Manuskript Beitrag: Wenn Eltern alt werden Verzweifelte Suche nach guter Pflege Sendung vom 11. Dezember 2018 von Ingo Dell und Jörg Göbel Anmoderation: Oma soll nicht ins Heim! Aber in Deutschland sind nun mal etwa drei Millionen Menschen pflegebedürftig. Drei Viertel von ihnen werden zu Hause versorgt. Doch die Angehörigen schaffen das häufig nicht allein. Immer mehr Frauen aus Osteuropa müssen ran. Sie übernehmen eine sogenannte 24-Stunden-Betreuung, helfen im Alltag, beim Aufstehen und Anziehen, beim Essen und Trinken. Das vermeintliche Rundum-Sorglos-Paket liegt aber in einer rechtlichen Grauzone, mit Folgen für Angehörige, für Betreuer und Betreute. Ingo Dell und Jörg Göbel über die verzweifelte Suche nach guter häuslicher Pflege. Text: Erkrath bei Düsseldorf. Neun Uhr morgens. Arbeitsbeginn für die polnische Betreuerin Malgorzata Niedojad. Der Vater Herbert Falk ist 90. Der Alltag allein zu Hause fällt ihm schwer. Er hat Pflegegrad 4. Das Herz macht manchmal Probleme. Seine Tochter ist berufstätig. Deswegen kümmert sich Malgorzata Niedojad. Sie kommt seit drei Monaten montags bis freitags von neun bis 16 Uhr - für Tochter Heike Falk eine große Entlastung: O-Ton Heike Falk: Ich habe das also bis jetzt immer alleine gemacht, da kamen wir auch noch alleine klar, aber jetzt sind wir auf einen Punkt gekommen, wo er auch sehr sturzgefährdet ist. Und da ist mir das Risiko einfach zu groß gewesen, ihn hier tagsüber alleine zu Hause zu lassen, weil wenn er dann hinfällt, ist ja keiner da, der ihm helfen kann. Die Hilfe kostet Geld: rund 1.900 Euro monatlich. Einen Teil bezahlt die Pflegekasse, den Rest die Familie. Denn Heike Falk hatte ihrem Vater ein Versprechen gegeben:
O-Ton Heike Falk: Pflegeheim das war an und für sich nie ein Thema für uns, weil die Situationen, die in Pflegeheimen herrschen, die kennen wir, und ich habe das meinem Vater früher schon versprochen, dass ich mich um ihn kümmere. Heike Falk lebt gemeinsam mit ihrem Vater in einer Wohnung. Die polnische Betreuerin hat sie über eine Agentur gefunden. Über die rechnet Malgorzata Niedojad ihre Stunden ab. Die Suche nach einer passenden Hilfskraft war nicht einfach. Ein großes Problem: die Sprache. O-Ton Heike Falk: Da habe ich ja eben andere Situationen erlebt, wo ich eben Leute hatte, die zwar auch kommunikatives Deutsch sprechen sollten, aber sich dann vor Ort rausgestellt hat, die haben keine Wort Deutsch verstanden und konnten auch kein Wort Deutsch sprechen. Für mich war es natürlich dann auch schwer, nicht zu Hause zu sein und immer das Telefon am Ohr zu haben, um von meinem Vater dann zu hören, dass er nicht weiß, was sie will, und sie nicht weiß, was er will. In Deutschland steigt die Zahl der Pflegebedürftigen seit Jahren an. Allein von 1999 bis 2015 von rund zwei Millionen auf fast 2,9 Millionen. Für das Jahr 2030 rechnen Experten mit 3,6 Millionen pflegebedürftigen Menschen. Und diese Menschen brauchen nicht nur Pflege, sondern oft auch Betreuung im Alltag. Experten wie der Pflegewissenschaftler Michael Isfort wissen: Die ist teuer und schwer zu bekommen. Deswegen engagieren Angehörige immer häufiger Frauen aus Osteuropa. Nach Schätzungen arbeiten zwischen 100.000 und 400.000 von ihnen inzwischen in Deutschland. O-Ton Prof. Michael Isfort, Deutsches Institut für angewandte Also, wir haben einen Pflegenotstand, das ist ganz klar. Das sehen wir. Wir beobachten das auch insbesondere im ambulanten Pflegesektor. Das heißt, die Familien rufen 20, 30 Dienste an, keiner kann die Betreuung übernehmen, sie googeln dann im Internet und sehen 24-Stunden-Betreuung: Aha, das ist die Lösung! Und deswegen gehen wir davon aus, es natürlich eine Zunahme in diesem Sektor zu beobachten und auch eine Zunahme aus der Not heraus, dass man keine andere Betreuung findet. Malgorzata Niedojad arbeitet seit sechs Jahren als Betreuerin in Deutschland, mittlerweile selbstständig. Die 42-Jährige ist tagsüber da, wenn Herbert Falk sie braucht. Sie bringt ihm Essen und Trinken, hilft beim Aufstehen und Hinlegen. Sie arbeite gern bei Familie Falk, sagt sie. Viele ausländische Betreuerinnen hätten es schwerer als sie:
O-Ton Malgorzata Niedojad, Betreuerin: Die Angehörigen, die müssen auch wissen, wir sind Menschen. Die Leute denken, die haben die Frau gekauft. Das musst Du jetzt noch: Fenster putzen, Staub aufwischen, Durchwischen, Saugen, Gardine waschen, Bügeln aber das schafft man nicht. Wir sind keine Roboter, wir können nicht 24 Stunden arbeiten. Weißt Du, was am schlimmsten ist? Wenn du da hinkommst und einer steht und sagt: Du verdammte Sau, polnische Sau! Da fühlst du dich wie ein letzter Müll, obwohl Du gibst dein Herz, du machst da sauber. Zu hohe Erwartungen, zu lange Arbeitszeiten das kommt oft vor. Wir treffen eine Betreuerin, die im Haus einer alten Frau lebt und sich um sie kümmert. Aus Angst, ihren Job zu verlieren, möchte sie anonym bleiben: O-Ton Betreuerin, Originaltext nachgesprochen: Ich arbeite viel mehr Stunden, als ich bezahlt bekomme. Sechs Stunden pro Tag bekomme ich bezahlt, aber ich arbeite jeden Tag mehr als zehn Stunden. Ich kümmere mich nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Das geht nicht in sechs Stunden. Familien suchen häufig im Internet nach einer Betreuerin. Dort werben viele der rund 260 Vermittlungsagenturen mit Begriffen wie 24-Stunden-Pflege oder 24-Stunden-Betreuung. O-Ton Prof. Michael Isfort, Deutsches Institut für angewandte Diese 24 Stunden sind etwas, um die Familien anzulocken, ausbaden kann das dann nur die Frau, von der man ausgeht, die ist wirklich für 24 Stunden im Haushalt, also ist sie 24 Stunden erreichbar und einsetzbar. Und das ist natürlich nicht der Fall, weil natürlich eine 24-Stunden-Versorgung kann keiner alleine stabilisieren, das muss jedem klar sein. In einem Bericht der Vereinten Nationen vom Oktober 2018 heißt es: Etwa 163.000 Betreuerinnen, hauptsächlich Frauen aus dem Ausland, sind in privaten Hauhalten in Deutschland beschäftigt. Das Komitee ist besorgt, dass sie viele Stunden ohne vorgesehene Pausen arbeiten müssen und von Ausbeutung bedroht sind Ein weiteres großes Problem ist die Schwarzarbeit. Malgorzata Niedojad arbeitet als Selbstständige bei Familie Falk, sie zahlt Steuern und Krankenkassenbeiträge. O-Ton Malgorzata Niedojad, Betreuerin: Ich habe das oft gehört mit der Schwarzarbeit. Für mich die
Schwarzarbeit kommt nicht in Frage. Ich bin hier versichert, ich zahle meine Steuer, ich habe meine AOK-Card, ich bin bei AOK versichert. Für mich, wenn ich hier mich entscheide, in Deutschland zu bleiben ich muss mich benehmen wie eine Deutsche. November 2017. Am Landgericht Augsburg wird ein Pflege- und Betreuungsvermittler zu drei Jahren Haft verurteilt: Beihilfe zum Sozialversicherungsbetrug. Der Schaden: rund 2,7 Millionen Euro. Er hatte jahrelang Betreuerinnen aus Osteuropa an deutsche Familien vermittelt. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. O-Ton Michael R. Moser, Fachanwalt für Arbeitsrecht: Etwa 60 betroffene Familien hatte ich in diesem Kontext vertreten. Und diesen Familien war suggeriert worden, dass die Beschäftigung der osteuropäischen Pflegekräfte legal sei. Tatsächlich mussten die Familien rückwirkend sämtliche Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten. Das ging von einigen 100 Euro bis zu einem Fall von mehr als 20.000 Euro. Mir zeigt das, dass die Politik dringend aufgefordert ist, diese Beschäftigungsformen zu legalisieren. Raus aus der Schwarzarbeit. Das fordert auch die Pflege-Expertin der SPD-Bundestagsfraktion - und nicht nur das: O-Ton Heike Baehrens, SPD, MdB, Bundestagsfraktion: Die Familien, die eine solche Betreuung benötigen, brauchen einfach Handlungssicherheit. Das heißt, sie brauchen verlässliche Dienstleistungsagenturen, und dafür muss man einen Ordnungsrahmen schaffen mit einer Zertifizierung solcher Agenturen. Und auf der anderen Seite die Betreuungskräfte brauchen definitiv legale Arbeitsbedingungen. Sie müssen herausgeführt werden aus der Abhängigkeit, in der sie heute vielfach stehen. Doch eine Einigung mit dem Koalitionspartner auf konkrete Gesetzesvorhaben steht noch aus. Und so vergeht Zeit, in der Familien mit dem Problem allein gelassen werden, seriöse Betreuungsangebote für ihre Angehörigen zu finden. O-Ton Prof. Michael Isfort, Deutsches Institut für Das Risiko der Pflegebedürftigkeit wird wieder zurückgelagert in die Familien und die bezahlen das privat. Und deswegen hat natürlich ein Gesetzgeber nicht unbedingt das Ziel, daran etwas zu verändern, weil, wenn er das machen würde, würde man natürlich viel mehr Geld in diesem Sozialsystem wieder gebrauchen. Klar ist: Es muss sich was ändern. Unklar ist: Woher das Geld dafür kommen soll.
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