Religiosität, Sozialisation und Wertorientierungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Eine vergleichende Untersuchung Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Vergleichsgruppenstudie unterschiedlichster Populationen Jugendlicher, die inhaltlich an die Vorarbeiten der Forschergruppe Religiosität und Familie anknüpft. Im Rahmen dieses Projektes wurde eine modifizierte Version des Erhebungsinstrumentes der Forschergruppe eingesetzt. So wurden einerseits Hauptschüler und Gymnasiasten, Berufsschüler sowie Studenten und andererseits junge Inhaftierte aus Ost- und Westdeutschland befragt. Der Hintergrund dieser Sampleauswahl bestand in der Überlegung ein möglichst kontrastreiches Spektrum jugendlicher Lebenswelten abzudecken. So stand zu Beginn die Annahme, dass sich junge Inhaftierte und junge Studenten nicht nur in ihren aktuellen Lebenswelten sehr stark voneinander unterscheiden sondern auch in der Sozialisation, die sie erfahren haben und ihren gegenwärtigen Lebenseinstellungen und Wertorientierungen. Exemplarisch werden nachfolgend einige Befunde zu den Bereichen Sozialisation den Wertorientierungen und Selbsteinschätzung Religiosität widergegeben.
Methode: Das Erhebungsinstrument beinhaltet 260 Fragen: Religiosität, religiöse Sozialisation und praktizierte Religiosität - Fragen Erziehungsstile und (traumatische) Erfahrungen in der Kindheit - Fragen Leistungsverweigerung in der Schule - 15 Fragen problematisches Freizeitverhalten (aus kriminologischer Perspektive) - 12 Fragen Alkoholkonsum, Drogenkonsum, Eigentumsdelikte und Polizeikontakte - 22 Fragen Rechtsbewusstsein - 25 Fragen psychische Befindlichkeit im Jugendalter - 24 Fragen Werteorientierungen der Jugendlichen - 34 Fragen soziodemografische Merkmale - Fragen
Erhebungsdesign Als empirische Basis dienen Daten einer Befragung von rund 20 jungen Menschen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren. Zeitraum der Erhebung war Frühjahr 03 bis Sommer 04. Um gezielt ein problematisches Klientel zu erreichen, wurden neben zwei Jugendstrafvollzugsanstalten in Ost- und Westdeutschland auch Schulen aus dem städtischen Milieu in Baden-Württemberg ausgewählt, die einerseits ein besonders hohes Konfliktpotential aufweisen und andererseits einen sehr hohen Migrantenanteil haben (über 90%). Als Vergleichsgruppen wurden Schüler an Gymnasien und Studierende der Sozialpädagogik an Fachhochschulen befragt. Im Sample lassen sich 74 unterschiedliche Nationen ermitteln, die beiden größten Gruppen stammen aus der Türkei und den Nachfolgestaaten der ehem. UDSSR.
Befragungsorte (n=2645) Stud. 412 Strafv West. 1 Strafv. Ost.. 1 Gymn. 982 Haupts. 0 BVJ 83
Nationalitäten im Sample (n=2648) k.n. 21,7% andere 18,7% 59,6% deutsch
Nationalität Unterscheidung nach Befragungsort (n=2648) 100 90 60 12 69 54 14 62 44 40 16 9 48 Nationalität 35 k.n. Prozent 10 0 19 Strafv-W. Strafv-O. 26 Haupts. 24 BVJ Gymn. Stud. andere deutsch Befragungsort
Konfession: keine 6,4% muslimisch 13,9% Fehlend,3% katholisch 22,1% evangelisch 27,3%
100 90 Konfession Unterscheidung nach Befragungsort (n=2648) 78 44 45 10 93 27 42 Religionszug. 60 37 keine 40 21 muslimisch 18 katholisch Prozent 10 0 12 7 Strafv.W Strafv.O. 16 Haupts. 16 BVJ 27 Gymn. 26 Stud. evangelisch Fehlend Befragungsort
Mittelwertvergleiche der Wertorientierungen aus unterschiedlichen Erhebungen (ohne Schüler) Wertorientierung Wertebereiche 1 sehr unwichtig 3 teils / teils 5 sehr wichtig Strafv.Ost Tübinger Erhebung 02 N=1 Strafv. West Tübinger Erhebung 02 N=1 Strafv. West Heidelberger Erhebung 03 N=2 Heidelberg - Freiburger Befragung zur Kriminalitätsfurcht 1995 N=29 Gesetz und Ordnung respektieren 2,9 2,9 3,3 4,1 4,2 Ein hoher Lebensstandard 3,7 4,0 3,9 3,3 3,3 Macht und Einfluss 3,1 3,1 3,1 2,4 2,5 Die eigene Phantasie und Kreativität 3,9 4,0 4,0 4,1 4,0 entwickeln Nach Sicherheit streben 3,7 3,8 3,6 3,9 4,0 Sozial Benachteiligten helfen 2,4 2,8 3,2 3,4 3,5 Sich und seine Bedürfnisse durchsetzen 3,7 3,4 3,7 2,9 3,4 Fleißig und ehrgeizig sein 3,6 3,6 3,7 3,5 3,9 Auch andere Meinungen anerkennen 3,0 3,1 3,1 3,5 3,5 Sich politisch engagieren 2,3 2,2 2,5 2,7 2,5 Die guten Dinge des Lebens genießen 4,6 4,5 4,5 3,9 3,5 Eigenverantwortlich leben und handeln 4,4 4,3 4,3 4,5 4,4 Das tun was andere auch tun 2,2 2,2 2,0 1,6 1,9 Am Althergebrachten festhalten 2,7 2,6 2,7 2,1 2,9 Ein gutes Familienleben führen 4,3 4,4 4,4 4,3 4,5 Deutschlandweite Befragung (Herbert 1992; S.72) 1987-1988 Vier Erhebungen Klages Skala N=1523 /13/21/1943
Mittelwertvergleiche der Wertorientierungen aus unterschiedlichen Erhebungen / Teil II- Wertorientierung Wertebereiche 1 sehr unwichtig 3 teils / teils 5 sehr wichtig Strafv. Ost Tübinger Erhebung 02 N=1 Strafv. West Tübinger Erhebung 02 N=1 Strafv. West Heidelberger Erhebung 03 N=2 Heidelberg - Freiburger Befragung zur Kriminalitätsfurcht 1995 N=29 Gute Freunde haben, die einen akzeptieren 4,6 4,6 4,5 4,6 4,3 Kontakte zu anderen Menschen haben 4,1 4,0 4,1 3,9 3,9 Gesundheitsbewußt leben 3,7 3,9 3,9 3,9 3,9 Sich bei Entscheidungen von Gefühlen leiten 3,7 3,7 3,8 3,5 3,8 lassen Von anderen Menschen unabhängig sein 4,2 4,0 4,1 4,0 4,1 Sich umweltbewußt verhalten 3,2 3,5 3,5 4,1 3,9 An Gott glauben 1,5 3,3 3,4 3,0 3,1 Ein gutes Gewissen haben 3,4 4,0 4,0 4,3 Leben nach christlichen Werten und Normen leben 1,5 2,6 2,7 2,9 So leben, dass Mitmenschen nicht geschädigt 3,4 3,7 3,9 4,5 werden Ein aufregendes Leben führen 4,1 4,2 4,2 2,8 Ein bequemes komfortables Leben führen 3,7 4,0 3,9 3,1 Ein Leben mit viel Vergnügen 4,2 4,3 4,3 3,2 Innere Ruhe und Harmonie 3,7 3,9 3,9 4,4 Hart und zäh sein 3,5 3,7 3,8 2,7 Schnell Erfolg haben 3,9 4,0 3,9 2,5 Cleverer und gerissener sein als andere 3,8 4,0 4,0 2,1 Deutschlandweite Befragung (Herbert 1992; S.72) 1987-1988 Vier Erhebungen Klages Skala N=1523 /13/21/1943
Mittelwertvergleich "Religiosität" 4,0 Unterscheidung nach Konfession (n=2522) 3,7 Ich halte mich selbst für religiös 3,5 3,0 3,0 2,9 2,5 2,6 evangelisch katholisch muslimisch keine Konfession Mittelwerte (1=wichtig; 5=unwichtig)
100 90 60 Selbsteinstufung Religiosität Unterscheidung nach Befragungsort (n=2648) 8 63 47 47 92 56 40 53 53 44 37 Religiosität 10 ja 0 Strafv.W. Strafv.O. Haupts. BVJ Gymn. Stud. nein
In der Kindheit streng erzogen 100 90 62 43 44 49 51 60 40 57 56 51 49 38 Strenge Erziehung 10 ja 0 nein Strafv.W. Strafv.O. Haupts. BVJ Gymn. Stud.
In der Kindheit bestraft 100 90 78 82 38 37 47 51 60 40 62 63 53 49 bestraft Prozent 10 0 22 Strafv.W. 18 Strafv.O. Haupts. BVJ Gymn. Stud. ja nein Befragungsort
In der Kindheit geschlagen 100 90 82 44 41 39 39 60 56 59 61 61 40 Kindheit geschlagen Prozent 10 0 18 Strafv.W. Strafv.O. Haupts. BVJ Gymn. Stud. ja nein Befragungsort
Unternehmungen mit den Eltern 100 90 21 49 34 58 76 79 60 66 40 51 42 Untern. mit Eltern Prozent 10 0 Adelsh. Neustr. Haupts. BVJ Gymn. 24 Stud. ja nein Befragungsort
Schulunterricht geschwänzt 100 90 91 94 37 61 37 51 60 63 63 Prozent 40 10 0 9 Strafv.W. 6 Strafv.O. Haupts. 39 BVJ Gymn. 49 Stud. Schuleschwänzen ja nein Befragungsort
Fazit: Die Religiosität ist für die Insassen des Jugendstrafvollzugs von Bedeutung. Die Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass Religion eine gruppenspezifische Integrationsfunktion im Strafvollzug übernimmt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Religion bei diesem Klientel keine Handlungsrelevanz besitzt, die für eine Präventionsarbeit von Bedeutung wäre. Die Insassen des Jugendstrafvollzuges lassen sich durch eine Reihe problematischer Werte kennzeichnen. Sozialintegrative Werte sind deutlich weniger ausgeprägt, als bei der Normalbevölkerung. Die Inhaftierten im Jugendstrafvollzug unterscheiden von anderen Jugendlichen im elterlichen Erziehungsverhalten: Sie werden deutlich autoritärer erzogen, d.h., sie werden auf der einen Seite körperlich gezüchtigt Auf der anderen Seite unterliegen sie keiner elterlichen Kontrolle Dies wird am unstrukturierten Freizeitverhalten und Am Schwänzen des Schulunterrichts deutlich Gegenwärtig wird an Auswertungen im Bereich Geschlecht, Konfession und Wertorientierungen gearbeitet
Veröffentlichungen: Kerner, Hans-Jürgen/Stroezel, Holger/Wegel, Melanie (03): Erziehung, Religion und Wertorientierungen bei jugendlichen Strafgefangenen. In: ZJJ 9/03. Kerner, Hans-Jürgen/Stroezel, Holger/Wegel, Melanie (05): Rechtsbewusstsein, Religiosität und Erziehungsstile bei Jugendlichen. In: Biesinger, A./Kerner, H.J./Klosinski,G./Schweitzer,F. (Hrsg): Brauchen Kinder Religion? S. 141-152. Kerner, Hans-Jürgen/Stroezel, Holger/Wegel, Melanie (05): Frühe Erziehung und aktuelle, namentlich religiöse Wertorientierung bei jungen Menschen. In: WzM, 57 Jg. Nr. 3. Ansprechpartner zum Projekt: Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner Tel. 071/297 2931, E-Mail: hans-juergen.kerner@uni-tuebingen.de Dr. Holger Stroezel, M.A. Tel: 071/297 26, E-Mail: holger.stroezel@uni-tuebingen.de Dr. Melanie Wegel, M.A. Tel: 071/297 26, E-Mail: melanie.wegel@uni-tuebingen.de