Auf dem Weg in die Gesellschaft des langen Lebens
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- Rüdiger Solberg
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1 Auf dem Weg in die Gesellschaft des langen Lebens Prof. Dr. Harald Künemund Universität Vechta Institut für Gerontologie
2 Altern der Gesellschaft Zunahme des Anteils und der Anzahl Älterer sowie steigende durchschnittliche Lebenserwartung Zumindest bislang nur moderat steigende Erwerbsaustrittsalter Der Ruhestand ist heute keine Restzeit mehr, die eine kleine gesellschaftliche Gruppe durchlebt, sondern ein eigenständiger Lebensabschnitt von erheblicher Dauer, in dem sich bald fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung befindet, und zwar mit zunehmend besserer Bildung, besserer Gesundheit und zumindest bislang auch mit besserer materieller Absicherung
3 Erwerbsquoten: Männer 60 bis 64 Jahre Quelle: OECD labour force participation rates, eigene Darstellung Germany France UK Italy Sweden Spain USA EU 15
4 Erwerbsquoten: Frauen 60 bis 64 Jahre Quelle: OECD labour force participation rates, eigene Darstellung Germany France UK Italy Sweden Spain USA EU 15
5 Erwerbstätigkeiten (Alters-Survey 1996 und 2002) Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) Altersgruppen Quelle: Künemund (2006)
6 Pflegebedarf (SGB XI) Männer Frauen Quelle: Pflegestatistik 2007, eigene Darstellung
7 Ehrenamtliche Tätigkeiten 1996 und % 90 % % 70 % 60 % 50 % 40 % Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) % 20 % 10 % 0% Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) Altersgruppen Quelle: Alters-Survey 1996 und Deutscher Alterssurvey (DEAS) 2008, eigene Berechnungen und Darstellung.
8 Pflegetätigkeiten 1996 und % 90 % % 70 % 60 % 50 % 40 % Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) % 20 % 10 % 0% Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) Altersgruppen Quelle: Alters-Survey 1996 und Deutscher Alterssurvey (DEAS) 2008, eigene Berechnungen und Darstellung.
9 Enkelkinderbetreuung 1996 und % 90 % % 70 % 60 % 50 % 40 % Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) % 20 % 10 % 0% Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) Altersgruppen Quelle: Alters-Survey 1996 und Deutscher Alterssurvey (DEAS) 2008, eigene Berechnungen und Darstellung.
10 Kumulation dieser drei Tätigkeiten 1996 und % 50% 40% 30% 2008 Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) % 10% Männer (West) Männer (Ost) Frauen (West) Frauen (Ost) 0% Altersgruppen Quelle: Alters-Survey 1996 und Deutscher Alterssurvey (DEAS) 2008, eigene Berechnungen und Darstellung.
11 Zwischenfazit I Wird das durchschnittliche Rentenzugangsalter steigen, könnte sich dies auch zu niedrigeren Partizipationsquoten der jungen Alten führen, die nun wieder weniger Freizeit hätten Auch spürbare Absenkungen des Rentenniveaus würden sich wahrscheinlich sozial differenziert Weise ebenfalls in geringeren Engagement- und Partizipationsquoten niederschlagen Ohnehin spricht einiges dafür, dass nicht nur konsumfreudige und fähige Ältere, sondern auch Benachteiligte quantitativ an Bedeutung gewinnen werden
12 Notwendige begriffliche Präzisierungen Alter (1) Kalendarisches Alter (2) Soziales Alter (3) Psychisches Alter (4) Biologisches Alter Altersgrenzen Verbinden (1) und (2), oft vor dem Hintergrund von Annahmen zu (3) und (4) Sind keinesfalls nur als negative Diskriminierung zu verstehen, sondern haben Schutzfunktion (für Individuen und/oder soziale Gruppen) Orientierungsfunktion (für Individuen und/oder soziale Gruppen) Legitimationsfunktion (für Individuen und/oder soziale Gruppen) Rationalisierungsfunktion (für soziale Gruppen) Disziplinierungsfunktion (für Individuen und/oder für soziale Gruppen)
13 Zwischenfazit II Starre Altersgrenzen widersprechen teilweise dem Grundsatz der Gleichbehandlung aber nur von Altersgruppen, nicht zwingend von Individuen. Diese m.e. sehr bedeutsame Differenz zwischen Ageism und anderen isms (racism, nationalism, sexism usw.) wird meist übersehen: In Lebenslaufperspektive besteht möglicherweise Gleichbehandlung, Veränderungen der Altersgrenzen erzeugen Ungleicheit. schränken die individuelle Wahlfreiheit ein aber schaffen so Planbarkeit und Sicherheit (wie soziale Institutionen generell). entbinden von der Verpflichtung zur Einzelfallprüfung und sind so im Einzelfall ungerecht. Flexible Altersgrenzen des Erwerbsaustritts ermöglichen Wahlfreiheiten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber und verstärken so Unsicherheit und Ungleichheit und erschweren Planungen. Kurzum: pauschale, einseitige Stellungnahmen sind nicht möglich!
14 Was tun mit den gewonnen Jahren? Female life expectancy in Chile, Japan, New Zealand (non-maori), Norway, and the United States compared with the trend in record life expectancy. Quelle: Oeppen/Vaupel 2002
15 Was tun mit den gewonnen Jahren? Entwicklung bis etwa 1995
16 Was tun mit den gewonnen Jahren? Zugewinn 50/50 verteilen (SRZG 1995)
17 Was tun mit den gewonnen Jahren? Zugewinn 67/33 verteilen (Börsch-Supan 2002)
18 Was tun mit den gewonnen Jahren? Altersgrenzen an Lebenserwartung koppeln
19 Was tun mit den gewonnen Jahren? Individualisierung u. Flexibilisierung (Best 1979)
20 Was tun mit den gewonnen Jahren? H. Künemund: Auf dem Weg in die Gesellschaft langen Lebens
21 Was tun mit den gewonnen Jahren? Zeiten umverteilen (Künemund 2013)
22 Was tun mit den gewonnen Jahren? Vorteile: Abnehmende Ungleichheit hinsichtlich des Erlebens der Lebensphase Ruhestand Wissensstand der Erwerbstätigen dürfte im Schnitt aktueller sein, was sich positiv auf die Produktivität und damit auch auf die Beitragszahlungen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und in der Summe auch der Volkswirtschaft insgesamt auswirken sollte Lebenslanges Lernen würde institutionalisiert, mit entsprechenden positiven Wirkungen nicht nur für die Erwerbsphase, sondern auch für die spätere Altersphase, da deren Bewältigung wie auch die Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen etwa im technologischen Bereich leichter fallen würde. Auch das nachberufliche Engagement dürfte im Schnitt profitieren.
23 Was tun mit den gewonnen Jahren? Vorteile: Die Anpassung an den Ruhestand dürfte leichter fallen, sowohl aufgrund des lebenslangen Lernens als auch aufgrund der eigenen Erfahrungen mit Ruhestandsphasen im Lebenslauf Auch Gesundheit und Arbeitsmotivation könnten im Schnitt profitieren, auch wenn in Einzelfällen sicher auch das Gegenteil der Fall sein kann (die Gewichte wären empirisch zu untersuchen). Die Rushhour- und Sandwich -Phasen im Lebenslauf könnten abgefedert werden Geschlechterungleichheiten würden reduziert Schließlich sollte ein Stück weit das gute Leben vor dem Ruhestand praktiziert werden können eine Utopie, die offenbar in Vergessenheit geraten ist und Freiraum für Bildung und Kultur entsteht, und damit für eine in diesem Sinne bessere Gesellschaft.
24 Fazit Bestehende Altersgrenzen sollten nicht generell abgeschafft werden, ohne die ursprüngliche Zielsetzung und die Folgen einer Abschaffung oder Flexibilisierung im Detail bedacht und analysiert zu haben. Eine Flexibilisierung im Sinner der Individualisierung der Altersgrenzen des Erwerbslebens wäre z.b. mit erheblichen Zunahmen sozialer Ungleichheit und biographischer Unsicherheit verbunden, sowohl für Individuen als auch soziale Gruppen (z.b. Betriebe oder Gesellschaften). Wenn aber die Abschaffung einer Ungleichbehandlung von Altersgruppen Ungerechtigkeiten zwischen Individuen schafft oder vergrößert, wird möglicherweise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
25 Fazit Ähnliches gilt für das gegenwärtige Hinausschieben der Altersgrenzen auch dies Verschärft soziale Ungleichheiten Alternativ wären m.e. Veränderungen im Lebenslaufregime zu diskutieren, wozu an dieser Stelle ein Beispiel gegeben werden sollte, das zeigt, dass auch Alternativen zum gegenwärtigen Pfad möglich wären Oder allgemeiner formuliert: Ein gesamtgesellschaftliches Nachdenken über die Gesellschaft, in der wir leben und alt werden möchten, müsste intensiviert werden
26 Literaturhinweise Börsch-Supan, A. (2010): Generationengerechtigkeit in der Alterssicherung. In: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg): Gerechtigkeitskonzepte und Verteilungsströme in der gesetzlichen Alterssicherung. Berlin: DRV. FRFG (2012): Positionspapier Rente der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen: Den Generationenvertrag erneuern nicht kündigen! (verabschiedet vom Vorstand der SRzG am ). Stuttgart: SRzG (Ms.). Kohli, M. (1985): Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 37, Kohli, M. & Künemund, H. (2000): Die Grenzen des Alters Strukturen und Bedeutungen. In: Perrig-Chiello, P. & Höpflinger, F. (Hrsg.): Jenseits des Zenits. Frauen und Männer in der zweiten Lebenshälfte. Bern, Künemund, Harald (2006): Partizipation und Engagement älterer Menschen. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.): Gesellschaftliches und familiäres Engagement älterer Menschen als Potenzial. Expertisen zum 5. Altenbericht der Bundesregierung, Band 5. Berlin: Lit Verlag, Künemund, H. (2013): Demografie, Politik und Generationenbeziehungen. In: Hüther, M. & Naegele, G. (Hrsg.): Demografiepolitik. Wiesbaden: Springer VS, Oeppen, J. & J. W. Vaupel (2002): Broken limits to life expectancy. Science, 296, Riley, M.W. & J.W. Riley (1994): Individuelles und gesellschaftliches Potential des Alterns. In: Baltes, P.B. et al. (Hrsg.): Alter und Altern: Ein interdisziplinärer Studientext zur Gerontologie. Berlin: de Gruyter,
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