Professur Allgemeine und Biopsychologie. Master-Vorlesung. Frank Masterpasqua: Psychology & Epigenetics. SoSe Mai
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- Mina Kohl
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1 Professur Allgemeine und Biopsychologie Institut für Psychologie Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften Master-Vorlesung Frank Masterpasqua: SoSe Mai Prof. Dr. Udo Rudolph
2 Voraussetzungen: 1. Frage nach (den Formen von) Gen-Expression statt Genen 2. Relation zwischen Genotyp und Phänotyp, sowie analog Phylogenese und Ontogenese 3. Startschuss: Conrad Hal Waddington (z.b.: 1942), einer der Gründerväter der theoretischen Biologie und der Wortschöpfer des Begriffs Epigenetik. 4. Waddington (z.b. 1966) sah Epigenetik als eine Beschreibung der Prozesse, anhand derer der Genotyp eines evolvierenden Organismus in einer koordinierten Weise auf die Umwelt antworten kann. 5. Hierzu gehört eine multikausale (statt: genozentrische) Orientierung -- gegen den Zeitgeist: Waddington war zwar sehr anerkannt (auch wegen anderer Arbeiten als denen zur Epigenetik) aber erhielt dennoch nicht die riesige Anerkennung, die ihm eigentlich gebührte. 6. Wichtig für sein Denken sind die Konzept der inneren und äußeren Umwelt, sowie das Konzept der Emergenz. Literaturempfehlung: Wikipedia-Artikel zu C. H. Waddington ( ) 2
3 Voraussetzungen: Frage: Wie können solche epigenetischen Mechanismen aussehen? Anders gefragt: Auf welche Teile der DNA kann die Messenger RNA zugreifen, um Proteine zu synthetisieren? Mechanismus 1: DNA Methylierung (Methylierung schaltet Gene aus) [Zur Erinnerung: Am wichtigsten / typischsten ist die Methylierung von Cytidin-Basen der DNA. Dieser chemische Prozess macht genetische Information unlesbar.] Mechanismus 2: Histon-Veränderungen (chemische Änderungen, die Gene an- oder ausschalten können). [Zur Erinnerung: 8 Histone bilden ein Nukleosom (146 Basenpaare), die Nukleosomen bilden Chromosomen, alle Chromosomen zusammen sind die DNA. Jede einzelne Zelle hat einen Histon-Code, der durch Enzyme und spezifische chemische Prozesse gesteuert wird.] 3
4 Voraussetzungen: Mechanismus 1: DNA Methylierung (Methylierung schaltet Gene aus) 4
5 Voraussetzungen: Mechanismus 2: Histon-Veränderungen (chemische Änderungen, die Gene an- oder ausschalten können). 5
6 Ontogenese und Epigenetik 1. Beispiel 1: Unterschiedliche Gewebetypen haben dennoch die gleiche DNA es muss also (Milieu-bedingte) Faktoren geben im Sinne einer inneren Umwelt, die die phänotypische Ausprägung steuern. 2. Beispiel 2: Bei weiblichen Individuen, die zwei X-Chromosomen haben, muss das eine X- Chromosom ausgebremst (herunter reguliert) werden, um eine normale Ausprägung von geschlechtlichen Merkmalen zu erhalten. 3. Beispiel 3: Genomic Imprinting (genomische Prägung); dies betrifft etwa 1 % aller Gene. [Beispiel siehe nächste Folie] 6
7 Ontogenese und Epigenetik Frage: Was ist GENOMIC IMPRINTING (= genetische oder besser: genomische Prägung)? Antwort: Beispiel: Es handelt sich um die elternspezifische (väterliche /mütterliche) Ausprägung einer genetischen Anlage. Die genetische Informationen gelangt nur zur phänotypischen Ausprägung, wenn es von einem der beiden Elternteile kommt. Das Prader-Willi-Syndrom Ursache des Syndroms ist für etwa 70% der Betroffenen, dass die vom Vater vererbte Genkopie unvollständig ist. Hierbei unterliegt der Chromosomenabschnitt 15q11-13 einem Imprinting: bestimmte Gene auf diesem Abschnitt sind ausschließlich auf dem vom Vater stammenden Chromosom und andere nur auf dem von der Mutter stammenden Chromosom aktiv. Beim Prader-Willi-Syndrom werden gewisse väterliche Gene nicht exprimiert und die entsprechenden Abschnitte auf dem mütterlichen Chromosom sind stillgelegt -- somit fehlt das Genprodukt komplett. Ursache hierfür ist die mangelhafte Produktion des Gonadotropin-Releasing Hormons durch den Hypothalamus in der Fötalphase. 7
8 Krankheitsentwicklung und Epigenetik 1. Anfangs gab es Hinweise auf Methylisationsprozesse während der Schwangerschaft; hieraus resultierten beispielsweise einige der bekannten Erkrankungen bei der neuronalen Entwicklung (Prader-Willi- und Angelmann-Syndrom). 2. Die Krebsforschung lieferte die ersten Hinweise für ontogenetisch spätere Prozesse der Epigenetik, und inzwischen sind Zusammenhänge zwischen epigenetischen Prozessen und mehr als 2 Dutzend Krebsarten nachgewiesen. Hierzu zählt beispielhaft die (aktive) Tumorsuppression. 3. Wieder einmal muss uns hier die Zwillingsforschung helfen: Es ist erklärungsbedürftig, beispielsweise, warum 1-eiige Zwillinge mit identischem Genom nicht stets die gleichen Erkrankungen entwickeln. 4. Die Frage lautete also: Ändern Erfahrungen das Genom, und existiert hier eine Art Epi- Genom? 8
9 Erfahrungen und Epigenetik 1. The Early Care-Giving Environment : Es liegt nahe, hier extreme Formen früher Kindheitserfahrungen zu untersuchen, so etwa Vernachlässigung oder Missbrauch. Hierzu gibt es Untersuchungen an Nagetieren, bei den die Reaktivität des Adrenalin-und Corticoid-Komplexes untersucht wurde (Szyf et al, 2008). Variiert wird hierbei die mütterliche Zuwendung und Fürsorge (hoch versus niedrig). Bei hoher Zuwendung ist die hormonale Reaktion der jungen Tiere auf Stress geringer ausgeprägt als bei geringer Zuwendung. Diese Adrenalin- und Corticoid-Reaktionen werden durch den Hypothalamus gesteuert, so dass die Hypothese naheliegt, dass mütterliche Zuwendung in einem early-care-giving-environment die Funktionsweise des Hypothalamus und dieentsprechenden hormonellen Regelkreise beeinflusst. 9
10 Erfahrungen und Epigenetik 2. Beim Menschen: A. Untersuchungen von Oberlander et al (2008): Mütter, die während der Schwangerschaft eine Medikation in Bezug auf Depression erhalten hatten (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer):... zeigen eine erhöhte Methylierung des Rezeptorgens für Gluco-Corticoide.... im Alter von 3 Monaten zeigen solche Kinder eine stärkere Reaktion des hypothalamatischen Adrenalinkomplexes auf Stress. B. Untersuchungen von McGowan (2009): Suizidale Personen mit versus ohne eine Geschichte frühkindlichen Missbrauchs: Bei Personen mit negativen Erfahrungen in der Kindheit lagen Änderungen in der Expression von Stress- Hormon-Rezeptoren vor. 10
11 Epigenetik über mehrere Generationen 3. Können epigenetische Änderungen über mehrere Generationen stabil bleiben also nicht nur für die (ontogenetische) Mitose, sondern auch die (intergenerationale) Meiose? Auch hier gibt es Studien mit Nagetieren (z.b. Anway et al, 2005) zu transgenerationalen Effekten von endokrinen Beeinflussungen während der Schwangerschaft. Dies beeinflusst die Spermienproduktion und die Partner-Präferenzen der männlichen Nachkommen, und zwar bis in die vierte Generation. Curley et al. (2008) finden transgenerationale Effekte in Bezug auf Angstreaktion nach beeinträchtigter mütterlicher Sorge für den Nachwuchs bei Mäusen. Champagne & Menae (2007): Diese Effekte sind (aus ontogenetischer Perspektive) reversibel; wiederum scheint es kritische und kompensatorische Zeitfenster zu geben. 11
12 Epigenetik über mehrere Generationen beim Menschen? 1. Klassisches Beispiel: Epigenetische Wirkungen oder vielmehr Hinweise auf solche Effekte nach katastrophaler Nahrungsversorgung (hier: 2. Weltkrieg); siehe Susser et al (z.b. 1998). 2. Ähnliche Untersuchungen gibt es für Kohorten mit Hunger-Erfahrungen in Schweden (z.b. Kaati et al, 2002). 3. Es finden sich Einflüsse auf die Sterblichkeitsrate auch zwei Generationen später; diese sind geschlechtsspezifisch (Großmütter à Enkelinnen; Großväter à Enkel). 4. Bezüge zur Theorie der gelernten Hilflosigkeit: Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit negativer Erfahrungen wirken besonders negativ. 12
13 Epigenetik und psychische Erkrankungen 1. Mill & Petronis (2007) verweisen auf das Wechselspiel von Genom und Epigenetik hin in Bezug auf die Erklärung von Depression, analog zu einem Diathese-Stress-Modell. 2. Berton et al. (2006): Ein Tiermodell der Depression liefert Anhaltspunkte dafür, dass diese durch einen gehirn-relevanten neurotrophen Faktor (brain derived neurotrophic factor; BDNF) vermittelt ist. 3. Poulter et al. (2008). Erhöhte Methylisation des fronto-polaren Cortex bei schwer depressiven suizidalen Personen. 4. Das Protein Reelin dient der Ausbildung und Modulation von GABA-relevanten Neuronen. Schizophrene Personen weisen hier besonders niedrige Konzentrationen auf. Hier könnten Methylisations-Prozesse verantwortlich sein (Tsankova et al., 2007). 5. Wir wissen zudem, dass schizophrene Patienten überdurchschnittlich häufig (wenngleich nicht immer) Erfahrungen von Misshandlung oder Missbrauch gemacht haben (Roth et al., 2006). 13
14 Epigenetik neueste Befunde: 1. Befunde der Arbeitsgruppe um Ma Lan (Shanghai): Schritt 1: Identifikation männlicher Ratten, die sehr leicht kokainabhängig werden, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, für die das Gegenteil gilt. Schritt 2: Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, mit der deren Nachkommen ebenso leicht abhängig werden: hier gibt es genetische Linien. Schritt 3: Bestimmung der Aktivitätsmuster von Zellen im Nucleus Accumbens bei diesen Ratten dieses ist für beide Gruppen verscheiden. Schritt 4: Epigenetische Markierungen (Methylierung) in den Spermien der besonders leicht abhängig werdenden Tiere diese werden in der Ontogenese erworben und weitergegeben. 14
15 Epigenetik neueste Befunde: 2. Neueste Befunde von Cavalli (2017): Schritt 1: Identifikation genetisch identischer Fruchtfliegen, deren Augenfarbe variiert (weiß, gelb, rot). Schritt 2: Paarungsrestriktion: nur noch Exemplare mit gleicher Augenfarbe dürfen sich paaren, über viele Generationen. Befund: diese bleiben genetisch identisch. Schritt 3: Identifikation von epigenetischen Markierungen, die sich im Laufe der Linienbildung häufen und eine bestimmte Augenfarbe immer wahrscheinlicher machen. Schritt 4: Eine Zurücksetzung der epigenetischen Markierung führt dann zurück zu einer der früheren Augenfarben. 15
16 Epigenetik neueste Befunde: 3. Befunde von Lehner et al. (2017): Schritt 1: Auslösung einer epigenetischen Veränderung bei Fadenwürmern durch Erhöhung der Umgebungstemperatur auf 25 Grad im frühen Wachstumsstadium. Schritt 2: Der Effekt ist eine deutliche Verringerung der Methylierung an den Histonen eines Gens. Schritt 3: Diese Veränderung finden wir nach 14 Generationen immer noch und zwar bei Individuen und deren nachkommen, die ausschließ0lich bei exakt 20 Grad gehalten werden. 16
17 Implikationen 1. Ein besseres Verständnis normaler wie auch abweichender Entwicklungsprozesse in der Ontogenese, mit phylogenetischen Konsequenzen. 3. Transgenerationale Effekte sind gut bestätigt in Tiermodellen; naturgemäß gibt es keine kontrollierten Studien beim Menschen. 4. Dennoch gibt es Anhaltspunkte, die auf Änderungen der Eigen-Mortalität wie auch transgenerationale Effekte beim Menschen hindeuten. 5. Eine Identifikation der pathogenen Entwicklungsbedingungen wird helfen, solche epigenetischen Risiken zu mindern. 6. Aus Tiermodellen gibt es Hinweise auf mögliche pharmakologische Gegenwirkungen. 7. Wirkungsstudien zu den Effekten von Psychotherapie sollten ergänzt werden durch eine Diagnostik epigenetischer Effekte der Interventionen. 17
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