Gutachten zu Beispielsfall 1: Was kann B tun? A. In Betracht kommt zunächst eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses durch B gemäß 123 Abs. 1 1. Alt. BGB. Voraussetzung hierfür ist, dass D ihren Arbeitgeber beim Abschluss des Arbeitsvertrages arglistig getäuscht hat. 1. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß 123 Abs. 1 1.Alt. BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Als Täuschung kommt vorliegend die Nichtangabe der Vorstrafe in dem vor Abschluss des Arbeitsvertrages auszufüllenden Fragebogen in Betracht. Durch die Eintragung keine unter der Rubrik Vorstrafen in dem ihr vor Abschluss des Arbeitsvertrages vorgelegten Fragebogen hat D wahrheitswidrig vorgespiegelt, nicht vorbestraft zu sein. Durch diese Täuschung ist beim Arbeitgeber B auch ein Irrtum erregt worden. B ist aufgrund der Angabe in dem Fragebogen davon ausgegangen, dass D nicht vorbestraft ist. Dieser Irrtum führte schließlich dazu, dass B der D das Angebot gemacht hat, sie in dem Supermarkt zu beschäftigen. Hätte B von der Vorstrafe der D gewusst, wäre er kein Arbeitsverhältnis mit ihr eingegangen. Der Irrtum war somit auch kausal für die Abgabe der Willenserklärung. 2. Allerdings berechtigt eine Täuschung den anderen Vertragspartner nur dann zur Anfechtung, wenn diese auch widerrechtlich war. Nicht jede Täuschung ist notwendig widerrechtlich. Eine widerrechtliche Täuschung liegt z.b. dann nicht vor, wenn dem Bewerber in einem Bewerbungsgespräch eine unzulässige Frage gestellt wird. Grundsätzlich sind in einem Bewerbungsgespräch nur zulässige Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Auf unzulässige Fragen muss der Bewerber nicht antworten; er darf unzulässige Fragen sogar wahrheitswidrig beantworten (Recht zur Lüge). Die Täuschung der D war also nur dann widerrechtlich, wenn die Frage nach bestehenden Vorstrafen zulässig war. Grundsätzlich ist das Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung auf solche Umstände begrenzt, die für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe, das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb und die Verpflichtung des Arbeitgebers
2 von Bedeutung sind. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer bei der Einstellung nach Vorstrafen nur fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert; dabei kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an; welche Vorstrafen er als einschlägig ansieht; entscheidend ist vielmehr ein objektiver Maßstab. Im vorliegenden Fall ist die Vorstrafe der D für die Erfüllung ihrer Tätigkeit von gewichtiger Bedeutung. Die Tatsache, dass die D wegen eines Vermögensdeliktes vorbestraft ist, genügt, um das Vertrauen in ihre Person erheblich zu erschüttern. Es ist einem Arbeitgeber nicht zuzumuten, eine in dieser Hinsicht vorbestrafte Kassiererin zu beschäftigen. Unerheblich ist auch, dass die Frage Gegenstand eines Fragebogens war, da diese Art der Informationsbeschaffung vor Abschluss eines Arbeitsvertrages als zulässig angesehen wird. Folglich war die Frage nach bestehenden Vorstrafen zulässig und von D wahrheitsgemäß zu beantworten. Ihre Lüge stellt daher eine widerrechtliche Täuschung dar. 3. Die Täuschung muss gemäß 123 Abs. 1 1.Alt. BGB auch arglistig sein. Arglist setzt einen Täuschungswillen voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. Er muss sich auf die Tatbestandsmerkmale Täuschungshandlung, Irrtumserregung und Willenserklärung beziehen. Dieser Wille war hier vorhanden, die D täuschte somit arglistig. Damit ist B zur Anfechtung nach 123 Abs. 1 1. Alt. BGB berechtigt. 4. Will B den Arbeitsvertrag mit D anfechten, muss er dies entsprechend erklären. Er muss dabei zum Ausdruck bringen, nicht länger an dem Vertrag festhalten zu wollen. Das Wort Anfechtung muss nicht ausdrücklich benutzt werden. 5. Die Anfechtung muss von B gem. 124 BGB innerhalb eines Jahres erfolgen. Am 17.1.2008 war diese Jahresfrist noch nicht abgelaufen. B kann also den Arbeitsvertrag mit Erfolg wegen arglistiger Täuschung anfechten. B. Des Weiteren besteht die Möglichkeit einer Anfechtung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gemäß 119 Abs. 2 BGB. 1. Das setzt voraus, dass sich B über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der D geirrt hat. Vorliegend hat sich B darüber geirrt, dass D vorbestraft ist. Fraglich ist, ob Vorstrafen einer Person eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person bestehen neben ihren
3 körperlichen Merkmalen auch in ihren tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung und die zu leistende Arbeit von Bedeutung und nicht nur vorübergehender Natur sind. Vorstrafen stellen keine verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Person dar. Allerdings lassen Vorstrafen auf Eigenschaften einer Person schließen, z.b. auf ihre Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit oder Geeignetheit. Die Vorstrafe der B erschüttert als Kassiererin ihre Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich des Umgangs mit Geld. Dies stellt für eine Kassiererin eine verkehrswesentliche Eigenschaft dar, über deren Vorliegen B sich geirrt hat. Dieser Irrtum führte auch dazu, dass B der D das Angebot machte, sie einzustellen. Hätte er von der Vorstrafe und somit der eingeschränkten Vertrauenswürdigkeit der D gewusst, so hätte er mit ihr keinen Arbeitsvertrag geschlossen. 2. Weiterhin muss die Anfechtung gemäß 121 BGB unverzüglich erfolgen. Fraglich ist, ob B diese Frist noch wahren kann, da er bereits am 05.01.2008 von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt und nach Prüfung der Sachlage am 17.01.2008 erst beschlossen hat, sich von D zu trennen. Unverzüglich ist eine Anfechtung, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist ( 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Gesetzgeber hat in 626 Abs. 2 BGB dem Kündigendem bei der fristlosen Kündigung eine Überlegungsfrist von zwei Wochen eingeräumt. Diese gesetzgeberische Wertung bei einer vergleichbaren Fallkonstellation, bei der es ebenfalls um die schnelle Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geht, kann hier zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals unverzüglich herangezogen werden. Unverzüglich ist demnach noch eine Anfechtung, die binnen zwei Wochen nach Kenntnis des Arbeitgebers vom Anfechtungsgrund erfolgt. B könnte also am 17.01.2008 noch anfechten. Die Frist würde erst am 19.01.2008 um 24:00 Uhr ablaufen. Somit kann B den Arbeitsvertrag wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gemäß 119 Abs. 2 BGB anfechten. C. Möglicherweise könnte der B der D auch außerordentlich kündigen. 1. Hierzu muss B der D gemäß 623 BGB eine schriftliche Kündigungserklärung zugehen lassen. Zudem darf die Kündigung nicht unter einer Bedingung erklärt
4 werden, es sei denn, es liegt eine Potestativbedingung, also eine Bedingung deren Eintritt ausschließlich von einem einmaligen Willensentschluss des Kündigungsempfängers abhängig ist, vor. Erklärt nicht B selbst die Kündigung, so bedarf es zudem einer wirksamen Bevollmächtigung. Um eine Zurückweisung der Kündigung zu verhindern, ist die Vollmachtsurkunde vorzulegen. 2. Die Kündigung bedarf keiner besonderen Zustimmung. Auch ein Betriebsrat besteht nicht. 3. Will D die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geltend machen, so muss sie die Klage gemäß 13 S. 1, 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erheben. 4. Des Weiteren muss gemäß 626 Abs. 1 BGB ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegen. a) Es muss also zunächst ein bestimmter Sachverhalt vorliegen, der ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. D hat den B über ihre einschlägige Vorstrafe widerrechtlich getäuscht. Dies ist ein Vertrauensbruch, der einen wichtigen Grund zur Kündigung nach 626 Abs. 1 BGB darstellen kann. b) Eine außerordentliche Kündigung muss aber stets ultima ratio, also das letzte in Betracht kommende Mittel sein. Es ist zu prüfen, ob die konkrete außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen der beiden Vertragsteile gerechtfertigt und somit verhältnismäßig ist. Hier ist das Interesse der D, ihren Arbeitsplatz zu behalten, mit dem Interesse des B, nur Kassiererinnen zu beschäftigen, zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht, gegeneinander abzuwägen. D hat den B über ihre Vorstrafe getäuscht und dadurch das Vertrauen in ihre Glaubwürdigkeit erheblich erschüttert. Darüber hinaus bestehen wegen dieser Vorstrafe erhebliche Zweifel an der Geeignetheit der D als Kassiererin. Das Vertrauensverhältnis zwischen B und D ist zerstört, so dass dem B eine Weiterbeschäftigung der D bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einer ordentlichen
5 Kündigung auch nicht zugemutet werden kann. Die Interessenabwägung ergeht somit zugunsten des B, die außerordentliche Kündigung ist gerechtfertigt. 4. B müsste zudem die Kündigungserklärungsfrist des 626 Abs. 2 BGB einhalten. Nach Ablauf der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des 626 Abs. 2 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nicht mehr wirksam ausgesprochen werden. B hat am 05.01.2008 von der Vorstrafe erfahren. Die Frist begann somit gemäß 187 Abs. 1 BGB am 06.01.2008 um 0:00 Uhr und endet gemäß 188 Abs. 2 BGB am 19.01.2008 um 24:00 Uhr. Die Zweiwochenfrist wäre am 17.01.2008 daher noch nicht verstrichen. Erklärt B die Kündigung bis zum 19.01.2008 um 24:00 Uhr, ist die Kündigungserklärungsfrist noch eingehalten. IV. In Betracht kommt schließlich eine ordentliche Kündigung durch B. 1. Auch die ordentliche Kündigung muss zunächst ordnungsgemäß erklärt werden. Insbesondere ist die nach 623 BGB erforderliche Schriftform zu wahren. Auch die ordentliche Kündigung ist bedingungsfeindlich. Wird die Kündigung nicht von B persönlich ausgesprochen, bedarf es einer Bevollmächtigung. 2. Die ordentliche Kündigung ist hier nicht ausgeschlossen. 3. Die Kündigung ist auch nicht zustimmungsbedürftig. 4. Ein Betriebsrat besteht nicht, so dass es keiner Anhörung bedarf. 5. Es bedarf auch keiner Anzeige der Kündigung. 6. Will die D die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen, so bedarf es auch im Fall der ordentlichen Kündigung der Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist des 4 S. 1 KSchG, um die Präklusionswirkung des 7 KSchG zu verhindern. 7. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber müsste außerdem nach 1 Abs. 1 KSchG sozial gerechtfertigt sein, wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis nach 1 Abs. 1 KSchG in persönlicher und nach 23 Abs. 1 KSchG in betrieblicher Hinsicht anwendbar ist. In persönlicher Hinsicht setzt die Abwendbarkeit des KSchG nach 1 Abs. 1 KSchG voraus, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate bestanden hat. D war erst seit dem 01.11.2007 bei B beschäftigt, am 17.01.2008 erwägt der B die Kündigung. Das Arbeitsverhältnis bestand folglich erst seit 2,5 Monaten, so dass das KSchG bereits in persönlicher Hinsicht keine Anwendung findet. In
6 betrieblicher Hinsicht setzt die Anwendbarkeit des KSchG nach 23 Abs. 1 S. 3 KSchG voraus, dass im Beschäftigungsbetrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. B beschäftigt mit der D nur fünf Arbeitnehmer, so dass das KSchG auch von seinem sachlichen Anwendungsbereich nicht eingreift. Das KSchG findet somit keine Anwendung. 8. Die ordentliche Kündigung außerhalb des KSchG ist grundsätzlich auch ohne besonderen Grund möglich. Es gilt der Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Die Kündigung darf allerdings nicht gegen gesetzliche Verbote i.s.d. 134 BGB verstoßen. Über die zivilrechtlichen Generalklauseln der 138, 242 BGB wird außerdem der durch Art. 12 GG gebotene Mindestschutz der Arbeitnehmer vor einem Verlust des Arbeitsplatzes durch Arbeitgeberkündigungen gewährleistet. Eine Kündigung darf somit z.b. nicht willkürlich sein. Die D hat das Vertrauen des B schwer verletzt, so dass bereits die außerordentliche Kündigung Erfolg hat. Auch die ordentliche Kündigung verstößt folglich weder gegen 134 BGB noch gegen 138, 242 BGB und ist somit rechtmäßig. 9. B muss die Kündigungsfrist des 622 BGB einhalten. Das Arbeitsverhältnis wird erst mit Ablauf dieser Frist beendet. Die D war erst seit wenigen Monaten bei B beschäftigt, so dass die Frist des 622 Abs. 1 BGB einschlägig ist. Das Arbeitsverhältnis kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. Spricht der B die Kündigung am 17.01.2008 aus, so kann er zum 15.02.2008 kündigen. V. Ergebnis: B kann den Arbeitsvertrag mit D wegen arglistiger Täuschung gemäß 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB oder wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gemäß 119 Abs. 2 BGB anfechten. Außerdem kann er gegenüber D schriftlich eine außerordentliche Kündigung nach 626 BGB oder eine ordentliche Kündigung aussprechen.