Sprachwahrnehmung in der frühen Kindheit. 10. Sitzung am Anja van Kampen

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Transkript:

Sprachwahrnehmung in der frühen Kindheit 10. Sitzung am 19.01.2010 Anja van Kampen Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in 1

Zusammenfassung und Überleitung zu den Phrasengrenzen zwischen 6 und 9 Monaten lernen Babies grundlegende Merkmale ihrer Muttersprache Lautinventar phonotaktische Regularitäten vorherrschendes Betonungsmuster Können Kinder mit diesem Wissen Rückschlusse auf die semantische, syntaktische und morphologische Struktur ihrer Muttersprache ziehen? 2

Theorie des Bootstrapping Grundannahme: es gibt systematische Korrelationen zwischen linguistischen Ebenen Kinder nutzen Korrelationen verschiedener sprachlicher Ebenen, um strukturelle Charakteristika ihrer Muttersprache zu lernen zentrale Annahme der Bootstrapping-Theorie: Kinder haben bereits Wissen über eine Ebene (z.b. Phonologie) und nutzen es, um andere Ebene (z.b. Syntax) zu erschließen Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 3

Prosodisches Bootstrapping Voraussetzungen für Prosodisches Bootstrapping 1. Es muss akustische Korrelate syntaktischer Einheiten geben. 2. Die akustischen Korrelate müssen so beschaffen sein, dass Kinder sie entdecken können. 3. Es muss Evidenz geben, dass Kinder dies tatsächlich tun. Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 4

Prosodisches Bootstrapping aber Prosodisches Bootstrapping allein reicht nicht aus, um Syntax zu erschließen einzelne prosodische Informationen sind oft ambig z.b. Pausen können linguistisch und nicht-linguistisch sein Länge indiziert Phrasengrenzen, aber auch betonte Silben Kinder nutzen deshalb zusätzliche Wissensquellen (z.b. Distribution, Kontext, Affix agreement) Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 5

Sensitivität für prosodische Informationen Nutzen Kinder die prosodischen Informationen aus dem Input, z.b. zum Erkennen von Sätzen? Studie über Wahrnehmung von Pausen: Hirsh-Paseket al. (1987): -7 Mon alte Kinder: Pause zwischen Sätzen > Pause innerhalb der Sätze (mit CDS-Material) KemlerNelson et al. (1987): keine Unterschiede, wenn ADS Jusczyk(1989): Replikation von Hirsh-Paseket al. (1987) mit low-pass gefilterten Stimuli gleiche Ergebnisse Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 6

Sensitivität für prosodische Informationen bisher: Evidenz für Hauptphrasengrenzen (IP) unklar, ob prosodische cuesauch kleinere Phrasengrenzen (PhP) ausreichend markieren Jusczyk et al. (1992a): Unterscheidung Subjekt Prädikat Stimuli: Pausen zwischen Subjund Prädikat (kohärent) oder innerhalb der Phrasen (nicht-kohärent) Ergebnis: 9 Monate alte englische Kinder präferierten kohärente Version kein Effekt für 6 Monate alte Kinder selbe Ergebnisse nach low-pass-filtering Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 7

Sensitivität für prosodische Informationen Woher kommt die Sensitivität? wahrscheinlich von genereller Strategie, wie auditiver Input verarbeitet wird Evidenz: Sensitivität besteht auch dann gegenüber prosodischen Markern, wenn Kinder nicht-native Sätze verarbeiten andere Dialekte andere Sprachen Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 8

Zusammenfassung Prosodic bootstrapping: Kinder nutzen prosodische Informationen, um syntaktische Struktur zu erlernen Grundlage: bestehende Korrelation von Prosodie und Syntax Kinder sind besonders sensibel für prosodische Information im Input Kinder postulieren eine Prosodie-Syntax-Korrelation Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 9

Aber prosodische Struktur bildet syntaktische Struktur nicht 1:1 ab Jusczyk(1998): dividingandconquering des linguistischen Inputs Prosod. Hinweise werden zu ersten Strukturierung des Lautstroms genutzt Für weitere Schritte müssen Kinder andere Evidenzquellen nutzen Segmentale und segmental-sequentielle Hinweise Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 10

Segmentale und segmental-sequentielle Hinweise Segmentale und sequentielle Informationen spiegeln sich nicht in ihrem prosodischen Muster wider Lassen sich demzufolge nicht in low-pass gefilterten Material finden Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 11

Segmentale und segmental-sequentielle Hinweise Segmentale Informationen: zeigen sich lokal an bestimmten Positionen, wie Laute bzw. Lautverbindungen Sequentielle Informationen: geben an, welche Segmente zusammen mit anderen Segmenten auftreten können, wie wahrscheinlich und wie häufig dies ist, z.b. phonotaktische Hinweise und statistische Regularitäten Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 12

Statistisches Lernen statistisches Lernen = Lernen über Vorkommenshäufigkeitenvon (sprachlichen) Einheiten (kontextfrei) Distributionelle Informationen bzw. Analyse: Häufigkeit des Auftretens und Verteilung bestimmter Informationen in einem Kontext Frage: Statistisches Lernen als Mittel zur Segmentierung des Sprachstroms in linguistische relevante Einheiten, wie z.b. Wörter? Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in der frühen Kindheit WS 2009/10 13

Die Nutzung von rhythmischen und vokalharmonischen Hinweisreizen zur Wortsegmentierung im Türkischen und Deutschen im Alter von 9 Monaten: Eine sprachvergleichende Untersuchung Anja van Kampen, Güliz Parmaksiz& Barbara Höhle

Wortsegmentierung Wörterausdemsprachflusszuerkennenistschwierig Keine Pausen an den Wortgrenzen, sondern nur zwischen phonologischen und syntaktischen Einheiten Wortsegmentierung ist die grundlegende Voraussetzung zum Aufbau des kindlichen Lexikons Auch in kindgerichteter Sprache besteht die Mehrzahl von Äußerungen aus mehr als einem Wort

Wortsegmentierung Unterschiedliche Arten von Hinweisreizen auf Wortgrenzen: Phonotaktik (Mattys & Jusczyk, 2001; Mattys, Jusczyk, Luce & Morgan, 1999) Allophonie (Jusczyk, Hohne, Baumann 1999) Distribution (Saffran, Aslin, Newport 1996) Prosodisch (Jusczyk, Huston, and Newsome 1999, Höhle 2001, Houston, Jusczyk, Kuijpers, Coolen, Cutler, A. 2000)

Method HPP(Jusczyk & Aslin 1995) Head-Turn-Preference (HTP) Zuerst leuchtet die vordere, grüne Lampe. Wenn das Kind auf diese Lampe guckt, wird die rote Lampe auf der Seite angeschaltet, von der auch der auditive Stimulus kommt. Der sprachliche Stimulus wird gestartet, wenn des Kind auf die rot blinkende Lampe schaut. Die Stimuluspräsentation endet, wenn das Kind länger als 2 Sekunden in eine andere Richtung guckt. Kürzere Zeiten werden von den Orientierungs-zeiten abgezogen. Die Leitung des Experimentes sitzt außerhalb der Kabine und steuert den Ablauf.

Voruntersuchungen, Prosodie, deutsch und englisch 6 Monate: deutsche Kinder zeigen eine Präferenz für trochäische gegenüber jambischen einfachen Silbenkombinationen, GAba vs. GaBA(Höhle et al., submitted) 9 Monate: Englisch-und deutschsprachige Babys sind in der Lage, vorher familiarisiertetrochäische Wörter zu segmentieren. 11 Monate: Amerikanische Kinder können jambische Wörter wieder erkennen. Deutsche können es auch dann noch nicht (Jusczyk, Houston, Newsome1999, Höhle 2002, Höhle & Weissenborn 2000). metrische Segmentierung, betonte Silbe wird als Wortanfang erkannt.

Voruntersuchungen Prosodie, französisch Französische Kinder : zeigen keinepräferenz für eine der beiden gaba-versionen, weder für die trochäisch, noch für die jambisch eingesprochenen Stimuli. sind weder mit 8 noch mit 12 Monaten in der Lage, familiarisierte Wörter aus Sätzen zu segmentieren. Sie segmentieren allerdings Silben, bevor sie (mit 16 Monaten) in der Lage sind, Wörter wieder zu erkennen (Nazzi et al. 2006). Theorie:Französisch ist eine silbenzählende Sprache, Deutsch, Englisch, Niederländisch akzentzählend. Die Sprachen unterscheiden sich in der grundlegenden rhythmischen Einheit, trochäischer Fuß vs. Silbe. Entsprechend richten die Kinder ihre Segmentierungsstragien aus.

Voruntersuchungen Prosodie, türkisch Türkische Kinder (in Berlin): zeigen mit 6 Mon. keinepräferenz für eine der beiden gaba-versionen, weder für die trochäischen, noch für die jambischen Stimuli zeigen allerdings Trochäuspräferenz in den Fällen, in denen das erste item des Experimentes trochäisch war. War das erste item jambisch, resultierte keine Präferenz. sind, ebenso wie die französischen Kinder, mit 9 Mon. nicht in der Lage, familiarisierte Pseudowörter aus kontinuierlichem Sprachfluss zu segmentieren (van Kampen, Parmaksiz, Höhle, in Prep.)

Voruntersuchungen, distributionelle Hinweisreize 4 Pseudowörter dapiku; tilado; buropi; pagotu Wurden in der Fam.phaseohne Pausen und ohne Betonung 8 Monate alten Kindern vorgespielt dapikutiladoburopipagotu In der Testphase hörten die Kinder entweder 2 dieser Wörter oder aber 2 Kombinationen dreier Silben, die vorher nicht gemeinsam aufgetreten sind, z.b. tupiro, golabu 8 Monate alte Kinder schauten länger zu den nonwords als zu den words, Neuigkeitseffekt (Saffran, Aslin, Newport, 1996).

Voruntersuchungen distributionelle Hinweisreize und Prosodie Kollidierende distributionelle und prosodische Hinweisreize Die Auftretenswahrscheinlichkeitvon Silbenfolgen korrelierte mit trochäischer Akzentstruktur (kein Konflikt) oder jambischer Akzentstruktur (Konflikt) Amerikanische Kinder: 7 Monate alte ignorierten die prosodische Struktur und verließen sich auf Distribution in beiden Bedingungen wurde segmentiert 9 Monate alte verließen sich auf prosodische Informationen nur in trochäischer Bedingung wurde segmentiert (Thiessen & Saffran 2003)

Distributionelle und prosodische Hinweisreize im Türkischen Distributionell:Vokalharmonie es dürfen nur bestimmte Vokale innerhalb eines Wortes gemeinsam auftreten. Prosodisch: Finale Wortbetonung

Die Akzentstruktur deutscher und türkischer Wörter: Deutsch:Akzent in der überwiegenden Mehrheit aller zweisilbigen Wörter auf der ersten (trochäisches Muster). Zweisilbige Wörter mit Akzent auf zweiter Silbe sind meist fremdsprachlichen Ursprungs, z.b. Fabrik, Rubin. Bei drei-und mehrsilbigen Wörtern ist der unmarkiertefall die Betonung der vorletzten Silbe (R. Wiese). Türkisch:Die letzte Silbe des Wortes wird betont. Mit der Hinzufügung von Suffixen (agglutinierend) wandert der Akzent, immer auf das letzte Suffix.

Der finale Akzent im Türkischen el eller ellerim ellerimde Hand Hände meine Hände in meinen Händen nach Aksu-Koç& Slobin(1985)

Einführung in die Vokalharmonie Die Vokalharmonie im Türkischen: Kleine Vokalharmonie: auf eine Silbe mit den Vokalen a, ι, o, ukann nur ein Suffix mit dem Vokal afolgen nach Silben mit den Vokalene, i, ö, ünur ein Suffix mit dem Vokal e. zum Beispiel Infinitivbildung: Bleiben: kal-mak Lachen:gül-mek.

Die Vokalharmonie im Türkischen GroßeVokalharmonie: auf Silben mit a, ιfolgt ein Suffix mit ι auf Silben mit e, ifolgt ein Suffix mit i auf Silben mit ö, üfolgt ein Suffix mit ü auf Silben mit o, ufolgt ein Suffix mit u. Der großen Vokalharmonie folgt zum Beispiel die Bildung des Akkusativs.

Die Vokalharmonie im Türkischen Vokalharmonisches Kriterium: Artikulationsort, d.h., vorne versus nicht vorne. Zwei Vokalgruppen, deren Mitglieder gemeinsam in einem Wort auftreten können. Diese Gruppen haben keine Überschneidungen, das heißt, ein Vokal aus der einen kann nicht gemeinsam mit einem Vokal aus einer anderen Gruppe innerhalb eines Wortes auftreten. Die erste Gruppe bilden a, o, uund ι, die hinteren bzw. nicht vorderen Vokale. Die zweite Gruppe bilden e, i, öundü, die vorderen Vokale. Vokalharmonie ist ein natürlicher distributioneller Hinweisreiz für die Wortsegmentierung, sowohl innerhalb eines Wortes durch vorhandene Harmonie wie auch durch fehlende Harmonie zwischen benachbarten Silben zweier Wörter.

Voruntersuchungen Vokalharmonie Die Nutzung vokalharmonischer cuesdurch erwachsene finnische Sprecher: Suomi, McQueen & Cutler (1997) Die finnische Vokalharmonie: Hintere Vokale, die zusammen auftreten können: u, o, a Vordere Vokale: y, ö, ä

Die Nutzung vokalharmonischer cues durch erwachsene finnische Sprecher Material: Finnische vokalharmonische Wörter, z.b. palo(feuer) und kynä(stift) Vokalharmonische Kontextsilben: ku-palo bzw. ty-kynä Nicht vokalharmonische Kontextsilben: ky-palo bzw. tu-kynä

Die Nutzung vokalharmonischer cues durch erwachsene finnische Sprecher Liste von 60 dreisilbigen Pseudowörtern diese enthielten zur Hälfte richtige Wörter in den Silbenpositionen 2 und 3, zur Hälfte nicht. Von denen, die richtige Wörter enthielten, stand wiederum die Hälfte in vokalharmonischem Kontext, (z.b. ku-palo, ty-kynä), die andere Hälfte in nicht vokalharmonischem Kontext (z.b. ky-palo, tu-kynä). Aufgabe der Probanden: Tastendruck, wenn ein Dreisilber mit zweisilbigem Wort bemerkt wurde Gemessen wurde die Reaktionszeiten vom Erscheinen des dreisilbigen Pseudowortes an bis zum Tastendruck

Die Nutzung vokalharmonischer cues durch erwachsene finnische Sprecher Vorhersage: Eine harmonische Kontextsilbe sollte die Segmentierung der zweisilbigen Wörter erschweren. Eine nicht harmonische Kontextsilbe hingegen sollte einen Hinweis auf eine potentielle Wortgrenze geben und somit die Segmentierung erleichtern. Ergebnisse: RZn: harmonische Kontextsilbe > nicht harmonische Kontextsilbe Es fanden sich hypothesenkonformsignifikant längere Reaktionszeiten, wenn die vorangestellte Kontextsilbe harmonisch zum zweisilbigen Wort war als wenn sie nicht harmonisch war. Erwachsene finnische Vpnzeigen somit, dass vokalharmonische Hinweisreize bei der Wortsegmentierung verwendet werden.

Die Nutzung vokalharmonischer cues durch erwachsene finnische Sprecher Dieser Effekt zeigte sich nur, wenn 1. Die Kontextsilbe dem Wort vorangestellt war und 2. Der Wortakzent auf der Kontextsilbe lag, das eigentliche Wort also keinen Akzent trug. (Vroomen, Tuomainen& de Gelder 1998)

Vokalharmonische Effekte bei Sprechern nicht vokalharmonischer Sprachen (Vroomen, Tuomainen & de Gelder 1998) Finnische, holländische und französische Vpn Dreisilbige harmonische und nicht harmonische Pseudowörter Lernphase: 6 Pseudowörter, 3 harmonische, 3 nicht harmonische, werden je 150 x präsentiert. Testphase: Je zwei Pseudowörter werden hintereinander präsentiert, Vp soll angeben, ob das erste oder das zweite bekannt ist. Ausgewertet wurde die Anzahl korrekter Entscheidungen in Abhängigkeit von der Vokalharmonie. Ergebnis: Nur die finnischen Vpnprofitierten von der Vokalharmonie und auch nur dann, wenn keine Betonungsstrukturen vorhanden waren.

Eigene Untersuchungen, Überblick, Exp. 1 Methode: HTP ohne Familiarisierungsphase Probanden: 6 Monate alte deutsche und türkische Kinder Fragen 1. Bevorzugen die Kinder vokalharmonische gegenüber nicht vokalharmonischen Pseudowörtern? 2. Wenn ja, ist diese Unterscheidungsfähigkeit angeboren (dann sollten deutsche Kinder sie auch zeigen) oder erworben (deutsche Kinder sollten sie nicht zeigen)? 3. Bevorzugen Kinder das dominante Betonungsmuster ihrer Muttersprache?

Eigene Untersuchungen, Überblick, Exp. 2 Methode: HTP mit Familiarisierungsphase Probanden: 9 Monate alte türkische Kinder Fragen Verwenden die Kinder fehlende Vokalharmonie an den Wortgrenzen zur Wortsegmentierung? Verwenden die Kinder prosodische Hinweisreize zur Wortsegmentierung? Welche Art von cue wird ggf. stärker gewichtet?

Probandenrekrutierung Die deutschen Kinder wurden an der Uni Potsdam rekrutiert und getestet. Den Kontakt zu den türkischen Familien konnten wir mit Unterstützung der Geburtshilfestation des Klinikums Neukölln aufbauen. Die Testungen fanden in Räumen der Humboldt- Universität in Berlin stat. Anhand von Fragebögen wurde bei den türkischen Kindern der Einfluss von zweiten Sprachen, insb. Deutsch, erhoben.

Method HPP(Jusczyk & Aslin 1995) Head-Turn-Preference (HTP) Zuerst leuchtet die vordere, grüne Lampe. Wenn das Kind auf diese Lampe guckt, wird die rote Lampe auf der Seite angeschaltet, von der auch der auditive Stimulus kommt. Der sprachliche Stimulus wird gestartet, wenn des Kind auf die rot blinkende Lampe schaut. Die Stimuluspräsentation endet, wenn das Kind länger als 2 Sekunden in eine andere Richtung guckt. Kürzere Zeiten werden von den Orientierungs-zeiten abgezogen. Die Leitung des Experimentes sitzt außerhalb der Kabine und steuert den Ablauf.

Exp. 1, Vokalharmonie, Präferenzexperiment ohne Fam.phase Experiment 3: Darbietung vokalharmonischer und nicht vokalharmonischer Pseudowörter, in jambischer und trochäischer Akzentstruktur Harmonisch: söpüll, letinn, paroz, kuvatt Nicht harmonische: rolipp, rivar, dünamm, nelock söpüll, jamb. söpüll, troch. rivar, jam. rivar, troch.

Exp. 1, Vokalharmonie, Präferenzexperiment ohne Fam.phase Getestet wurden 40 deutsche und 40 türkische Kinder im Alter von 6 Monaten. Unterscheiden türkische Kinder zwischen harmonischen und nicht harmonischen Wörtern? Und wenn, ist diese Fähigkeit durch den Input erworben, oder angeboren? Wenn angeboren, sollten deutsche Kinder ebenfalls unterschiedliche Orientierungszeiten zeigen.

Experiment 1, Design (1a) 20 türkische Kinder, nonwords mit finaler Betonung (1b) 20 türkische Kinder, nonwords mit initialer Betonung (1c) 20 deutsche Kinder, nonwords mit finaler Betonung (1d) 20 deutsche Kinder, nonwords mit initialer Betonung Die Stimuli für die türkischen Kinder wurden einer türkischen, die für die deutschen Kinder von einer deutschen Muttersprachlerin eingesprochen. Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in 41

Ergebnisse der Präferenzexperimente

Ergebnisse der Präferenzexperimente

Ergebnisse der Präferenzexperimente

Statistische Effekte Dreifaktorielle Anova, Faktoren: Harmonie, within subject, harmonisch vs. nicht harmonisch Sprache, between subject, türkisch vs. deutsch Betonung, between subject, erste und letzte vs. nur letzte Silbe Haupteffekt Harmonie, F(1,76)=4,9, p < 0.05 Interaktion zwischen Sprache und Harmonie, F(1,76)=9,2, p < 0.01 Der Faktor Betonung zeigte inferenzstatistisch keinen Effekt, wurde allerdings auch zwischen Gruppen realisiert.

Diskussion Präferenzexperiment Türkische Kinder, aber nicht deutsche Kinder zeigen eine statistisch signifikante Präferenz für vokalharmonische Pseudowörter.

Exp. 2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Türkische 9 Monate alte Kinder (sollten Wörter bzw. Pseudowörter segmentieren können) Familiarisierung mit zweisilbigen, vokalharmonischen nonwords Diese nonwordshatten eine zusätzliche, vorangestellte Silbe, die entweder harmonisch oder nicht harmonisch zu den Vokalen im nonword ist. Die Familiarisierung erfolgte mit Textpassagen. pütemm di-pütemm(harmonisch) da-pütemm(nicht harmonisch) Betonung: Die 1. Silbe ist entweder betont oder nicht. entweder: Betonung 1. Silbe und 3. Silbe (Wortgrenze nach 1. Silbe naheliegend) oder: Betonung nur die dritte Silbe (typische türkische Prosodie für Dreisilber).

Exp. 2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Bed. 1: kein Hinweis auf Wortgrenze, Zusatzsilbe unbetont und harm. di-pütemm(betonung nur 3. Silbe) Bed. 2: Segmentierungshinweis durch Betonung, nicht durch Harmonie, Zusatzsilbe betont und harmonisch DI-püTEMM(Betonung 1. und 3. Silbe) Bed. 3: Hinweis durch Harmonie, nicht durch Betonung, Zusatzsilbe unbetont und nicht harmonisch da-pütemm(betonung nur 3. Silbe) Bed. 4: Hinweis durch Betonung und Harmonie, Zusatzsilbe betont und nicht harmonisch DA-püTEMM(Betonung 1. und 3. Silbe) Angenommener Schwierigkeitsgrad bei der Segmentierung: Anja van Kampen Bed. 4 < Bed. 3 = Bed. 2 < Bed. 1 48 Sprachwahrnehmung und verarbeitung in

Experiment 2, Material Zusatzsilbe harmonisch nicht harmonisch unbetont di-pütemm cues: Harmonie Prosodie da-pütemm cues: harmony + prosody betont DI-püTEMM cues: Harmonisch Prosodie + DA-püTEMM cues: Harmonie + Prosodie + Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in 49

Experiment 2, Materialder Familiarisierungsphase Jedes der dreisilbigen Pseudowörter wurde in Sätze eingebettet. Aus jeweils 6 Sätzen, von denen jeder das Pseudowort einmal enthielt, wurde eine kurze Geschichte konstruiert. Jedes Kind wurde mit 2 Pseudowörtern, bzw. Sätzen, die diese enthielten, familiarisiert. Eines der Pseudowörter wies eine harmonische, eines eine nicht harmonische Zusatzsilbe auf. Die prosodischen Versuchsbedingungen wurden zwischen Gruppen realisiert, d.h., jedes Familiarisierungsphaseenthielt zwar zwei harmonische, aber nur eine prosodische Bedingung. Anja van Kampen Sprachwahrnehmung und verarbeitung in 50

Exp.2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung In der Familiarisierungsphasewerden dem Kind 2 Stimuli jeweils mind. 30 s lang präsentiert. Der Ablauf der Präsentation verläuft genauso wie in der Testphase. Testphase: Kinder bekommen nur die einzelnen, zweisilbigen Pseudowörter dargeboten pütemm, namoll, batull, netiss In der Testphase werden die Zweisilber, wie auch immer in der Fam.phase, mit finaler Betonung gesprochen.

Exp. 2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Mittlere Orientierungszeiten in Experiment 2 als Funktion von Betonung und Harmoniebedingung in der Familiarisierungsphase

Exp. 2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Mittlere Orientierungszeiten in Experiment 2 als Funktion von Betonung und Harmoniebedingung in der Familiarisierungsphase

Exp. 2, fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Mittlere Orientierungszeiten in Experiment 2 als Funktion von Betonung und Harmoniebedingung in der Familiarisierungsphase

Fehlende Vokalharmonie an der Wortgrenze als Hinweisreiz zur Wortsegmentierung Statistische Ergebnisse: Zweifaktorielle ANOVA, Faktoren: Vokalharmonie, within subjects (harmonisch vs. nicht harmonisch) Betonung, between subjects (Betonung nur dritte vs. erste und dritte Silbe) (beides bezogen auf die Familiarisierungsphase) Haupteffekt Vokalharmonie, F(1,30)=4,7, p < 0.05 Kein Effekt Prosodie, F(1,30)=2,4, p=0.14

Schlussfolgerung Fehlende Vokalharmonie zwischen benachbarten Silben scheint ein starker Hinweisreiz auf eine Wortgrenze zu sein. Für den Faktor Betonung konnten keine statistisch fundierten Effekte nachgewiesen. Allerdings wurde er auch zwischen den Gruppen realisiert.

Work in progress Welche Hinweisreize dominieren für die türkischen Babies, Vokalharmonie oder Prosodie (wie bei den erwachsenen finnischen Probanden) Präferenzexperiment mit konfligierendencues, vokalharmonische nonwordsnur in trochäischer, nicht harmonische nur in jambischer Betonung. SÖpüll, LEtinn, PAroz, KUvatt rolipp, rivar, dünamm, nelock