechnungssysteme müssen strategische Entscheidungsunterstützung ermöglichen.«3 1.2 Erster methodischer Überblick In diesem Kapitel erhalten Sie einen ersten methodischen Überblick, der Ihnen Gelegenheit gibt, die Prozesskostenrechnung kennen zu lernen. Im weiteren Verlauf dieses Konzeptes erhalten Sie zu jedem der hier angesprochenen Aspekte tiefer gehende Erläuterungen. Zunächst sind die beiden zentralen Begriffe»Prozess«und»Kostentreiber«zu erläutern.
6 Erster methodischer Überblick 5 Ein Prozess ist die Zusammenfassung logisch zusammenhängender Arbeitsschritte (Tätigkeiten), die einen bestimmten Input (z. B. seitens Lieferanten, Kunden, Mitarbeitern) in einen bestimmten Output (v. a. für Kunden, aber auch intern für andere Mitarbeiter oder Abteilungen) transferieren. Dies können Arbeitsschritte verschiedener Kostenstellen oder nur einer Kostenstelle sein; alle Prozesse schließen aber mit einem bestimmten Arbeitsergebnis ab. Übergreifende Prozesse sind z. B. Materialbeschaffung, Lieferantenbetreuung, Auftragsabwicklung, Teileverwaltung etc. Die Maßgrößen zur Quantifizierung der Anzahl der Prozessdurchführungen für einen bestimmten Output werden als Kostentreiber (Cost Driver) bezeichnet. Sie stellen das Mengengerüst für die prozessorientierte Gemeinkostenverrechnung dar, weil durch sie die Arbeitsschritte und Prozesse in den Kostenstellen und somit die Kosten verursacht werden. Aus der Bezugsgrößendefinition der Grenzplankostenrechnung lassen sich analog die Aufgaben der Kostentreiber ableiten: Abbildung des quantitativen und wertmäßigen Verbrauchs von Ressourcen in Form geleisteter Kostentreibereinheiten, Möglichkeit der Verteilung entsprechender Kosten auf die Kostentreiber. Eindeutige Kostentreiber sind mit dem Ziel festzulegen, möglichst viele Kosten eines Unternehmens bzw. Bereiches als relative (d. h. bezugsgrößenabhängige) Einzelkosten erfassen und verrechnen zu können. Allein die Kenntnis der Kostentreiber eines Unternehmens schafft die Voraussetzung für ein gesteigertes Kostenbewusstsein. Beispiele für Kostentreiber sind»anzahl der Bestellungen«(Prozess: Materialbeschaffung) oder»anzahl der Lieferanten«(Prozess: Lieferantenbetreuung). Welches sind nun die wesentlichen Ansätze und Verfahren der Prozesskostenrechnung? In der Prozesskostenrechnung werden die Prozesse also die Abläufe der indirekten Bereiche untersucht, erfasst und mittels neuer Kosteneinflussgrößen bewertet. Der hinter den indirekten Bereichen stehende Gemeinkostenblock erfährt somit das Ende seiner Anonymität. Zur Implementierung der Prozesskostenrechnung ist deshalb eine detaillierte Analyse der relevanten Bereiche ebenso wie eine entsprechende Erfassung und Verarbeitung der Kosteneinflussgrößen notwendig. Die Prozesskostenrechnung vermeidet die traditionellen willkürlichen Kostenschlüsselungen und somit die daraus resultierenden Verzerrungen in den Kosten der Ergebnisobjekte, indem sie die Kosten des Ressourceneinsatzes auf die damit vollzogenen Prozesse verrechnet und die Prozesskosten auf diejenigen Produkte, Dienstleistungen und Kunden überträgt, welche die Prozesse auch wirklich beanspruchen. Die Kosten der Prozesse fließen anschließend in modifizierte, prozessorientierte Kalkulationen und Ergebnisrechnungen ein. So werden beispielsweise die Beschaffungskosten den Zukaufteilen und extern bezogenen Dienstleistungen, die Entwicklungskosten direkt den neu entworfenen Produkten und die Kosten für den Kundendienst direkt den einzelnen Kunden zugeordnet. Die Bewertung einzelner Kostentreiber und die Zusammenfassung einzelner Tätigkeiten zu (abteilungs-)übergreifenden Prozessen führen zu einer ablauforganisatorischen Erfassung und Verrechnung der Kosten. Diese Prozesse sind anschließend wiederum zu analysieren und zu optimieren. Überhaupt steht in diesem Konzept der Gedanke der Prozessoptimierung und damit der Prozesskostenoptimierung im Vordergrund sprich: aktives und permanentes Gemeinkostenmanagement. Hierzu ein Beispiel: Die Gemeinkosten wurden bislang in Ihrem Unternehmen als Mate-
7 6 Vorbemerkungen rial- und Fertigungskostenzuschläge verrechnet. Die Prozesskostenrechnung liefert Ihnen nun die Kosten einzelner Prozesse, wie z. B. die Kosten eines Bestellvorganges (incl. Disposition, Einkauf, Wareneingang, Prüfung, Lagerung etc.) oder einer Konstruktionsänderung (incl. Materialprüfungen, Zeichnungsänderungen, DV-technischer Änderungen, Erstmustererstellung, Auftragsänderung etc.). Entsprechend der Inanspruchnahme dieser Prozesse gemessen mit den Kostentreibern verteuert oder verbilligt sich ein Produkt oder ein Auftrag um seine»wahren«kosten und sein tatsächlich verursachter Ergebnisbeitrag wird sichtbar. Die einzelnen Prozesse sind dabei permanent zu analysieren und zu verbessern, d.h. sie sind im Rahmen des Prozessmanagements ablaufgemäß zu optimieren. Mit der Prozesskostenrechnung bzw. dem umfassenderen Prozessmanagement wird Ihnen ein permanent nutzbares Instrument zur Verfügung stehen, um den sehr wesentlichen indirekten Bereich einer Analyse zu unterwerfen, mit deren Ergebnissen neue Regeln zur Kostenplanung und Kostenzurechnung geliefert werden. Alle damit verbundenen Ungenauigkeiten, die in der Praxis immer wieder auftreten, sind zwar zu minimieren, aber letztlich doch zu akzeptieren. Eine Anmerkung noch vorab: Das Topmanagement (also die Geschäftsleitung) Ihres Unternehmens muss absolut hinter der Prozesskostenrechnung stehen und deren Methodik vertreten, damit sie bei der Ein- und Durchführung und damit der Erreichung Ihrer Ziele überhaupt eine Chance hat. In ersten Ansätzen haben Sie nun bereits erkannt, welches die Möglichkeiten der Prozesskostenrechnung sind und wo deren Schwerpunkte liegen. Der Vollständigkeit halber machen Sie im nächsten Kapitel aber einen Sprung zurück zu den Anfängen der Prozesskostenrechnung. Ihr Ziel muss es doch sein,»nicht nur mitreden zu können, sondern auch zu wissen, was wirklich damit gemeint ist«. 1.3 Entstehung und Begriff der Prozesskostenrechnung Der Grundstein für die Prozesskostenrechnung wurde in den USA als»activity Based Costing«bereits im Jahre 1985 durch Miller und Vollmann gelegt: Aus den nach traditioneller Auffassung weitgehend fixen Gemeinkosten sind proportionale Kosten in Abhängigkeit von den Transaktionen zu machen. Zum einen sollen nicht notwendige Transaktionen reduziert werden, zum anderen sind die zur Leistungserstellung erforderlichen Transaktionen effizienter auszuführen. Diese beiden Zielsetzungen sind die Eckpfeiler jedes Ansatzes zum Gemeinkostenmanagement. In den Folgejahren waren es v. a. die Amerikaner Cooper, Johnson und Kaplan, die diese Ansätze weiterentwickelt haben. Die von ihnen veröffentlichte Philosophie des Activity Based Costing hat die daraufhin einsetzenden Diskussionen und Veröffentlichungen entscheidend geprägt. Im deutschsprachigen Raum haben Horváth und Mayer im Jahre 1989 den wesentlichen Anstoß für eine deutsche Version des Activity Based Costing als»prozesskostenrechnung«gegeben. Sie modifizierten das amerikanische Konzept für deutsche Kostenrechnungszwecke. Ihre Veröffentlichungen, die durchweg positiv für die Prozesskostenrechnung gehalten sind, geben immer wieder Anlass zu emotional geführten Diskussionen und zu kritischen Äußerungen in wissenschaftlichen Fachkreisen; die Resonanz der praxisorientierten Literatur fällt dagegen überwiegend positiv aus. Der Begriff»Prozesskostenrechnung«als solcher lässt sich aus der bereits oben ange-
8 Entstehung und Begriff der Prozesskostenrechnung 7 sprochenen Vorgehensweise ableiten, dass bei ihr abteilungsübergreifende Abläufe und Leistungen in indirekten Bereichen analysiert und bewertet werden. Er steht in Wissenschaft und Praxis als Synonym und Oberbegriff für die Kostenrechnungskonzepte»Prozesskostenmanagement«,»Vorgangs- oder Aktivitätsorientierte Kostenrechnung«oder»Prozessorientierte Kostenrechnung«. Im amerikanischen Sprachgebrauch findet man hierfür neben»activity Based Costing«entsprechend die Bezeichnungen»Transaction-related Costing System«oder»Cost Driver Accounting System«. Die Bezeichnung»prozessorientierte Kostenrechnung«oder auch die amerikanische Bezeichnung»Activity Based Costing«ist inhaltlich treffender, da durch den Begriff»Prozesskostenrechnung«fälschlicherweise der Eindruck vermittelt wird, es handle sich hier um eindeutig definierte Prozesse, welche das gesamte betriebliche Geschehen verrechenbar machen. Das stimmt nicht, denn in jedem Unternehmen müssen die spezifischen Gegebenheiten, Strukturen und Organisationen individuell berücksichtigt werden, so wie dies auch im Rahmen dieses Konzeptes angeregt wird. Und: Prozesse lassen sich nicht standardisieren! Sollten Sie dies versuchen, würden Sie aufgrund der immensen Anzahl von Prozessen und des damit verbundenen Erfassungsaufwandes die Prozesskostenrechnung lahm legen. Dennoch dominiert in der deutschen Literatur die Bezeichnung»Prozesskostenrechnung«und es gibt zudem nach Auffassung mehrerer Autoren auch methodische Unterschiede zum Activity Based Costing, sodass für dieses Konzept auch die Bezeichnung»Prozesskostenrechnung«festgelegt wurde. Ist die Prozesskostenrechnung eine neue Kostenrechnung? Bei der Prozesskostenrechnung handelt es sich zwar um eine besonders nützliche und wirksame Form der Kostenrechnung, grundsätzlich aber nicht um ein völlig neues System. Sie bedient sich der traditionellen Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung, die sie für ihre speziellen Zwecke integriert, verfeinert und weiterentwickelt. Die Prozesskostenrechnung ist in erster Linie auch kein Instrument zur bloßen Kostenerfassung und -verrechnung, sondern vielmehr ein Instrument»zur Erkennung und Gestaltung der die Kosten verursachenden Faktoren«. 4 Ausgangspunkt der Prozesskostenrechnung ist eine veränderte Einstellung gegenüber den in den indirekten Bereichen erbrachten Leistungen. Neu ist v. a. die Einführung weniger übergreifender Hauptprozesse und Kostentreiber, die in einem originären Zusammenhang mit der Unternehmensplanung stehen und die ihrerseits den Kostenanfall in vielen Kostenstellen der indirekten Bereiche bestimmen. Die Prozesskostenrechnung kann zusammenfassend als ein neuer, kostenstellenübergreifender Ansatz beschrieben werden, welcher die Kostentransparenz in den indirekten Leistungsbereichen erhöht, einen effizienten Ressourcenverbrauch sicherstellt, die Kapazitätsauslastung aufzeigt, die Produktkalkulation verbessert und damit strategische Fehlentscheidungen vermeidet. Da die Prozesskostenrechnung für sich in Anspruch nimmt, als»strategisch«einsetzbares Kostenrechnungsinstrument auch mittel- bis langfristig geeignet zu sein, ist sie als Variante der Vollkostenrechnung ausgelegt. Ebenso wird durch den Fixkostencharakter vieler Gemeinkosten der indirekten Bereiche ein mittel- bis langfristiger Planungszeitraum vorgegeben. Die Prozesskostenrechnung ist weiterhin als Instrument zu verstehen, bei dem einiges ausprobiert werden kann und teilweise auch muss. Ebenso müssen die neu gewonnenen
9 8 Vorbemerkungen Erkenntnisse im Rahmen eines selbstlernenden und»lebenden«systems immer wieder schrittweise realisiert werden; ständige Verbesserung ist angesagt. Die Prozesskostenrechnung ist eben kein 100%ig fertiges und schon gar kein endgültiges Instrument. Das Potenzial der Prozesskostenrechnung kann in Verbindung mit den im kurzfristigen Bereich bewährten Methoden der Plankosten- und Deckungsbeitragsrechnung sogar noch verstärkt werden. Die Prozesskostenrechnung sollte vielmehr als permanentes Instrument integriert zum bisher eingesetzten Kostenrechnungssystem angewendet werden und somit die Mängel der klassischen Systeme bei der Analyse und Verrechnung der Gemeinkosten ausgleichen. Mithilfe der Prozesskostenrechnung kann im Gegensatz zur verantwortungs- und funktionsorientierten Kostenstellenrechnung eine vorgangsorientierte und funktionsübergreifende Sicht der Abläufe abgebildet werden. Dadurch ergänzt die Prozesskostenrechnung die Kostenstellenrechnung.
10 9 2 Notwendigkeit der Prozesskostenrechnung Die Gründe, welche die Notwendigkeit einer Prozesskostenrechnung bedingen und schließlich zu deren Entwicklung geführt haben, sind eindeutig zu benennen: Der drastische Gemeinkostenanstieg sowie die Mängel traditioneller Kostenrechnungssysteme sind verantwortlich dafür, dass veränderte und z. T. neue, auch extern seitens der Kunden gestellte Anforderungen an Kostenrechnung und Kalkulation nur unzureichend erfüllt werden konnten. Neue Wege mussten gefunden werden. In den beiden folgenden Kapiteln werden eben diese Gründe beschrieben; im abschließenden Kapitel 2.3 dazu werden Sie eine neue Betrachtungsweise des indirekten Bereiches, seiner Prozesse und Kosten erfahren. 2.1 Drastischer Gemeinkostenanstieg und seine Ursachen Die Gemeinkosten sind sowohl absolut betrachtet als auch in Relation zu den Gesamtkosten in den letzten Jahren stark angestiegen und werden dies auch weiter tun, sofern Sie nicht gegensteuern. Zunächst wird die geänderte Situation der Gemeinkosten beschrieben; anschließend werden die inner- und außerbetrieblichen Ursachen für den drastischen Gemeinkostenanstieg erörtert Situationsbetrachtung Die heutigen Vollkostenrechnungssysteme waren vor 100 Jahren für die Verteilung der damals größten Kostenblöcke»Arbeitslohn«und»Rohmaterial«entwickelt worden. Die Gemeinkosten hatten einen relativ geringen Anteil an den Gesamtkosten, sodass Zuschläge auf Material- oder Lohneinzelkostenbasis durchaus angemessen waren. Viele der herkömmlich als Fixkosten klassifizierten Gemeinkostenbestandteile sind zwar unabhängig von der Beschäftigung im Sinne der Produktions- und Absatzmengen, bei genauer Betrachtung wird man aber erkennen, dass ein verhältnismäßig großer Teil der indirekten Bereiche doch direkten Bezug zu Kalkulationsobjekten hat (z. B. zu Produkten, Auftragsgrößen, Kunden, Vertriebsgebieten). Die klassischen Fixkosten entwickelten sich dynamisch nach oben, woraus sich ableiten lässt, dass auch die fixen Gemeinkosten bestimmten Einflussgrößen (so genannten Kostentreibern) unterliegen. Unter diesen Gesichtspunkten sei die Frage erlaubt: Warum beharrt man dennoch auf der Bezeichnung solcher Kosten als»fix«kosten? Ist dies nicht eine kuriose Bezeichnung für eine Kostenart, deren Umfang von Jahr zu Jahr immer steiler anstieg? Mittels der in der Prozesskostenrechnung durchzuführenden Analysen und Datenerhebungen im indirekten Bereich werden die Einflussgrößen auf diese (»Fix«)Kostenblöcke
11 10 Notwendigkeit der Prozesskostenrechnung 100% 90% 80% 70% Vertriebs- und Verwaltungskosten; 15% Fertigungs-Gemeinkosten; 10% Vertriebs- und Verwaltungskosten; 30% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Fertigungs-Gemeinkosten; 20% Fertigungs-Einzelkosten; 45% Fertigungs-Einzelkosten; 10% Material-Gemeinkosten; 10% Material-Gemeinkosten; 5% Material-Einzelkosten; 25% Material-Einzelkosten; 30% 0% früher heute (Böhler, W.: Integration der Prozesskostenrechnung in eine geschlossene Kostenrechnungsstandardsoftware, in: Männel, W. (Hrsg.): Prozesskostenrechnung Standpunkte, Branchen-Erfahrungen, Software-Lösungen, Kostenrechnungspraxis, Sonderheft 1, 1994, S. 9) Abb. 1: Veränderung der durchschnittlichen Kostenstrukturen in deutschen Industriebetrieben ermittelt doch dazu später mehr. Die geänderte Kostensituation wird anhand der Abbildung 1 gezeigt. Es handelt sich hierbei um die durchschnittlichen Kostenstrukturen der letzten Jahrzehnte in deutschen Industrieunternehmen. Die Abbildung zeigt eindeutig die Verschiebung des Kostenschwerpunkts: Das Verhältnis der Einzelkosten zu den Gemeinkosten von 70% zu 30% aus den 1960er-Jahren ist heute geradezu umgedreht worden auf weniger als 40% zu 60%. Diese veränderten Kostenstrukturen führen zu neuen Anforderungen an die Gestaltung der Kostenrechnung, denn die genaue Kenntnis der betrieblichen Kosten ist ein Schlüsselfaktor zur Beeinflussung des Unternehmenserfolgs. Die Ursachen für den Anstieg der Gemeinkosten sind heute oft nicht transparent. Der Gemeinkostenblock wird in seiner vollen Größe zumeist als einzige (Zuschlags)Position dargestellt, weil wie bereits erwähnt die bisher eingesetzten Kostenrechnungssysteme und ihre Verfahren (Kostenvorgabe und -kontrolle, differenzierte Abweichungsanalyse, Kalkulation) für die Produktion entwickelt wurden. In den indirekten Bereichen fallen im Übrigen ca. 80% der Kosten als ausbringungsunabhängige Kosten an. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Trend zu beobachten: Während das Verhältnis von indirekten zu direkten Mitarbeitern vor ca. 30 Jahren noch bei eins zu zehn lag, hat es sich inzwischen auf eins zu eins verschoben, also sind heute durchschnittlich 50% aller Beschäftigten an einem Büroarbeitsplatz tätig. Dieser Trend setzt sich fort bzw. es gibt schon heute in Unternehmen 90% und mehr Mitarbeiter im indirekten Bereich.
12 Drastischer Gemeinkostenanstieg und seine Ursachen 11 Führen Sie für Ihr Unternehmen eine solche Situationsbetrachtung mit aktuellen Zahlen und im Zeitvergleich durch. Sie können dabei die Kosten auch z.b. wie folgt strukturieren: Gemeinkosten, Lohnkosten, Materialkosten. Vielleicht gibt es in Ihrem Unternehmen aber auch andere Kostenschwerpunkte, die Sie herausarbeiten sollten. Es mag möglicherweise schwierig sein, Kosten aus weit zurückliegenden Jahren heranzuziehen bzw. überhaupt miteinander vergleichen zu können. Sie müssen dennoch so sorgfältig wie möglich vorgehen und weit in die Vergangenheit zurückgehen, um einen eindeutigen Trend sichtbar machen zu können. Die daraus erkennbaren Verschiebungen in der Kostenstruktur werden Anlass dafür geben, die Gemeinkosten stärker zu beachten, sie zu analysieren und differenzierter zu ermitteln sowie die zugrunde liegenden Prozesse zu optimieren. Sie schaffen somit die Ausgangslage zur Einführung der Prozesskostenrechnung für Ihr Unternehmen. Warum sind die Gemeinkosten gegenüber früheren Jahren derart angestiegen? Die traditionellen Kostenrechnungssysteme wurden ursprünglich zur Überwachung des Herstellprozesses von wenigen standardisierten und fertigungslohnintensiven Massenprodukten entwickelt. Damals war die Kostenerfassung teuer, wogegen der Konkurrenzdruck gering und die Produktdiversifizierung wenig ausgeprägt war. Wie Sie in der Ursachenanalyse noch erfahren und erarbeiten werden, stehen die Unternehmen zunehmend in einem starken Wettbewerb, der dazu führt, dass viele Varianten bei geringem Standardisierungsgrad in geringen Stückzahlen mit hohem Automatisierungsgrad gefertigt werden müssen, wogegen die gesunkenen Erfassungskosten nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Daneben hat der indirekte Bereich im Gegensatz zum direkten Bereich keinen annähernden und messbaren Produktivitätsfortschritt erlebt. Er blieb bislang weitgehend unberücksichtigt, was aufgrund der gezeigten Gemeinkostenanteile doch wirklich erstaunlich ist. In den vergangenen Jahren wurde der Fokus auf Umsatzsteigerungen gerichtet, dafür das Angebot an Produkten, Varianten und Serviceleistungen erweitert, ohne dabei an mögliche Folgen zu denken. Die Vergrößerung des Produkt- und Serviceportfolios zog häufig eine zunehmende Komplexität der internen Abläufe und damit steigende Kosten und sinkende Effizienz nach sich:»trotz steigender Umsätze schrumpften die Gewinne.«5 Verschiedene Aspekte bzgl. des Gemeinkostenanstiegs werden in der nun folgenden»ursachenanalyse«beleuchtet, von denen der eine oder andere zumindest ansatzweise auch in Ihrem Unternehmen ausschlaggebend sein könnte. Verständlicherweise können hier nicht alle Gründe angeführt werden, da viele unternehmensspezifische Einflüsse berücksichtigt werden müssen, weshalb sie auch global gehalten und nicht an bestimmte Branchen oder Märkte gebunden sind.
13 12 Notwendigkeit der Prozesskostenrechnung Ihre Aufgabe besteht darin, die Gründe für den Gemeinkostenanstieg in Ihrem Unternehmen ganz individuell selbst festzustellen. Haben Sie erst einmal die Ursachen erkannt und dargestellt, wird es Ihnen und anderen leichter fallen, eine Prozesskostenrechnung anzustoßen. Die hier gemachten Erörterungen können nur Anregungen für Ihre Überlegungen sein. Damit beginnt auch bereits das bereichsübergreifende Denken, das immer wieder entscheidend für den Fortschritt der Prozesskostenrechnung ist, wie Sie später noch erkennen werden. Gehen Sie also auf geeignete Mitarbeiter der entsprechenden Bereiche zu und überlegen Sie gemeinsam! Machen Sie dabei keine Unterschiede im Hinblick auf Hierarchieebenen Veränderungen in den Produktionsbedingungen Heutige Produktionstechnologien erfordern aufgrund ihrer vielfältigen und zunehmenden Verflechtungen mit anderen Unternehmensbereichen (z. B. aufgrund von Just-in-time- (JIT)-Konzeptionen oder Total-Quality-Management-(TQM)-Konzeptionen) eine Abkehr von der isolierten Betrachtung einzelner Teil- und Funktionsbereiche. Die Integration von mehreren Einheiten zu komplexen Systemen kann dabei nicht ausschließlich auf den Fertigungsbereich beschränkt bleiben, sondern bezieht auch die dem Produktionsbereich vorund nachgelagerten Bereiche mit ein. So muss wegen zunehmender Interdependenzen eine ablauforientierte ganzheitliche Betrachtungsweise betrieblicher Prozesse die traditionelle funktionsorientierte Ausrichtung ersetzen. Durch die weiterhin andauernde Automatisierung wurde und wird Arbeit durch Kapital ersetzt. Die Zunahme dieser Kapitalintensität in den Fertigungsbereichen führt durch die Veränderung der Anteile einzelner Kostenarten an den Gesamtkosten zu einer veränderten Kostenstruktur: Aus Einzelkosten (für direkten Fertigungslohn) werden zunehmend Gemeinkosten (für indirekte Tätigkeiten wie Arbeitsvorbereitung, Produktionsplanung etc.). Als Folge der anlagenintensiveren Fertigung verschiebt sich die Kostenstruktur noch weiter: Anstelle von Einzelkosten als Fertigungslohn fallen nun (»fixe«) Gemeinkosten in Form von Anlagekosten (Abschreibungen) an. Aber nicht nur die Kostenstruktur als solche ändert sich: Die Gemeinkosten steigen auch absolut an, da die automatisierten Produktionsanlagen durch aufwändige Wartung und Unterhaltung sowie durch erhöhte Abschreibungen insgesamt höhere (Gemein-)Kosten verursachen. Des Weiteren hat die Komplexität der Produktionsabläufe infolge dieser Kapitalintensivierung zugenommen. Diese Produktionskomplexität stellt aber einen bisher kaum beachteten und erfassten Einflussfaktor auf die Kostenstruktur dar. Zur Beherrschung einer solchen Komplexität ist trotz flexibler Fertigungssysteme eine Vielzahl planender und steuernder Aufgaben erforderlich. Bei den zugehörigen Gemeinkosten handelt es sich hauptsächlich um»fixe«personalkosten, die meist in keiner unmittelbaren Beziehung zu den einzelnen Fertigungskostenstellen stehen. Als erstes Fazit dieser Betrachtungen kann gesagt werden: Zunehmende Rationalisierungsbemühungen, technischer Fortschritt, fortschreitende Automatisierung der Produktion, die Tendenz zur Zentralisierung von Produktions- und Dienstleistungsstätten auf-
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