Grundkurs Strafrecht IV(3) Lehrstuhl für Internationales Strafrecht
Grundfälle zur Abgrenzung Gewahrsamsbruch einverständliche Gewahrsamsübertragung 1. A lässt sich im Juwelierladen eine goldene Uhr scheinbar zur Ansicht in die Hand geben, um damit plötzlich aus dem Laden zu rennen. 2. Mit einer gefälschten Dienstmarke der Polizei stellt sich A bei der Rentnerin R als Zivilfahnder vor und erklärt, das Geld, das sie vorher bei der Bank abgeholt hat, sei höchstwahrscheinlich gefälscht, und er müsse es deshalb beschlagnahmen. 3. A spiegelt dem Vermieter des B vor, er sei von B telefonisch beauftragt, dringend eine bestimmte Sache aus dessen Wohnung abzuholen. Der ahnungslose Vermieter geht mit dem Zweitschlüssel in die Wohnung, 2 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte) holt die Sache heraus und gibt sie dem A.
Grundfälle zur Abgrenzung Gewahrsamsbruch einverständliche Gewahrsamsübertragung 4. A gelingt es, mit Hilfe einer einzigen durchbohrten und an einem Faden befestigten Münze einen Getränkeautomaten zur Herausgabe seines gesamten Inhalts zu veranlassen. 5. A bedient sich an einer Zapfsäule der Tankstelle des B in der Absicht, nach Beendigung des Tankvorgangs ohne Bezahlung zu verschwinden. 6. Nach dem Auftreten von Diebstählen in einem Bürogebäude werden zur Überführung des Täters, der im Kreis des Reinigungspersonals vermutet wird, präparierte Geldscheine in offenen Schreibtischschubladen platziert. 3 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte)
Neuer Gewahrsam? Der alte Theorienstreit zwischen der Kontrektationstheorie (Berühren als Wegnahme), der Apprehensionstheorie (Ergreifen), der Ablationstheorie (Fortschaffen) und der Illationstheorie (Bergen) spielt heute keine Rolle mehr. Theorien taugen allesamt nicht zur Bestimmung des entscheidenden 4 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte) Zeitpunkts
Neuer Gewahrsam ist begründet, wenn. der Täter die tatsächliche Sachherrschaft erlangt hat und der bisherige Gewahrsamsinhaber auf die Sache nicht mehr einwirken kann, ohne die Verfügungsgewalt des Täters zu beseitigen. 5 Grundkurs Strafrecht IV (2) (Vermögensdelikte)
Neuer Gewahrsam ist begründet, wenn. Bei schwer transportierbaren Sachen i.d.r. anders zu beurteilen als bei Gegenständen, die sich einstecken oder zumindest leicht fortschaffen lassen. Ladengeschäft (geöffnet): 6 - Ware (vor der Kasse) offen in der Hand - ggf. aber bereits Gewahrsamsenklave bei Verstecken in eigener Kleidung - Diebstahl kein heimliches Delikt: Beobachtung steht der Begründung neuen Gewahrsams nicht entgegen (a.a. S/S/Eser/Bosch Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte) 242 Rn. 40)
Beispiel Winkelschleiferfall (OLG Düsseldorf NJW 1988, 922) Einkaufswagenfall (BGH NStZ 1995, 593) 7 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte)
II. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz (dol. ev. reicht) - hinsichtlich Sachqualität in aller Regel unproblematisch Diebstahlsvorsatz muss nicht auf bestimmte, einzelne Sachen konkretisiert sein (z.b. Wegnahme einer Brieftasche) Wenn Vorsatz gleichwohl auf ganz bestimmte Sachen gerichtet und Vorsatzwechsel, dann dennoch einheitlicher Diebstahl Problem Grundkurs (Irrtum Strafrecht IV über (Vermögensdelikte) Ggst. d. 8 Wegnahme):
Fall (BGH NStZ 2006, 686): A und B haben herausgefunden, dass O in einem Lokal im Rahmen eines sog. Pyramidenspiels dem X ein Betrag von 160.000 Euro übergeben möchte. Sie planen deshalb den O am Tag der Übergabe zu überfallen. Als der O mit seinem PKW auf das Grundstück fährt und anhält, reißt A die Türen auf, besprüht O mit Reizgas. B entnimmt unterdessen aus dem Kofferraum einen Karton, in dem sie das Geld vermuten. Mit dem Karton fliehen sie mit einem bereit stehenden Fluchtfahrzeug. Als sie unterwegs den Karton öffnen, finden sie darin jedoch lediglich eine Flasche Wein, die sie enttäuscht zusammen mit dem Karton wegwerfen. Strafbarkeit von A und B?
1. Wegnahmevorsatz? Bloß Versuch, wenn Konkretisierung... nicht auf fremde Sachen, die sich im Karton befinden sondern... auf vorgestelltes Tatobjekt ( Bargeld )?
Oha, der O kommt!!! 211, 212 an X (+) Irrtum über Identität ist rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum 211, 212, 22, 23 an O? Pr. Obertribunal GA Bd. 7, 322, 330 Stratenwerth FS-Baumann, 57, 68 unzulässige Vorsatzverdoppelung(!)
Unterschied zum klassischen error in persona vel obiecto? Keine unmittelbare visuelle Wahrnehmung des Tatobjekts aber...
Wegnahmevorsatz: keine Relevanz der geistigen Identitätsvorstellung: vorgestellter Inhalt zwar für Motiv des Handelns maßgeblich Kartoninhalt durch Ergreifen aber räumlich und zeitlich ausreichend konkretisiert Inhalt nicht bloß zufällig, sondern in Ausführung des Tatplans weggenommen error in obiecto lässt den Wegnahmevorsatz unberührt auch ohne optische Wahrnehmung des Tatobjekts
Vorsatz hinsichtlich Fremdheit entfällt, wenn der Täter irrtümlich annimmt, die Sache würde ihm selbst allein gehören oder sei herrenlos, bei Sachverwechslungen (Garderobe) Fehleinschätzung der zivilrechtlichen Rechtslage (Rechtsirrtum, hier vorsatzausschließend) 19 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte)
Vorsatz hinsichtlich Wegnahme hinsichtlich Gewahrsamsverhältnisse hinsichtlich Bruch irrtümliche Annahme eines Einverständnisses = 16 StGB 20 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte)
2. Absicht rechtswidriger Zueignung a) Zueignungsabsicht Aneignungskomponente: Täter erstrebt mit dol. dir. I wenigstens die zeitweise Einverleibung der Sache in das eigene Vermögen unter Anmaßung einer eigentümerähnlichen Herrschaftsmacht ( se ut dominum gerere ) Enteignungskomponente: Täter nimmt zumindest billigend in Kauf, dass der Eigentümer auf Dauer aus seiner Position verdrängt bleibt Gegenstand der Zueignungsabsicht: Substanz oder der in der Sache verkörperte Wert 21 Grundkurs Strafrecht IV (Vermögensdelikte)