Das Engagement der Arbeitgeber für Familienfreundlichkeit im Unternehmen Haus der Wirtschaft, Stuttgart

Transkript

1 Es gilt das gesprochene Wort! Das Engagement der Arbeitgeber für Familienfreundlichkeit im Unternehmen Haus der Wirtschaft, Stuttgart Statement von Prof. Dr. Dieter Hundt Präsident der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e. V.

2 1 Sehr geehrter Herr Minister Schmid, sehr geehrte Preisträger, sehr geehrte Damen und Herren, über kaum ein Politikfeld wird aktuell so intensiv und leidenschaftlich diskutiert wie über die Familienpolitik. Ich begrüße das sehr, da damit ein in der Vergangenheit oft belächelter Bereich in das Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt ist. Damit verbunden sind sehr grundsätzliche Fragestellungen: - zur Verfasstheit unserer Gesellschaft - zu Rollenbildern und - zu Verantwortlichkeiten in Bildung, Erziehung und Betreuung. Es wäre sehr reizvoll, heute Abend in diese Grundsatzdiskussion einzusteigen, doch würde dies den Rahmen vollständig sprengen. Nur so viel: Es wäre viel zu kurz gesprungen, den Erfolg von Familienpolitik in erster Linie an der Entwicklung der Geburtenrate zu messen. Vielmehr geht es vor allem darum, dass diejenigen, die sich für Kinder entschieden oder die Pflege ihrer Eltern zu bewältigen haben, sich nicht im Stich gelassen fühlen

3 2 und das große Versprechen von Wahlfreiheit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch wirklich eingelöst wird. Da darf sich niemand aus der Verantwortung stehlen. Das gilt vor allem für die Politik, wenn es um den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur oder einen vernünftigen Familienleistungsausgleich geht. Wir brauchen weder eine überteuerte und in der Sache zum Teil sogar kontraproduktive Symbolpolitik mit Großelternzeit und Betreuungsgeld. Noch geht es um die Lufthoheit über den Kinderbetten, über die einst ein SPD-Generalsekretär und heutiger Hamburger Erster Bürgermeister schwadroniert hat. Es geht vielmehr darum, dass ein Kinderbetreuungsplatz da ist, wenn er gebraucht wird. Und hier ist es schon enttäuschend, wie die Familien im Stich gelassen werden und die Verantwortung für den gesetzlich festgeschriebenen Betreuungsanspruch herum gereicht wird. Es ist so viel von sozialer Gerechtigkeit die Rede, die sich genau hier zentral entscheidet und nicht an der Höhe des Spitzensteuersatzes oder an der Existenz einer Vermögensabgabe. Auch das ist reine Symbolpolitik. Teilhabe- und Chancengerechtigkeit ist ohne ein flächendeckendes Angebot von ganztägigen Bildungs-

4 3 und Betreuungsangeboten nicht zu schaffen. So wissen wir mittlerweile, dass lange Auszeiten in der Familienphase sowie Teilzeitbeschäftigung die Hauptursache für Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen sind. Und um den nach wie vor viel zu engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu überwinden, sind Ganztagskitas und Ganztagsschulen mit neuen pädagogischen Konzepten unverzichtbar. Es ist schon absurd, dass wir hier mit Verweis auf knappe Kassen nur schleppend vorankommen, gleichzeitig aber in Deutschland schon bald wieder das gebührenfreie und voll steuerfinanzierte Hochschulstudium Standard sein wird. Was daran gerecht sein soll, hat mir noch niemand erklären können. Und weil diese Aspekte in der Gerechtigkeitsdiskussion viel zu kurz kommen, werde ich da auch nicht locker lassen. Meine Damen und Herren, aber auch die Wirtschaft darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Und sie tut es auch nicht, schon aus eigenem Interesse. Mit Blick auf den demografischen Wandel und den sich verschärfenden Fachkräftemangel wollen Betriebe qualifizierten Vätern und Müttern, Söhnen und Töchtern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.

5 4 In Befragungen sagen heute bereits fast 80 Prozent der Unternehmen, dass sie die Familienfreundlichkeit für sehr wichtig halten. Sie sind damit eng bei ihren Belegschaften, da über 90 Prozent der zwischen 25 und 39 Jahre alten Beschäftigten sagen, dass ihnen die Vereinbarkeit und Familie und Beruf genauso wichtig ist wie das Gehalt. 78 Prozent der Eltern würden für bessere Rahmenbedingungen sogar den Arbeitsplatz wechseln. Sollte also ein Unternehmen noch nicht die Vorteile einer auf Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit ausgerichteten betrieblichen Personalpolitik erkannt haben, so dürfte sich dies sehr schnell negativ bemerkbar machen. Umgekehrt gesagt: Familienbewusste Betriebe steigern mit flexiblen und bedarfsgerechten Angeboten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ihre Attraktivität im Wettbewerb um Fachkräfte und erleben dabei einen deutlichen Imagegewinn. Sie haben motivierte und leistungsfähigere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf die Rückendeckung ihres Betriebs verlassen können und nicht von einer Betreuungsnotlage in die nächste stolpern. Neben den familienfreundlichen Maßnahmen für Familien mit Kindern rücken dabei immer mehr auch die

6 5 Bedürfnisse von Beschäftigten in den Mittelpunkt, die pflegebedürftige Angehörige betreuen. Vor allem bei der Arbeitszeitgestaltung ist in den letzten Jahren Gewaltiges passiert: Die flexible Arbeitszeitgestaltung gehört zu den meist genutzten Instrumenten, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Vielfältige Modelle zur Arbeitszeitflexibilisierung wie Teilzeit, flexible Wochenund Tagesarbeitszeit, Gleitzeit, Telearbeit oder Jobsharing werden zunehmend mit einem hohen Maß an Individualität umgesetzt. Aber auch bei der Wiedereinstiegsförderung nach einer familiär bedingten Pause sind immer mehr Unternehmen aktiv, mit dem Ziel, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst schnell wieder zu integrieren. Das Gleiche gilt für die Unterstützung bei der Kinder- und Angehörigenbetreuung. Gerade die Kinderbetreuung nimmt beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familien eine zentrale Rolle ein. Belegplätze, Ferienbetreuungen oder haushaltsnahe Dienstleistungen sind neben der klassischen Betriebskindertagesstätte Beispiele für konkrete Unterstützungen durch die Arbeitgeber. Individuelle Absprachen sowie schnelle und direkte Hilfe sind gerade in kleineren und mittleren Unternehmen sehr gefragt. So haben sich zum Beispiel vielfältige Modelle einer Notfallbetreuung entwickelt.

7 6 Die Vielfalt der bereits bestehenden betrieblichen Angebote ist beeindruckend. Dies ist aber kein Grund sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Wir wollen deshalb mit dem familiynet-award beispielhafte Modelle und besonders innovative und nachhaltige Maßnahmen der betrieblichen Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auszeichnen. Mit dem Wettbewerb soll unternehmerisches Engagement gewürdigt und vor allem auch kleinere und mittlere Unternehmen ermutigt werden, sich auf den Weg zu machen. Es sind gerade diese kleinen und mittleren Unternehmen, die oftmals besonders kreative und flexible Lösungen für ihren betrieblichen Alltag finden. Dies haben auch die in diesem Jahr eingereichten Bewerbungen gezeigt. Sie zeugen von einem hohem Engagement, Ideenreichtum und unternehmerischen Weitblick. Einen Weitblick, den die Arbeitgeberverbände bereits im Jahr 2005 bewiesen haben, als sie mit familynet eines der ersten Netzwerke zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Baden-Württemberg ins Leben gerufen haben. Nach einer dreijährigen Pilotphase in drei Regionen konnte familynet 2008 mit der Förderung des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds auf acht Netzwerke ausgeweitet und ausgebaut werden. Seit 2012 wird das Angebot landesweit in zwölf Regionen umgesetzt. Damit

8 7 sind die letzten weißen Flecken von der Landkarte verschwunden. familynet ist heute das Vereinbarkeits-Programm in Baden-Württemberg und informiert und berät individuell und bedarfsgerecht Unternehmen. familynet organisiert regionale Netzwerke mit Unternehmen, Kommunen und anderen Institutionen. Mittlerweile engagieren sich über 700 Unternehmen, Initiativen sowie Städte und Kommunen in den regionalen familynet-netzwerken. Über Veranstaltungen und Seminare können Unternehmen voneinander lernen und gute und nachhaltige Modelle der Familienförderung im Betrieb können sich so in die Fläche entwickeln. Ich bin besonders stolz darauf, dass dieses von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie und der Chemieindustrie sowie vom Land getragene Netzwerk sich in den letzten Jahren zu einer Institution und zu einer festen Anlaufstelle für die Betriebe entwickelt hat. familynet steht damit beispielhaft für das Engagement der Arbeitgeber für Familienfreundlichkeit im Unternehmen. Beispielhaft sind auch die Angebote und Maßnahmen der Preisträger des ersten familynet-award, die wir gleich im Anschluss auszeichnen werden. Unser Dank gilt allen teilnehmenden Unternehmen an diesem Wettbewerb. Nicht jeder von Ihnen wird heute einen Preis entgegennehmen, aber Sie sind alle bereits

9 8 leuchtende Beispiele mit ihren Angeboten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Machen Sie dort weiter, berichten Sie über Ihre positiven Erfahrungen und lassen Sie sich weiterhin in unserem Arbeitgebernetzwerk familynet unterstützen. Herzlichen Dank.