Sterbeethik - Freiheit zum Tode?
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- Cornelia Wagner
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1 Prof. Dr. Helmut Bachmaier Sterbeethik - Freiheit zum Tode? Das Menschenbild, das den nachfolgenden Ausführungen zugrunde liegt, orientiert sich an Grundsätzen, die in der humanistischen Tradition, dem Autonomie-Konzept und einer Verpflichtungsethik ihren Ursprung haben. Dabei stehen ein Grundrecht und eine Grundpflicht im Vordergrund: nämlich das Recht auf Selbstbestimmung und die Pflicht zur Selbstverantwortung, die beide unauflösbar zusammengehören. Das Selbstbestimmungsrecht spricht dem Menschen ein weitgehendes Verfügungsrecht über seine Person zu, das jedoch zumindest an der Person des anderen seine Grenze findet. Wer dieses Recht in Anspruch nimmt, muss sich um die Eigenverantwortlichkeit kümmern, diese kann nicht delegiert werden. Dass dieses Recht sich auf das Leben und seine Gestaltung bezieht, ist sicher unstrittig. Ob das Selbstbestimmungsrecht als Verfügungsrecht sich auch darauf bezieht, den eigenen Todeszeitpunkt und die Art des eigenen Sterbens zu bestimmen, ist dagegen umstritten. Die Selbstbestimmung als philosophisches Konzept ist stets Ausdruck und Ziel der menschlichen Freiheit (Kant). Grenzen der Selbstbestimmung Immer wird diese Auffassung von der humanistischen Überzeugung begleitet, dass der Mensch ein endliches, fragiles, irrendes, letztlich begrenztes Wesen ist, das oft der Hilfe und der Anteilnahme anderer bedarf. Autonomie, Selbstbestimmung sind also nicht grenzenlos. Dies ist wichtig: Die Limitation, also die Begrenztheit, anzuerkennen, weil sonst Autonomie leicht in Autokratie sich verkehrt. Die Limitation und die Nicht-Perfektibilität des Menschen zu akzeptieren ist das, was die Humanitätsidee zum Ausdruck bringt. Die Grenze, die wesentliche Grenze überhaupt, die dem Leben und dem Handeln als praktischer Grenze gezogen ist, ist der Tod. Der Tod ist in jeder Hinsicht eine Grenzerfahrung. Sterben ist der Prozess des Übergangs, und genau auf diese Phase des Übergangs bezieht sich eine Sterbeethik. Sie ist eine Ethik der letzten Handlungen überhaupt. 1
2 Ethik der letzten Handlungen Die Sterbeethik behandelt die letzten Handlungsweisen von todkranken Personen unter ethischen Gesichtspunkten, etwa, was Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in dieser Grenzsituation konkret bedeuten. Erstreckt sich nun das Selbstbestimmungsrecht nicht nur auf das Leben, sondern auch auf das Sterben und auf den Tod? Wir bejahen dies: Das Sterben und der Tod gehören unter das Selbstverfügungsrecht eines Menschen, aber nicht um jeden Preis, also mit bestimmten Einschränkungen und unter bestimmten Bedingungen. Es ist grundsätzlich ein eigenverantwortlicher Individualentscheid, über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Sterbens zu bestimmen. Eine selbstbestimmte Entscheidung liegt dann vor, wenn 1. ein klares Bewusstsein und Urteilsfähigkeit vorliegen, was Sterbehilfe bei psychischer Erkrankung von vornherein ausschliesst. Dem philosophischen Begriff der Selbstbestimmung entspricht der juridische der Urteilsfähigkeit. Urteilsfähigkeit ist ein kategorischer Begriff, d.h. dass er keine Gradualisierung, keine Abstufung, nur das Entweder Oder kennt. Persönliche oder Patienten-Verfügungen sind in dieser Hinsicht manchmal von grosser Bedeutung, weil sie eine gewisse Garantie der Urteilsfähigkeit darstellen. Zur Urteilsfähigkeit gehören weiter: dass sich die Person über die Tragweite des Geschehens im Klaren ist und selbständig handelt. 2. Es darf keinerlei Dritteinwirkungen geben bei selbstbestimmten Entscheidungen. 3. Der Wunsch nach Sterbehilfe muss mehrfach wiederholt werden und über einen längeren Zeitraum gleich bleiben, damit wird der Inkonstanz bei Suizidwünschen vorgebeugt. Es wird aus psychiatrischer Sicht oftmals geltend gemacht, dass bei Suizidwünschen stets aktuelle psychische Verletzungen ursächlich seien, dass die Befindlichkeit, etwa der Schmerzzustand oder die Pflegesituation, oft einen akuten Sterbewunsch entstehen liessen, der nach einiger Zeit sich wieder ändere (vgl. Oesterreich, K.: Suizidalität, Sterbewunsch und Fatalismus bei depressiven Alterskranken, in: Friedrich/Schmitz-Scherzer, Suizid im Alter, bes. S. 75ff.; siehe Literaturhinweise am Schluss). Allerdings heisst es in der Forschung auch unmissverständlich: Aufgrund verschiedener Befunde wird dem Alterssuizid eine grössere Ernsthaftigkeit zugesprochen als den Suizidhandlungen von Personen in jungem und mittlerem 2
3 Alter (vgl. Martina Hirzel: Suizidalität im Alter Wer ist besonders gefährdet? Pfäffikon 2000). Durch die Forderungen der Wiederholung und der Konstanz des Suizidwunsches werden Affekthandlungen oder auch das Werther-Syndrom vermieden. 4. Sterbehilfe oder der assistierte Suizid sind nur möglich bei Schwerkranken ohne Heilungschance, was mehrfach diagnostiziert werden muss. 5. Zur selbstbestimmten Entscheidung gehört das Bewusstsein der ethischen Bedeutung, wenn nach assistiertem Suizid verlangt wird. Worum es in der Sterbeethik gehen muss, ist die besondere Qualität des Sterbevorganges, die angemessene Behandlung eines individuellen Sterbeprozesses, und diesen soll der Betroffene selbst regeln dürfen, ohne Bevormundung. Krisensituation? Die Hippokratische Gesellschaft Schweiz führt in ihrem Dossier Legalisierung der,aktiven Sterbehilfe in der Schweiz aus, die Ergebnisse der internationalen Suizidforschung zeigten übereinstimmend, dass Suizidalität Ausdruck einer seelischen Krisensituation oder Krankheit und damit eine psychiatrische Kategorie sei. Wenn das generell so wäre, wenn der Wunsch, rasch zu sterben, in jedem Fall einer psychischen Störung entspränge, dann wäre jeder Suizidant als Kranker zu behandeln, der von seinem Todeswunsch um jeden Preis abgebracht oder der unbedingt an der Ausführung seines Vorhabens gehindert werden müsste. In Wahrheit enthält die Schrift der Hippokratischen Gesellschaft hier einen Argumentationsfehler, der in der klassischen Logik petitio principii heisst: Gestützt auf einen Beweisgrund, der selbst erst beweisbedürftig ist, wird regelwidrig eine Schlussfolgerung erschlichen. Wir bestreiten keineswegs, dass die überwiegende Mehrheit der Suizidwünsche auf bestimmte Änderungen im Leben abzielt (besonders bei jüngeren Menschen) und nicht auf den eigenen Tod. Es trifft auch zu, dass in seelischen Krisensituationen der Gedanke aufkommen kann, rasch sterben zu wollen. Nicht aber hat die internationale Suizidforschung einhellig ergeben, dass jeder Suizidwunsch krankhaft sei. Hinter dem Entschluss zum Suizid könnten bilanzierende Anteile stehen, heisst es bei Martina Hirzel (S. 8). Und weiter: Die Selbsttötung kann dann ein bewusster und wohldurchdachter Abschluss des eigenen Lebens sein. Erfahrungen und zahlreiche Fachpublikationen (z.b. Schmitz-Scherzer) belegen, dass Suizidhandlungen in Einzelfällen auch Resultate lebenslanger (nicht- 3
4 krankhafter) Entwicklungen sein können. Wir wollen Suizidanten weder pathologisieren noch kriminalisieren. Es kommt vor, dass psychisch gesunde, urteilsfähige Schwerkranke beschliessen, ihr Leiden abzukürzen. Für diese Ausnahmesituationen sind Regelungen notwendig. Sterbehilfe ist ein Dienst am Sterbenden, nicht am Lebensmüden, der etwa einen Bilanzsuizid beabsichtigt. Wenn jemand sich töten will, weil die Lebensbilanz schlecht ausfällt, muss dies durch psychologische oder psychiatrische Hilfe verhindert werden, es ist zumeist Ausdruck einer aktuellen Lebenskrise. Sterbehilfe wird dann oft bejaht, wenn Schmerz und Leid für den Sterbenden unerträglich und unzumutbar geworden sind. Heute kann die palliative Medizin fast jeden Schmerz beheben, wenn nicht nur die akuten, sondern auch die chronischen Schmerzen dauerhaft therapiert werden. Palliative Medizin und Pflege sind stets von grosser Bedeutung beim Sterbevorgang. Jedoch greift das Argument: Schmerztherapie macht die Sterbehilfe überflüssig zu kurz: Es können auch massive dauerhafte Beeinträchtigungen und Einschränkungen das eigene Leben selbst bei Schmerzfreiheit durchaus als wertlos erscheinen lassen. Suizid im Heim Wer einen assistierten Suizid als Abkürzung des Sterbevorgangs für sich beansprucht, muss dies in vollem Bewusstsein der Tragweite seiner Entscheidung tun, was bedeutet, dass er oder sie sich über die Eigenverantwortung im Klaren ist, die dieser Schritt mit sich bringt. Es ist eine der wichtigen Aufgaben des Arztes oder der Heimleitung, diese Eigenverantwortung herauszustellen und auf die ethischen Implikate aufmerksam zu machen. Das heisst nicht, die Verantwortung auf den Todkranken abzuladen, sondern gehört wie schon gesagt zur Kehrseite des Selbstbestimmungsrechts. Das Gewissen des Sterbewilligen darf und soll durchaus mit moralischen Fragen konfrontiert werden. Die Schutzpflicht der Institution, in der ein Sterbender wohnt, gebietet, sich zu vergewissern, dass 1. tatsächlich eine unheilbare Krankheit vorliegt, d.h. dass mehrere Fachärzte bestätigt haben, dass gegenwärtig keine Behandlungsmethode bekannt ist, mit deren Hilfe eine Heilung vorstellbar wäre 2. die Diagnose klar und eindeutig ist 4
5 3. die Funktionen mehrerer Organe ausgefallen sind und die Krankheit nach mehrfacher ärztlicher Diagnose in absehbarer Zeit zum Tode führen würde, selbst wenn sie bestmöglich behandelt würde 4. keine Heilung zu erwarten ist und vor allem 5. dass der Sterbende nicht durch Dritte angestiftet worden ist. Diese Schutzpflicht ist das Pendant zum Selbstbestimmungsrecht. Die Schutzpflicht und die ihr inhärente Prüfpflicht sind das Kernstück der Sterbeethik auf Seiten der Institution, so wie das Selbstbestimmungsrecht das Kernstück der Sterbeethik auf Seiten des Suizidwilligen ist. Sichergestellt werden muss, dass niemals aus dem Gefühl, anderen zur Last zu fallen, um Sterbehilfe nachgesucht werden darf (tatsächlich ist dies oft einer der Gründe, warum Menschen ihr Leben beenden oder ihren Sterbeprozess abkürzen wollen), und es muss selbstverständlich sein, dass niemals und unter keinen Umständen die Kostenfrage zum Angelpunkt der Sterbehilfe gemacht werden darf. Die Sterbehilfe in einem Heim, in einer Residenz oder einer anderen Alterseinrichtung zu ermöglichen, erfüllt den Gleichheitsgrundsatz, weil dies ausserhalb nach Schweizerischem Recht stets möglich war. Und: Das Heim ist das Zuhause der Menschen; man kann sie nicht in ihrer schwersten Lebenssituation ausweisen und ausgrenzen. Juristische Rahmenbedingungen Für die Schweizer Juristen sind die Fragen von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid klar geregelt in den Artikeln 114 und 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Ersterer besagt: Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, einen Menschen auf dessen ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Gefängnis bestraft. Und in Artikel 115 heisst es: Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft. Der Täter muss vorsätzlich handeln und überwiegend die Befriedigung eigener materieller oder affektiver Bedürfnisse anstreben, damit Suizidbeihilfe in der Schweiz zum Straftatbestand wird. Mit Hilfe eines Umkehrschlusses haben die Schweizer Juristen seit Jahrzehnten 5
6 festgelegt, dass das Verleiten zum und Helfen beim Suizid dann straffrei bleiben müsse, wenn es nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen herrühre. Ob jemand für Sterbehilfe (als Hilfe zum Sterben) oder für Sterbebegleitung (als Hilfe beim Sterben) sich entscheidet - es bleibt immer ein eigenverantwortlicher Individualentscheid. Dies berührt auch nicht die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe. Literaturhinweise Helmut Bachmaier/ René Künzli, Am Anfang steht das Alter. Elemente einer neuen Alterskultur, Göttingen 2007 (bes. S , mit ausführlichen Literaturhinweisen am Ende des Buches) I. Friedrich, Reinhard Schmitz-Scherzer (Hrsg.), Suizid im Alter, Darmstadt 1992 Hans Giger, Reflexionen über Tod und Recht. Sterbehilfe im Fokus von Wissenschaft und Praxis, Zürich 2000 Hippokratische Gesellschaft Schweiz (Hrsg.), Interdisziplinäres Dossier Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in der Schweiz?, Zürich 1999 Walter Jens, Hans Küng, Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, München/Zürich 1995 Ronald Harri Wettstein, Sterben zur rechten Zeit, Zürich helmut.bachmaier@uni-konstanz.de 6
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