Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - gesetzlicher Mindestlohn - Ausschlussfristen Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, 27711 Osterholz-Scharmbeck Tel. 04791 96590-10 Fax 04791 96590-11 tim.jesgarzewski@drjesgarzewski.de Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Tarifvertrag, Ausschlussfrist, Mindestlohn, Unverzichtbarkeit Abstrakt Die Geltendmachung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach 3 Abs. 1 EFZG kann trotz seiner Unabdingbarkeit gemäß 12 EFZG grundsätzlich einer tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden. Eine tarifliche Ausschlussfrist ist jedoch nach 3 Satz 1 MiLoG unwirksam, soweit sie auch den während Arbeitsunfähigkeit nach den 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG fortzuzahlenden gesetzlichen Mindestlohn erfasst. Seite 1
I. Einleitung Seit 01.01.2015 gilt ein flächendeckender Mindestlohn nach 1 MiLoG. Dieser ist unverzichtbar nach 3 MiLoG. Der Gesetzgeber wollte mit Einführung dieser gesetzlichen Reglungen eine Lohnuntergrenze einziehen, die ein Mindestmaß an Vergütung festgelegt. Durch die Unverzichtbarkeit des Anspruchs auf den Mindestlohn wurde klargestellt, dass ein Arbeitnehmer oder seine kollektivrechtlichen Vertreter unter keinen Umständen über den gesetzlichen Anspruch disponieren können. Tatsächlich wurden und werden jedoch auf individual- wie auf kollektivrechtlicher Ebene regelmäßig Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis vereinbart. Durch solche Verkürzungen der gesetzlichen Verjährung wird folglich doch über den Mindestlohn disponiert. Fraglich ist, ob dies wirksam möglich sein kann. II. Sachstand Hierfür ist auf 3 MiLoG abzustellen. Dieser lautet: 3 Unabdingbarkeit des Mindestlohns Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist zu fragen, ob bzw. inwieweit eine tarifvertragliche Ausschlussfrist wirksam sein kann, wenn sie nicht den Mindestlohnanspruch ausdrücklich ausnimmt. Seite 2
III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil v. 12.07.2016 9 AZR 791/14) hatte vor diesem Hintergrund über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Der Kläger war seit dem Jahre 2012 bei dem beklagten Bauunternehmen als gewerblicher Arbeitnehmer zu einem Stundenlohn von 13 brutto beschäftigt. Mit Schreiben vom 17. September 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 2015. Die Kündigung wurde auch bestandskräftig. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und legte der Beklagten entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Während die Beklagte dem Kläger zunächst für den Monat September 2015 Vergütung zahlte, verweigerte sie die Entgeltfortzahlung für den Monat Oktober. Mit einem der Beklagten am 18. Januar 2016 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger sodann die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch für den Monat Oktober 2015 verlangt. Er hat vorgetragen, in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen zu sein. Der Kläger war der Ansicht, dass sein Anspruch auch entgegen der tariflichen Ausschlussfrist nicht verfallen sei. Auf das Arbeitsverhältnis findet zwar der für allgemeinverbindlich erklärte BRTV-Bau Anwendung. Dieser beinhaltet gemäß 14 Abs. 1 BRTV-Bau eine Ausschlussfristenregelung, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Nach Auffassung des Klägers sei die Ausschlussfrist insgesamt unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme. Die Vorinstanzen haben die Klage bezüglich des den gesetzlichen Mindestlohn von seinerzeit 8,50 Euro je Stunde übersteigenden Anteils der Forderung abgewiesen (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2017-19 Sa 1172/16). Der Anspruch sei insoweit nach 14 BRTV verfallen. Im Umfang des gesetzlichen Mindestlohns wurde der Klage entsprochen. Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil bestätigt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit folge aus den 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG. Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit des krankheitsbedingten Ausfalls das Entgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung erhalten hätte. Folglich habe der Arbeitnehmer auch während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Seite 3
Dieser Anspruch folgt zwar nicht unmittelbar aus 1 MiLoG, weil nach dieser Bestimmung der Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu entrichten ist. Da der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit jedoch so zu stellen sei, als hätte er gearbeitet, bleibe ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten. Außerdem gebiete es der Schutzzweck des 3 Satz 1 MiLoG, nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohns isd. 3 Satz 1 MiLoG beschränken, seien deshalb insoweit unwirksam. Zu solchen Vereinbarungen gehörten nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Die Ausschlussklausel sei indes nicht insgesamt unwirksam. Dies könne sich nur aus den AGB-rechtlichen Maßstäben der 305ff. BGB ergeben. Anders als arbeitsvertragliche Ausschlussfristen unterliegen Tarifregelungen gemäß 310 Abs. 4 Satz 1 BGB indes keiner Transparenzkontrolle. IV. Fazit Nach 1 MiLoG gilt ein flächendeckender allgemeiner Mindestlohn. Dieser ist nach 3 MiLoG auch unverzichtbar. Eine Ausschlussklausel stellt einen solchen Anspruchsverzicht dar. Für Ansprüche auf Entgeltfortzahlung gilt das gleiche, da diese vollumfänglich dem Entgeltanspruch folgen. Der Entscheidung ist daher im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen. Sie fußt direkt auf der gesetzgeberischen Wertung des MiLoG und der weiteren Mindestlohnregelungen, die den Anspruch auf Mindestlohn für unverzichtbar erklären. Ein ebensolcher Verzicht läge aber in einer Verfallklausel, der eine entsprechende Vereinbarung zugrunde liegen würde. Ob der Ausschluss individual- oder kollektivrechtlich geschieht, spielt hierfür keine Rolle. Fraglich ist einzig, ob die tarifvertragliche Klausel insgesamt unwirksam ist. Eine solche Wertung könnte sich aus den 305ff. BGB ergeben (zur Gesamtunwirksamkeit von arbeitsvertraglichen Ausschlussklauseln ausführlich BAG, Urteil v. 24.08.2016 5 AZR 703/15). Da der Gesetzgeber jedoch kollektivrechtliche Vereinbarungen ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des AGB-Rechts herausgenommen hat, scheidet dieser Prüfungsmaßstab aus. Im Bereich von Tarifverträgen ist damit klargestellt: Ansprüche nach dem MiLoG können nicht wirksam ausgeschlossen werden. Diese Tatsache ignorierende tarifvertragliche Ausschlussklauseln bleiben indes im Übrigen bestehen. Die für die Praxis sehr bedeutsame Frage einer (Un-)wirksamkeit von Ausschlussklauseln in Arbeitsvertragen drängt sich im vorliegenden Zusammenhang zwar auf. Sie muss aber in der vorliegenden kollektivrechtlichen Fallkonstellation leider noch unbeantwortet bleiben. Die Antwort auf diese Frage wird seit den Ausführungen zu 9 AEntG durch den fünften Senat mit Spannung erwartet (BAG, Urteil v. 24.08.2016 5 AZR 703/15). Eine Gelegenheit zu entsprechenden Ausführungen hat der Senat mit einer Seite 4
Entscheidung an demselben Tag leider verstreichen lassen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juni 2018-5 AZR 262/17). Die Rechtspraxis wird daher noch ein wenig Geduld aufbringen müssen, bis auch insoweit Rechtssicherheit geschaffen wird. Seite 5