Ungleiche Behandlung muss ein Ende haben
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- Emilia Klein
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1 Ungleiche Behandlung muss ein Ende haben AK Vorarlberg fordert neue Regeln für die Invaliditätspension Montag, 30. Juni 2008, 9.30 Uhr Hotel Schwärzler, Bregenz
2 Ungleiche Behandlung muss ein Ende haben AK-Präsident Hubert Hämmerle: Bei der Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension handelt es sich um ein unfaires System. Ohne Berufsschutz schauen Arbeitnehmer/innen aus diversen Branchen im Falle von schwerer Krankheit bzw. Invalidität durch die Finger. Die jetzige Rechtssprechung ist in dieser Form nicht tragbar. Auch gesundheitlich angeschlagene Arbeitskräfte müssen die Chance auf eine adäquate Stelle erhalten und sollten im Arbeitsprozess weiter integriert werden, fordert AK-Präsident Hämmerle. Es kann jeden treffen. Schon morgen. Ein Unfall oder eine Krankheit, und das Ausüben des Berufs wird schwer oder gar unmöglich. Für die härtesten Fälle ist das Netz der Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension vorgesehen. Doch das System macht nicht nachvollziehbare Unterschiede. Eigentlich sollte über die Allgemeine Sozialversicherung Gerechtigkeit herrschen. Doch das derzeitige System benachteiligt all jene Versicherten, die keinen so genannten Berufsschutz haben. Nach gängiger Rechtssprechung kann ein Betroffener auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden, das heißt auf Tätigkeiten wie Museumswärter, Portier, Webgutkontrolleur, Telefonist etc. Besonders kurios ist dabei, dass es ausreicht, wenn auf dem gesamten österreichischen Arbeitsmarkt 100 Arbeitsplätze einer Tätigkeit existieren. Ob diese Arbeitsplätze frei sind bzw. ob es auch einigermaßen realistisch ist einen entsprechenden Arbeitsplatzes zu erlangen, ist dabei irrelevant. Unhaltbarer Zustand Für Hämmerle sind die ungleichen Maßstäbe, die angelegt werden, ein unhaltbarer Zustand: Wer unverschuldet seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, muss sich auf ein gerechtes System verlassen können. Es braucht deshalb neue Regelungen für jene Menschen, deren Arbeitsfähigkeit gemindert ist. Zu allererst müsse die überholte Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten fallen und ein einheitlicher Invaliditätsbegriff definiert werden, so Hämmerle. Weiters ist das österreichische System unflexibel. Es ist durch das Alles-oder-nichts-Prinzip 2
3 gekennzeichnet, Invalidität setzt absolute Arbeitsunfähigkeit voraus. Versicherte, die nicht mehr voll belastbar sind, aber unter Umständen im verringerten zeitlichen Ausmaß arbeiten können, fallen durch den Rost. Sie können keine Pension erhalten steigen sie auf Teilzeitarbeit um, gibt es keinen Ersatz für den Einkommensentfall. Die Schweizer handhaben das schlauer und besser: Dort gibt es bei Invalidität halbe und ganze Renten. Dadurch hat sich dort eine Kultur entwickelt, nach der Schweizer Unternehmen Bezieher von halben Invalidenrenten in Teilzeit weiter beschäftigen. Das Prinzip einer Teilpension abgestimmt auf eine zumutbare Arbeitszeit sollte sich Österreich zum Vorbild nehmen, rät der AK-Präsident. Sinnvolle Maßnahmen Ein zentraler Punkt bei den Vorschlägen der AK Vorarlberg für eine Neuregelung der Invaliditätspension ist der Vorrang der medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Oberstes Ziel muss es sein, gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten, erklärt AK-Präsident Hubert Hämmerle. Das Ziel soll neben der medizinischen Rehabilitation durch eine verstärkte berufliche Rehabilitation erfolgen. Konkret würde das bedeuten: ausgehend von den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten soll der Arbeitnehmer höher qualifiziert werden, keinesfalls eine Umschulung auf minderwertige Tätigkeiten stattfinden die Lage und Nachfrage am Arbeitsmarkt muss berücksichtigt werden, deshalb ist das AMS einzubeziehen für die Dauer des Rehabilitationsverfahrens kann es nicht zum Anfall einer Pension kommen wie bereits jetzt besteht für diesen Zeitraum Anspruch auf Übergangsgeld in Höhe der fiktiven Invaliditätspension nach erfolgreichem Abschluss des Rehabilitationsverfahrens besteht bis zur Erlangung eines adäquaten Arbeitsplatzes Anspruch auf eine so genannte Arbeitsmarktrente, die aus Mitteln des AMS zu bezahlen ist. Die AK Vorarlberg fordert deshalb einen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation sowie die Einführung einer so genannten Arbeitsmarktrente bis zum Erlangen eines Arbeitsplatzes. Realitätsbezug muss gegeben sein Bei jenen Versicherten, für die eine berufliche Rehabilitation nicht in Frage kommt, weil ihre gesundheitlichen Einschränkungen zu weitgehend sind und es keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt, liegt Invalidität vor. Als zumutbar sieht die AK Vorarlberg eine Verweisung auf Tätigkeiten an, die den tatsächlichen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Es muss auch im Gegensatz zu heute berücksichtigt werden, dass es realistisch ist einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen. AK-Präsident Hubert Hämmerle: 3
4 Es kann nicht länger hingenommen werden, dass Versicherte aufs soziale Abstiegsgleis gestellt werden, indem sie auf Tätigkeiten verwiesen werden, die in Wirklichkeit gar nicht zur Verfügung stehen! Es entsprechen auch weitere Regelungen nicht mehr den Gegebenheiten des modernen Arbeitsmarktes. Anachronistisch sind beispielsweise die juristische Trennung zwischen gelernten, angelernten und ungelernten Versicherten und der unterschiedliche Invaliditätsbegriff für Arbeiter und Angestellte. Zeitgemäß wären auch eine abgestufte Erwerbsfähigkeit und eine Teilpension. Zumutbarkeit Verbessert gehört nach Ansicht von AK-Präsident Hubert Hämmerle auch der Berufsschutz für über 57-Jährige. Die geltende Regelung wurde von der Rechtssprechung zunehmend ausgehöhlt und bietet keinen Schutz für die auf dem Arbeitsmarkt ohnehin benachteiligte Altersgruppe: Hier wäre denkbar, die zumindest während der letzten zehn Jahre ausgeübte Tätigkeit als Maßstab für die Zumutbarkeit heranzuziehen. Ungleiche Entscheidungen drei Fälle aus der Praxis Fall 1: Ablehnung trotz Einschränkungen Birgitta B., 48 Jahre alt, war in den letzten zehn Jahren im Versand und Bürobereich eines Betriebes beschäftigt sie hat keinen Berufsschutz und ist nach 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen. Aufgrund ihrer massiven rheumatischen Arthritisschübe ist Birgitta B. in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Nach der medizinischen Begutachtung kann Birgitta B. nur noch körperlich leichte, sehr abwechslungsreiche Tätigkeiten mit geringer Belastung der Hände durchführen. Heben und Tragen ist nur bis zu einer Gewichtsbelastung von 5 kg zulässig. Sie sollte bei ihrer Arbeit nach Möglichkeit zwischen Gehen und Sitzen abwechseln, stehende Tätigkeiten sind ihr nur bis zu 30 Minuten am Stück zumutbar. Unter diesen Bedingungen könne sie in geschlossenen Räumen vier Stunden lang täglich arbeiten. Nach der berufskundlichen Beurteilung gibt es österreichweit noch eine ausreichende Anzahl an Bürohilfstätigkeiten, die halbtags angeboten werden. Deshalb fiel das Urteil für Birgitta B. vernichtend aus: Da sie keinen Berufsschutz genießt, wurde ihr Pensionsantrag trotz der massiven gesundheitlichen Einschränkungen abgelehnt. Fall 2: Pension, weil Berufe zu anstrengend Der heute 45 Jahre alte Martin M. hat den Beruf des Kfz-Mechanikers (heute: Kraftfahrzeugtechniker) erlernt und war überwiegend als Baumaschinenmechaniker und -monteur beschäftigt. Als Gelernter genießt er Berufsschutz nach 255 Abs. 1 und 2 ASVG. Nach den medizinischen Gutachten kann Martin M. noch leichte und fallweise 4
5 mittelschwere Arbeiten verrichten. Erforderlich ist ein Wechsel der Körperhaltung, wobei er vorwiegend Tätigkeiten im Sitzen verrichten sollte. Martin M. wurde die Invaliditätspension zugesprochen, da er die in Frage kommenden Verweisungsberufe, wie Landmaschinentechniker, Baumaschinentechniker, Kfz-Techniker, Werkstattleiter, etc., nicht mehr ausüben könne. Fall 3: Zwar passt das Alter, trotzdem Herbert H. ist 1947 geboren und steht somit im 61. Lebensjahr. Die so genannte Hacklerregelung kann er allerdings nicht in Anspruch nehmen, da ihm die erforderlichen Beitragszeiten fehlen. Während der vergangenen 15 Jahre hat Herbert H. ausschließlich als Textilarbeiter gearbeitet und war in der Ärmelkontrolle tätig. Von medizinischer Seite her wurden Herbert H. leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten zugemutet, er sollte seine Körperhaltung wechseln können, rein gehende und stehende Arbeiten sollten die Dauer einer Stunde am Stück nicht überschreiten. Trotz der Tatsache, dass Herbert H. als über 57-Jähriger Berufsschutz nach 255 Abs. 4 ASVG genießt und er während der letzten 15 Jahre ausschließlich dieselbe Tätigkeit verrichtet hat, wurde sein Pensionsantrag abgelehnt. Die Ablehnung erfolgte auch ungeachtet der Tatsache, dass aus medizinischer und berufskundlicher Sicht er die von ihm konkret ausgeübte Tätigkeit nicht mehr uneingeschränkt verrichten kann. In der Begründung hieß es nämlich, es sei davon auszugehen, dass es in der Textilindustrie auch noch Kontrolltätigkeiten gibt, die er theoretisch ausüben könnte. Begriffserläuterungen Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) unterscheidet bei Pensionen aufgrund einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit zwischen der so genannten Invaliditätspension für Arbeiter und der Berufsunfähigkeitspension für Angestellte. Für beide Pensionen gelten unterschiedliche Kriterien. Invaliditätspension (Arbeiter) Bei der Invaliditätspension gibt es praktisch drei verschiedene Kategorien, die von der Ausbildung abhängig sind: Versicherten, die einen Beruf erlernt und diesen in den letzten 15 Jahren auch überwiegend ausgeübt haben, kommt der so genannte Berufsschutz zu, das heißt es besteht dann ein Pensionsanspruch, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande sind eine Tätigkeit aus ihrem Berufsbild zu verrichten. Denselben Schutz erfahren Versicherte, die zwar keine Lehre absolviert, jedoch durch praktische Arbeit dieselben Kenntnisse und Fähigkeiten wie Gelernte erworben haben. 5
6 Die dritte Kategorie sind ungelernte Arbeitskräfte sie können auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden. Berufsunfähigkeitspension (Angestellte) Bei Angestellten wird bei der Entscheidung, ob jemand aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in die Pension darf oder nicht, auf die zuletzt (nicht nur vorübergehend!) ausgeübte Tätigkeit abgestellt. Auch Angestellte haben einen Berufsschutz: sie sind nur auf Tätigkeiten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten verweisbar. In der Praxis bedeutet das, dass nur Angestelltentätigkeiten derselben Verwendungsgruppe nach dem jeweiligen Kollektivvertrag und jener darunter zumutbar sind. Berufsschutz Der so genannte Berufsschutz taucht als Kriterium der Zumutbarkeit sowohl bei der Vermittlung von Arbeitslosen als auch im Zusammenhang mit vorzeitiger Pension durch verminderte Arbeitsfähigkeit auf. Vereinfacht erklärt: Wer in einem erlernten Beruf tätig ist, dem kann nicht ohne weiteres ein fremder Beruf zugemutet werden er genießt Berufsschutz. AK-Präsident Hubert Hämmerle abschließend: Das jetzige ungerechte System in Bezug auf die Invaliditäspension gehört reformiert. Die AK Vorarlberg hat Vorschläge und Maßnahmen erarbeitet, die zeitgemäß sind und die Arbeitnehmer/innen nicht mehr durch den Rost fallen lassen. 6
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