Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/3664. Unterrichtung



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Transkript:

Unterrichtung Der Präsident Hannover, den 15.06.2015 des Niedersächsischen Landtages Landtagsverwaltung Medizinische Versorgung für Flüchtlinge in Niedersachsen sicherstellen Beschluss des Landtages vom 18.12.2014 - Drs. 17/2621 Der Landtag stellt fest: Der Zugang zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen ist im deutschen Gesundheitswesen in der Praxis mit Hemmnissen verbunden. Diese Hemmnisse sollten abgebaut und der Zugang zu medizinischer Versorgung vereinfacht bzw. sichergestellt werden. Dies gilt sowohl für Flüchtlinge im Asylverfahren oder mit Duldung als auch für EU-Migrantinnen/EU-Migranten ohne Krankenversicherung oder Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus. So haben Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bisher nur Anspruch auf reduzierte medizinische Leistungen, während Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus der Zugang zu medizinischer Versorgung generell erschwert ist. So wagen es Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus in der Regel nicht, sich mit Beschwerden oder nach Unfällen in medizinische Behandlung zu begeben, weil sie die Entdeckung durch die Ausländerbehörden fürchten. Ärztinnen und Ärzte, die ohne sichere Kostenübernahme durch das Sozialamt eine Behandlung durchführen, gehen ein Kostenrisiko ein. Die Bundesärztekammer weist außerdem darauf hin, dass dieser Umstand für den betroffenen einzelnen Menschen gravierende bis existenzielle Auswirkungen und für die Bevölkerung auch eine kollektive Dimension hat, da Infektionskrankheiten nicht oder viel zu spät festgestellt und behandelt werden können. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, 1. für alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG für Leistungen nach den 4 und 6 AsylbLG die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte in Kooperation mit der GKV analog dem Bremer Modell zu prüfen. 2. für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus im Rahmen eines Modellversuchs einen Anonymen Krankenschein in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der medizinischen Flüchtlingshilfe in Hannover und Göttingen einzuführen, der diesem Personenkreis die Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung ermöglicht, ohne dabei negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Für Eilfälle in Notsituationen ist ebenfalls eine Lösung vorzusehen. Dabei sind folgende Punkte zu berücksichtigen: a) Grundlage des Projekts ist die geschützte Vermittlung von anonymen Krankenscheinen. Zwecks Ausstellung der anonymen Krankenscheine wird eine Anlauf- und Vergabestelle eingerichtet, die medizinische Beratung und auch eine Weitervermittlung zwecks aufenthaltsrechtlicher Beratung zur Prüfung der Legalisierung des Aufenthalts anbietet. Diese Stelle steht unter ärztlicher Leitung und unterliegt somit der ärztlichen Schweigepflicht. b) Die Abrechnung der Gesundheitsleistungen erfolgt anonym und über einen Fonds. Eine Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung über eine anonymisierte Chipkarte ist in diesem Zusammenhang zu prüfen. c) Das Verfahren wird über einen Zeitraum von drei Jahren evaluiert. Auf Basis dieser Evaluation und unter Einbeziehung anderer Modellprojekte wird eine Ausweitung des anonymen Krankenscheins auf weitere niedersächsische Standorte geprüft. 1

3. sich hinsichtlich der Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Übermittlungspflichten gemäß 87 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) auf die öffentlichen Stellen beschränkt werden, die der Gefahrenabwehr und der Strafrechtspflege dienen, dass weitere Übermittlungspflichten von Leistungsträgern und Gerichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ( 11 Abs. 3 AsylbLG) eingeschränkt werden und dass die Strafbarkeit von Beihilfehandlungen gemäß 27 des Strafgesetzbuchs (StGB) i. V. m. 95 AufenthG eingeschränkt wird. Antwort der Landesregierung vom 12.06.2015 Als maßgebliche Grundlagen für die medizinische Versorgung von Menschen sind Artikel 12 UN-Sozialpakt 1 (Anerkennung des Rechts eines jeden Menschen auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit), Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz (Sozialstaatsprinzip) zu nennen. Für Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus (nachfolgend papierlose Menschen genannt) besteht ein grundgesetzlich abgeleiteter Anspruch auf medizinische Versorgung. Damit ist jedoch nicht der Anspruch verbunden, dass der unerlaubte Status weiterhin unentdeckt bleibt. In der Koalitionsvereinbarung der die Regierungskoalition tragenden Parteien von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist das Ziel definiert, die Lebenssituation von Flüchtlingen, Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu verbessern. Humanitäre Hilfe, insbesondere die Gesundheitsfürsorge für papierlose Menschen, soll nicht kriminalisiert werden. Nach Schätzungen aus dem Jahr 2012 leben in Deutschland zwischen 150 000 und 415 000 papierlose Menschen. Das Thema wurde bereits im Jahr 2007 vom Deutschen Institut für Menschenrechte durch die Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität aufgegriffen und diskutiert. Dabei wurde die medizinische Versorgung mit dem anonymisierten Krankenschein als eine von mehreren Möglichkeiten zur verbesserten medizinischen Versorgung von papierlosen Menschen angesehen. Grundsätzlich liegt danach das Problem der defizitären Gesundheitsversorgung dieser Gruppe nicht in dem Fehlen von Rechtsansprüchen (vgl. 1 Abs. 1 Nr. 5, 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG -). Es sind die Meldepflichten des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die dazu führen, dass Menschen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten, den Ausländerbehörden bekannt werden und so gegebenenfalls ein Abschiebungsverfahren eingeleitet werden kann. Um dieses Risiko zu vermeiden, begeben sich papierlose Menschen erst im äußersten Notfall in eine Krankenbehandlung. In Niedersachsen können sich papierlose Menschen u. a. an die Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen oder Hannover wenden, wo sie anonym und ehrenamtlich beraten und in eine medizinische Behandlung vermittelt werden. Anders verhält es sich bei Leistungsberechtigten nach 3 AsylbLG. Die zuständigen Sozialämter haben gemäß 4 Abs. 3 AsylbLG die ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen sicherzustellen. Dieser Sicherungspflicht wird auf unterschiedliche Art und Weise nachgekommen. So kann eine Verweisung an Amtsärztinnen und Amtsärzte erfolgen oder die ärztliche Versorgung durch beauftragte Ärztinnen und Ärzte gewährleistet werden. Der gängige Weg ist jedoch die Aushändigung eines Behandlungsscheins durch das Sozialamt, der berechtigt, zur ärztlichen Behandlung eine Ärztin oder einen Arzt nach Wahl aufzusuchen. Entsprechende Modelle zur medizinischen Versorgung von papierlosen Menschen wurden in Hamburg und Bremen bereits realisiert: In der Clearingstelle Gesundheitsversorgung Ausländer in Hamburg wurde ein Notfallfonds für die humanitäre Akutversorgung von Menschen eingerichtet, die nicht in Regelsysteme überführt werden können. In einem Clearingverfahren wird die Möglichkeit der Absicherung im Krankheitsfall geklärt und werden aufenthaltsrechtliche Beratungen geboten. Entscheidungen über die Kostenübernahme trifft die Clearingstelle. 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966. 2

Bei dem sogenannten Bremer Modell handelt es sich ausschließlich um Leistungen an Asylsuchende im Land Bremen, die einen Anspruch auf medizinische Leistungen nach dem AsylbLG haben und den Behörden bekannt sind. Ergänzend wird im Rahmen einer Humanitären Sprechstunde im Gesundheitsamt soziale Beratung für die papierlosen Menschen angeboten. Hier wird in einem Clearingverfahren die Möglichkeit der Legalisierung geprüft. Gewährt wird im Einzelfall eine medizinische Basisversorgung, die die körperliche Untersuchung und Beratung bei gesundheitlichen Beschwerden sowie die Behandlung und Ausgabe von Medikamenten einschließt. Zur weiterführenden Diagnostik und Behandlung erfolgt eine Überweisung an die Ärzteschaft in Bremen, die sich bereit erklärt hat, ehrenamtlich und kostenlos zu behandeln. Entstehen dennoch Kosten, werden diese über den einfachen Satz der Gebührenordnung aus den zur Verfügung stehenden Mitteln abgerechnet. Jede Behandlung wird im Einzelfall entschieden. Dies vorausgeschickt, wird zu den Nummern 1 bis 3 der Landtagsentschließung Folgendes ausgeführt: Zu 1: Die Landesregierung prüft derzeit die Möglichkeit der Einführung einer Gesundheitskarte für Grundleistungsempfängerinnen und Grundleistungsempfänger nach 3 AsylbLG, die Anspruch auf Leistungen nach den 4 und 6 AsylbLG haben. Im Rahmen dieser Prüfung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen für den Personenkreis der Grundleistungsempfängerinnen und Grundleistungsempfänger nach 3 AsylbLG eine Übernahme der Krankenbehandlung durch eine Krankenkasse gemäß 264 Abs. 1 SGB V erfolgen könnte, wurde eine Abfrage bei den Krankenkassen durchgeführt, um zu klären, inwieweit grundsätzlich Interesse an der Übernahme nach 264 Abs. 1 SGB V besteht. Im Ergebnis dieser Umfrage stellte sich heraus, dass einzig die AOK Niedersachsen (AOKN) grundsätzliches Interesse hat. Im Folgenden wird nun geprüft, inwieweit eine Übertragbarkeit des sogenannten Bremer Modells auf ein Flächenland bezüglich der rechtlichen wie tatsächlichen Vergleichbarkeit der Verhältnisse möglich ist. Anders als in den Stadtstaaten wäre nicht nur ein Vertrag zwischen dem Leistungsträger und der Krankenkasse zu schließen, sondern alle Leistungsbehörden hätten die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, ob für sie ein Vertragsabschluss infrage kommt. Da die Einführung einer Gesundheitskarte für Grundleistungsempfängerinnen und Grundleistungsempfänger nach 3 AsylbLG auch in einigen anderen Bundesländern diskutiert wird, wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen unter Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit ins Leben gerufen. Das Bundesministerium für Gesundheit sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben angekündigt, einen Lösungsvorschlag zur Verbesserung der Praxis zu erarbeiten und vorzulegen. Zu 2: Der in der Landtagsentschließung verwendete Begriff der Menschen ohne definierten Aufenthaltsstatus umfasst Menschen, die weder Aufenthaltstitel, Duldung oder Aufenthaltsgestattung besitzen noch aus sonstigen Gründen zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt sind. Nach 95 AufenthG steht der unerlaubte Aufenthalt in Deutschland unter Strafe. Die Beihilfe hierzu ist strafbewehrt ( 27 Strafgesetzbuch - StGB -). Nach Vorbemerkung 95.1.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG (AVwV-AufenthG) handelt es sich bei der Behandlung von sich unerlaubt in Deutschland aufhaltenden Ausländerinnen und Ausländern durch Ärztinnen und Ärzte in aufenthaltsrechtlicher Sicht nicht um eine strafrechtlich relevante Beihilfe zu einer Straftat nach 95 AufenthG (vgl. Ausführungen zu Nummer 3). In einem Modellprojekt an den Standorten Göttingen und Hannover ist vorgesehen, für papierlose Menschen eine medizinische Notversorgung aus humanitären Gründen zu gewähren. Im Zuge einer Legalisierungsberatung soll die Möglichkeit geklärt werden, ob der Aufenthaltsstatus für die Person legalisiert und diese damit in das Regelsystem überführt werden kann. Im Clearingverfahren wird in jedem Fall zu prüfen sein, ob die oder der Hilfesuchende gegebenenfalls einen Krankenversicherungsschutz hat und darüber - und nicht aus Landesmitteln - anfallende Kosten für die medizinischen Behandlungen abzurechnen sind. 3

Im Haushaltsjahr 2015 werden im Einzelplan 05 des MS, Kapitel 05 40 (Gesundheitsverwaltung und Gesundheitswesen) Titel 686 12 (Zuweisung an Clearingstellen) 500 000 Euro zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren 2016 und 2017 sind jeweils weitere 500 000 Euro vorgesehen. Die Thematik wurde mit der AOKN besprochen: Bei der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich um eine Solidargemeinschaft von namentlich versicherten Beitragszahlenden. Die Übernahme der Krankenbehandlung durch eine gesetzliche Krankenkasse für nicht Versicherungspflichtige, hier die papierlosen Menschen, ist nach 264 Abs. 1 SGB V in unechter Mitgliedschaft unter der Voraussetzung einer Kostenerstattung im Einzelfall zulässig. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand muss der Krankenkasse erstattet werden. Nach Erörterung mit der AOKN ist die Gruppe der papierlosen Menschen unter Wahrung ihrer Anonymität nicht mit vertretbarem Aufwand in das System der gesetzlichen Krankenversicherung zu integrieren. Eine anonymisierte Chipkarte kann nicht zur Verfügung gestellt werden. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass auch im sogenannten Bremer Modell und in der Clearingstelle Gesundheitsversorgung Ausländer in Hamburg papierlose Menschen weder in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen noch mit einer Gesundheitskarte ausgestattet werden. Unter Berücksichtigung des eingeschränkten Leistungskatalogs ( 4 AsylbLG) müsste die Krankenkasse bei Nutzung einer Krankenversicherungs-/Gesundheitskarte vor der Leistungsgewährung zustimmen. Die Anonymität der Personen wäre gesondert für diese Gruppe im System zu gewährleisten. Weder die Zahl der zu behandelnden papierlosen Menschen noch der Leistungsumfang sind zurzeit verlässlich zu prognostizieren. Mit den in der Landtagsentschließung ausgewiesenen Kooperationspartnern Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen e. V. und Medizinische Flüchtlingshilfe Hannover e. V. sowie der Kassenärztlichen Vereinigung wurden Möglichkeiten der Umsetzung erörtert. Unstrittig sind folgende Punkte: Die Flüchtlingshilfen Göttingen und Hannover beabsichtigen für das Modellprojekt die Gründung eines gemeinsamen Vereins. Somit hat MS sich mit einem Kooperationspartner und voraussichtlich einem Zuwendungsempfänger zu verständigen. Zwei Halbtagsstellen Entgeltgruppe 13 TV-L, möglichst für eine Bewerberin oder einen Bewerber mit einer Doppelfunktion in der Verwaltung und als Ärztin oder Arzt, werden aus dem Fonds finanziert, da voraussichtlich zusätzliche Haushaltsmittel nicht zur Verfügung stehen werden. Zu folgenden Punkten gibt es weiteren Gesprächsbedarf: Umfang der medizinischen Leistungen im Rahmen einer Akutversorgung für papierlose Menschen, Angebot einer Legalisierungsberatung und deren Verortung, Form und Ausgestaltung des anonymen Krankenscheins, Einrichtung eines Beirats. Die Kassenärztliche Vereinigung hat ihre Unterstützung bestätigt, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte im Rahmen einer Ausschreibung für das Modellprojekt und Kliniken für die Notdienstbereitschaft zu gewinnen. Die Stadt Göttingen und die Region Hannover haben mitgeteilt, sich in die Umsetzung des Modellprojekts wegen ihrer eigenen bestehenden und geplanten Fördervorhaben für papierlose Menschen einbringen zu wollen. Die Stadt Göttingen gewährt der Flüchtlingshilfe Göttingen seit 2006 einen institutionellen Zuschuss; im Haushaltsjahr 2015 sind dies 7 000 Euro. 4

Zu 3: 87 AufenthG verpflichtet öffentliche Stellen (mit Ausnahme öffentlicher Schulen und sonstiger öffentlicher Bildungseinrichtungen), ihnen bekannt gewordene aufenthaltsrechtlich relevante Umstände der Ausländerbehörde von sich aus mitzuteilen, wobei ärztliche Daten nur unter einschränkenden Bedingungen übermittelt werden dürfen ( 88 Abs. 2 AufenthG). Gemäß 11 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG überprüft die zuständige Behörde die Personen, die Leistungen nach diesem Gesetz beziehen, auf Übereinstimmung der ihr vorliegenden Daten mit den der Ausländerbehörde über diese Personen vorliegenden Daten. Sie darf für die Überprüfung nach Satz 1 Name, Vorname (Rufname), Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Familienstand, Anschrift, Aufenthaltsstatus und Aufenthaltszeiten dieser Personen sowie die für diese Personen eingegangenen Verpflichtungen nach 68 AufenthG der zuständigen Ausländerbehörde übermitteln. Die Ausländerbehörde führt einen Abgleich mit den vorgenannten Daten durch und übermittelt der zuständigen Behörde die Ergebnisse des Abgleichs. Die Ausländerbehörde übermittelt der zuständigen Behörde ferner Änderungen der genannten Daten. Die Überprüfungen können auch regelmäßig im Wege des automatisierten Datenabgleichs durchgeführt werden. Die in der Landtagsentschließung dargestellte Befürchtung, dass beispielsweise Sozialämter die Ausländerbehörden über den anlässlich eines Kostenerstattungsantrags bekannt gewordenen unerlaubten Aufenthalt unterrichten könnten, ist daher nicht unbegründet. Eine Beschränkung der Übermittlungspflicht auf solche öffentlichen Stellen, die der Gefahrenabwehr und der Strafrechtspflege dienen - also Polizei und Justiz - würde diese Gefahr beseitigen. Die Landesregierung prüft derzeit, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine entsprechende Änderung des Bundesrechts initiiert werden soll. 95 AufenthG stellt insbesondere den unerlaubten Aufenthalt in Deutschland unter Strafe. Die Beihilfe hierzu ist über die im StGB geltende allgemeine Beihilferegelung, wonach als Gehilfe bestraft wird, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat, strafbewehrt ( 27 Abs. 1 StGB). Zur Anwendung der Beihilferegelung im Zusammenhang mit 95 AufenthG ist die nachfolgende Regelung in der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG getroffen worden: Handlungen von Personen, die im Rahmen ihres Berufes oder ihres sozial anerkannten Ehrenamtes tätig werden (insbesondere Apotheker, Ärzte, Hebammen, Angehörige von Pflegeberufen, Psychiater, Seelsorger, Lehrer, Sozialarbeiter, Richter oder Rechtsanwälte), werden regelmäßig keine Beteiligung leisten, soweit die Handlungen sich objektiv auf die Erfüllung ihrer rechtlich festgelegten bzw. anerkannten berufs-/ehrenamtsspezifischen Pflichten beschränken. Zum Rahmen dieser Aufgaben kann auch die soziale Betreuung und Beratung aus humanitären Gründen gehören, mit dem Ziel Hilfen zu einem menschenwürdigen Leben und somit zur Milderung von Not und Hilflosigkeit der betroffenen Ausländer zu leisten. (Vorbemerkung 95.1.4 AVwV-AufenthG) Hiernach handelt es sich bei der Behandlung von sich unerlaubt in Deutschland aufhältigen Ausländerinnen und Ausländern durch Ärztinnen und Ärzte in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht nicht um eine strafrechtlich relevante Beihilfe zu einer Straftat nach 95 AufenthG. Im Zuge der Beratungen des von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BR-Drs. 642/14, BT-Drs. 18/4097) haben die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen im Ausschuss für Innere Angelegenheiten beantragt, 95 AufenthG um folgenden Absatz 2 a zu ergänzen: (2a) Handlungen, die der Unterstützung eines Ausländers dienen, der eine Handlung nach 95 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2, Absatz 1 a oder Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe b begeht, stellen kein Hilfeleisten im Sinne des 27 des Strafgesetzbuchs dar, sofern das Ziel der Handlung die humanitäre Unterstützung der betroffenen Person war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Hinblick auf die allgemeine Beihilfevorschrift des 27 StGB bezüglich des 95 AufenthG weiterhin eine erhebliche Rechtsunsicherheit für Menschen, etwa für Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer, Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie Ehren- 5

amtliche usw. bestehe, die Ausländerinnen und Ausländern unabhängig von deren aufenthaltsrechtlichem Status in Notsituationen aus humanitären Motiven helfen. Daher bedürfe es - über die in der AVwV-AufenthG getroffene Regelung hinaus - einer eindeutigen gesetzlichen Klarstellung, dass derartige Unterstützungshandlungen keine strafbare Beihilfe darstellen. Dieser Antrag fand im Bundesrat nicht die erforderliche Mehrheit. Die Landesregierung sieht daher derzeit keine hinreichend wahrscheinliche Möglichkeit, eine Änderung des Bundesrechts im Sinne der Landtagsentschließung zu erreichen. 6 (Ausgegeben am 17.06.2015) )