Abstract Titel Wenn das Leben aus den Fugen gerät. Psychosoziale Krisen Eine Gratwanderung zwischen Bewältigen und Scheitern. Kurzzusammenfassung Die Arbeit beschreibt die Bewältigung von psychosozialen Krisen und den Einfluss von Resilienz diesbezüglich. Des Weiteren werden Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit im Sinne von ressourcenfördernden Faktoren - am Beispiel der Krisenintervention - aufgezeigt. Autor(en): Carmen Nicolini und Myriam Thomann Referent/-in: Prof. Stefan Ribler Publikationsformat: BATH MATH Semesterarbeit Forschungsbericht Anderes Veröffentlichung: 2014 Sprache: deutsch Zitation: Nicolini, Carmen & Thomann, Myriam. (2014). Wenn das Leben aus den Fugen gerät. Psychosoziale Krisen Eine Gratwanderung zwischen Bewältigen und Scheitern. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, FHS St.Gallen, Fachbereich Soziale Arbeit. Schlagwörter (Tags): Soziale Arbeit, Krisen, Resilienz, Bewältigung, Krisenintervention, Integrität 1
Ausgangslage Die Thematik der Risikogesellschaft verweist auf den gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung, welcher beinhaltet, dass Menschen in ihrer Lebensbewältigung immer nach psychosozialer und biografischer Handlungsfähigkeit streben. Psychosoziale sowie subjektbezogene Problemstellungen stellen das Individuum jedoch vor diverse Herausforderungen in der alltäglichen Lebensbewältigung. Ein verlässlicher Rahmen wird immer weniger gewährleistet. Mit dem zunehmenden Zwang zur Selbstorganisation im gegenwärtigen Strukturwandel tritt der Bewältigungscharakter der Lebenslage umso stärker hervor. Viele sind durch die verlorene soziale Verlässlichkeit der industriellen Moderne entgrenzt. In dieser Dynamik werden individuelle Biographien immer öfters zu einer Aufschichtung von Bewältigungserfahrungen, indem sie immer wieder neuen kritischen Lebensereignissen ausgesetzt sind (vgl. Böhnisch, 2012, S. 31). Dieses Zusammenspiel erhöht die Wahrscheinlichkeit von psychosozialen Krisen. Die Soziale Arbeit als lebensweltorientierte Profession konzentriert sich auf die Lösung sozialer Probleme, wobei psychosoziale Krisen einen entscheidenden Gegenstand darstellen. Insofern sind Professionelle der Sozialen Arbeit Akteure sozialen Wandels innerhalb der Gesellschaft wie auch innerhalb der Lebenswelt der Individuen, Familien und sozialen Organisationen, in deren Auftrag sie arbeiten. Die Soziale Arbeit geht auf Krisen und Notlagen ebenso ein, wie auf alltägliche persönliche und gesellschaftliche Probleme. Psychosoziale Krisen sind, aufgrund der potenziellen Krisenbetroffenheit jeder und jedes Einzelnen, Gegenstand in jedem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit. Neben der Auseinandersetzung mit Methoden, Modellen und Interventionsmassnahmen in Bezug auf den Umgang mit Krisen auf der Ebene der Klientinnen und Klienten, beinhaltet das Thema auch immer den Umgang mit eigenen und professionellen Grenzen und wird so zu einem persönlichen und beruflichen Anliegen. In einer Gesellschaft, die auf effiziente Lösungen von Problemen ausgerichtet ist, schliesst die Soziale Arbeit den Aspekt mit ein, dass trotz aller Anstrengungen und dem Streben nach Handlungsfähigkeit nicht alle Herausforderungen bewältigt werden können. Angehörige beratender Professionen sind manchmal überfordert, wenn keine passende Problemlösung bereit steht und die Grenzen der Machbarkeit vor Augen geführt werden. Zudem laufen sie auch Gefahr, in der Ausübung ihrer Tätigkeit, selbst Opfer von Integritätsverletzungen zu werden. Ziel Die Erforschung von Schutz- und Risikofaktoren, als Grundlage zur Ressourcenerschliessung für die Förderung von Resilienz sowie anderen positiven und erfolgsversprechenden Bewältigungsmechanismen und Verhaltenweisen, kann aufschlussreiche und relevante 2
Erkenntnisse für Interventionsmassnahmen im Berufsfeld der Sozialen Arbeit bezüglich Krisen liefern. Zudem kann ein Beitrag zur Prävention vor Integritätsverletzungen seitens der Professionellen der Sozialen Arbeit geleistet werden. Zusätzlich könnten, trotz Technologiedefizit, mit Hilfe des Theorie-Praxis-Transfers wichtige Grundprinzipien im Umgang mit Krisen erschlossen werden und handlungsleitende Ansätze daraus resultieren. Die daraus abgeleitete Fragestellung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Welche Potenziale bietet die Soziale Arbeit in Bezug auf die Mobilisierung von Bewältigungsstrategien und die Aktivierung von Widerstandskräften aufgezeigt am Beispiel der Krisenintervention - um gestärkt aus psychosozialen Krisen hervorzugehen? Es wird von der These ausgegangen, dass die Soziale Arbeit mit gezielten Interventionen dazu verhelfen kann, dass psychosoziale Krisen bei ausreichender Bewältigung zu Chancen in der persönlichen Entwicklung werden können. Vorgehensweise Kritische Lebensereignisse beinhalten das Risiko, bei einer unzureichenden Bewältigung in einer psychosozialen Krise zu münden. Psychosoziale Krisen treten in verschiedenen Formen auf und nehmen unterschiedliche Verläufe an. Sie sind durch einen Verlust von Handlungs- und Orientierungsfähigkeiten gekennzeichnet. Aus Sicht der Entwicklungstheorie bergen Krisen jedoch auch immer die Chance für eine positive persönliche Entwicklung. Bereits der Titel impliziert, dass ein Krisenverlauf immer einen negativen als auch positiven Ausgang verzeichnen kann. Obwohl Krisen in der Umgangssprache generell eher negativ belastet sind, wird die Wendung zum Guten, im besten Fall vielleicht sogar zum Besseren, im Zuge dieser Arbeit immer mitgedacht. Die Gratwanderung zwischen dem Bewältigen und Scheitern einer Krise und welche Schritte auf dem Weg dieses Prozesses entscheidend sind, wird in den folgenden sechs Kapiteln beschrieben. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Definition und den Merkmalen von psychosozialen Krisen. Welche Aspekte beeinflussen die Entstehung einer Krise und welche Faktoren beeinflussen ihren Verlauf? Wie sind die einzelnen Phasen gekennzeichnet und wie werden psychosoziale Krisen überhaupt klassifiziert? Welche Gefahren bergen sich hinter Krisen und welche Chancen ergeben sich allenfalls für die Betroffenen daraus? Welche Warnsignale gelten als eine mögliche Gefährdung und weshalb ist es wichtig, diese richtig einzuschätzen? Das zweite Kapitel befasst sich mit der Resilienztheorie. Ein Phänomen, dass es Menschen ermöglicht, trotz enormer Belastungen, welche eine positive Entwicklung bedrohen, scheinbar unbeschadet, wenn nicht sogar gestärkt, aus kritischen Lebensereignissen und Krisen 3
hervorgehen - kurzum dem Leben zu widerstehen. Welche Faktoren tragen dazu bei, dass sich zahlreichen Risiken ausgesetzte Menschen positiv entwickeln? Ist Resilienz in bestimmten Menschen als genetische Eigenschaft angelegt oder eher ein Produkt des Sozialisationsprozesses? Was ist unter dem Risiko- und Schutzfaktorenkonzept zu verstehen und wie wirkt es sich auf das Gleichgewicht einer Person aus? Welche Erkenntnisse liefert die Resilienztheorie für mögliche Interventionen seitens der Sozialen Arbeit in Bezug auf den Umgang mit Krisen? Im dritten Kapitel wird der Fokus auf die Bewältigung von alltäglichen Lebensanforderungen und kritischen Lebensereignissen gelegt. Wie verhalten sich Krisenbetroffene angesichts der Bewältigungsanforderungen und welche Rolle spielen dabei Bewältigungsmechanismen? Mit Hilfe des Belastungs-Bewältigungsmodells nach Hurrelmann (2006) sowie dem Bewältigungsmodell nach Böhnisch (2012) wird der Bewältigungsprozess erläutert. Daraus abgeleitet, wird die hohe Signifikanz eines stabilen Selbstwertes, aufgezeigt. In Anlehnung an das erweiterte Lebenslagenkonzepts nach Meier Kressig und Husi (2013) werden für die verschiedenen Lebensbereiche konkrete Interventionsmöglichkeiten zur Krisenbewältigung erläutert. Darauf aufbauend wird im vierten Kapitel die Handlungsmethode der Krisenintervention, als konkretes Beispiel aus dem Methodenspektrum der Sozialen Arbeit, als potenzielle Erfolgschance, in Bezug auf die Krisenbewältigung, vorgestellt. Welche Grundvoraussetzungen müssen für eine effektive Unterstützung und Begleitung von Krisenbetroffenen gegeben sein? Welches sind die wichtigsten Schritte in der akuten Phase? Gibt es überhaupt einen konkreten Ablauf als Leitfaden für die Durchführung? Wer ist alles involviert und wo werden gegebenenfalls Triagen gemacht? Was ist das konkrete Ziel einer Krisenintervention, wo endet die Zusammenarbeit und kann ein Erfolg überprüft werden? In der Auseinandersetzung mit psychosozialen Krisen stellt sich weiter die Frage, wie sich Professionelle der Sozialen Arbeit vor eigenen Integritätsverletzungen schützen können. In diesem Zusammenhang wird der Integritätsbegriff nach Pollmann (2005) näher vorgestellt und mögliche Präventionsmassnahmen wie die Psychohygiene, die Selbstreflexion, das Coaching, die Supervision sowie die Kollegiale Beratung näher erläutert. Schliesslich wird im fünften Kapitel versucht, die Theoriebezüge aus den vorhergehenden Kapiteln in der Praxis zu überprüfen. Anhand von Befragungen drei gezielt ausgewählter Organisationen der Sozialen Arbeit, welche sich in ihrem professionellen Alltag direkt mit Krisen und deren Interventionen beschäftigen, wird eine Auswertung der Theorietauglichkeit vorgenommen. Hierzu wird die Methode des Leitfadeninterviews angewendet, wobei die Ergebnisse in fünf Kategorien dargestellt werden. Die Kategorien untersuchen das Angebot und den Zugang der jeweiligen Organisationen, den Ablauf einer Krisenintervention, 4
die Ausbildungen und Kompetenzen der Mitarbeitenden, die Zusammenarbeit mit anderen Fachstellen, so wie die internen und externen Angebote bezüglich Psychohygiene respektive anderen protektiven Massnahmen. Ist es in der Praxis möglich, anhand von theoretischen Modellen in einer akuten Krise zu intervenieren? Sind die aus der Theorie erörterten Grundprinzipien deckungsgleich? Werden Präventionsmassnahmen für Integritätsverletzungen seitens der Sozialarbeitenden in den Berufsalltag integriert? In einem Gesamtfazit werden alle Ergebnisse aus den Interviews nochmals in den jeweiligen Kategorien verdichtet und als Erkenntnisse in die Verknüpfung der Schlussfolgerungen einbezogen. Erkenntnisse Es hat sich gezeigt, dass Krisenintervention eine der Kernaufgaben der Sozialen Arbeit darstellt. Ausgehend von der Annahme, dass jede Krise Chance und Risiko gleichermassen darstellt, begegnen Sozialarbeitende in der täglichen Arbeit Menschen, deren seelisches Gleichgewicht durch ein kritisches Lebensereignis bedroht ist. Die Folgen der unverhältnismässig grossen Aufbringung von Energie zur Bewältigung dieser Belastungen (Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit), löst häufig psychosoziale Krisen aus. Durch professionelle Interventionen können Krisen aufgefangen werden. Konkret geht es um die Klärung einer Krisensituation und in diesem Zusammenhang um Schutz bei akuter Gefährdung, eine deeskalierende Einwirkung auf die Betroffenen und ihr Umfeld, das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten (Hilfe zur Selbsthilfe) und die Beratung hinsichtlich möglicher Hilfen und gegebenenfalls deren Einleitung. Um den Bewältigungsprozess (im Zuge einer längerfristigen Krisenberatung / -begleitung) positiv zu beeinflussen, ist die Mobilisierung und Aktivierung von personalen und sozialen Ressourcen zentral. Der Bewältigungsprozess selbst ist nicht Teil einer eigentlichen Krisenintervention, die Qualität derselben kann sich jedoch entscheidend darauf auswirken und zielt natürlich immer auf ein Gelingen hin. Erfolge wie auch Misserfolge können dabei nicht auf die Intervention zurückgeführt werden. Es wird deutlich, dass nicht auf ein Pauschalkonzept zur Krisenintervention zurückgegriffen werden kann. Bewältigungsverhalten entwickelt sich im Zuge der Sozialisation und ist darum individuell geprägt, was bewirkt, dass nicht allgemeingültig (Technologiedefizit) interveniert werden kann sondern, entlang von Grundprinzipien und Handlungsmaximen, internalisiert gearbeitet wird. Umso wichtiger ist die multiprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Qualität kann anhand der Erreichbarkeit, der Flexibilität und der Handlungskompetenz des Hilfesystems sowie struktureller und örtlicher Ressourcen abgebildet werden. Dabei stellen sich Fragen nach einem niederschwelligen Zugang, von qualifizierten und kompetenten 5
Beratenden Rund um die Uhr, nach der Vernetzung des Angebotes, nach neutralen und geschützten Krisenräumen und nach freiwilliger Inanspruchnahme von Hilfen beziehungsweise einer Behandlung gegen den eigenen Willen. Durch Psychohygiene, welche von Organisationen Sozialer Arbeit durch interne und externe Angebote bewusst gefördert werden sollte, können sich Professionelle vor Integritätsverletzungen schützen, da diese aufgrund der hohen Anforderungen ein grosses Risiko darstellen und die Qualität der Krisenarbeit beeinträchtigen. Literaturquellen (Auswahl) Filipp, Sigrun-Heide & Aymanns, Peter. (2010). Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen. Vom Umgang mit den Schattenseiten des Lebens (1. Aufl.). Stuttgart: W.Kohlhammer. Fröhlich-Gildhoff, Klaus & Rönnau-Böse, Maike. (2011). Resilienz (2., durchgesehene Aufl.). München: Ernst Reinhardt. Kunz, Stefanie, Scheuermann, Ulrike & Schürmann, Ingeborg. (2009). Krisenintervention. Ein fallorientiertes Arbeitsbuch für Praxis und Weiterbildung (3., aktualisieret Aufl.). Weinheim und München: Juventa. Stein, Claudius. (2009). Spannungsfelder der Krisenintervention (1. Aufl.). Stuttgart: W. Kohlhammer. Wustmann, Corina. (2012). Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Beiträge zur Bildungsqualität, hrsg. von W. E. Fthenakis (4., unverändert. Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor 6