5 Versuch und Rücktritt

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Transkript:

5 Versuch und Rücktritt AG Strafrecht AT Akad. Mit. Eva-Maria Weberling

Grundsätzliches zum Versuch: A. Erfolgsunwert <-> Handlungsunwert - Handlungsunwert = der Täter richtet sein Verhalten willentlich und wissentlich so ein, dass es zu einer Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes kommen soll - Erfolgsunwert = die vom Täter durch sein Verhalten bewirkte, regelmäßig in einer Rechtsgutverletzung oder -gefährdung bestehenden Veränderung des bisherigen Zustandes, die vom Recht missbilligt wird B. Phasen der Deliktsverwirklichung I. Entschluss des Täters, eine bestimmte Straftat zu begehen II. Vorbereitungshandlung III. Beginn der Ausführung (Versuch) IV. Abschluss der Tatbestandshandlung und den Eintritt des Erfolges (Vollendung) V. Beendigung AG Strafrecht AT Wiss. Mitarb. Paul Krell

Fall 1 T will seinen Arbeitskollegen A töten, um seine Aussichten auf eine anstehende Beförderung zu verbessern. Er lauert dem A daher auf dessen Nachhauseweg mit einer Jagdflinte auf. Als A erscheint, schießt T voller Freude und Zuversicht auf seinen Mitbewerber. Als T abdrückt, passiert jedoch außer einem leisen Knacken nichts. Die Jagdflinte war, was T nicht bemerkt hat, überhaupt nicht geladen. A schaut T zunächst sprachlos an. Als er realisiert, was sich soeben abgespielt hat, brüllt er: Du mieses Dreckschwein. In diesem Moment fährt allerdings ein Krankenwagen vorbei, dessen Martinshorn den Ausruf übertönt. Strafbarkeit? 3

I. Strafbarkeit des T gem. 212, 22, 23 I Dadurch, dass T den Abzug der Flinte drückte, könnte er sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht haben. Vorprüfung (1) Keine (zurechenbare) Vollendung Dieser Prüfungspunkt wirft keine Fragen auf, wenn wie hier der Erfolg ausgeblieben ist. Anlass zu Erörterungen besteht nur in folgenden Konstellationen (vgl. Rengier AT 34 Rn. 3 ff.): Ein Versuch kann auch in Betracht kommen, wenn der Erfolg zwar eingetreten ist, es aber an Kausalität oder objektiver Zurechenbarkeit fehlt. Es ist gerade fraglich, ob der Erfolg eingetreten ist. Häufig ist es dann aber sinnvoll(er), zunächst eine Strafbarkeit aus dem vollendeten Delikt zu prüfen. (2) Versuchsstrafbarkeit Der Versuch von Verbrechen (vgl. 12) ist stets, der Versuch von Vergehen nur strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich anordnet ( 23 I). Hier ergibt sich die Versuchsstrafbarkeit also aus 23 I i.v. mit 12. 4

Vorprüfung 1.Tatbestand a) Tatentschluss I. Strafbarkeit des T gem. 212, 22, 23 I Beachte: Beim Versuch ist der subjektive Tatbestand (der sog. Tatentschluss) zwingend zuerst zu prüfen, weil er den objektive Tatbestand (das unmittelbare Ansetzen) determiniert ( wer nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar ansetzt ). Tatentschluss setzt Vorsatz hinsichtlich sämtlicher objektiver (und ggf. besonderer subjektiver) Tatbestandsmerkmale voraus. Hier wollte T den A töten. Dass dies überhaupt nicht möglich war, steht der Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit nicht entgegen. Aus 23 III ergibt sich, dass grds. auch der untaugliche Versuch strafbar ist. b) Unmittelbares Ansetzen Unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung setzt an, wer in subjektiver Hinsicht die Schwelle zum jetzt geht es los überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die ohne wesentliche Zwischenschritte den tatbestandlichen Erfolg herbeiführen sollen (BGHSt 48, 34, 35 f.). 5

Vorprüfung 1. Tatbestand a) Tatentschluss (+) I. Strafbarkeit des T gem. 212, 22, 23 I b) Unmittelbares Ansetzen Unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung setzt an, wer in subjektiver Hinsicht die Schwelle zum jetzt geht es los überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die ohne wesentliche Zwischenschritte den tatbestandlichen Erfolg herbeiführen sollen (BGHSt 48, 34, 35 f.). Beachte: Die subjektive Komponente und insbesondere die eingängige Formel des jetzt geht es los verleiten oft dazu, den Versuchsbeginn zu weit nach vorne zu verlagern (vgl. Rengier AT 34 Rn. 23). Wichtiger ist die objektive Komponente. Hat der Täter die tatbestandliche Handlung bereits ausgeführt, so ist das unmittelbare Ansetzen grds. zu bejahen und muss auch in Klausuren nicht näher problematisiert werden (vgl. Rengier AT 34 Rn. 28). Das unmittelbare Ansetzen ist hier daher zu bejahen. 6

Vorprüfung 1. Tatbestand I. Strafbarkeit des T gem. 212, 22, 23 I a) Tatentschluss (+) b) Unmittelbares Ansetzen (+) 2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 7

II. Strafbarkeit des A gem. 185 Es fehlt an einem Kundgabeerfolg (dazu Rengier BT II 28 Rn. 20), so dass die Beleidigung nicht vollendet ist. III. Strafbarkeit des A gem. 185, 22, 23 I Die Beleidigung ist kein Verbrechen und das Gesetz sieht keine Versuchsstrafbarkeit vor. Der Versuch der Beleidigung ist daher straflos. 8

Fall 2 A sinnt nun weiterhin auf Rache. Als T wie immer um 12.00 Uhr in die Mittagspause entschwindet, geht er zu dessen Schreibtisch und will den Lieblingsfüller des T einstecken. Er beabsichtigt, den Füller nach ein paar Tagen zurückzulegen, weil er der Auffassung ist, damit sei der T genug bestraft. Allerdings ist der Schreibtisch des T verschlossen. 9

Strafbarkeit des A gem. 242 I, II, 22, 23 I Dadurch, dass A an den Schreibtisch griff, könnte er sich wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht haben. Vorprüfung (1) Mangels Wegnahme keine Vollendung (2) Versuchsstrafbarkeit: 242 II 1. Tatbestand A hatte Vorsatz hinsichtlich sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale. Zum Tatentschluss gehören aber auch die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale (s.o.). Der Rückführungswille schließt aber eine Zueignungsabsicht aus (vgl. Rengier BT I 2 Rn. 45). 2. Ergebnis: 242 I, II, 22, 23 I (-) 10

Fall 3 T wiederum ist es leid, auf seine Beförderung zu warten und möchte sich andere Einnahmequellen erschließen. In seinen Mittagspausen plant er daher einen Banküberfall. Er betritt daher die Filiale der nahegelegenen B-Bank, macht sich ein Bild von den vorhandenen Überwachungskameras und fertigt anschließend an seinem Schreibtisch eine Skizze der Räumlichkeiten samt Kameras an. Wie von Anfang an geplant, fährt er am nächsten Tag zur B-Bank und parkt vor der Tür. Als T gerade eine Skimaske und seine Waffe aus dem Handschuhfach nimmt, wird er von einem Polizisten überrascht und festgenommen. 11

Strafbarkeit des T gem. 253, 255, 250 II Nr. 2, 22, 23 I Dadurch, dass T die Skimaske überzog und die Waffe aus dem Handschuhfach nahm, könnte er sich wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben. Vorprüfung (1) Mangels Wegnahme keine Vollendung (2) Versuchsstrafbarkeit: 23 I i.v. mit 12 (Verbrechenstatbestand) 1. Tatbestand a) Tatentschluss (+) (Beim sog. Bankraub handelt es sich häufig um eine räuberische Erpressung, was mit der hier aus didaktischen Gründen ausgeklammerten schwierigen Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung zu tun hat [zu ihr Rengier BT I 11 Rn. 33 ff.]). b) Unmittelbares Ansetzen Das Auskundschaften ist eindeutig noch eine straflose Vorbereitungshandlung. Aber auch nach Aufziehen der Skimaske und Ergreifen der Waffe sind noch wesentliche Zwischenschritte erforderlich (vgl. zu den für den Versuchsbeginn instruktiven Bankraub-Fällen Kühl AT 14 Rn. 5 ff.; Rengier AT 34 Rn. 32 f.). 12

Vorprüfung Strafbarkeit des T gem. 253, 255, 250 II Nr. 2, 22, 23 I 1. Tatbestand a) Tatentschluss (+) b) Unmittelbares Ansetzen (-) 2. Ergebnis: 253, 255, 250 II Nr. 2, 22, 23 I (-) 13

Fall 4 Die Mutter M eines dreijährigen Kindes ist von dessen Geschrei zunehmend genervt. Sie verbringt ihr Kind daher in die Besenkammer ihrer Drei-Zimmer-Wohnung und lässt es dort drei Tage zurück; das Kind bleibt die gesamte Zeit ohne Ernährung. Als sie das Kind schlussendlich am vierten Tag zum Arzt bringt, kann es nur durch Zufall noch gerettet werden. Eine Lebensgefährdung hatte die M billigend in Kauf genommen. 14

I. Strafbarkeit der M gem. 212, 13, 22, 23 I Dadurch, dass M ihr Kind nicht fütterte, könnte sie sich wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht haben. Vorprüfung (1) Keine Vollendung (2) Versuchsstrafbarkeit: 23 I i.v. mit 12 (Verbrechenstatbestand) 1. Tatbestand a) Tatentschluss (+) b) Unmittelbares Ansetzen Der Versuchsbeginn beim Unterlassungsdelikt ist umstritten: (1) Teils wird es für erforderlich gehalten, dass die letzte Rettungsmöglichkeit ausgelassen wird (Welzel Strafrecht S. 221). (2) Nach a.a. beginnt der Versuch bereits, sobald der Täter die erste Rettungsmöglichkeit auslässt (Herzberg MDR 1973, 89, 91 ff). (3) Die wohl h.m. stellt darauf ab, wann das Rechtsgut unmittelbar gefährdet ist bzw. eine bereits bestehende Gefahr erhöht wird, auch gegeben, wenn Unterlassender Geschehen aus der Hand gibt (BGHSt 40, 257, 270 f.; Sch/Sch/Eser 22 Rn. 50 f.; Rengier AT 36 Rn. 33). 15

Vorprüfung 1. Tatbestand I. Strafbarkeit der M gem. 212, 13, 22, 23 I a) Tatentschluss (+) b) Unmittelbares Ansetzen Der Versuchsbeginn beim Unterlassungsdelikt ist umstritten: (1) Die letzte Rettungsmöglichkeit wird ausgelassen (2) Die erste Rettungsmöglichkeit wird ausgelassen (3) Das Rechtsgut wird unmittelbar gefährdet (h.m.)» Nach h.m. und der weiten Auffassung hat M unmittelbar angesetzt. 2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 4. Strafbefreiender Rücktritt M könnte aber vom Totschlagsversuch zurückgetreten sein. 16

Vorprüfung 1. Tatbestand (+) I. Strafbarkeit der M gem. 212, 13, 22, 23 I 2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 4. Strafbefreiender Rücktritt a) Kein fehlgeschlagener Versuch (+) b) Anforderungen an die Rücktrittshandlung Die Anforderungen an die Rücktrittshandlung richten sich grds. danach, ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt (vgl. Rengier AT 37 Rn. 30 ff.). Da der Unterlassungstäter aber stets aktiv einschreiten muss, ist die Rücktrittshandlung immer nach den Regeln des beendeten Versuchs zu beurteilen (Rengier AT 49 Rn. 60). c) Rücktrittshandlung (+) d) Freiwilligkeit (+) 17

Vorprüfung I. Strafbarkeit der M gem. 212, 13, 22, 23 I 1. Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit (+) 3. Schuld (+) 4. Strafbefreiender Rücktritt (+) 5. Ergebnis: 212, 13, 22, 23 I (-) II. Strafbarkeit der M gem. 223, 224 I Nr. 5, 13 (+) 18