ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN ZUSAMMENFASSUNG DER FOLGENABSCHÄTZUNG. Begleitunterlage zum. Vorschlag für Maßnahmen



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Transkript:

EUROPÄISCHE KOMMISSION Brüssel, den 27.11.2013 SWD(2013) 479 final ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN ZUSAMMENFASSUNG DER FOLGENABSCHÄTZUNG Begleitunterlage zum Vorschlag für Maßnahmen zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren {COM(2013) 821 final} {SWD(2013) 478 final} {SWD(2013) 500 final} DE DE

ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN ZUSAMMENFASSUNG DER FOLGENABSCHÄTZUNG Begleitunterlage zum Vorschlag für Maßnahmen zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren 1. PROBLEMSTELLUNG Allgemeine Probleme: 1. Die Grundrechte Verdächtiger und Beschuldigter sind infolge des unzureichenden Schutzes des Grundsatzes der Unschuldsvermutung in der EU nicht ausreichend geschützt. Die gemeinsamen Mindestnormen in Artikel 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden Charta ) und Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) reichen offenbar nicht aus, um diesen Grundsatz in der Praxis zu schützen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zeigt, dass immer wieder gegen diesen Grundsatz verstoßen wird. Die Unschuldsvermutung ist ein übergeordnetes Prinzip, das andere Verfahrensrechte ergänzt, einschließlich derjenigen, die bereits unionsrechtlich geregelt sind. Allgemeines Ziel ist es, das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten. Es kann kein faires Verfahren geben, wenn die Unschuldsvermutung missachtet wird. 2. Unzureichender Schutz der Grundrechte führt bei den Mitgliedstaaten zu unzureichendem Vertrauen in die Qualität der Justizsysteme der anderen Mitgliedstaaten. Dies behindert das reibungslose Funktionieren der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und der justiziellen Zusammenarbeit. Besondere Probleme: 1. Unzureichender Schutz vor öffentlicher Bezugnahme auf die Schuld durch Strafverfolgungs- und Justizbehörden vor einer Verurteilung. Behörden stellen Verdächtige oder Beschuldigte in Erklärungen oder amtlichen Beschlüssen mitunter so dar, als wären sie einer Straftat schuldig, bevor eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung vorliegt. 2. Unzureichender Schutz des Grundsatzes, dass die Beweislast bei der Strafverfolgungsbehörde liegt und dass Zweifel an der Schuld dem Beschuldigten zugutekommen müssen; insbesondere unzureichender Schutz in der Praxis, wenn die Beweislast auf die Verteidigung verlagert ist. DE 2 DE

3. Unzureichender Schutz des Rechts, sich nicht selbst zu belasten, einschließlich des Rechts, nicht mitzuwirken, und des Aussageverweigerungsrechts. In den Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten kann die Ausübung des Rechts, sich nicht selbst zu belasten und nicht mitzuwirken, und des Aussageverweigerungsrechts als Beweis gegen den Verdächtigen oder Beschuldigten verwendet werden; für den Fall einer Verletzung dieser Rechte gibt es häufig keine wirksamen, abschreckenden Rechtsbehelfe. 4. Unzureichender Schutz des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung 1 Ein Urteil oder jede andere Entscheidung, die zu einem Freiheitsentzug führen könnte, erfordert die Anwesenheit des Beschuldigten. Nicht alle Mitgliedstaaten verfügen über angemessene Rechtsbehelfe für den Fall einer Verletzung dieses Rechts. Betroffene Personengruppe Potenziell sind alle in Strafverfahren Verdächtige oder Beschuldigte betroffen. In der EU finden jedes Jahr rund 10 Mio. Strafverfahren statt. Zwischen dem 1.1.2007 und dem 31.12.2012 wurden zehn EU-Mitgliedstaaten vom EGMR in insgesamt 26 Rechtssachen wegen Verletzung des Rechts auf die Unschuldsvermutung verurteilt. Warum ist eine öffentliche Intervention erforderlich? Der derzeit unzureichende Schutz bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung beeinträchtigt das gegenseitige Vertrauen zwischen Justizbehörden und damit auch das reibungslose Funktionieren des Europäischen Raum des Rechts. Wie die Rechtsprechung des EGMR zeigt, haben dessen Grundsätze und Verfahren nicht zu einem ausreichenden Schutz in der Praxis geführt. Weitere Änderungen auf der Grundlage des bestehenden Rechtsrahmens sind in naher Zukunft unwahrscheinlich. Wenn die EU gesetzgeberisch tätig wird, steht nach dem Vertrag die gesamte Palette der Rechtsschutzverfahren der EU zur Verfügung, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten das in den EU-Rechtsvorschriften enthaltene Recht auf die Unschuldsvermutung beachten. Bestimmte Änderungen in den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten werden für notwendig erachtet, allerdings unter voller Wahrung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 2. SUBSIDIARITÄTSANALYSE Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Justizbehörden: Wegen seiner Bedeutung für das reibungslose Funktionieren des Europäischen Raums der Strafjustiz ersuchte der Europäische Rat die Kommission im Stockholmer Programm 2, das Thema Unschuldsvermutung anzugehen. Freizügigkeit: Personen, die außerhalb ihres Heimatlandes an Strafverfahren beteiligt sind, sollten darauf vertrauen können, durch ein allgemeines europäisches Recht auf die Unschuldsvermutung geschützt zu sein. Die EU-Charta enthält ein solches Recht, kann jedoch nur in einem konkreten Fall geltend gemacht werden, wenn die Sache in Zusammenhang mit der Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten steht. 1 2 Abgesehen von einigen genau definierten Ausnahmen ( Abwesenheitsurteile ). ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1. DE 3 DE

Grenzen des EGMR: Der EGMR allein kann keinen angemessenen Schutz gewährleisten. Mit einigen Aspekten der Unschuldsvermutung hat sich der EGMR noch nicht eingehend oder in letzter Zeit nicht befasst (z. B. mit den genauen Folgen einer Rechtsverletzung und den Rechtsbehelfen). Das Beschwerdeverfahren beim EGMR ist nicht zufriedenstellend, da es erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe eingeleitet werden kann und unter einem großen Rückstand anhängiger Prozesse leidet. 3. ZIELE DER EU-INITIATIVE Die allgemeinen Ziele bestehen darin, (1) ein hohes Schutzniveau für die grundlegenden Verfahrensrechte in Strafverfahren zu gewährleisten; (2) das gegenseitige Vertrauen zu stärken und dadurch die justizielle Zusammenarbeit zu verbessern. Die spezifischen Ziele bestehen darin sicherzustellen, dass (1) Verdächtige oder Beschuldigte während des gesamten Strafverfahrens bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gelten und von den Justizbehörden der Mitgliedstaaten auch so behandelt werden; (2) Behörden, die mit der justiziellen Zusammenarbeit befasst und am Vollzug einer strafrechtlichen Sanktion, an der Ausführung einer Ermittlungsmaßnahme oder an der Vollstreckung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Europäischen Haftbefehls beteiligt sind, darauf vertrauen können, dass die zugrundeliegende Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat unter uneingeschränkter Achtung der Unschuldsvermutung erlassen wurde. Die operativen Ziele bestehen darin sicherzustellen, dass (1) kein Verdächtiger oder Beschuldigter vor einem rechtskräftigen Urteil von Justizbehörden als schuldig dargestellt wird; (2) die Beweislast für die Schuld des Verdächtigen oder Beschuldigten bei der Strafverfolgungsbehörde liegt und Zweifel dem Verdächtigen oder Beschuldigten zugutekommen; (3) das Recht des Verdächtigen oder Beschuldigten, sich nicht selbst zu belasten, einschließlich des Rechts, nicht mitzuwirken, und sein Aussageverweigerungsrecht in allen Phasen des Verfahrens angemessen geschützt sind; (4) das Urteil in Anwesenheit des Beschuldigten ergeht, außer in Sonderfällen ( Abwesenheitsurteile ). 4. OPTIONEN Es wurden vier Optionen geprüft: (1) Option 1 Beibehaltung des Status quo: keine Maßnahmen auf EU-Ebene DE 4 DE

(2) Option 2 keine legislativen Maßnahmen: Ausarbeitung von Leitlinien und Schulungen zu bewährten Verfahren, Informationsaustausch über mögliche vorbildliche Verfahren und besseres Monitoring (3) Option 3 zwei legislative Maßnahmen: (a) (b) Option 3a Richtlinie zur Festlegung von Mindestvorschriften zur Bestätigung des EGMR-Besitzstands in Bezug auf jedes der spezifischen Probleme und Einführung geeigneter, wirksamer Rechtsbehelfe für den Fall einer Rechtsverletzung Option 3b Richtlinie wie bei Option 3a, jedoch mit Mindestvorschriften für ein höheres Schutzniveau als das des EGMR-Besitzstands (abgesehen von der öffentlichen Bezugnahme auf die Schuld durch Justizbehörden, wo es nicht möglich ist, über den EGMR-Grundsatz hinauszugehen) durch Begrenzung oder sogar Ausschluss der Möglichkeit von Ausnahmeregelungen zu den allgemeinen Grundsätzen 5. FOLGENABSCHÄTZUNG 5.1. Wirksamkeit bei der Erreichung der Ziele (1) Option 1 Schutzniveau unverändert, keine Stärkung des gegenseitigen Vertrauens (2) Option 2 mangels Rechtsvorschriften geringer Anreiz für die Mitgliedstaaten, die Probleme anzugehen (3) Optionen 3a und 3b (a) (b) (c) (d) (e) Das gegenseitige Vertrauen würde durch gemeinsame Mindestnormen gestärkt. Es entstünden weniger Verzögerungen in der justiziellen Zusammenarbeit und weniger Kosten durch Verzögerungen, abgebrochene Verfahren, Neuverhandlungen und Rechtsbehelfe. Bei Option 3b würde das gegenseitige Vertrauen noch weiter gestärkt. Anders als die Option Status quo oder die Option ohne legislative Maßnahmen kann die Legislativoption durchgesetzt werden. Den Verdächtigen oder Beschuldigten würden Mindestnormen für die Unschuldsvermutung und geeignete Rechtsbehelfe zugutekommen. Bei Option 3b würden den Verdächtigen oder Beschuldigten strengere Mindestnormen zugutekommen. Für den Fall einer Rechtsverletzung würden wirksame Rechtsschutzverfahren gegen die Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Es käme seltener zu Justizirrtümern, was nicht nur die allgemeine Wahrnehmung der Justiz durch Verdächtige und Beschuldigte, Opfer, Justizbehörden, Strafverteidiger und die breite Öffentlichkeit verbessern, sondern auch die Kosten verringern würde, die den Mitgliedstaaten durch den DE 5 DE

unzureichenden Schutz dieses Rechts entstehen (Kosten innerstaatlicher Rechtsbehelfsverfahren). 5.2. Soziale Folgen und Grundrechte (1) Option 1 keine Verbesserung (2) Option 2 mangels Durchsetzungsmöglichkeiten wahrscheinlich unterschiedliche Verbesserungen je nach Mitgliedstaat (3) Optionen 3a und 3b (a) (b) Der Schutz der Grundrechte Verdächtiger oder Beschuldigter würde durch Präzisierung des Inhalts von Artikel 48 der EU-Charta verbessert. Bei den Strafverfolgungs- und Justizbehörden würde ein schrittweiser Kulturwandel in Bezug auf die Wahrung des Rechts auf die Unschuldsvermutung eingeleitet. (c) Möglicherweise würde gegen das Verhältnismäßigkeits- und das Subsidiaritätsprinzip verstoßen, wenn alle Aspekte der Optionen 3a und 3b umgesetzt würden. (d) (e) Es besteht die Gefahr, die Rechtsprechung des EGMR, die sich ständig weiterentwickelt, durch einen verbindlichen Rechtsakt der EU zu kodifizieren. Würde die Rechtsprechung den Schutz verstärken, wäre eine verbindliche Richtlinie zur Festlegung des derzeitigen Schutzniveaus nicht auf dem neuesten Stand. Option 3b könnte nachteilige Auswirkungen auf die Rechtspflege haben, da die Rechte des Einzelnen in einem Maße gestärkt würden, dass letztendlich die Effizienz der Ermittlungs- und Strafverfolgungsverfahren beeinträchtigt werden könnte. 5.3. Auswirkungen auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (1) Option 1 Die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten würden bestehen bleiben, da sie sich im rein nationalen Rahmen weiterentwickeln. (2) Option 2 nur begrenzte Auswirkungen: Gesetzesreformen sind unvorhersehbar, da sie vom guten Willen der nationalen Gesetzgeber abhängen. (3) Optionen 3a und 3b Mehrere Mitgliedstaaten müssten ihre Rechtsvorschriften zur Behebung spezifischer Probleme ändern. 5.4. Finanzielle und wirtschaftliche Auswirkungen 3 (1) Option 1 Keine unmittelbare finanzielle Belastung, aber auch keine Verringerung der derzeitigen Kosten für EGMR-Verfahren und innerstaatliche 3 Bei den Optionen 3a und 3b würden zusätzliche Kosten von schätzungsweise 1,3 Mio. EUR pro Jahr für das Monitoringsystem entstehen, das in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erfüllung der Berichtspflichten und die Erhebung der einschlägigen Daten eingerichtet werden muss. DE 6 DE

Rechtsbehelfsverfahren, Neuverhandlungen und finanzielle Entschädigungen wegen Verletzung des Rechts des Verdächtigen auf die Unschuldsvermutung. (2) Option 2 Kosten für Workshops, Schulungen und den Austausch bewährter Verfahren von schätzungsweise weniger als 8 Mio. EUR pro Jahr für jeden der Aspekte der Unschuldsvermutung, außer für die Ausarbeitung von Leitlinien (einmalige Kosten von 47 520 EUR). Bei Durchführung dieser Maßnahmen für alle vier Aspekte würden die Gesamtkosten durch ein hohes Maß an Synergie sinken. (3) Option 3a Langfristig dürften sich die nachstehend geschätzten finanziellen Auswirkungen schrittweise verringern, da die Unschuldsvermutung stärker geachtet und weniger Rechtsbehelfe eingelegt würden. Es könnten Schulungskosten für Strafverteidiger, Polizeibeamte und Justizangehörige entstehen. Nachstehend sind die jährlichen Kosten für alle Mitgliedstaaten geschätzt. (a) (b) (c) (d) Keine öffentliche Bezugnahme auf die Schuld Kosten für einen zusätzlichen Rechtsbehelf (Neuverhandlung) für alle Mitgliedstaaten außer AT, FI, LT, PL und SE: 240 000 EUR. Keine nennenswerten Kosten für andere spezifische Rechtsbehelfe (Ablehnung des Richters, Anspruch auf Schadensersatz). Beweislast liegt bei der Strafverfolgungsbehörde/Zweifel an der Schuld kommen dem Beschuldigten zugute Kosten für einen zusätzlichen Rechtsbehelf (Neuverhandlung) für alle Mitgliedstaaten außer AT, FR und UK: zwischen 92 000 und 920 000 EUR. Recht, sich nicht selbst zu belasten, einschließlich des Rechts, nicht mitzuwirken, und Aussageverweigerungsrecht Falls es sich bei dem zusätzlichen Rechtsbehelf um die Neuverhandlung handelt (die derzeit nur in AT, FI, FR und HU möglich ist): Kosten zwischen 98 000 und 980 000 EUR; falls es sich bei dem zusätzlichen Rechtsbehelf um die Unzulässigkeit von unter Verletzung dieses Rechts erlangten Beweismitteln vor Gericht handelt, würden die Kosten dem höheren Ermittlungsaufwand in BE, BG, CY, EE, ES, HR, IE, LT, LV, NL, PL, SE entsprechen (schätzungsweise zwischen 7 500 und 75 000 EUR). Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung Kosten für einen zusätzlichen Rechtsbehelf (Neuverhandlung) für BE, BG, HU, LV: 523 000 EUR. (4) Option 3b (a) Keine öffentliche Bezugnahme auf die Schuld wie Option 3a. (b) (c) Beweislast liegt bei der Strafverfolgungsbehörde/Zweifel an der Schuld kommen dem Beschuldigten zugute höherer Ermittlungsaufwand in den Mitgliedstaaten, in denen die Beweislast derzeit umgekehrt werden kann (BE, HR, FR, HU, IE, PT, ES, SE und UK); begrenzte Zahl von Fällen bei Option 3b. Nach dem wahrscheinlichen Szenario werden die Kosten auf 2,9 Mio. EUR geschätzt. Recht, sich nicht selbst zu belasten, Recht, nicht mitzuwirken, und Aussageverweigerungsrecht höherer Ermittlungsaufwand in den Mitgliedstaaten, in denen dieses Recht nicht absolut gilt (BE, CY, UK, FI, FR, DE 7 DE

IE, LV, NL und SE); dieses System würde bei Option 3b abgeschafft. Nach dem wahrscheinlichen Szenario werden die Kosten auf 27 Mio. EUR geschätzt. (d) Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung Kosten würden für zusätzliche Polizeiressourcen entstehen, um die physische Präsenz des Verdächtigen oder Beschuldigten in der Verhandlung zu gewährleisten (alle Mitgliedstaaten außer CY, IE und DE); derzeit wird nach bestehendem Recht in seiner Abwesenheit verhandelt. Eingespart würden die Kosten für alle Neuverhandlungen (wenn alle Personen in der Verhandlung anwesend sein müssen, ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf für Verhandlungen in Abwesenheit erforderlich). Die Gesamtkosten liegen schätzungsweise zwischen 5,5 Mio. EUR und 22 Mio. EUR. 6. VERGLEICH DER OPTIONEN / BEVORZUGTE OPTION Die bevorzugte Option ist eine Kombination von Elementen der Optionen 2, 3a und 3b. Sie steht in jeder Hinsicht mit dem Subsidiaritäts- und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einklang, da sie ein nach den einzelnen Aspekten der Unschuldsvermutung differenziertes Eingreifen der EU vorsieht, das von mehreren Faktoren abhängt: i) Auswirkungen auf das reibungslose Funktionieren der Rechtsinstrumente auf dem Gebiet der gegenseitigen Anerkennung: besondere Aufmerksamkeit sollte den Aspekten gewidmet werden, durch die konkrete, greifbare Rechte für die Bürger geschaffen werden, und nicht den allgemeinen Grundsätzen des Strafprozessrechts; ii) ein stärkeres Eingreifen der EU ist bei den Aspekten erforderlich, die durch das nationale Recht nicht angemessen geschützt sind und bei denen die Probleme über die praktische Anwendung der Rechtsvorschriften hinausgehen; iii) ein stärkeres Eingreifen der EU ist bei den Aspekten erforderlich, bei denen der durch die Rechtsprechung des EGMR gesetzte Standard für einen gemeinsamen Raum der Strafjustiz nicht hoch genug ist (1) Keine öffentliche Bezugnahme auf die Schuld Option 3a, aber ohne spezifischen Rechtsbehelf, da die Rechtslage in den Mitgliedstaaten akzeptabel ist und dieser Aspekt nur in geringerem Maße mit dem Funktionieren des europäischen Rechtsraums in Zusammenhang steht. (2) Beweislast liegt bei der Strafverfolgungsbehörde/Zweifel an der Schuld kommen dem Beschuldigten zugute Option 3a, aber ohne spezifischen Rechtsbehelf, da dieser Aspekt in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bereits ausreichend geschützt ist. (3) Recht, sich nicht selbst zu belasten, Recht, nicht mitzuwirken, und Aussageverweigerungsrecht Kombination von Optionen 3a und 3b: Festlegung der allgemeinen Grundsätze, die sich aus der Rechtsprechung des EGMR ergeben, und Einführung eines spezifischen Rechtsbehelfs für den Fall von Rechtsverletzungen Nichtzulässigkeit von Beweismitteln (Option 3a), Zulassung von Ausnahmeregelungen zum Recht, nicht mitzuwirken, im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR (Option 3a), Nichtzulassung nachteiliger Schlussfolgerungen aus der Ausübung dieser Rechte (Option 3b). DE 8 DE

(4) Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung Option 3a, einschließlich der Einführung eines spezifischen Rechtsbehelfs (Neuverhandlung). (5) Horizontal: Die Umsetzung würde durch horizontale Maßnahmen in den Bereichen Monitoring, Evaluierung und Schulung (Teile der Option 2) unterstützt. Mangels verlässlicher Daten sind vorläufig die verfügbaren Zahlen angegeben. Alle Mitgliedstaaten wären betroffen, allerdings in unterschiedlichem Maße. Nach dem wahrscheinlichsten Szenario würden bei der bevorzugten Option die folgenden Kosten entstehen: keine Kosten (außer für Schulung, Evaluierung und Monitoring) in Bezug auf die beiden ersten Aspekte der Unschuldsvermutung; Verbot, aus Schweigen Schlüsse zu ziehen: 27 Mio. EUR jährlich für insgesamt 9 Mitgliedstaaten; Nichtzulässigkeit von Beweismitteln, die unter Verletzung des Rechts, nicht mitzuwirken, erlangt wurden: geschätzte Kosten zwischen 7 500 EUR und 75 000 EUR jährlich für insgesamt 12 Mitgliedstaaten; Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung: geschätzte Kosten von 523 000 EUR jährlich für insgesamt 4 Mitgliedstaaten; zusätzlicher Betrag von schätzungsweise 1,3 Mio. EUR jährlich für das Monitoringsystem und die Erfüllung der Berichtspflichten durch die Mitgliedstaaten. Gesamtkosten pro Mitgliedstaat (Mindest-/Höchstkosten 4 ): AT 305 164, BE 1 847 230 / 1 851 762, BG 126 521 / 126 985, HR 127 099 / 128 386, CY 266 173 / 267 655, CZ 158 698, EE 56 703 / 56 983, FI 640 664, FR 8 783 153, DE 6 630 288, EL 190 790, HU 231 851, IE 590 601 / 592 155, IT 480 388, LV 281 997, LT 93 657 / 94 047, LU 207 765 / 208 203, MT 82 850, NL 6 590 604 / 6 599 749, PL 373 953 / 382 782, PT 226 718, RO 144 338, SK 961 808, SI 133 248, ES 643 779 / 668 089, SE 1 589 620 / 1 591 443, UK 9 664 550 / 9 678 626. 7. MONITORING UND EVALUIERUNG Da den Mitgliedstaaten bei der bevorzugten Option nur in relativ begrenztem Umfang Verpflichtungen auferlegt werden (die zudem in gewissem Maße bestehenden Verpflichtungen aus der EMRK oder verfassungsrechtlichen oder sonstigen rechtlichen Verpflichtungen in vielen Mitgliedstaaten entsprechen), dürfte eine achtzehnmonatige Frist ausreichen, um die erforderlichen Änderungen an den Rechtsvorschriften und der Praxis der Mitgliedstaaten vorzunehmen. In der Richtlinie wird festgelegt, dass die Mitgliedstaaten über die wirksame Umsetzung der legislativen und sonstigen Maßnahmen Bericht erstatten müssen. Die Mitgliedstaaten sollten begleitend dazu einschlägige verlässliche Daten erheben, da es hieran zurzeit fehlt. 4 Nicht für alle Mitgliedstaaten sind Mindest- und Höchstkosten angegeben, da sie von bestimmten Maßnahmen, über die sie bereits verfügen, nicht betroffen sind. DE 9 DE

Die Kommission plant eine spezielle empirische Untersuchung, die sich schwerpunktmäßig auf eine drei- bis fünfjährige Datensammlung bezüglich der Umsetzung des Instruments 5 stützen wird, um eingehende quantitative und qualitative Erkenntnisse zur Wirksamkeit des Vorschlags erlangen zu können. Alle erhobenen Daten würden die Kommission in die Lage versetzen, die tatsächliche Einhaltung in den Mitgliedstaaten auf einer solideren Grundlage als mit den bisher verfügbaren Mitteln zu evaluieren. 5 ABl. C 291 vom 4.12.2009, S. 1. DE 10 DE