Person über Bord Unterkühlung und Ertrinken 4. Seeschifffahrts-Sicherheits-Konferenz Berlin, 6. und 7. November 2018 Flottenarzt Dr. Ulrich van Laak Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine, Kronshagen b.kiel Leiter und Abteilungsleiter I Maritime Medizin
Auf Blau, das die Unendlichkeit des Meeres symbolisiert, steht in Gold (als Farbe der Treue) ein Aesculapstab mit Segel, der die Hilfe im sanitätsdienstlichen Bereich für alle zur See fahrenden versinnbildlicht.
Marinemaler Carl Saltzmann (1847 bis 1923) - Mann über Bord. Leihgabe des Föhrde-Clubs zu Kiel e. V. an die Marineschule Mürwik.
MRS externer KSA (neu)
Terminologie
Ertrinken: Folgen einer Barriere vor den Atemöffnungen durch Flüssigkeit bei Immersion / Submersion, unabhängig davon, ob der Zustand überlebt wird oder nicht. [Layon AJ, Modell JH. Drowning Update 2009. Anaesthesiology 2009; 110: 1390-1401] Immersion: Eintauchen in Flüssigkeit mit Atemöffnungen frei.
Submersion: Untertauchen oder Unterschneiden der Atemwege in Flüssigkeit. Obsolet: Trockenes, nasses, aktives, passives, stilles, sekundäres Ertrinken; Beinahe-Ertrinken.
Unterkühlung (Hypothermie): Rein peripher (mit Frösteln), mit Kältezittern, oder generalisiert zentral.
Zwei geschichtliche Rückblicke (1788 / 1917)
Dauer des Ertrinkungsvorgangs 4 höchstens 5 Minuten Sicher sind Fälle, wo Menschen 8-12 Minuten unter Wasser waren nicht allzu selten werden Beispiele von Wiederbelebten angegeben, die ¾ Stunde unter Wasser waren Zitate Dissertation Kübler 1917
Risiken bei Immersion und Submersion
1. Kälteschutzanzug 2. Rettungsschutzweste 3. Selbstrettung auf sichere Plattform
Risiken ( ) bei Immersion im Kaltwasser ( 5 C ) 1. Sofortreaktion Sekunden bis Minuten unmittelbares Ertrinken 2. Kurzzeitreaktion mit peripherer Unterkühlung < 30 Minuten Entkräftung, Schwimmversagen, Ertrinken, 3. Zentrale Unterkühlung > 30 Minuten viele Stunden Überleben 4. Bergung & Rettung Berge-Kollaps / Afterdrop
Wassertreten oder Schwimmen funktionieren grundsätzlich. Durchhaltefähigkeit ist sehr deutlich verkürzt. Empfehlung Training für den initialen Kälteschock.
Havarie RoRo-Fähre Herald of Free Enterprise
Ablauf - Direkt vor dem Hafen Seebrügge nach Auslaufen. - März 1987, Dunkelheit, Wasser 3. - 623 Personen an Bord. - Hilfskräfte (Fischer) innerhalb von 20 Minuten vor Ort. - > 20 Rettungs-Teams (verzögert) im Einsatz. - 200 nach Sprüngen ins eiskalte Wasser (Ertrinken, Hypothermie, Herzkreislauf-Stillstand). - 250 Verletze in klinische Versorgung. Vandevelde K. Herald of Free Enterprise. In: Bierens JJ ed. Handbook on Drowning. Berlin: Springer; 2006: 546-548
Eiswasserunfall A.B. 13,7 C KKT
Massive Hypothermie im Eiswasser Unbeschadet überlebt hat eine 29jährige Ärztin - etwa 60 min unter Wasser, - rund 400 min Dauer ärztliche Reanimation, - bei minimal 13,7 C KKT, - mit nachfolgend 12 Monate stationärer Therapie - und nur minimalen Langzeitfolgen. Gilbert et al. The Lancet, Vol 355, January 29, 2000, 375-376
Der Spiegel, Nr. 8, 2007, 64-65
Risiko bei / nach Bergung
Die Frage: Bergung aus dem Wasser WIE??? 1. Kurzzeitimmersion & drohende Submersion sofort, auch vertikal, Schnelligkeit geht vor Lagerung [ kurz = in max. kaltem Wasser sicher 15 Minuten ] 2. Langzeitimmersion ( Zustand stabil ) horizontale Lage, behutsames Vorgehen Risiko Bergekollaps 3. Langzeitimmersion ( Zustand nicht stabil ) sofort mit allen Mitteln, möglichst behutsames Vorgehen, zügig Reanimation Risiko durch Bergekollaps deutlich < Gesamtrisiko
Afterdrop (Nachauskühlung) - KKT nach Beendigung Immersion. - Bis zu mehreren C. - Auslösung von (gefährlichen) Arrhythmien. - Temperaturgradient Körperschale Kern. - Häufig bei schwerer Hypothermie.
Lange Überlebenszeiten... jedenfalls deutlich länger als...
Nach: Barnett, 1962
Vorausberechnung der Zeit (in Stunden) bis zur Rettung bei einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 50 % Wassertemperatur Ohne Auftriebshilfe Mit Auftriebshilfe 5 C 3 17 10 C 6 > 24 15 C 12 > 24 unbekannt 5 > 24 INM Report No. 97011 The prediction of survival during cold immersion: results from The UK National Immersion Incident Survey (Oakley EH, Pethybridge RJ, 1997)
12 Immersionsunfälle mit 22 Überlebenden und 21 Todesfällen. Längere Immersionszeiten als bislang berechnet. Große Bedeutung von Kälteschutz, BMI, head-out immersion.
Pathophysiologie Entscheidende Eckdaten
Wärmeleitfähigkeit bei Immersion Luft: Wasser: Wärmeleitfähigkeit (λ) = 0,026 W/mK. Wärmeleitfähigkeit (λ) = 0,598 W/mK. Wasser leitet Wärme etwa 23 x besser als Luft! Auskühlung Mensch im Wasser 4 bis 5 x > Luft!
Kälteparalyse - Bei t Muskulatur < 29 C Funktionsverlust! - Problem Beinschlag nach kurzer Immersionszeit. - Schwimmchance nur kurzzeitig. - Ertrinkungsgefahr im Anschluss an initiale Immersionsphase.
Bis ca. 33 C KKT massives Kältezittern (autonome Wärmeproduktion). Bei KKT < 33 C rascher Zusammenbruch der autonomen Wärmeproduktion. Spätestens ab KKT 28 C funktioneller Kreislaufstillstand.
ZNS, Herz, Nieren,..., tolerieren bei maximaler Reduktion des Metabolismus deutlich verlängerte Zeiten eines Sauerstoffmangels. Bei 20 C KKT ist die Toleranz rund 10 x größer als bei Normothermie: Winterschlafeffekt. Je schneller die Hypothermie eintritt, desto besser kann das diesbezüglich sein..
Was geht mit Bordmitteln?
Auswahl Zielklinik (für Outcome oft entscheidend) - Schwere Unterkühlung ( Kreislauf erhalten): Klinik mit Intensivstation. Aktiv externe oder interne Wiedererwärmung. Konvektive Wärmetherapie. - Schwerste Unterkühlung ( Pulslosigkeit): Zentrum mit extrakorporaler Zirkulation (ECMO) oder anderen aktiv internen Methoden.
1. Rettungsdecken, Decken und Föne 2. Rotlichtlampe auf Kopf 3. Wärmepackungen zentral, Heizdecken 4. Body-to-Body Rewarming 5. Heiße Dusche (nur Oberkörper) 6. Raumtemperatur 7. Sinnvoller Mix
Ertrinken Time is Brain
CME 06/2016 28.
Metaanalyse 2014 4.000 Fälle Prädiktoren für neurologisch günstige Verläufe - Submersion kurz 5-6 min. RR 2,9. - Submersion mittel 10-11 min. RR 5,11. - Submersion lang 15-25 min. RR 26,92. - Submersion extrem < 25 min. Einzelfälle. - Notfallteam vor Ort 8 min. RR 2,84. - Salzwasser vs. Süßwasser RR 1,16. - Lebensalter, Wassertemperatur, Augenzeugen Ø.
I. - Lebensgefahr besteht während jeder Immersionsphase im Kaltwasser, insbesondere auch zu Beginn. - Auftriebsmittel und Kälteschutz sind hier lebensrettend. - Voraussetzung ist eine bestimmungsgemäße Trageweise. - Das Intervall bis zur Bergung ideal mit < 15 Minuten ideal. - Sofortbergung / drohende Submersion: Schlinge, vertikal. - Spätbergung: Horizontal mit geeignetem Mittel.
II. - Auch tiefste KKT von > 20 können lange überlebt werden. - In Submersion bei Eintritt des Winterschlafeffekts. - Bei Immersion determinieren Unterhautfettgewebe, körperliche Aktivität und Isolation der Bekleidung. - Die Spreizung der möglichen Überlebendzeit ist groß. - Entscheidend sind die Fähigkeiten der Zielklinik.
III. - Bordmittel können buchstäblich wirkungsvoll unterstützen. - Grundsatz gilt: Nur tot, wenn wieder warm und tot - daher - anhaltend CPR & Wiedererwärmung mit allen Mitteln. - Um Ertrinkungsfolgen zu minimieren muss Submersion unverzüglich (innerhalb von 6 min) beendet werden.
Wie unangemessen, diesen Planeten Erde zu nennen, obwohl er doch ganz klar ein Ozean ist. (Arthur C. Clarke)